Mehr Stücke sind mehr

von Roland Koberg

12. Juni 2014. Zum Jubiläum ein Hätte-wäre-Gedanke: Wenn die Theater anders wären und nicht mit Dingen, die man kennt, Kasse und Abo machen würden, sondern wenn die neuen Stücke lebender Autors beliebt und erfolgsversprechend wären, dann hätte niemand Autorentheatertage gegründet. Weil dann ja alle Tage Autorentheatertage wären.

Die Autorentheatertage hatten immer eine Vision, schon als das Programm in Hannover und Hamburg bescheiden war. Unterschwellig wurde mitgeteilt, dass etwas verkehrt laufe im deutschen Theatergeschäft, in dem tot vor lebendig geht, alt vor neu. Also basteln sich Khuon und seine ATT-Crew einmal im Jahr für zehn Tage eine ideale Theaterwelt, in der es keine alten Stücke gibt und keine Gelegenheit für Regisseure, sich an Klassikern, Romanen und Filmen abzuarbeiten. Ein Paradies ohne Konkurrenz durch Reclam & Co.

Wer die schlechte Stimmung macht

Diese Ansage fand ich immer gut und trotzig. Das einzige, was nervt, sind die Juroren, wie ich selbst einer gewesen bin. Sie machen eigentlich immer schlechte Stimmung. Erst gehen sie dem Betrieb auf den Leim, im Fall der Autorentheatertage seit 20 Jahren Ulrich Khuon, der im Vier-Augen-Gespräch den "Blick von außen" erbittet. Weil man als Kritiker oder Kulturjournalist geschmeichelt ist, wenn einem das Theater ein solches Instrument in die Hand drückt und Aufmerksamkeit auf das eigene Urteil lenkt, weiß ich von keinem, der das je abgelehnt hätte. Ist ja nur für ein Mal. Vorher und nachher wird man nie wieder 150 unveröffentlichte Stücke lesen.

Also tritt der Juror an zur dialektischen Mutprobe: Einmal am Theater Verantwortung übernehmen! Dabei aber Unabhängigkeit beweisen und dem Betrieb den Spiegel vorhalten! Und so zieht dann dieser bestellte "Blick von außen" notorische Kritik nach innen nach sich, die Kritik an der so genannten Betriebsblindheit. Die Klage über das Unbefriedigende der Juroren-Aufgabe zieht sich wie ein roter Faden durch die Eröffnungsreden seit 20 Jahren, als einziger roter Faden, hat man den Eindruck. Der Kritiker findet sich dann selber "harsch" (wie jetzt wieder Briegleb), aber was raus muss, muss raus. Mittlerweile wird ja den Förderungssystemen (also auch den Autorentheatertagen) selbst die Schuld daran gegeben, dass die Stücke nicht gut genug seien für diese Theaterwelt. Von vertaner Lebenszeit ist die Rede und von falschen Hoffnungen, die jungen Dramatikern gemacht würden.

Das arrogante Kichern

Ich finde es immer etwas geschmacklos, wenn sich Kuratoren über die prekären Lebensumstände von nicht eben erfolgreichen Autoren auslassen, wenn dann ergoogelt wird, was aus diesem oder jenem Talent geworden sei. Man hört bei solchen Vorträgen immer ein leises Kichern im Publikum, und die Anwesenden scheinen sich einig darin, dass es unvernünftig ist, es als Dramatiker wieder und wieder zu versuchen. Wo doch der Markt diesem Dramatiker längst signalisiert: Lass es bleiben. Beziehungsweise, in der perfiden Weiterdrehe, signalisiert der Markt dem Autor: Ich fördere dich zwar, weil ich ein überzüchtetes Förderungssystem repräsentiere, meine dich aber nicht! Ergebnis dasselbe. Es ist übrigens das gleiche arrogante Kichern wie in Thomas Bernhards 'Ritter, Dene, Voss', wenn Voss sagt: "Jungen Künstlern ist nicht zu helfen!"

Wem ist damit gedient? Soll man sich denn als junger oder auch als nicht mehr ganz junger Autor von so etwas abschrecken lassen und beim nächsten Mal vielleicht etwas früher und tiefer mit sich ins Gericht gehen, ob es wirklich für eine künstlerische Existenz reicht? Wäre je Kunst entstanden, wenn auf solche Ratschläge gehört worden wäre? Nach dem Pollesch-Motto: Die Kunst war viel populärer als ihr noch keine Künstler wart?

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Juror und meiner Mutter?

Hat denn mal jemand nachgeprüft, wie hoch die Rausfallquote in anderen künstlerischen Berufsgruppen ist? Sind es bei den Schauspielern, Kostümbildnern oder Regisseuren weniger, die sich einen anderen Beruf suchen? Ich schätze, das hält sich in etwa die Waage. Also: Wo ist der Unterschied zwischen ATT-Juroren, die sich um die Zukunftsaussichten für Dramatiker sorgen, und meiner Mutter, die mir gerne vorhält, ich hätte etwas Ordentliches machen sollen?

Und wem gilt eigentlich das Bedauern, dass Institutionen ständig neue Stückemärkte erfinden (obwohl die Mutter aller Stückemärkte gerade eingestampft wurde)? Dass zu viele Stipendien, Preise und Auftragshonorare vergeben würden, ohne wirkliches Interesse damit zu verknüpfen? Gut, das mit dem Interesse ist schlimm, aber dazu muss man ganz neoliberal sagen: Soll doch jeder Veranstalter selber mit seinem Stückemarkt oder Schreibworkshop auf die Schnauze fallen.

These aus dem Reich der Fanatasie

Denn als weiterer kulturpessimistischer Topos kommt einem ja jedes Jahr das Gejammer entgegen, man habe von allem zuviel, niemand könne das Kulturangebot mehr überschauen, weil so viel geschrieben und produziert werde, wer wisse denn noch, was wirklich wichtig sei... Entschuldigung, aber auch in dieser Hinsicht denke ich neoliberal: Für seinen Terminkalender ist nun wirklich jeder selber zuständig, erst recht, wenn man dafür bezahlt wird, Vielversprechendes von weniger Vielversprechendem zu unterscheiden. Und wenn jemand bei der Auswahl seiner Kulturtermine kein glückliches Händchen haben sollte – beim nächsten Mal klappt's vielleicht. Einfach mal Freunde fragen, Zeitung lesen, solche Dinge.

Ich frage mich schließlich: Was ist daran eigentlich so schlimm, wenn Stücke in der Tischlerei oder im Theaterkeller uraufgeführt werden und dann weg sind, weil kein anderes Theater sie nachspielt? Dann hat man eben gemeinsam geübt, vor insgesamt ein paar hundert Zuschauern, alle haben hoffentlich Lohn oder Gage erhalten, die Techniker, die Schauspieler, der Autor, und wenn es vielleicht kein großer Erfolg war, dann nützt es im besten Fall der Entwicklung und beim nächsten Mal geht's vielleicht besser.

Die bei Juroren beliebte Hypothese, das Theater werde besser, wenn weniger Dramatiker weniger Stücke mit mehr Qualität schreiben, gehört ins Reich der Phantasie. Nicht weniger ist mehr. Mehr ist mehr.

Also: Lasst euch nicht einschüchtern, Autoren! Geschrieben werden muss immer, für welche Theaterform auch immer. Schreibt mehr Stücke! Ihr müsst sie ja nicht alle mir schicken.

Dieser Text erschien zuerst auf Innehalten! Der ATT-Blog, dem Blog der Autorentheatertage, die vom 5. bis 14. Juni 2014 im Deutschen Theater Berlin stattfanden.

 

koberg-roland 101 2013 08 29Roland Koberg, geboren 1967 in Linz, Oberösterreich, war Kritiker der Berliner Zeitung, als er für die erste Ausgabe der Autorentheatertage in Hamburg 2001 angefragt wurde, mutierte aber während der Vorbereitung zum Dramaturgen des Deutschen Theaters. Er kuratierte die ATT schließlich gemeinsam mit dem Kritiker Wolfgang Kralicek (Falter). Roland Koberg bereitet derzeit als künstlerischer Berater die im Sommer 2015 beginnende Intendanz von Anna Badora am Wiener Volkstheater vor.

 

 

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Koberg über Autorenförderung: Abfallkübel-Köpfe
Wenn schon die alten Hausmärchen (z.B. "Hans im Glück" der Gebrüder Grimm) und Karl Marx (Gesetz vom Umschlagen von einer Quantität in eine neue Qualität) davon handeln, dass weniger mehr ist bzw. dass es nicht um die Quantität, sondern letztlich um die Qualität geht, warum soll ich mich dann dem Neoliberalismus anpassen? Da lese ich doch lieber mal wieder den alten Grantler Thomas Bernhard ("Gehen"):

"Im Grunde ist alles, was gesagt wird, zitiert, […]. Haben wir einen Kopf voller Gedanken, kippen wir den Kopf um wie einen Abfallkübel, sagt Oehler, und nicht alles auf einen Haufen, sagt Oehler, sondern immer dort, wo wir gerade sind. Deshalb ist die Welt voller Gestank, weil alle überall ihre Köpfe entleeren wie Abfallkübel. An dem Gestank, den dieser unendliche Gedankenunrat verursacht, sagt Oehler, wird die Welt, werden wir eines Tages zweifellos ersticken, wenn wir nicht eine andere Methode finden. Es ist aber unwahrscheinlich, daß es eine andere Methode gibt. Alle füllen ihre Köpfe bedenkenlos und rücksichtslos an und entleeren sie, wo sie wollen, sagt Oehler, diese Vorstellung ist es, die mir die grauenhafteste von allen Vorstellungen ist.“

Und so sehen dann auch die im Akkord produzierten Stücke aus? Non, merci.
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