Wir sind die Stadt

29. Juni 2014. Dass es sich in Berlin billig leben lässt, ist längst ein Märchen, und viele Künstler fühlten sich vor den Kopf gestoßen, als, entgegen der Versprechungen, im November bekannt wurde, dass die Einnahmen der neuen City Tax doch nicht in die Kultur fließen. Mit dem neuen Kulturstaatssekretär Tim Renner keimte Hoffnung auf. Im Tagesspiegel hält Renner nun ein Plädoyer dafür, die Kreativen in der Stadt zu halten – zielt damit allerdings mehr auf Innovationsförderung und Liegenschaftspolitik.

Berlin wachse, in den letzten Jahren überwiegen klar die Zuzüge, es sind in erster Linie Künstler und Kreative, die unfreiwillig auch die Entwicklung von Immobilienpreisen antreiben, 74 Prozent der Berlin-Touristen kommen wegen des Kulturangebots, holt Tim Renner in seinem Essay im Tagesspiegel (29.6.2014) aus und beschreibt den bekannten Mechanismus, wie sich "Künstler und Kreative, Menschen mit hohem kulturellem Kapital, in vernachlässigten Quartieren ansiedeln. In der Folge wandelt sich die Wahrnehmung dieser Quartiere von heruntergekommenen zu besonderen Orten."

"Durch Verkauf und teurere Vermietung werden ökonomische Gewinne eingefahren.  Das ursprünglich von den Künstlern mitgebrachte kulturelle Kapital hat sich in ökonomischen Mehrwert verwandelt. Das wusste man in Berlin schon lange. In der Szene heißt die Formel verkürzt: Erst kommen die Künstler, dann die Clubs und Galerien und schließlich die Immobilienentwickler."

Dann heißt es weiter: "Damit die kreativ getriebene Zuwanderung anhält und die Transformation von kulturellem in ökonomisches Kapital nicht zu einer Verödung von Stadträumen führt, müssen wir diejenigen schützen, die den Boom ausgelöst haben und befeuern." Das seien die Künstler, mit ihren Studios, Ateliers oder Proberäumen. Sie im Rahmen von Luxussanierung, Umwidmungen oder Problemen mit Lärmemissionen zu vertreiben, hieße den Rohstoff zu verlieren, von dem Berlin seit geraumer Zeit lebt. Das Gleiche gilt für Kulturräume wie Museen, Theater, Oper, Konzerthallen und Clubs.

"Es muss selbstverständlich werden, künstlerische Aktivität und Kreativität in der Stadt zu halten, wenn wir die Entwicklung Berlins vorantreiben wollen. Das gilt auch und gerade für die Bezirke, nicht als Anerkennung oder nette Geste gegenüber den betroffenen Künstlern und Kreativen, sondern im Eigeninteresse der betroffenen Stadtgebiete." Orte, die nicht mehr zulassen, was in Berlin Grund für Zuwanderung und Wachstum ist, schaden sich selbst. Der Prenzlauer Berg ist ein Synonym für solch ein Quartier geworden.

Für die wachsende Stadt Berlin bedeutet das, "Kulturpolitik sowohl zusammen mit Wirtschaftspolitik als auch im Rahmen von Stadtentwicklung denken". Natürlich trage Kultur ihren Zweck in sich selbst, und Künstler definieren sich nicht über Wertschöpfung, Abstrahleffekte und Quartiersentwicklung. "Eine moderne Kulturpolitik muss sich jedoch in einer Stadt wie Berlin diesen Herausforderungen stellen und handeln." Wir sollten deshalb offen darüber diskutieren, ob Kulturförderung nicht auch Bestandteil von Innovationsförderung ist. Und überlegen, ob eine Liegenschaftspolitik nicht eine viel engere Einbeziehung von Kultur benötigt. Und, so endet der Text: "Wir müssen darum ringen, dass Kultur in gleichem Maße Berücksichtigung in Bebauungsplänen findet, wie es berechtigterweise die Bildung erfährt. Wollen wir unser Wachstum als Stadt sichern, dann müssen wir zusehen, unser Kulturversprechen auch in Zukunft zu erfüllen."

(sik)

 

Kommentare  
Presseschau Tim Renner: Immobilienhändler
Glasklar der Herr Immobilienhändler in der Maske des Kulturbringers. Interessant ist nur, dass die "normalen" Kiezbewwohner bei diesem "Berliner" schon gar nicht mehr vorkommen.
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