Schauspieler wehren sich

16. August 2014. Das Ensemble der Bad Hersfelder Festspiele fordert, dass die Stadt Bad Hersfeld die fristlose Kündigung des Intendanten Holk Freytag zurücknimmt und den Dialog mit dem Festspiel-Intendanten konstruktiv wiederaufnimmt. Nur damit sei gewährleistet, "dass die hohe Qualität der Bad Hersfelder Festspiele und die Weiterentwicklung dieses kulturellen Bildungsguts erhalten bleibe", heißt es von Seiten des Ensembles.

Zugleich hat das Ensemble eine Online-Petition aufgesetzt, die mit einer Unterschrift unterstützt werden kann und in der der Unmut über die getroffene Entscheidung geäußert wird. Die Ensemblesprecher Stephan Ullrich und Fabian Baumgarten haben zudem mitgeteilt, dass die Schauspieler bei Nichteinhaltung vorvertraglicher Absprachen rechtlich gegen die Stadt vorgehen würden. Schließlich hätten viele Mitarbeiter bereits mündliche Zusagen für weitere Tätigkeiten bis 2016 erhalten. Man sähe sich "durch den Wegfall der eingeplanten Einkünfte gravierend existentiell bedroht". Als Summe für eventuelle Ersatzansprüche stellt das Ensemble laut Osthessen-News 995.000 Euro in den Raum.

Holk Freytag wurde Ende Juli überraschend fristlos gekündigt. Als Begründung gab die Stadt an, er habe vorgeschriebene Sparmaßnahmen nicht umgesetzt.

 

(sik)

Mehr zur Causa Bad Hersfeld:

Holk Freytag als Intendant der Hersfelder Festspiele fristlos entlassen - Meldung vom 30. Juli 2014

Die Süddeutsche Zeitung über die Entlassung des Bad Hersfelder Intendanten und die Schuldenbremse für Bund und Länder - Presseschau vom 5. August 2014

 

mehr meldungen

Kommentare  
Bad Hersfeld: Putsch der Verwaltung
In der Hersfelder Stadtverwaltung kursiert ein Papier vom 22. Januar 2014, für das der Bürgermeister Fehling (FDP) verantwortlich zeichnet. Es trägt den Titel „Zukunftskonzept für die Bad Hersfelder Festspiele“. Es heißt da unter der Überschrift „Organisation der Bad Hersfelder Festspiele“: „Die Festspiel- und Theaterkommission ist in ihrer Bedeutung aufzuwerten. Heute ist es ein Gremium, welches den Spielplan der Festspiele zwar als Erstes vorgestellt bekommt, aber keinerlei tatsächliches Mitspracherecht, geschweige denn Entscheidungsbefugnis besitzt. Die alleinige Entscheidung über den Spielplan liegt heute beim Intendanten. Die ist seit Jahrzehnten im Intendantenvertrag so zugesichert. Die Kommission wird zukünftig die entscheidende Kontroll- und Steuerungsinstanz für die Bad Hersfelder Festspiele. Sie entscheidet über die Durchführung des Spielplans und gibt das von der Stadtverordnetenversammlung definierte Budget frei.“ Es folgt die Zusammensetzung der Kommission: Der Bürgermeister plus acht Stadträte, ein Sitz je Fraktion der Stadtverordnetenversammlung, je ein Sitz für die ’Hauptsponsoren’, ein Sitz für die ’Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine’, ein Sitz für den Arbeitskreis für Musik. Und weiter: „Für die operative Durchführung wird es einen künstlerischen Direktor und einen gleichberechtigten kaufmännischen Direktor geben. Beide zusammen haben die Verpflichtung, der Kommission einen gemeinsamen Spielplan mit zugehörigem Wirtschaftsplan zur Entscheidung vorzustellen. Sollte die Kommission mit dem Spiel- und Wirtschaftsplan nicht einverstanden sein, so müssen die beiden einen neuen Entwurf vorstellen. Somit liegt die letzte Entscheidung immer bei der Kommission.“

Bei dem Papier von Herrn Bürgermeister Fehling handelt es sich, wie klar ersichtlich wird, um das Manifest eines Putsches der Hersfelder Stadtverwaltung gegen die bisherige Leitung der Festspiele durch einen unabhängigen Intendanten. Es wird ebenfalls deutlich, daß die fristlose Kündigung Freytags nichts anderes als den Versuch darstellt, diesen Putschplan durch ’aktuelle’ finanzielle Vorwände zu bemänteln und zu verhindern, daß Holk Freytag selbst, der seiner eigenen Entmündigung schwerlich zugestimmt haben dürfte, gegen diese noch nie dagewesene Form einer (un)ästhetischen Machtergreifung durch die politische Bürokratie einer Kommune öffentlichkeitswirksam protestiert.

Das Ensemble wird mehr zu tun haben, als die Einhaltung des gekündigten Intendantenvertrags und seine eigene damit zusammenhängende Zukunftssicherung für die nächsten zwei Jahre zu fordern. Es sieht sich unverhofft vor die Aufgabe gestellt, einer kulturpolitischen Anmaßung entgegenzutreten, die, wenn sie Schule macht, alle Diskussionen um die Zukunft des deutschen Theatersystems obsolet werden läßt. Der Deutsche Bühnenverein, die GDBA, der Deutsche Kulturrat, der Kulturausschuß des Deutschen Bundestages und die Staatsministerin für Kultur und Bildung, die Akademien und Theater sind dringend gehalten, die Mitarbeiter der Festspiele in ihrem Protest zu unterstützen.
Bad Hersfeld: Zukunftskonzept der Politik
Das Zukunftskonzept, von dem Herr Steckel oben schreibt, ist hier nachzulesen: http://www.bad-hersfeld.de/politik/buergermeister.html
Bad Hersfeld: spätpupertäre Reaktion
Hier wird nur offen realisiert, was seit Jahren schon üblich ist, aber in Netzwerken verhandelt wird. Es gibt keine unabhängige Intendanz. Sie ist immer direkt gebunden an ihre Mittel und diejenigen, die sie geben.

Dieser "Kultur Gangbang", wenn ihr an uns sparen wollt, erzeugen wir noch mehr Kosten, ist albern. Eine spätpupertäre Reaktion der ehemaligen Linken in den Intendanzen.

Kunst als unabhängig finanzierte Einheit, war längst definiert. Die erbärmliche Umarmung mit der Politik über Jahrzehnte, hat den Konflikt erst herbeigeführt.

Die Fehler liegen lange zurück. Fast vor der Einheit. Mal vereinfacht gesagt.
Bad Hersfeld: diktatorisch
Herr Fehling ist in der FDP. Dass die Politik die Theater auf diese Weise kontrolliert, ist allerdings eher in weniger freiheitlichen Staaten die Regel.
Bad Hersfeld: System-Unterwanderung
Möge der erwünschten Schirmherrn und Festspielbesucher Bundespräsident Joachim Gauck zu diesem tolldreisten Unterfangen seine Meinung äußern, in Abstimmung mit der Staatsministerin für Kultur und Bildung, um jetzt diesem Spuk ein Ende zu bereiten, der mehr als ein "Putsch" ist, sondern die schleichenden Unterwanderung eines Systems verdeutlich, das sich einmalig in der Welt, nur noch in Ansätzen zu seinen Grundsätzen bekennen kann und darf.
Bad Hersfeld: Un-/Abhängigkeiten
@ martin baucks: Eine Intendanz ist seit der Moderne nur in ihren ästhetischen Mitteln unabhängig, in ihren finanziellen dagegen durch die gesamte Theater-Geschichte hindurch immer schon abhängig. Der Unterschied zwischen früher und heute liegt möglicherweise bloß darin, dass die Verwicklungen zwischen (Kultur-)Politik/ern, Bühnenverein und Intendanten nicht offengelegt werden. Aber sie beeinflussen oftmals direkt Formen und Inhalte der Kunst, das weiss doch jedes Kind.

Was genau meinen Sie mit "Kultur-Gangbang"?
Bad Hersfeld: Handelsgut
Die staatlich finanzierten Kulturbetriebe erzeugen ein Handelsgut. Erst wenn man diese Annahme realisiert, kann man weiter debattieren.
Bad Hersfeld: Kunsthandel?
Die Theater, und damit wohl auch Sie, Herr Baucks, betreiben also Kunsthandel. Das wusste ich noch gar nicht.
Bad Hersfeld: öffentlicher Widerstand
@7 Nein. Die Theater produzieren KEIN Handelsgut, sie produzieren eine DIENSTLEISTUNG. Und nicht nur die staatlich finanzierten Theater tun das, sondern jedes Theater zu jeder Zeit. Genauso wie jeder bildende Künstler eine Ware (also ein Handelsgut) produziert. Aber natürlich ist das Haarspalterei.

Die ganze Diskussion entwickelt sich in eine seltsame Richtung, und die Dichte der Binsenweisheiten hier vernebelt den spektakulären Skandal der Vorgänge in Bad Hersfeld.

Aber erst kurz zu den Binsen:
1. selbstverständlich hat die finanzielle Ausstattung eines Theaters Auswirkungen auf seine Produktionen
2. selbstverständlich gibt es Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen den Geldgebern und den Theatern
3. selbstverständlich sind Intendanten nur im Rahmen der finanziellen Ausstattung ihres Theaters (und im Rahmen gesetzlicher Vorgaben) unabhängig

Und im übrigen treffen diese Selbstverständlichkeiten auch auf die Häuser der freien Szene zu.

Der Skandal in Bad Hersfeld liegt darin, dass der OB sich (bzw. einem städtischen Gremium) per Erlass die künstlerische Leitung der Festspiele sichert, und um dieses Ziel zu erreichen den ersten Kritiker dieser Beschlüsse vor die Tür setzt. Das ist eine neue Qualität der Einflussnahme auf die künstlerische Arbeit eines Theaters. Oder eigentlich besser: Das ist sehr 18. Jahrhundert. Und genau deshalb sollte sich dagegen ein breiter öffentlicher Widerstand formieren, denn die absolutistische Haltung "ich der Herrscher fördere nur was mir gefällt" war lange überwunden.

Aber natürlich ist das, was in Bad Hersfeld geschieht, Ausfluss eines tiefergehenden Problems: Die Theater werden durch stagnierende und sinkende öffentliche Zuschüsse bei gleichzeitig steigenden Personal- und Sachkosten immer abhängiger von den Erlösen durch Kartenverkauf. Dass das Auswirkungen auf das Programm der Theater hat, ist wieder Binse Nr. 1.
Bad Hersfeld: nichtmaterieller Aspekt?
Und, Herr Baucks, mit Hans-Thies Lehmann gesprochen, wäre das "Handelsgut" der Theater heute eh nur noch ein "ästhetischer Effekt". Kann ich mir jetzt den von meinem Eintrittsgeld bezahlten Effekt mit nach Hause nehmen und in die Vitrine stellen, oder hat der nicht auch einen nichtmateriellen Aspekt? Und wenn ja, welchen? Wenn nicht, erübrigt sich jede weitere Diskussion über das Theater, und die können dann ihre Kostüme, Kulissen und Theatersessel als Antiquitäten verkaufen.
Bad Hersfeld: flüchtige Prozesse
@ martin baucks: Und was ist dann "das Produkt" (sic!) dieses Kunst-Handels? Da eine Aufführung, anders als ein Bild im Museum, immer wieder in dem Moment neu geschaffen wird, wo sie gespielt wird, da es in der Theater-Kunst weniger um stoffliche Materie als vielmehr vor allem um Geistiges, also Vorstellungen und Wahr-Nehmungen geht, was zudem ohne die aktive und bewusste Anwesenheit von Zuschauern gar nicht funktionieren würde, kurz: da es um flüchtige Prozesse und nicht um fertige Produkte geht, wie soll das Theater da zur fixierten Tausch- bzw. Handelsware werden? Es geht hier ja gerade nicht um den verzweifelt solitär konsumierten Porno. Denn eine nackte Schauspielerin BLICKT ZURÜCK bzw. SIE AN. Das Theater ist also reziprok und keine Einbahnstraße.
Bad Hersfeld: Dialektik der Aufklärung
Sehr geehrter Herr Thomas Fehling!

Die erstmals 1947 publizierte “Dialektik der Aufklärung” von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ist ein bedeutender Text der „kritischen Theorie“ und zweifellos eine der meistdiskutierten kulturphilosophischen Schriften des zwanzigsten Jahrhunderts. Die hierin gesammelten “Fragmente” befassen sich in unterschiedlicher Weise mit der Tatsache des zu beobachtenden Rückfalles von Aufklärung in Mythologie. Dieser “Rückfall”ist, laut Adorno/ Horkheimer, weniger durch das Erschaffen „neuer Mythen“ durch Nationalismus und Faschismus bedingt, als vielmehr durch die Angst der Aufklärung selbst vor der Wahrheit.
Ich möchte ihnen insbesondere den Abschnitt “Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug” zur Lektüre empfehlen. Die Gleichmachung durch das Kapital, die Normierung allen kulturellen Lebens unter dem Monopol des Geldes und dem Primat des Warentauschs werden hier explizit am Beispiel der entstehenden Vergnügungsindustrie in Hollywood diskutiert. Sowohl Adorno als auch Horkheimer lebten zur Zeit der Entstehung der Schrift in Kalifornien und pflegten rege Kontakte zu Protagonisten der Filmindustrie. Adorno / Horkheimer beschreiben eine Entwicklung hin zu einer dirigierten und durchorganisierten Ausschließlichkeit in der Produktion von Kulturerzeugnissen zu gunsten und einzig mit Blick auf den zu erwartenden Profit. Eine Unterhaltungsindustrie entsteht, die ihre Werke nicht mehr im Hinblick auf die Form und deren Gesetzmäßigkeiten hin “produziert”, sondern nur noch mit Blick auf Wirkung und vermeintlichen Konsens. Das wirklich “Neue” und letztlich wahrhaft künstlerische wird innerhalb des kulturindustriellen Systems exkludiert und auf ökonomische Weise unmöglich gemacht. So kann nach Adorno / Horkheimer nichts ernsthaft Neues und künstlerisch gehaltvolles mehr entstehen.
Nicht der technische Fortschritt alleine führt zu dieser Entwicklung. Es ist vielmehr die Macht der ökonomisch stärksten Kräfte, welche die Techniken kontrollieren. Eine Verdummungs - und Gleichmachungsindustrie übernimmt die Macht. Die kritische Theorie sieht ihren Wahrheitsgehalt stets im Kontext der Gegenwart und sollte in jener immer neu überprüft werden. Meiner Meinung nach ist im gegenwärtigen gesellschaftlichen Zusammenhang, die von Adorno / Horkheimer formulierte Kritik der "Kulturindustrie" durchaus zeitgemäß. Mehr noch liefert sie geeignete Werkzeuge zur Beschreibung des kulturellen Lebens im mittlerweile durch und durch neoliberalen Spätkapitalismus.
Ich wünsche und hoffe inständig auf eine erkenntnisreiche Lektüre Ihrerseits

MfG
Patrick Schimanski / München
Bad Hersfeld: nur natürlich
Selbstverständlich nimmt man ein auf Privilegien gegründetes immaterielles Handelsgut mit nach Hause. Man könnte es als emotionalen Zugewinn beschreiben, und von daher auch als Dienstleistung definieren, was die Sache weder besser, noch schlecher macht.

Wie es dazu kommt, dass, wenn darstellende Künstler einen staatlich finanzierten Probenraum betreten, ohne die Absicht ein Handelsgut zu produzieren, in den meißten aller Fälle doch eines dabei herauskommt, müsste erst noch genauer untersucht werden.

Da es aber so ist, erscheint es nur natürlich, dass dieses Produkt nun von der Politik direkt vertrieben werden soll.
Bad Hersfeld: Khuon sieht irritierendes Signal
Das schon zu Beginn dieses Jahres verfertigte Festspielkonzept des Bad Hersfelder Magistrats bestätigt eines: bei der fristlosen Kündigung von Holk Freytag geht es nicht in erster Linie um Geldnöte, sondern um direkte Einflussnahme der Politik, um geforderte Willfährigkeit des Intendanten und um uferlose Wunschvorstellungen der politisch Verantwortlichen bei gleichzeitiger Reduzierung des Festspieletats. Die gewünschte Engführung und Gängelung des Intendanten ist nicht nur künstlerisch verantwortungslos, sondern auch praxisfern. Dass die Gemeinde Bad Hersfeld, die zum 5,1 Mio Etat der Festspiele nur 1,1 Mio beisteuert, diesen Betrag um 400000€ senken will und gleichzeitig die absolute Kontrolle herbei sehnt - was sagt das Land Hessen dazu?- ist ein weiteres höchst irritierendes Signal. Dass Bad Hersfeld offensichtlich dennoch über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, den gekündigten Intendanten auszubezahlen und neue kostspielige Planungen für die kommende Spielzeit zu veranlassen, komplettiert das groteske Szenario.
In einem ähneln sich die Situationen an mehreren gefährdeten Theaterstandorten: das Argument Finanzknappheit wird vorgeschoben, während es eigentlich um die Verschiebung kultureller Schwerpunkte geht ( Sachsen-Anhalt), um mangelnde Kommunikation zwischen Ländern und Gemeinden (Mecklenburg- Vorpommern, Sachsen-Anhalt), um selbstherrliche Bürgermeister und um die Disziplinierung von Theaterleitern.
Dabei gibt es nach wie vor genügend Handlungsspielraum. Die Zerstörung von Theatern ist nicht die naturgesetzhafte Konsequenz der Schuldenbremse. In vielen Städten wurden und werden Theater in enger Zusammenarbeit von Politik und Theatermachern renoviert und neu gebaut (Ingolstadt, Heidelberg, Freiburg, Potsdam, Köln, Schwerin, Berlin, Nürnberg, Stuttgart), und das Theater wird da, wo die Partner dialogfähig sind, neu erfunden und positioniert.
Bad Hersfeld: keine private Geburtstagsfeier
@13
Hier geht es nicht um Ökonomisierung, hier geht es um Einfluss. Und eben um ein Theaterverständnis eines Bürgermeisters, dass dem Motto folgt "Wer die Kapelle bezahlt bestimmt die Musik". Das ist nicht mit der Tradition, mit dem Selbstverständnis der Kulturschaffenden, mit der gelebten Praxis, etc. etc. etc zu vereinbaren. Die Hersfelder Festspiele sind nicht die private Geburtstagsfeier des Bürgermeisters.

***
Noch eine (lange) Nebenbemerkung, die nur zum Teil mit dem Hersfelder Skandal zu tun hat:
Die Debatte um die zunehmende Ökonomisierung weiter Lebensbereiche ist zwar extrem nötig, aber es gibt zwei große Hemmnisse. Denn wenn man sie führen möchte, benötigt man erstens wenigstens ein Mindestmaß an Bereitschaft sich auf das feindliche Terrain zu begeben. Nur aus einem (evtl. wagen) Gefühl des Unbehagens heraus postmodern beliebige Begriffe mit einer subjektiven Bedeutung zu versehen, reicht bei weitem nicht aus. Das führt entweder zu gefährlichen Vereinfachungen, oder zu (hoffentlich wenigstens gutformuliertem) Unsinn. Der zweite Fehler ist, dass die Gefahr besteht, unschädliche Selbstverständlichkeiten zu problematisieren.

Wenn man denn darauf besteht, Theater unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten, dann ist es evident, dass die Theater eine Dienstleistung produzieren, dabei ist es im Übrigen unerheblich, ob Eitritt verlangt wird oder nicht. (Genauso sind dann Kirchen Dienstleister und Gastronomiebetriebe und Klempner und Schulen und Friseure und Finanzämter und Ärzte und Bordelle). Unter dieser Perspektive produziert jeder, der ein Angebot macht, das das Bedürfnis eines anderen befriedigt und das keine lagerbare Ware ist, eine Dienstleistung.
Diese Betrachtungsweise bedeutet gleichzeitig, dass man diese Dienstleistung auf einem Markt anbietet und in Konkurrenz zu den Mitbewerbern auf diesem Markt steht. Das widerum bedeutet, dass man die Theater untereinander aber auch mit anderen Wettbewerbern in allen betriebswirtschaftlich relevanten Bereichen und Kennzahlen vergleichbar werden.
Diese ökonomische Sicht auf Theater ist allerdings brandgefährlich, einmal weil sie von den meisten Theaterschaffenden berechtigter Weise nicht geteilt wird, weil sie den Theatern durch notorisch schlechte Kennzahlen (systembedingt!) einen erheblichen Nachteil bei der kommunalen Mittelverteilung beschert und weil die Dienstleistung eines Theaters sich eben doch von der eines Friseurs unterscheidet.

Die Dienstleistung die ein Theater anbietet ist komplex und lässt sich in (mindestens) drei Bestandteile untergliedern:
1. Der eigentliche Theaterabend, also das was im allgemeinen auf der Bühne zwischen Stückbeginn und Applausende geschieht.
2. Das Angebot, das das Theater neben der eigentlichen Vorstellung dem Publikum macht (Möglichkeit zum Gespräch mit Freunden, Möglichkeit zur Repräsentation, Bewirtung, Informationsmaterial, Einführungen, Nachgespräche etc.)
3. Die Befreidigung eines ideellen Bedürfnisses der Zuschauer ("Kunstgenuss", "Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen", "Bildungserlebnis", "Unterhaltung" etc.)
Die beiden ersten Teile lassen sich mit betriebswirtschaftlichem Instrumentarium planen und berechnen, der dritte Teil ist diesem völlig verschlossen, aber er trägt in einem hohen Maß dazu bei, dass sich ein Zuschauer überhaupt dazu entscheidet, die angebotene Dienstleistung "Theaterabend" zu nutzen. Und gleichzeitig besteht in diesem Teil die Hauptmotivation überhaupt Theater zu produzieren (KUNST!).

Und was hilft das alles? Solange die Theaterschaffenden sich im Positiven ("weicher Standortfaktor", "Umwegrentabilität") wie im Negativen ("Die staatlich finanzierten Kulturbetriebe erzeugen ein Handelsgut") (pseudo)ökonomischer Argumentationen bedienen, gar nichts.
Bad Hersfeld: Autoritätsgebahren
Das kulturpolitische Harakiri bzgl. der fristlosen Entlassung Holk Freytags als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele hat wohl eher indirekt oder nicht so zwingend mit der staatlich verordneten Schuldenbremse zu tun, scheint mir, sondern mit einer seit ca. 15-20 Jahren grassierenden Erosion an Selbstverständlichkeit städtischer Kunstinvestition, die durch die persönlichen Animositäten der Handelnden in Bad Hersfeld noch eskaliert ist. Solange wir Künster (Pina Bausch) oder die städtischen Kulturpolitiker (Hilmar Hoffmann, Richard Erny) genug Ansehen und Autorität im Verhältnis zum neoliberalen Utilitarismus-Druck der Kämmerer besitzen, wurde und wird an den freiwilligen Leistungen der Städte nicht gerüttelt.
Daß ein prominenter Teil des Bad Hersfelder Stadtrats den Intendanten Feytag in vollem Bewußtsein der horrenden Folgekosten und der existenzgefährdenden Konsequenzen für das Ensemble mir nichts Dir nichts geschaßt hat, liefert den abschreckenden Beweis von schonungslosem Autoritätsgebahren der gewählten Führungspolitiker: Wer zahlt, schafft an. Wir Künstler in Institutionen, zumal unbequem und kritisch, sind aber auf Partner in den Kulturverwaltungen angewiesen, die zudem die nötige Kompetenz besitzen müssen, die tiefere gesellschaftliche Bedeutung von Kunst zu erkennen (Hans-Georg Küppers). Ansonsten haben engagierte Theaterleute keine fruchtbare Grundlage für ihr Tun.
In Bad Hersfeld hat man die Rechnung wohl ohne "den Wirt" gemacht: Alle am Puls der Kunst arbeitenden Theatermacher/-innen nehmen sehr sensibel wahr, welch selbstherrliches Gebahren sich in der nordhessischen Gemeinde bahnbricht. Bad Hersfelds OB und seine Getreuen im Magistrat mögen gegenwärtig zwar das Heft der Handelnden in den Händen haben, aber KEIN interessanter Theatermacher von Rang und mit künstlerischer Vision und Stärke wird unter den jetzt geschaffenen Tatsachen ab 2015 bei den Bad Hersfelder Festspielen in die Bresche springen und dort künftig den künstlerischen Mangel verwalten wollen. Mit dem/der neuen Intendantin, die sich die in Bad Hersfeld neu geschaffene Struktur der Gängelung antun will, sind die Festspiele künstlerisch und menschlich ab sofort tot.
Den betroffenen Kollegen wünsche ich eine medienträchtige Kampagne, wodurch vollständige Öffentlichkeit unter den Bad Hersfeldern und den zahlreichen Festivalgästen von Außerhalb hergestellt werden kann, um den gegenwärtig verordneten Tod der künstlerischen Bedeutung und Strahlkraft der Festspiele aufzuhalten!
Bad Hersfeld: mehr als nur Spielplanüberlegungen
Mir machen da eher die praktischen Konsequenzen Kopfschmerzen:
Ein Intendant plant die nächste oder übernächste Spielzeit nicht nur, indem er den Spielplan erstellt, sondern auch überlegt, welche Rollen, von welchen Schauspielern übernommendeden können, d.h. welche Doppelbesetzungen möglich sind (z.B. Schauspieler Z. spielt Hauptrolle im Jugendstück, Rolle XY im Musikal, Rolle XY im Produktion Z. Das muß er einerseits tun, um verantwortungsvoll mit dem Etat umzugehen, andererseits muß er "seinen" Schauspielern auch künstlerische (Entwicklungds-)Möglichkeiten bieten.- Werden diese Planungen jetzt von dieser wie-auch-immer-genannnten städtischen Kommission übernommen? Und woher sollten sich diese Leute mit der Materie so auskennen, dass sie das alles in Ihre Spielplanüberlegungen einbeziehen können?
Bad Hersfeld: selbstkritisch besinnen
Ich erkenne die grundsymphatische Haltung von Herrn Khuon und möchte ihm nicht zu nahe treten. Aber er definiert und positioniert das Theater gerade nicht neu. Es ist das alte Branchenlatein, das er bemüht, ein Jargon, der mit zu dieser Krise geführt hat. Denn wäre es denn besser, ein gekündigter Intendant erpresst sich über finanziellen Druck in seinen alten Vertrag zurück? Solche Verhältnisse darf man durch aus als zerüttet und irreperabel bezeichnen.

Es ist der Politiker, der hier das Theater "neu erfindet", oder besser gesagt endlich offen vollzieht, was längst üblich ist, nur das die indirekte Einflussnahme einer direkten weicht.

Zudem geht Khuon weiterhin von der Inkompetenz von Gremien und der Politik an sich aus, wenn es sich um Kulturproduktion handelt. Er hält eine Intendanz weiterhin für unverzichtbar. Ob aber der Spielplan nach Freytag und nach einer direkten Einflussnahme besser oder schlechter aussieht, hierfür fehlen jegliche Belege. Man wird es sehen, ob sich am dem Handelsgut "Festspiele" tatsächlich soviel ändert.

Denn es ist ja so, um sich eine gute Besetzung für "Warten auf Godot" auszudenken, wie es gerade am DT geschieht, benötigt man keine Intendanz. Jeder versteht, das, wenn Fintzi und Koch in einem solchen Stück auf der Bühne stehen, wahrscheinlich ein gutes Produkt dabei herauskommt. Aber auf die drängenden Fragen des europäischen Verhältnisses zu Russland, zum Freihandelsabkommen und dem zukünftigen "schießenden Personal" aus Deutschland wird diese Prodouktion wohl genauswenig Antworten geben, wie man sie ebenso auch nicht aus Hersfeld erwarten darf. Denn es ist das Wesen von "kulturellen Handelsgüter", dass sie als weiche Standortfaktoren funktioneren sollen und nicht zur Gesellschaftskritik und ihrer Weiterentwicklung.

Hier muss sich das Theater vieleicht gar nicht neu erfinden, sondern nur selbstkritisch besinnen.
Bad Hersfeld: Joachim Lux sieht Karikatur
Bravo, Ulrich Khuon!
Im übrigen sieht man an Bad Hersfeld dass wir die FDP immer noch dringend brauchen. Sie zeigt uns schamlos und sich selbst entblödend, wozu Politik in der Lage ist und schärft unser Misstrauen. Im übrigen gilt das auch für die Schuldenbremse. Denn auch diese wird ideologisch genutzt. Mit Priorisierungen. Und da sind wir mit unseren Theatern, aber auch Kultur und Bildung im Allgemeinen, irgendwo unter ferner liefen. Und zwar parteiübergreifend. Die FDP tut uns den Gefallen, die Karikatur dazu zu liefern.

Joachim Lux
Bad Hersfeld: Kunst, nicht Tagespolitik
@ martin baucks: Ihre Argumentation ist total verdreht. Wäre das Theater nur dann relevant, wenn es sich mit aktuellen politischen Fragen auseinandersetzen würde, dann wäre es erstens langweilig und zweitens toter als tot, weil keine Kunst mehr, sondern reine Politik. Andere wichtige Kunstbereiche - z.B. bildende Kunst, Musik - tun das ja auch nicht. Und die schafft man deswegen auch nicht ab.
Bad Hersfeld: gegen Alleinentscheidungshoheit
Ich bitte Sie Inga, niemand will die Bad Hersfelder Festspiele abschaffen. Davon ist keine Rede, und an ihrer Haltung kann man gut ablesen, wohin der falsche Schwung von Solidarität führen kann. Auch geht es nicht um Tagespolitik, sondern Kunst findet immer in einem historischen Rahmen, in einem Kräfteverhältniss statt, dem es standhalten muss. Hier werden die großen Glocken geläutet, es ginge um die Freiheit der Kunst, und am Ende geht es doch nur um die angekratzte Alleinentschedungshoheit eines Intendanten und um "Kiss me Kate" und "Don Quijote". Es gibt hier ja keine inhaltliche und ästhetische Auseinandersetzung um "Kunst", sondern um eine Änderung im Verhältniss zwischen Politikern und der Festspielleitung, die sich schon länger angekündigt hat. Die Alleinentscheidungshoheit eines Intendanten wird in Frage gestellt. Er alleine ist aber auch noch kein Garant für die Freiheit der Kunst, gerade seine Alleinentscheidungshoheit ist in diesem Zusammenhang häufig fragwürdig. Und zudem muss ja auch ersteinmal "Kunst" vorhandensein, um sie zu unterdrücken. Glauben sie denn ernstahft, die Hersfelder Politiker wollen eine "Kiss me Kate" Aufführung oder die nächste "My fair Lady" unterbinden?
Bad Hersfeld: das kleine Leben aufladen
@ martin baucks: Es ist Ihnen doch wohl klar geworden, was ich meine. Mit Abschaffen meinte ich, dass wenn nun ein FDP-Bürgermeister (mit)entscheidet, sicher erst Recht keine kontextuell politischen Themen auf dem Spielplan stehen werden. Im Gegenteil. Aber davon abgesehen, würde es mich auch langweilen. Menschen, welche sich immer nur mit dem (Ideologisch-)Politischen beschäftigen, gehen mir irgendwann auch mal auf die Nerven, zumal, wenn sie nicht aus eigener Erfahrung heraus argumentieren. Die laden dann nämlich immer nur ihr eigenes, kleines Leben auf, indem sie sich an jeden politischen Diskurs an- und sich daran aufhängen. Wenn jetzt ein/e ukrainische/r Autor/Autorin herkäme und ein/e Regisseur/in dieses Stück inszenieren würde, wäre das schon etwas anderes. Ob das in Bad Hersfeld jemals geschehen wird, ist tatsächlich die Frage.
Bad Hersfeld: Link zu Fernseh-Beitrag
Hier ein Fernseh-Beitrag zum Download mit O-Tönen von Bürgermeister Fehling und Intendant Freytag
http://osthessen-news.de/n1251867/fehling-verteidigt-rauswurf-freytag-nennt-schritt-idiotisch.html
Kommentar schreiben