Das Käthchen von Heilbronn - Stefan Bachmann bietet am Schauspiel Köln für Kleists Ritterspektakel viel Physik und wenig Chemie auf
Nackte Seelen mit eigentümlichen Ergüssen
von Martin Krumbholz
Köln, 17. Oktober 2014. Theaterdramaturgien geben gelegentlich Rätsel auf. Dass Kleists "Käthchen von Heilbronn" sich häufiger auf den Spielplänen findet als etwa der "Prinz Friedrich von Homburg" – doch das bei weitem brisantere Stück – und fast so häufig wie der unverwüstliche "Zerbrochne Krug", ist eines dieser dramaturgischen Rätsel. Aber schließlich geht es um einen akuten Fall von Liebe – die Liebe von Regisseuren zu einem Stück –, und die lässt sich meistens nicht recht erklären. Leider ist es so, dass Kleists großes historisches Ritterschauspiel diese Liebe partout nicht erwidert; es wird unterschätzt wie eine launische Geliebte.
Unter Bilderbuch-Rittern
Stefan Bachmann, der Kölner Intendant, ist der nächste in der Reihe der mutigen Prinzen, die die Dornenhecke überwinden wollen, um in das süße Innere vorzudringen. Das süßere Innere kann ja nichts anderes sein als die sonderbare, verquere, unmögliche Liebesgeschichte unter all den kruden Erfindungen von einem losen, vergesslichen Kaiser, einer schrägen Prothesen-Gräfin, Bilderbuch-Rittern, einem brennenden Schloss und dergleichen mehr. Sie funktioniert nicht in Köln, und wenn Julia Riedler am Schluss mit ihrem "Schütze mich Gott und alle Heiligen!" nicht mädchenhaft in Ohnmacht sinkt, sondern einfach das Theater verlässt, wäre das völlig konsequent – hätte nur irgendetwas in Bachmanns Inszenierung auf eine solche Volte hingedeutet. Aber davon kann keine Rede sein.
Dazu ist Bachmann zu verliebt in die Splatter- und Gothic-Effekte der Fabel, in klirrende Rüstungen, Feuer und Rauch und einstürzende Altbauten. Die Entwicklung der Liebesgeschichte bleibt den Hauptdarstellern Julia Riedler und Bruno Cathomas überlassen, die damit überfordert sind. Der Bühnenbildner Olaf Altmann hat über die ganze beträchtliche Breite des Depot 1 im Carlswerk einen mächtigen Wall gebaut, eine hohe gewölbte Rampe, die gleichzeitig als Auftrittssteg, Rutschbahn, Sprungschanze und als – überfordernde – Hochsprunganlaufbahn dient. Eine tolle, aber auch riskante Erfindung, die den Regisseur in die Verlegenheit bringt, sie entsprechend gewinnbringend zu nutzen, was Bachmann in den Spektakel-Szenen – brennendes Schloss, Rauch, Lärm, angestellte Leiter, Cherubim mit mächtigen Flügeln usw. – auch ganz gut gelingt.
Wo Öle niederregnen, ist der Psychoanalytiker gefragt
Doch wenn es ans Eingemachte geht, also an den rätselhaften Kern des Stücks, versagt seine Phantasie. In dieser Aufführung ist sozusagen zu viel Physik und zu wenig Chemie. Wie erzählt man auf der Bühne von der Macht der Projektionen? Dabei hatte der Regisseur eine schöne Einstiegs-Idee. Nach dem Feme-Akt – das ganze Ensemble in mönchischem Habitus oben auf der Rampe – hat Wetter vom Strahl einen langen Monolog, in dem er von einer "nackten Seele" (!), die von "wollüstiger Schönheit trieft" (!!), von "niederregnenden Ölen" und anderen "eigentümlichen Ergüssen" (!!!) phantasiert – ein klarer Fall für den Psychoanalytiker. Bruno Cathomas hat mit Hilfe von Kreidestaub ein Phantomabbild des Käthchen-Mädchens auf den Boden gezaubert, an welches er seinen selbstvergessenen Monolog adressieren kann, als läge er auf der Couch. Und nun?
Nun versetzt Cathomas seine Figur in einen Ironie-Modus, den er nicht mehr loswird. Nicht im Sinn einer glatten Parodie, aber doch im Sinne von: Dieser Kerl ist doch eigentlich ziemlich komisch, kriegt ihr das mit? Das ist bereits eine Nuance zu viel. Der Schauspieler muss die Rolle uneingeschränkt ernstnehmen, sonst gerät die fragile Balance des Ganzen außer Kontrolle.
Das gilt natürlich erst recht für die Käthchen-Rolle. Auch Julia Riedler gibt in ihrer ruppigen, burschikosen Art der Figur einen leisen Anstrich des Bewusstseins ihrer Komik, die unangemessen erscheint und stört. Und überhaupt ist die Ironie-Frage das ungelöste Problem dieser Aufführung. Bachmann ironisiert das Ritterspektakel – Schwertschlachten in Zeitlupe –, aber er tut es halbherzig. Er ahnt offenbar, dass er bei einer falschen Dosierung das ganze Konstrukt beschädigen könnte; aber er findet auch keinen überzeugenden Ausweg aus diesem Dilemma. Er erzählt das Stück, durchaus respektvoll, aber er lässt keine deutliche Haltung dazu erkennen.
Nicht bühnen- und pyrotechnisch, sondern allein mit schauspielerischen Mitteln käme man diesem vertrackten Stoff auf die Spur. Sonst bleibt es bei Überforderungen, nicht nur beim Erklimmen eines Altmann'schen Bühnenwalls.
Das Käthchen von Heilbronn
von Heinrich von Kleist
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Sven Kaiser, Choreografie: Sabina Perry, Licht: Jürgen Kapitein, Dramaturgie: Nina Rühmeier.
Mit: Bruno Cathomas, Julia Riedler, Birgit Walter, Benjamin Höppner, Jörg Ratjen, Robert Dölle, Claudia Amm, Stefko Hanushevsky, Sean McDonagh, Lena Geyer, Henriette Nagel, Lou Strenger, Thomas Brandt, Janis Kuhnt, Justus Maier, Nicolas Streit.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
www.schauspielkoeln.de
Kritikenrundschau
Bachmann finde ein "paar schöne Bilder", aber das Ritterschauspiel im Ganzen mit "seiner romantischen, traumverloren-rätselhaften Titelfigur" Käthchen "fertigt die Inszenierung ab", schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.10.2014). "Nicht, dass unverständlich bleibt, was Käthchen an dem Grafen so existentiell in den Bann zieht, sondern dass die Inszenierung, (text)kritisch eingreifend statt theatralisch herausgefordert, die Kollision ihrer Träume und ihre unbedingte, irrationale Liebe nicht gegen alle Wahrscheinlichkeit verteidigt, ist Vorsatz und Verlust." Kleist Stück werde "von vornherein für absurd erklärt" und "an den Zeitgeist verraten".
Ein "handfestes" Käthchen und ein "weich und fast schon weinerlich" angelegter Graf Wetter vom Strahl seien in Köln zu erleben, berichtet Christiane Enkeler auf Deutschlandradio Kultur (19.10.2014). In der Inszenierung walte ein "ein feiner Humor", allerdings tue ihr der "ständig durch alles wabernde Somnambulismus" nicht gut; er "zieht den Abend ganz schön in die Länge".
Das Bühnenbild stelle der Regie eine "Extremsportaufgabe", schreibt Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (20.10.2014). Zwar stürze Regisseur Bachmann darin nicht ab, aber "für gewagte Sprünge oder Salti reicht der Schwung einfach nicht aus". Rein handwerklich stimme alles ("stimmige Bilder, fließende Übergänge"), es gäbe auch "komische Höhepunkte" und den zärtlichsten Moment im Liebesgeständnis des Grafen Wetter vom Strahl. Doch im Ganzen seien die "Ausschläge, ob in Richtung psychologisches Liebesdrama oder 'Ritter der Kokosnuss'" einfach "nicht heftig genug, die Fallhöhe nur ein optischer Gag". Der Abend pendle sich in der "lauen Mitte" ein.
Auch für Hartmut Wilmes von der Kölnischen Rundschau (20.10.2014) hängt dieser Klassiker dank seiner "Von-jedem-etwas-Ästhetik" nur "halbstark in der Halfpipe". Der "märchenhafte Glutkern" des Dramas bleibe "von Anfang an kalt", die Zuneigung Käthchens zum Grafen Wetter vom Strahl "unerfindlich". So "gähnt in der Mitte der Inszenierung ein leerer Gefühlskrater".
Kleists Käthchen von Heilbronn landauf, landab: jüngst in St. Gallen (Regie: Jérôme Junod), in Frankfurt (Regie: Philipp Preuss), am Deutschen Theater Berlin (Regie: Andreas Kriegenburg) und am Maxim Gorki Theater Berlin (Regie: Jan Bosse).
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