Verkorkste Patriarchen

von Kai Krösche

Wien, 29. Januar 2013. Nein, bei aller Nachsicht: Ehrenvoll geht's hier wirklich nicht zu. Während der Vater auf seine Tochter, "die dreckige Hure", im Off mit dem Gürtel einprügelt, schieben sich deren Bruder, ihr Ehemann sowie dessen Vater gegenseitig den Schwarzen Peter zu – soll doch der jeweils andere ihr die Kugel in die Brust jagen. Schließlich habe der eine sie geboren. Sei der andere ihr Ehemann. Und der Dritte, naja, eben einfach ihr Bruder.

Wie in einem Tarantino-Film

Was ist passiert? Die junge Frau hatte nach 15 Jahren Ehe-Ödnis keine Lust mehr und ist deshalb mit 'nem anderen abgehauen. Einfach so. Klingt banal (und ist es ja eigentlich auch), wäre da nicht die leidige Sache mit der Familienehre. Und wäre die junge Frau nicht damals gegen ihren Willen von ihren eingewanderten Eltern (woher, wird nicht verraten) verheiratet worden. Und hätte ihr Ehemann nicht bereits ihrem Liebhaber als Rache zwei Kugeln in die Brust geballert – "PUM-PUM. Zweimal PUM. Für zwei Kugeln". Nur logisch, dass die Sache noch zuende gebracht werden muss und ebenfalls die Untreue über den Haufen geschossen werden muss, damit man endlich wieder erhobenen Hauptes durchs Viertel flanieren kann, ohne die ächtenden Blicke der anderen.

habedieehre3 560 anna stoecher uEin  Macho fällt in Ohnmacht  © Anna Stöcher

Man kennt ihn vor allem als Horrormeldung aus der Zeitung oder aus zeitgenössischen "Tatort"-Folgen: Den "Ehrenmord". Ein zynischer Euphemismus für ein perfides Verbrechen: Darüber spaßt man nicht. Der junge Autor Ibrahim Amirmir aus Syrien tut es trotzdem und findet somit die vielleicht einzige adäquate Möglichkeit, sich der Absurdität des Themas zu nähern. "Habe die Ehre" heißt der lediglich im Wohnzimmer der Familie stattfindende Einakter, der Titel scheint zugleich Ich-Aussage als auch Aufforderung zu sein.

Die Dialoge feuern kreuz und quer wie in einem Tarantino-Film über die breite, aber flache Bühne im Wiener Theater Nestroyhof Hamakom, wechseln sich mit Banalitäten, dann wieder Gewaltausbrüchen ab (tatsächlich findet sich eine eindeutige "Pulp Fiction"-Referenz gleich zu Beginn des Stücks). Nach und nach entpuppen sich die zahlenmäßig überlegenen Männerfiguren als erbärmliche Würstchen ohne Rückgrat und Selbstbewusstsein: Jeder von ihnen hat einen anderen fadenscheinigen Grund, um die Wiederherstellung der imaginären Ehre zu fordern, jeder eine andere hanebüchene Ausrede, wieso ausgerechnet er den dazu nötigen Mord nicht begehen kann.

habedieehre4 h280 anna stoecher u© Anna Stöcher

Morden und Muffensausen

Der Ehemann zum Beispiel. Marcel Mohab gibt ihn als machohaft herumtönendes Großmaul, das sich für den Mord am verhassten Liebhaber brüstet, bei einem versehentlich gelösten Pistolenschuss aber prompt in Ohnmacht fällt. Die Frage, wieso ihn seine Frau für einen anderen verlassen hat, beantwortet er durch sein Verhalten von selbst. Erschießen muss er sie, klar, deshalb nicht, weil er ja vor der Hochzeit nicht wissen konnte, worauf er sich einlässt: "Ihr habt mir ja nicht gesagt, dass sie eine Hure ist!".

Oder der Bruder. Boris Popovic mimt ihn als das gute Gewissen des Stücks, doch so ganz will man ihm das dann auch nicht abnehmen, schließlich war er noch eben beim Mord am Geliebten der Schwester mit dabei. Ob sein plötzliches Plädoyer für die Rechte seiner Schwester ernstgemeinter Sinneswandel oder doch eher Muffensausen ist, lässt Popovic wenigstens zum Teil im Unklaren.

Apropos Geliebter: Der ist doch nicht tot und taucht später auch noch auf, mit blutigem Hemd und Knarre, um seine künftige Frau zu befreien. Die will er nämlich, nach deren Scheidung vom Noch-Ehemann, heiraten. Blöd nur, dass sie nicht schon wieder Ehefrau werden will: Maya Henselek zeichnet die erst gegen Ende auftretende junge Frau dabei als respektlose, wütende, kompromisslos ihre Freiheiten und Rechte einfordernde Frau – mit scharfer Stimme zischt sie ihrem Ehemann und Vater Beleidigungen voll Spott und Hohn entgegen; erst, als auch ihr sich aufgrund des abgewiesenen Heiratsantrags gekränkter Geliebter sich gegen sie wendet und in den allgemeinen Tenor des "Hure"-Schreiens einstimmt, bricht bei ihr die Verzweiflung durch.

Zur Kenntlichkeit entstellt

Hans Eschers Regie setzt auf schnelles Tempo und laute Töne, schafft es aber erst zum Ende hin, dem Abend eine mitreißende Kraft zu verleihen. Das mag zum Teil am Text liegen, der neben allem Gangster-Wortwitz dann doch immer wieder der Gefahr unterliegt, seine Figuren mehr zu politischen Sprachrohren als zu Menschen aus Fleisch und Blut zu machen. Zum anderen funktionieren Rhythmus und Punktgenauigkeit an diesem Abend oft nicht gut genug, um eine gelungene Komödie – denn das will "Habe die Ehre" letztlich, bei aller Gesellschaftskritik, sein – auf die Bühne zu bringen. Dennoch erfrischt der Abend durch seinen respekt- und geschmacklosen Umgang mit einem Thema, dem man vielleicht sonst nur mit blanker Wut oder ungläubigem Staunen begegnen würde.

"Habe die Ehre" haut drauf ohne falsches Psychologisieren der Täter: Stattdessen gibt es verkorkste Ehrbegriffe der Lächerlichkeit preis und entstellt durch Überzeichnung eine mittelalterliche Logik zur Kenntlichkeit. Dass die Frauen letztlich (und auch dann noch, wenn sie sich selbstbewusst aufbäumen und ihr Recht einfordern) in einer von Scheuklappenpatriarchen dominierten Welt die Arschkarte ziehen, ist dabei die bittere Erkenntnis, die auch nach Ende der Vorstellung weiterwirkt.

 

Habe die Ehre (UA)
Eine Ehrenmordkomödie von Ibrahim Amir
Regie: Hans Escher, Ausstattung: Renato Uz, Dramaturgie: Wolfgang Stahl/Bernhard Studlar. Mit: Michael Smulik, Tania Golden, Boris Popovic, Erol Ünsalan, Marcel Mohab, Maya Henselek, Astrit Alihajdaraj, Oktay Günes, Alev Irmak, Elisabeth Veit.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause.

www.hamakom.at
www.wortstaetten.at

 

Ibrahim Amir, 1982 in Syrien geboren, lebt in Wien, wohin er vor zehn Jahren kam, um Medizin zu studieren. 2009 erhielt er den Wiener Exil-Literaturpreis, der jährlich an Autorinnen und Autoren vergeben wird, die aus einer anderen Muttersprache kommen und in deutscher Sprache schreiben.

 

Kritikenrundschau

"Zum Brüllen komisch", findet Ronald Pohl vom Wiener Standard (2.2.2013) diese Ehrenmordkomödie. Denn die Idee, "aus der parallelgesellschaftlichen Lebenswelt einen Komödienstoff zu gewinnen", ist aus seiner Sicht bestrickend. Und doch: "Nicht auszudenken, wenn das (...) Beispiel Schule machte. Der heimische Theaterbetrieb würde sich vor Beschneidungsfarcen und Steinigungsschwänken kaum noch retten können." Regisseur Hans Escher habe sich aus guten Gründen dazu entschlossen, "Amirs frechem Komödienmachwerk keinen Rabatt einzuräumen". Das interkulturelle Anliegen bestehe gerade darin, "die übliche Betroffenheitsheuchelei beiseite zu wischen. Klappt vorzüglich". Der "in den Unterlagen genannte" Quentin Tarantino aber sei weit und breit nirgends zu sehen.

 

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