Next Day - Philippe Quesne macht Kindertheater für Erwachsene bei Theater der Welt in Mannheim
Lauter kleine Projektionsflächen
von Harald Raab
30. Mai 2014. "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen." Jesu Wort in Gott-Vaters Ohr. Aber mal ehrlich: Wollen wir wirklich wie die lieben Kleinen werden? Und es darf wohl auch noch gefragt werden, ob wir überhaupt in den sogenannten Himmel wollen.
Erfolgsgarantie
Es ist fürs Theater durchaus legitim, mal die Sicht der Kinder einzunehmen, ihre Welteroberung zu erkunden. Phantasie hat ja auch etwas zu tun mit Naivität: Fragen zu stellen, ohne vom Wissen verdorben zu sein. Aber, funktioniert das: die Wahrheit – oder was man dafür hält – durch Kindermund und -aktion kundtun zu lassen? Man nehme einen Theatermacher wie Philippe Quesne, der sich den Ruf als Neuerer der alten Bühnenchose redlich verdient hat, und überlasse ihm eine muntere Schar von Mädels und Jungen im zarten Knuddelalter von acht bis elf Jahren – und der Erfolg ist in Zeiten der Vergötterung von Kindern so gut wie sicher. "Next Day" heißt sein neues Stückchen, das nun beim Festival Theater der Welt in Mannheim uraufgeführt wurde, eine Produktion von Campo Gent, ausdrücklich vermerkt: "von Kindern für Erwachsene". Schon vor Premiere wurde dem Spektakel ein Siegeszug durch die internationalen Theater-Events prognostiziert.
Turnhallen-Atmosphäre in der Montagehalle des Mannheimer Nationaltheaters: ein Riesenstapel von Schaumstoffblöcken rechts. Im Hintergrund die Ansicht einer tristen Mietshausfassade auf einem Leinenprospekt, ein Kletterseil links, dazu eine große Ballonlampe auf einem Ständer. Alles sehr aufgeräumt, bis die kleinen Rangen herein toben und in Windeseile ein kreatives Chaos in Szene setzen, neonfarben-bunt bestrahlt von der Beleuchtungsregie. Die Rasselbande schleppt die federleichten Klötze herum, errichtet eine Mauer, die sie als gelbe Spidermen mit Maske und Umhang zum Einsturz bringen. Das Publikum wird mit kleinen Gummiwürfeln bombardiert. Es wird munter zurückgeschossen. Ein großes Schaumstoffgebäude wird errichtet. Darauf kann man herumklettern und von oben naseweise Sprüche verkünden. Das ganze wird dann mit Lust und nicht erlahmender Energie zerstört. Auf dem Trümmerfeld lässt sich wunderbar herumhopsen. Es wird der Dreh eines Werbefilmchens mit ernstem Eifer in Szene gesetzt. Dann ist da noch eine Kinderkapelle, dirigiert von einer Göre im Hängekleidchen mit energisch wippendem Pferdeschwanz. Gespielt wird Schrummtata und Bumtata. Und weil das Publikum am Schluss ganz aus dem Häuschen ist, gibt es mit den Johnny-Cash-Song "Ghost Riders in the Sky" eine Zugabe. Wieder Hopserei, wieder jauchzender Jubel.
Zurück ins Fruchtwasser?
Was bei dem wohlmeinenden Projekt herauskommt, ist weniger ein Bild des Blicks aus Kinderaugen auf die Welt. Vielmehr laden Erwachsene sich selbst und ihresgleichen dazu ein, ihre Sehnsuchtsvorstellungen von Unschuld auf den Nachwuchs zu projizieren: Ach wie schön wäre es doch, schuldlos zu sein an all den Katastrophen, die Ideologien und Raffgier im Kampf aller gegen alle anrichten. Was gäben wir dafür, noch einmal so weltvergessen spielen zu können. Doch man kann halt nicht zurück ins pränatale Fruchtwasser und auch nicht in die postnatalen Windeln der feuchtwarmen Behaglichkeit und unbeschwerten Verantwortungslosigkeit. Mal abgesehen davon, dass die Bühnenspielstunde den kleinen Akteuren Spaß zu machen scheint – im Einsatz sind sie als Heile-Welt-Fetisch der Wohlstandsgesellschaft.
Next Day (UA)
von Philippe Quesne, künstlerische Mitarbeit: Pol Heyvaert
Mit: Marthe Bollaert, Tijl De Bleecker, Mona De Broe, Sven Delbaer, Fons Dhaenens, Lisa Gythiel, Lars Nevejans, Flo Pauwels, Sien Tillmans, Camiel Vanden Eynde, Lizzi Van de Vyver, Ona-Lisa Van Haver, Jaco Win Mei Van Robays.
Dauer: eine Stunde, keine Pause
www.theaterderwelt.de
"Vorsichtig formuliert: Vor intellektueller Überforderung braucht man sich bei dieser einstündigen Produktion nicht zu fürchten, lebt dieser Abend doch – wie so oft bei Quesne – von den Bildern und der Skurrilität oder eben Originalität der Figuren, die sich in ihnen bewegen", schreibt Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (1.6.2014). Als Fabel für die Entstehung einer Gemeinschaft funktioniere "Next Day" gleichwohl. "Schnell erkennen die jugendlichen Utopisten, dass ein Plan eben so wichtig ist, wie Absprachen und Aufgabenteilung." Als Planspiel bleibe es dennoch "äußerst dünn".
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Die Produktion von Quesne mit den Kindern scheint mir als folgerichtig zum Vivarium-Konzept zu sein: auch hier war das Ergebnis eines Laboratoriums zu sehen, in dem alle Beteiligten - und dazu gehört auch Phillipe Quesne ebenso wie die Kinder, und womöglich auch noch andere Beteiligten! - suchend, fragend, spielend, bildhaft und gestisch-handelnd an den vorangestellten Themen herantasteten. Warum nicht mit Kindern suchen, erproben, entwickeln? Darf ein Erwachsener nur mit Erwachsenen zusammenwirken? Oder andersrum gefragt: warum sollten Kinder ihre "Arbeitsergebnisse" nicht in der Öffentlichkeit des Theaters präsentieren dürfen? Das könnte schon mal "Normalität" werden, und keine bizarre Ausnahmeerscheinung, wie gegenwärtig! NEXT DAY halt.
Neben bloßen Sehnsuchtsprojektionen der Erwachsenen auf die Kinder und gefeiertem Belehrungspotential der jüngeren Generation für Ältere ist immerhin auch noch die (Interpretations-)Möglichkeit vorhanden, in der Gesellschaft / Kultur einfach präsent zu sein: mit Körperlichkeit, Stimmen, Gesten und Handlungen. Das scheint für viele nur schwer aushaltbar zu sein.
Dabei liegt in einer solchen Ausgangslage etliches Potential: Gob Squad etwa gelang in ihrer Zusammenarbeit mit CAMPO ein faszinierendes Spiel des Lebens mit einem beeindruckenden jugendlichen Ensemble, das es sogar zu einer Einladung zum Theatertreffen brachte. Den jungen Darstellern von Next Day wäre sicher ähnliches zuzutrauen – nur tut Quesne das nicht. Von der ersten Minute an ist deutlich, das ihm nicht wirklich etwas einfällt, was er mit den Neun- bis Zwölfjährigen machen soll. Also wirft er mit Klischees um sich: Die Kinder dürfen zeichnen, mit Schaustoff werfen, Superhelden spielen – die "Superheldenschule" ist so etwas wie die halbherzige Rahmenhandlung – herumtoben, und weil wir uns ja im kulturellen Umfeld bewegen, spielen sie natürlich auch alle ein Instrument.
Und so schart man sich zusammen, trägt einer nach dem anderen sein Instrument auf die Bühne, bevor dann die "Dirigentin" jeden Spieler einzeln aufruft, um daraus Stück für Stück Musik werden zu lassen. Die unaufgeregte Langsamkeit des Aufbauens, die Zusammensetzung der Musik aus ihren Einzelteilen – es sind kurze starke Momente, die andeuten, was der Langsamkeitskünstler, der Atmosphärenmagier Quesne aus dieser Konstellation hätte machen können. Hier schauen wir einem werden zu, der Entstehung von Kreativität und Ausdruck aus nüchterner Mechanik, aus zielführendem Pragmatismus – und doch ist das, was da entsteht, mehr als die Summe seiner sichtbaren Teile. Doch so schnell die Hoffnung auf ein spannendes Spiel mit kindlicher Kreativität und Phantasie aufkeimte, so schnell und brutal zerschlägt sie Quesne wieder. Haben wir gerade hören dürfen, dass die jungen Künstler ihre Instrumente durchaus beherrschen, müssen sie durch den berühmten Beginn von Richard Strauss‘ "Also sprach Zarathustra" pflügen, als hätten sie keine Ahnung von dem, was sie da tun. Lustvoll dilettierende Kinder sind dann vielleicht doch amüsanter, zumindest erfordern sie keine anstrengende Auseinandersetzung.
Und so geht das Ganze in der Folge seinen nicht nur musikalischen Bach herunter. Quesne kleidet seine Darsteller in Signalfarben, was eine nette Lichtregie ermöglicht und zwängt ihre Phantasie in das banale Konzept "Wir sind Superhelden und kämpfen gegen Aliens" ein. Da fliegen dann die Schaumstoffwürfel, baucht mal ein Schaumstoffhaus, warum zwischendurch ein Werbespot gedreht und Pfannkuchen gebacken werden, interessiert dann auch nicht weiter. Am Ende sieht die Bühne aus wie ein durchschnittliches Kinderzimmer am Abend. Vielleicht war das ja das Konzept. So richtig begeistert wirken die jungen Akteure aber nicht, ist ihnen die Unterforderung anzusehen. Womöglich wäre es keine allzu schlechte Idee gewesen, wenn Philippe Quesne nur eines getan hätte: sie ernst zu nehmen. Stattdessen veranstaltet er einen Kindergeburtstag, bei dem der schale Beigeschmack vielleicht Programm ist, aber nirgends hinführt.
www.stagescreen.de