Die Findungskommissäre

von Dirk Pilz

7. April 2015. Heute wieder zu unserem Theaterbetriebswesen. In Rostock brauchen sie jetzt ja einen neuen Intendanten. Auch die Volksbühne ist bald zu haben. Wer es dort nicht schafft, kann es in Dresden versuchen. Oder am Wiener Burgtheater, ebenfalls ein schöner, demnächst zu besetzender Posten, wenn auch etwas in Verruf geraten zuletzt. Kandidatenmangel muss dennoch nirgends gefürchtet werden. Wie man hört, wollen viele ins Intendantenamt, warum auch immer.

Am Geld allein kann es nicht liegen, obwohl sich das Intendantendasein bekanntlich finanziell durchaus lohnt, jedenfalls gemessen am Gehalt schnöder Schauspieler, Theatertischler oder Kartenabreißer, die aber immerhin noch Gehaltsempfänger sind, im Unterschied zu den unzähligen Praktikanten und Hospitanten, ohne die kein Theater seine Kunstpforten öffnen würde. Dafür dürfen sich diese Lohnlosen in dem tollen Gefühl sonnen, einer wirklich schönen und schützenswerten Sache ihr Leben zu schenken, unserem Theater, das wiederum ohne Intendanten nicht auskommt, wie man weiß. Insofern: Seien wir ihnen dankbar!

Die Intendantenfinder

Man denke an den schlimmen Dauerstress, den ständig drohenden Ärger im Ensemble zum Beispiel, mit den Praktikanten oder Lokalpolitikern, mit der Presse und den Kollegen. Und wenn es schief läuft, werfen sie einen am Ende mit Schimpf und Schande hinaus, wie in Rostock. Oder man sitzt urplötzlich auf einem Riesenschuldenberg, den naturgemäß zwar fremde Mächte verschuldet haben, aber man wird dennoch gefeuert, wie der Wiener Lehrfall sehr schön gezeigt hat. So gesehen: Wer will allen Ernstes Intendant sein?

Deshalb gibt es Intendantenfindungskommissionen. Intendantenfindungskommissionen haben die schwere Aufgaben, Intendantenkandidaten zu finden, die den zuständigen Politikern ans Herz gelegt werden, auf dass es gut mit dem jeweiligen Haus weitergehe, im Zweifelsfall besser.

kolumne dirkMan kann, wenn man sich durchfragt, herausbekommen, wer in welcher Intendantenfindungskommission sitzt und durch wen dorthin berufen wird, manchmal auch, welche Vorschläge die Kommissionsarbeit erbringt. Es sitzen dort zumeist: Intendanten, Dramaturgen, mitunter sogar Kritiker. Keiner behaupte, die emsigen Intendantensucher machten sich ihre Arbeit leicht. Sie reden viel, sie wägen viel ab. Es ist ja auch eine verantwortungsvolle Aufgabe. Zeitraubend. Nervschädigend.

Es existiert, so weit ich weiß, keine Statistik, aus der hervorginge, wie oft sich die zuständigen Politiker an die Empfehlungen der Intendantenfindungskommissionen halten, ich vermute sehr oft. Auch nicht, wer wie oft und wo in eine Kommissionen geht und entsprechend enormen Einfluss auf die Intendantenpersonalplanungen und damit die Theaterlandschaft insgesamt hat. Wer sich ein bisschen auskennt, wird allerdings schnell sehen, dass es einzelne sehr Einflussreiche gibt, die auffallend oft derlei Kommissionsplätze belegen. Aber darum geht es mir nicht.

Rostock ist die Zukunft

Ich frage mich, ob dieses Kommissionswesen unserem Theaterbetrieb hilfreich ist. Das kann man sich natürlich nur fragen, wenn man glaubt, dass sich etwas ändern muss. Das glaube ich, weil inzwischen zu viele Theater zusammengespart, verfusioniert oder ganz weggeschafft wurden. Daran sind nicht die Intendanten und Intendantenfindungskommissionen schuld, sondern Politiker, die meinen, ein Theater weniger ist ein Problem weniger und nicht ein Ort weniger, an dem es noch so etwas wie das Bemühen um Kunst gibt, also etwas, das sich nicht in Zahlen und Zwecken aufdröseln lässt.

Aber warum soll man diesen Politikern die Intendanten aussuchen? Warum an einem Gewerbe mittun, das dem Theater zusehends feindlich gegenübersteht? Zu hoffen, dass mit diesen Politikern Intendantenpolitik zu machen sei, ist zumindest fahrlässig, um es vorsichtig auszudrücken. Auch etwas, das man gerade in Rostock studieren konnte, anhand einer Lokalpolitik, der das Theater schlicht egal ist. Und keiner glaube, Rostock sei ein Sonderfall. Rostock ist die Zukunft, wenn es so weitergeht.

Vielleicht mal anders?

Das Findungskommissionswesen ist vor allem deshalb renovierungsbedürftig, weil die Findungskommissionssitzer kaum anders können als ihresgleichen vorzuschlagen. Also Leute, die von einem Theaterbetriebswesen erzogen wurden, zu dem das Arrangement mit der Politik und den Stadttheaterverhältnissen gehört (siehe die Sache mit den Praktikanten, nur zum Beispiel).

Ich fürchte, das geht nicht mehr lange gut. Wen soll, zum Beispiel, die kommende Findungskommission jetzt für Rostock vorschlagen? Sie sollte der Politik ihre Arbeit verweigern und keine Kandidaten im Exklusivclub unter sich ausmachen, sondern eine umfassendere Diskussion verlangen. Grundsätzlicher, in größerer Runde und mit größerem Fragehorizont.

Kann natürlich sein, dass sich dabei das herkömmliche Intendantenmodell als untauglich erweist. Aber Intendanten und Theaterbetriebsbetreiber, die immer noch einfach so weiterwuseln wie eh und je, machen sich am Ende mitschuldig am Niederwirtschaften unserer Theater.

 

dirk pilz5 kleinDirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne Experte des Monats schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.


 

Zu den ersten Ausgaben der Kolume Experte des Monats: Ulrich Matthes beweist Kompetenz in Dschungelcamp- und Schreibfragen und Der Deutsche Bühnenverein offenbart sich.

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Kommentare  
Kolumne Dirk Pilz: Kreislauf
Intendant empfiehlt ehemaligen Praktikant, Assistent, Gastregisseur für das Amt des Intendanten. So wird sichergestellt, dass sich das Theater gerade nicht verändert.
Kolumne Dirk Pilz: erst am Ende Leitung suchen
Ich bin sehr einverstanden! Und noch eine kleine Bemerkung zu Rostock. Die grundsätzlichste Frage an die Bürger und die Politik wäre doch, ob Rostock überhaupt ein aus Steuermitteln finanziertes Theater will. Die Ursache der Finanzierungsprobleme des Volkstheaters sehen selbst die Gutachten der Unternehmensberatungen in einem sogenannten „strukturellen Defizit“. Wen wundert das? Es ist ein bisschen wie bei der Wiedervereinigung. Man sollte einfach klar sagen, dass Kunst GELD kostet - und sogar jedes Jahr mehr GELD kostet - wie alles andere auch. Und dann entscheiden ob man ein Theater will oder nicht. Und erst dann erst eine Theaterleitung suchen, wenn man eine braucht.
Kolumne Dirk Pilz: auch Betriebsleiterfähigkeiten
Ist sicher vieles richtig, was Dirk Pilz beschreibt. Aber den abfälligen Ausdruck "Theaterbetriebsbetreiber" sollte er mal überdenken, denn Theater sind halt Betriebe, zum Teil grosse Betriebe mit über 500 Mitarbeitern. da braucht man AUCH "Betriebsbetreiberfähigkeiten", da beisst die Maus keinen Faden ab, auch wenn auf nachtkritik gern das Gegenteil ausgerufen wird. Ich glaube, dass die Intendanten und Direktoren, die das nicht drauf haben, das weit grössere Unheil anrichten.
Kolumne Dirk Pilz: sekundär, wo produziert wird
Das Haus in Rostock ist als Vier-Sparten Haus ausgeschrieben worden, weil es zum Antritt der Intendanz ein Vier-Sparten Haus war. Zudem hat sich die Stadt entschieden, auch weiter ein Theater mit vier Sparten zu führen - wobei zwei Sparten zukünftig über Co-Produktionen und Gastspiele realisiert werden sollen. Aus der Sicht des Publikums ist es zunächst sekundär, wo Veranstaltungen produziert werden. Die in Hamburg produzierten Rostock- Polizeirufe des NDR, um nur mal ein Beispiel zu nennen, werden von der Kritik geradezu hymnisch aufgenommen. Insofern beinhaltet der Vorschlag der Bürgerschaft zumindest einen diskutablen Ansatz. Außerdem wurde allen zum Vorstellungsgespräch geladenen Kandidaten mitgeteilt, dass die Theaterstruktur verändert werden soll. Auch Latchinian wusste davon.

(Werte/r Leserin,
können Sie eine Quelle nennen für letztere Behauptung? Beste Grüße, Die Redaktion)
Kolume Dirk Pilz: Frankfurt hat keine Kommission
Sie haben Frankfurt vergessen. Dort hat nach den schlechten Entscheidungen von "Experten" der letzten Jahre der verantwortliche Bürgermeister entschlossen, es gleich ohne Findungskommission zu machen.
Kolumne Dirk Pilz: über Kürzungspläne informiert
In dieser Sache bereits mehrfach zitiert wurde eine Quelle aus Ihrem eigenen Archiv: "Allerdings habe Latchinian darauf hingewiesen, dass es "besser sei, ein funktionierendes Zweispartentheater zu haben als ein schlechtes Vierspartenhaus, an dem ständig herumgekürzt" werde."

Sie können auch am Verlauf der Meldungen, auf dieser Seite und anderswo, ersehen, dass Latchinian über die Kürzungspläne der Bürgerschaft vor Antritt seiner Intendanz in Kenntnis war.

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7991:sewan-latchinian-ab-2014-intendant-in-rostock&catid=126&Itemid=100089
Kolumne Dirk Pilz: Nachfrage beim LTT-Verwaltungsrat
Lieber Herr Pilz,
das habe ich gerne gelesen. Und werde jetzt die Mitglieder der Verwaltungsrates des LTT fragen, wie die das damals gemacht haben.
Herzlichst
Ihr
Bühnen-Betriebs-Betreiber Beckherlin (ähh: Weckherlin)
Kolumne die Findungskommissäre: Vertiefung
Es sollte, glaube ich, um Konzepte gehen, nicht um Personen. Sprich: Findungskommissionen sollten die Konzepte der Berwerber studieren, die natürlich die notwendigen Veränderungen am betreffenden Theater berücksichtigen müssen, von denen auf nachtkritik ja immer wieder die Rede ist. Ich meine jetzt nicht die Zusammenlegung oder Umorganisation wie in Rostock, sondern die Beschäftigung mit einer Zukunft des Stadt / Staatstheaters in einer Kulturlandschaft, die nicht mehr viel mit der gemein hat, in der das System mal erfunden worden ist und aus der der allgemeine Kanon immer wieder rauf und runter gesungen wird, statt dass man sich auf den Ort, an dem man ist, stärker zuschneidet. Einfach gesagt: Es reicht einfach nicht aus, auf eine politische Krise lediglich mit einem regietheatermässig modifizierten Volksfeind von Ibsen auf die örtliche Krise hinzuweisen, man muss sich konkret mit der Krise beschäftigen. Lokaler Bezug ist das, was man im TV oder auf Netflix nicht findet!
Das würde aber eine inhaltliche Auseinandersetzung sowohl für die Komission als auch für die politisch Verantwortlichen bedeuten. Und man könnte dabei zugeben müssen, dass etwas faul ist im Theater Dänemark. Und wenn man den Kopf aus dem Fenster steckt, wird er leicht weggeschossen, und dann ist sie auf einmal weg, die schöne Subvention. Also wird bewahrt, und das ist übrigens hierzulande in Universitäten und Rundfunkanstalten nicht anders.
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