Schule der Empathie
von Gerhard Preußer
Mülheim , 13. Dezember 2019. Den Anfang macht eine Bildinterpretation: Francesco Botticinis Renaissance-Bild vom jungen Tobias, dem Heiligen der Reisenden, der auf seiner Reise von Ninive nach Ekbatana von den drei Erzengeln geleitet und geschützt wird. Die Details des Bildes werden vergrößert gezeigt: ihn begleitet ein kleiner Hund, unter dem Arm trägt er einen Fisch. Vor der Projektionswand aber steht ein Bootswrack, ein Skelett mit Rippen wie ein toter Riesenfisch. Erzengel bräuchte man, um die im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge zu schützen. Diesen anonymen Toten, die ihr Leben ließen auf dem Weg zu uns, widmet Roberto Ciulli ein szenisches Requiem.
Gefangene der Form
von Max Florian Kühlem
Mülheim, 9. November 2019. Die 90 Minuten auf der Bühne des Mülheimer Theaters an der Ruhr, die die Uraufführung "Reine Formsache" darstellen, sind nur ein Teil der neuen Arbeit des Collective Ma’Louba. Regisseur Waël Ali, der zum ersten Mal mit der Gruppe arbeitet, hat das Stück mit improvisierten Elementen als offenen, stetiger Veränderung unterworfenen Prozess angelegt – und als solcher ragt es über die Grenzen des Theatersaals hinaus.
Dieser schwarz glitzernde Untergang
von Dorothea Marcus
Mülheim an der Ruhr, 19. September 2019. Wer hätte das gedacht, dass einer der grandiosesten Theatertexte zur Klimakrise schon über 40 Jahre alt ist. Und während wir heute mehr oder weniger lodernd, pflichtbewusst oder untergangsselig auf Großstadt-Straßen für das Klima demonstriert haben, hat Hans Magnus Enzensberger, in seinem 90. Jahr, vielleicht gedacht: "Wir glaubten noch an ein Ende, damals. Auch eine Spielart der Zuversicht". Denn die Beschwörung einer Katastrophe ist ja auch ein Trost, Aphrodisiakum, Projektion und sektiererischer Weckruf (Enzensberger) in Endlosschleife, der sich selbst allzu wichtig nimmt – im Angesicht des beschworenen Verschwindens. Und zugleich ein Kick, den wir geradezu brauchen, lustvoll schaudernd beschworen durch Unterhaltungsindustrie, eingeschrieben im Terror der Aufmerksamkeitsökonomie.
Seelchen im Elfenbeinturm
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, 26. Januar 2018. Man wird zugeben müssen, das Original ist schöner. Heiner Müller macht sich aus großer Literatur einen kleinen Spaß. Der Briefroman "Gefährliche Liebschaften" von Chaderlos de Laclos ist nicht nur ein erhabenes stilistisches Meisterwerk; nicht nur ein höchst originelles Dokument aus der Zeit des Ancien Regime; es ist auch ein Buch, das Einblicke in die Abgründe des Menschlichen eröffnet und sich keineswegs in der (natürlich berüchtigten) Frivolität erschöpft. Müllers Bearbeitung, eingedampft auf zwanzig Seiten, begnügt sich (fast) mit einer einzigen zusätzlichen Pointe, die in der Maskerade besteht: Die Protagonisten tauschen ständig ihre Rollen. So wird der Geschlechterdiskurs angeheizt.
Der aufgeschnittene Bauch des Herrschers
von Friederike Felbeck
Mülheim an der Ruhr, 18. November 2017. Der Regisseur Philipp Preuss ist in seinem Element. Seine zweite Inszenierung für das Theater an der Ruhr siedelt an der Schnittstelle zwischen Performance und Bildender Kunst und verschränkt kongenial das brandaktuelle Stück "Am Königsweg" von Elfriede Jelinek mit dem Klassiker "König Ubu" von Alfred Jarry. Schon einmal kreuzte Philipp Preuss Elfriede Jelinek mit einem Klassiker: Am Schlosstheater Moers trafen sich so Aischylos "Prometheus" und "Kein Licht".
Todeskampf einer Maus
von Friederike Felbeck
Mülheim/Ruhr, 19. Mai 2017. Zwei Freundinnen leben in einer kleinen dunklen Wohnung mitten in Damaskus, die Front ist hörbar um die Ecke. Die beiden Hälften eines Ehebetts stehen in den gegenüberliegenden Ecken des Raumes, ein Rest von Privatsphäre wird durch provisorische Vorhänge markiert. Mit der Umdeutung eines Alltags beschäftigt, der längst nicht mehr von ihnen selbst, sondern von Granaten, Stromausfall und dem Mangel an warmem Wasser bestimmt wird, meistern die beiden ihr Schicksal und warten auf ihre Männer. Die eine von ihnen, Hala, wird in zwei Monaten nach Deutschland gehen. Rand, die mit einem Soldaten der syrischen Armee eine Affäre hat, fiebert dem 24stündigen Fronturlaub ihres Geliebten entgegen. Als Hala der nach drei Monaten Abstinenz aufgeheizten Wiedervereinigung ihrer Freundin mit dem Checkpoint-Soldaten Khaldoun nicht Platz machen kann, weil das Viertel unter Beschuss steht, entbrennt ein Beziehungsstreit und Eifersuchtsdrama, das vor allem um die eine Frage kreist: Bleiben oder Gehen.
Der perfekte Sturm
von Sascha Westphal
Mülheim an der Ruhr, 21. April 2017. Das Spiel beginnt fast unbemerkt. Die Lichter im Saal sind noch an, überall gedämpfte private Gespräche. Aber in das allgemeine Gemurmel mischt sich irgendwann ein Heulen wie von einem starken Sturm und zieht immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Etwas kündigt sich an, vielleicht ein Unwetter, vielleicht aber auch etwas, das weitaus folgenschwerere Konsequenzen hat. Schließlich verlöschen alle Lichter.
Peers Pas de Deux
von Friederike Felbeck
Mülheim an der Ruhr, 19. Januar 2017. Es gehört zu den Geheimrezepten des Mülheimer Theaters an der Ruhr, sich mit einem Stück so zu verabreden, als müsse man etwas endgültig klären. Dabei sind es oft Paraphrasen oder "nur" ein einzelner Akt von fünfen, den man dazu benötigt. Es werden Figuren verworfen oder miteinander vereint, Stücke eines oder verschiedener Autoren zu einem neuen verknüpft, voluminöse Textkörper durch einen Trichtertunnel geschickt, um am Ende eine Fassung ganz ohne Schnickschnack, ohne Schlenker zu gewinnen. Es bleibt nur das Wesentliche, der Kern.
Auf Sand gebaut
von Andreas Wilink
Recklinghausen, 6. Juni 2015. Nicht die Glocken von Saint-Étienne läuten, der Kathedrale von Metz, dessen Namen nicht genannt wird, und doch ist die nordfranzösische Stadt Schauplatz von "Rückkehr in die Wüste". Sondern es ruft der Muezzin zum Gebet. Roberto Ciulli spielt so den Widerspruch weiter, dass das katholische Frankreich die Wüste sei – Afrika, Algerien, aus der Mathilde Serpenoise nach 15 Jahren heimkehrt.
Kein Trost unter der Burka
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, 19. März 2015. Mit 24 Jahren, als er gerade sein Diplom als Arzt erhalten hatte, schrieb Anton Tschechow den Einakter "Auf der großen Straße", eines seiner ersten Stücke. Die Tendenz, die Fabel auf ein Minimum zu reduzieren, die später zu einer Art Markenzeichen des Dramatikers wird, zeichnet sich hier schon ab.
Die Tatze des Mafioso
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, 11. Dezember 2014. Ein Wintermärchen sei eine alte Geschichte, die am Kaminfeuer erzählt wird, während schneidende Winde ums Haus pfeifen, erklärt uns der große Shakespeare-Deuter Harold Bloom und will damit sagen, dass der Erfinder einer solch schaurigen Schnurre alle Freiheiten hat: also beispielsweise auch die, eine Statue sprechen und umgekehrt eine schöne Frau mitten in ihrer Rede zur Mumie erstarren zu lassen. Genau so hat Roberto Ciulli das originelle Spätwerk auch angefasst: als eigentümlich melancholisches Geisterstück.
In der Tropfsteinhöhle des Dämmerungs-Magiers
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, 23. Oktober 2014. "Was schaust du mich so an?" Es ist der Satz, der in diesem Stück am häufigsten fällt. Da sind vier Personen, Vater, Mutter, zwei Söhne, die einander kaum einmal aus den Augen lassen – es sei denn, der ältere Sohn James verschwindet für ein paar Stunden in irgendeinen Club, "zu den Weibern und zum Whisky", oder Mary, die Mutter, macht sich ins "Gästezimmer" davon, um sich einen Schuss zu setzen. Sie alle fühlen sich unbehaglich, wenn sie von ihresgleichen beobachtet werden, dabei hat Ibsens Lebenslüge in diesem autobiographisch motivierten Drama von Eugene O'Neill jede Scham abgeworfen. Es gibt nichts mehr zu verschleiern, es ist offensichtlich, dass alle drei Männer Alkoholiker sind, die Mutter Morphinistin ist, man könnte sich hemmungslos gehenlassen und tut es auch, und doch bleibt ein Rest von Unbehagen, genährt durch fahle Erinnerungen an die drittklassigen Hotels, in denen der Schauspieler James Tyrone, begleitet von seiner Familie, die aktive Zeit seines Lebens verbracht hat. Die Verzweiflung ist die letzte Etappe vor dem Delirium, vor dem Absturz.
Der Berg ruft: Revolution!
von Friederike Felbeck
Mülheim an der Ruhr, 29. April 2014. Was in ein Reclam Heft passt, geht auch in einen Schuhkarton. Der ist von innen rot angestrichen. Geweihe hängen an der Wand, Tische, Stühle und eine Kegelbahn. Über dem Tresen ein Flat Screen, der ein Alpenpanorama zeigt. Eine Art Peter Sellers mit starkem Schweizerischen Akzent, wie seine Mitspieler in Trachtenlook, führt in diesen "Wilhelm Tell" hinein: "Wir haben uns hier versammelt, um die schrecklichen Ereignisse, die zur Gründung der Schweiz führten, darzustellen."
Shame on me, shame on you
von Dorothea Marcus
Mülheim an der Ruhr, 26. Februar 2013. Schuhe putzen. Gläser polieren. Knöpfe zählen. So sehen die Strafen aus, wenn man etwas getan hat, für das man sich schämen sollte. Verordnet wurden sie dem jungen Ensemble des Theaters an der Ruhr vom Regisseur Albrecht Hirche und Dramaturg Sven Schlötcke. In "Skulpturen der sozialen Bestrafung" im Foyer verkünden die sieben Darsteller murmelnd ihre Straftaten (sie sind auf Bildtafeln auch noch verewigt) und verrichten zugleich die Buße dazu.
Als sei's ein Groschenroman
von Dorothea Marcus
Mülheim, 12. Dezember 2012. Sind wir hier im richtigen Stück? In einer Textilfabrik werden die Kisten gestapelt, Lieblich schön singt die Belegschaft ein schwebendes "Lilli Marleen" während der Akkord-Arbeit, stellt selbst die zischenden, klopfenden Rhythmen dazu her. Bis die Fabriksirene dröhnt, die Tupperdosen verteilt werden und – statt eines Pausenbrotes ein Reclam-Heft herausfällt. Fesselnde Lektüre für Fabrikarbeiter. Bald beugen sich die jungen Frauen und Herren in geblümten Hausfrauenkitteln und Kopftüchern eifrig über die Lektüre von "Minna von Barnhelm", das bekannteste deutsche Lustspiel der Literaturgeschichte, als sei's ein Groschenroman. Bis, man ahnt es, alle anfangen, die Geschichte nachzuspielen. Als erstes zieht sich Steffen Reubers Windhund von Wirt seinen Hausmeisterkittel an, für Volker Roos' Diener Just in heruntergekommener Rambo-Kluft, mit kurzen Hosen und klaffender Narbe wird der Text noch ansouffliert, in breitem Balinarisch erfährt man, wie Major Tellheim aus Geldmangel vor die Tür des Gasthauses gesetzt wurde.
Limonade aus Rammstein
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, 21. November 2012. Das leicht reduzierte Ensemble ist übersichtlich wie auf einer Hühnerleiter auf der Empore aufgereiht, nach sozialem Status getrennt. Links also die treuherzige Musikantenfamilie Miller, der derbe Musikus, der seinem Weib gerne mal das Violoncello an den Gehirnkasten werfen würde, weil's partout das Maul nicht halten kann, die Millerin und Töchterchen Luise; rechts das blasierte Aristokratengschwerl, der Präsident von Walter, der Sekretarius Wurm und die (an diesem Abend verstummte) Lady Milford.
Natur auf dem Seziertisch
von Martin Krumbholz
Mülheim, 19. September 2012. Dass Jesus ein Jude war, gerät gelegentlich in Vergessenheit – doch dazu später. Zunächst: die Musik. Die Musik ist, neben Alkohol natürlich und den Insignien militärischer Potenz, das Antriebsmittel für den sexuellen Exzess. Franz Woyzecks verzweifeltes "Immerzu, Immerzu" kommentiert die rasante Enthemmung, die jener Dreiklang ermutigt und grundiert. Deshalb nennt das Theater an der Ruhr den "Woyzeck" einen "musikalischen Fall": ein achtköpfiges Blas- und Streichorchester sitzt und steht hinten auf der Bühne, gebildet aus den episodenhaft auftretenden Nebenfiguren des Stücks, und "untermalt" das Geschehen – allerdings streng kontrafaktisch. So melancholisch, wie diese anrührend unvollkommene Musik sich gibt, benebelt sie die Köpfe auf ganz andere Art, als es beim Heurigen oder sonstwo üblich ist. Und der baumlange Woyzeck, den Rupert J. Seidl mit einem schönen österreichischen Akzent moduliert (stimmiger als das etwas künstliche Hessisch der anderen Spieler) – er versinkt fast vor Traurigkeit, schwerfällig in seinen Bewegungen und offenbar auch im Kopf.
Eindringlinge, Sprachbesatzer
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, 28. März 2012. Ein Windstoß, und die beiden Flügel des freistehenden Fensters, das Gralf-Edzard Habben an die Rückseite seiner Bühne gebaut hat, öffnen sich und lassen eine kleine Meute wunderlicher Gestalten ein. Im Krankenbett vor dem Fenster liegt, bekleidet, ein alter Mann: der Ich-Erzähler.
Das Glück des Körperlichen
von Martin Krumbholz
Mülheim an der Ruhr, den 23. November 2011. Bis zum Schluss – unmittelbar bevor sein Freund Giorgio ihn scheinbar kaltblütig erschießt, die Leiche dann auf ein Pferd und auf einen Barren setzt, geradeso als wolle er im Tod doch noch so etwas wie einen Sportler aus ihm machen – bis zum Schluss beteuert Romeo seine Unschuld. Denn eine Tat – der Ehebruch mit Giorgios Frau Ginevra –, die man begangen hat, ohne sie wirklich bewusst zu wollen, in einer "Sonnenverzauberung", wie Romeo es nennt, in einem Augenblick der Schwäche, kann die wirklich ein Verbrechen darstellen? Oder ist sie nicht vielmehr ein Irrtum des Schicksals, unschuldiger als ein in der Phantasie begangener Akt der Untreue, den man aus irgendwelchen banalen Gründen nicht tatsächlich ausgeführt hat?
Der Mensch ist Schauspieler
von Guido Rademachers
Mülheim, 21. September 2011. Ein Bilderbuch-Vollmond scheint vom sternenklaren Nachthimmel-Hintergrund. Musiker Matthias Flake improvisiert schwer romantisch am Flügel. Und ein etwas aus dem Leim gegangener Herzog Orsino schluchzt ins Mikro "Die Jugend ist zu kurz".
Etwas Sentimentales dürfte ihre Mülheimer "Was ihr wollt"-Inszenierung auch für Karin Neuhäuser gehabt haben. Hier war sie sieben Jahre als Schauspielerin engagiert, bis sie das Ensemble 1999 verließ und eine Karriere startete, die sie über Zürich ans Hamburger Thalia Theater führte.
Mit spitzen Fingern angefasst
von Regine Müller
Mülheim, 1. Oktober 2009. Großer Presseauflauf, Kamerateams und am Eingang Gesichtskontrolle: Im Mülheimer Theater an der Ruhr war man auf alles gefasst. Beinahe enttäuschend, dass dann nichts, aber auch gar nichts geschah. Weder vor noch im Theater Proteste, keine Diskussionen, nicht einmal ein einzelnes Buh. Sang und klanglos ging so die deutsche Erstaufführung des umstrittenen Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder nun doch über die Bühne.
Häschen im Wunderland
von Sarah Heppekausen
Mülheim an der Ruhr, 20. März 2009. Im plüschigen Hasenkostüm sitzt Martin Bross auf der Bühne. Mümmelt an einer Möhre, die seine lederbehandschuhten Finger halten, während die Nachrichten mit Meldungen über Brandanschläge auf heimische Geschäfte und über die Ankunft von Superhelden eingespielt werden. Cut.
Pubertätspuppen auf Plateau
von Sarah Heppekausen
Mülheim, 15. Januar 2009. Die äußere Handlung schildert Törleß gleich zu Beginn aus der Sicht eines auktorialen Erzählers. Laut durchs Mikrofon. Damit es auch jeder mitbekommt. Geht es Regisseur Albrecht Hirche im weiteren Verlauf doch gewiss nicht um eine stringente Wiedergabe des Musil'schen Romans.
Murphy im Wunderland
von Regine Müller
Mülheim an der Ruhr, 27. November 2008. Die Klage über entfremdete Arbeit ist irgendwie aus der Mode gekommen. Obwohl die Marx-Lektüre spätestens seit der Finanzkrise wieder schwer im Trend liegt, hat die Kritik der modernen Arbeitswelt andere Formeln gefunden: Stress, Burnout, Selbstausbeutung, arm durch Arbeit, Leiharbeit, prekäre Verhältnisse und Hartz IV beschreiben heutige Probleme mit der Erwerbsarbeit und der Not ihrer wachsenden Verknappung. Der Horror monotoner Beschäftigung scheint aus dem Blick zu geraten.
Delfine im Sandkasten
von Dorothea Marcus
Mülheim, 7. August 2008. Im Raffelbergpark braust es vor Stimmen und Bildern: man kann sich in Liegesesseln lümmeln und Lebensgeschichten und Liebesbriefen lauschen oder sich in einem "Erinnerungslabyrinth" stundenlang zwischen Fotowänden verlieren: Zwangsarbeiterinnen aus dem Mülheimer AEG-Werk finden sich neben der weltreisenden Stinnes-Tochter, der Mülheimer Operettenstar Käthe Guss neben Überlebenden von Treblinka.
Seelenhandlung statt Grabenkrieg
von Helmut Krebs
Mülheim an der Ruhr, 4. April 2008. Es war eine Zeit, da war noch etwas Geheimnisvolles um die Vaterschaft, und im Kampf um die Selbstvergewisserung des bürgerlichen Individuums wurden psychisch Kranke noch mit mechanischen Mitteln wie Zwangsjacken sediert. In diese Zeit, die Zeit der Entstehung des 1887 uraufgeführten frühen Strindberg-Dramas, führt uns die Inszenierung Thomas Peter Goergens am Theater an der Ruhr zurück.
Erziehung zum Unglück
von Dorothea Marcus
Duisburg, 10. Mai 2007. Die Duisburger "Akzente" haben sich in diesem Jahr die Werteordnung unserer Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben. "Woran glauben" ist das Motto der seit 1977 bestehenden kleinen Ruhrgebietskonkurrenz zum Berliner Theatertreffen. Neben Einladungen für Thomas Ostermeiers "Hedda Gabler" und "Das Produkt", den Zürcher Yasmina-Reza-Renner "Der Gott des Gemetzels", produzierten die "Akzente" in diesem Jahr gemeinsam mit dem Mülheimer "Theater an der Ruhr" Jakob Michael Reinhold Lenz' Tragikomödie "Der Hofmeister"; Roberto Ciulli und sein Bühnenbildner Gralf-Edzard Habben haben sie in einen düsteren, schwerblütigen Totentanz verwandelt.