Wofür es sich zusammenzuraufen lohnt
von Georg Kasch
15. Juni 2017. Nicht zu demonstrieren ist auch keine Lösung. Seit 20 Jahren gibt es den alternativen Christopher-Street-Day in Berlin-Kreuzberg für alle, die sich vom kommerzialisierten großen CSD nicht (mehr) vertreten fühlen. Ein CSD, in dem Spruchbänder, Megafone und politische Botschaften das Bild prägen, Transmenschen und Krawalltunten, nicht halbnackte Muskelpakete und pittoreske Dragqueens. Das hat was von den subversiven Anfängen der Parade, als noch Mut dazu gehörte, sich auf offener Straße als polymorph pervers zu bezeichnen. Allerdings wurde von Anfang an darum gestritten, wer wie stark präsent sein darf. Dieser erbitterte Kampf um die queere Deutungshoheit führte oft genug zu Absagen der ganzen Demo. Und das ist ein Symptom.
Die Neiddebatte der Diskriminierten
von Georg Kasch
2. Mai 2017. Neulich war ein Bekannter im Schwuz tanzen. Als er sich irgendwann das T-Shirt auszog – in ähnlichen Clubs nicht unüblich –, motzte ihn ein Mitarbeiter der Security an, sich wieder anzuziehen, seine Halbnacktheit stelle eine Bedrohung dar. Kann der Anblick eines freien Oberkörpers bedrohen? Ein tanzender Körper in einem queeren Club in Berlin? Die Begründung: Männliche Nacktheit könne ein Trigger für Opfer sexueller Gewalt sein.
Kantersiege eines Männersystems
von Georg Kasch
Berlin, 28. März 2017. Ich bin Feminist. Das war nicht immer so. Früher hatte ich den Eindruck, ich kenne so viele Frauen, die was können und wollen, die brauchen meine Unterstützung nicht, die schaffen das auch alleine. Aber das ist ein ebenso dummer Gedanke wie der, das queer nur was für Homos ist. Man muss nur mal auf die Zahlen gucken. Statistisch gesehen bekommen Frauen in Deutschland für jeden Euro, den Männer verdienen, 79 Cent. Oder: Nur fünf Prozent aller Künstler*innen in den Abteilungen für zeitgenössische Kunst in Museen sind Frauen, aber über 85 Prozent der Akte sind weiblich.
Lolita und Maude
von Georg Kasch
21. Februar 2017. Es kann ein Fluch sein, gut auszusehen und im Rampenlicht zu stehen. Klar, man hat auch jede Menge Vorteile: Erfolg im Beruf, beim Flirten, eigentlich überall, und zuweilen liegt im Aussehen ja auch der Grund, warum man berühmt ist. Aber je erfolgreicher und gutaussehender man ist, desto mehr interessieren sich die Menschen dafür, mit wem man das Schlafzimmer teilt (und wenn mit niemandem: warum nicht).
Aber sicher
von Georg Kasch
18. Januar 2017. Vor wenigen Tagen las ich auf Facebook den Eintrag eines Freundes aus den USA. Er ging mit seinen Kindern zum Essen aus. Beim Betreten des Restaurants folgte ihnen ein Mann, dem, kaum war er zur Tür hinein, eine halbautomatische Schusswaffe herunter fiel, direkt vor die Füße der kleinen Tochter meines Freundes.
Schutzraum Theater
von Georg Kasch
Berlin, 17. November 2016. Neulich war ich bei der Premiere der NSU-Monologe im Heimathafen Neukölln. Überall zwischen den vielen Menschen stand auffällig Sicherheitspersonal herum, breitbeinige Typen in Schwarz. Zuerst mutmaßte ich, dass parallel ein Konzert stattfindet mit irgendeinem Sternchen, das sich zu wichtig nimmt. Dann stellte ich fest, dass die "NSU-Monologe" im Großen Saal stattfinden, die Sicherheitsleute also die Premiere beschützten. War dieser Sicherheitsaufwand nicht ein bisschen überdimensioniert?
Tut mir leid!
von Georg Kasch
Berlin, 11. Oktober 2016. Das mit dem Herbst tut mir leid. Der ist dieses Jahr so kalt, so windig geraten und er kommt viel zu früh. Im September hatte es angenehme Temperaturen, man konnte Baden bis weit in den Monat hinein, die Sonne strahlte. Und nun? Alles dahin. Da stimmt doch was nicht. Da muss einer schuld sein. Warum nicht ich?
Caitlyn Jenner auf Usedom
von Georg Kasch
6. September 2016. Am Tag nach der Mecklenburg-Wahl fragte ein Bekannter: Gut 20 Prozent für die AfD, und in meinem Freundeskreis gibt’s kaum Kommentare dazu? Ich finde das nicht erstaunlich, denn das Resultat ist nicht so dramatisch ausgefallen, wie ich befürchtet hatte – ich habe es für möglich gehalten, dass die AfD stärkste Kraft wird. Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, da muss ich mir nichts vormachen. Schauen Sie sich mal die Zahlen von Usedom an, dann wissen Sie, was ich meine.
Das Lachen des Teiresias
von Georg Kasch
31. Mai 2016. Teiresias war ein blinder Seher mit Bühnenkarriere bis heute. Seine Sehergabe, so sagt die Legende, hatte er dem größten Stresstest seines Lebens zu verdanken: Als er sich auf die Frage von Hera und Zeus, Chefgötter im Dauereheclinch, welches Geschlecht die meiste Lust beim Sex empfinden würde, zu einer Antwort hinreißen ließ, kostete ihn das das Augenlicht. Zum Ausgleich gab’s die Prophetie.
Die Freiheit des Draußen
von Georg Kasch
26. April 2016. Jetzt also auch noch Prince. Nach David Bowie, dem Identitätsjongleur, hat der nächste androgyne Großkünstler die Bühne verlassen. "Wenn man irgendwo lernen kann, dass Grenzen Blödsinn sind, sexuell, ästhetisch, ethnisch, dann bei Prince", schrieb der geschätzte Kollege @zahnwart auf Facebook. Peaches, selbst eine queere Ikone, fasste ihn so: "Er ist weder eine Drag Queen, noch ist er eine Frau, die ihre maskuline Seite betont. Nein, er ist trotz allem dieser absolute Machotyp, der sich aber wie selbstverständlich aufrüscht und in High Heels und Reizwäsche herumstolziert."
Kill Your Enemies
von Georg Kasch
22. März 2016. Ein Wort kann eine Waffe sein. Das N-Wort zum Beispiel. Neulich, nach den Landtagswahlen, begab sich eine Spiegel-Online-Reporterin ins sachsen-anhaltinische Bitterfeld, um zu erfahren, warum ausgerechnet hier die AfD mit über 30 Prozent das landesweit beste Ergebnis erzielte, stärkste Kraft wurde und auch noch ein Direktmandat holte. Da benutzt bei Sekunde 20 ein älterer Herr das N-Wort mit so viel Hass und bebender Überzeugung, dass angesichts dieses Beispiels eigentlich auch dem letzten bürgerlichen Zweifler aufgehen muss: Solange Menschen diesen Begriff so verwenden, muss er tabu sein. Auch in historischen Kinderbüchern.
Machos in Strumpfhosen
von Georg Kasch
16. Februar 2016. Was war eigentlich mit den deutschen Männern in der Silvester-Nacht von Köln los?, fragten einige verwundert in Blogs und Kommentarforen, darunter manch dunkelbraune. "Standen sie nur daneben, und haben in Angststarre verharrt? Haben sie vielleicht sogar weggeschaut? ... Warum haben die nicht ihre Frauen verteidigt, zur Not mit Fäusten?“ Vielleicht, weil sie Polizei haben (theoretisch jedenfalls) ? Oder weil der Mann von der Emanzipation kastriert wurde? Oder "um ja nichts als Rassist, als fremdenfeindlicher Rechter oder sonst was zu gelten“, wie die "besorgten Bürger“ und ihre prominenten Stimmen vermuten?
Hört David Bowie!
von Georg Kasch
12. Januar 2016. Was ist das nur mit der Menschheit und der Welt? Kriege, Katastrophen, Flüchtende, die Nacht von Köln und die unsäglichen Reaktionen darauf. Was soll man glauben? Und vor allem: woran? Nun ist zu allem Überfluss auch noch David Bowie tot. Dabei schien er unsterblich, ewig jung, wie von einem anderen Stern. Er, der den Pop revolutionierte und queerness mainstreamfähig machte, vollkommen unabhängig davon, mit wem er letztlich ins Bett stieg.
Hässliche Frauen?
von Georg Kasch
1. Dezember 2015. Sind sie nicht süß, die bigotten Konservativen? Die CDU zum Beispiel: Einerseits wird es beim Bundesparteitag Mitte Dezember einen Antrag geben, der alle Zuwanderer verpflichten will, unter anderem die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie Homo- und Heterosexuellen anzuerkennen. Gleichzeitig spricht sich ein weiterer Antrag des Parteivorstands dafür aus, das bestehende Eheverbot für lesbische und schwule Paare aufrechtzuerhalten.
Danke, liebe Flüchtende!
von Georg Kasch
27. Oktober 2015. Es ist an der Zeit, danke zu sagen. Danke, liebe Flüchtende! Danke dafür, dass Ihr uns die Augen geöffnet habt: Unsere Konservativen in Deutschland sind gar nicht so, wie wir immer dachten. Sie ehren, schätzen und verteidigen die Frauen- und Homorechte genauso wie wir! Wer hätte das gedacht. Ute Eilig-Hüting etwa fordert: "Allen Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, müssen auch unsere grundlegenden Werte vermittelt werden. Dazu gehört neben Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und vielem mehr auch das moderne Frauenbild." Die Dame ist Leiterin der Arbeitsgruppe Frauen der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Vermutlich war die Sache mit der Herdprämie nur ein Ablenkungsmanöver, um unter der Hand den Sieg des Weißwurscht-Feminismus vorzubereiten.
Gender Performance
von Georg Kasch
Berlin, 22. September 2015. Neulich kam mir ja der Gedanke, eine Diversity-Agentur zu gründen. Weil ich damit wahrscheinlich genug zu tun haben werde, verschenke ich hier nun meine nächste Geschäftsidee. Dabei verspricht gerade die, für freiberuflich arbeitende Schauspieler*innen eine wahre Goldgrube zu werden: In schwulen Dating-Portalen gibt es nämlich ein neues Zauberwort, mit dem man wahlweise sich oder den potentiellen Partner, meist aber beide charakterisiert: straight-acting. Soll heißen: Benimm dich wie ein echter Kerl, dann hast du auch eine Chance, bei mir zu landen.
Rent a Queer!
von Georg Kasch
Berlin, 18. August 2015. Frauen, ja, klar, aber seien wir ehrlich: Mit Frauen allein kann man heute nichts mehr reißen. Gerade schrieb ein Kollege über das Zentrum für politische Schönheit (ZPS): "Die Aktivisten und die Aktivistinnen wirken insgesamt sehr smart, sehen gut aus und könnten genauso gut einem Prospekt der Sparkasse, der Jugendgruppe der Liberalen oder der Grünen entstammen. Sie wirken jedenfalls kein bisschen queer."
Mein Ja-Wort in Rio
von Georg Kasch
Monsenhor Tabosa, 14. Juli 2015. Schöne Grüße aus dem Urlaub! Ist allerdings auch ein bisschen langweilig hier. Wenn man bei bleierner Hitze am Ende der Welt sitzt und nichts entfernter sein könnte als Theater und queeres Leben, fängt man an beides zu vermissen. Hier in Monsenhor Tabosa im Nordosten Brasiliens ist das nächste Theater jedenfalls sechs Autostunden entfernt, und der Wochenend-Höhepunkt der Menschen vor dem Kinderkriegen besteht im Mopedfahren, Rumhängen, billigen Forró hören und saufen. Nichts gegen Forró und einen frischen Caipi, und, ja, ich genieße meine Sommerpause. Aber Falk Schreiber hat schon recht: Gerade Kleinstädte brauchen das Stadttheater, um ein Fenster in Gegenwelten zu öffnen.
Die Neue Deutsche Welle
von Georg Kasch
2. Juni 2015. Armes Deutschland! Wir haben es doch auch so schon schwer genug: Wirtschaftsmotor Europas, Großbeitragszahler der EU, G7-Supergastgeber, Weltkonflikt-Superratgeber, NSA-Superdatengeber, und dann noch Fußball-, Friseur- und Exportweltmeister, weltgrößte Safttrinker, die Größe, die Größe, ach!
Salatschüssel statt Schmelztiegel
von Georg Kasch
28. April 2015. Vor zwei Wochen schwang sich der europäische Zynismus zu neuen Höhen auf, als die Politik beklagte, was sie zuvor doch mit so viel Nachdruck betrieben hatte: das Ertrinken der Flüchtlinge im Mittelmeer. Was blieb, war ein entsetzliches Gefühl der Hilflosigkeit. Und die Fremdscham, dass gerade jene die abendländischen Werte mit Füßen treten, die sich immer wieder auf sie berufen.
Living in Queer Street
von Georg Kasch
23. März 2015. Kaum war meine erste "Queer Royal"-Kolumne draußen, gab's was auf die Finger (mit dem Lineal gewissermaßen, dabei wäre doch die Federboa so viel wirkungsvoller): "Theorie und Geschichte von 'queer' sollten schon bekannt sein, wenn man seine Kolumne so nennt. Nachsitzen bitte!", schrieb ein Bekannter auf Facebook. Sein Vorwurf: Ich haue unkritisch die unterschiedlichsten Dinge in einen Topf: schwul und lesbisch mit queer etwa.
In der Unisex-Toilette
von Georg Kasch
17. Februar 2015. Neulich stand ich in einer Bar vor den Toiletten. Es passiert ja öfter mal, dass man wegen unklarer oder überklebter Symbole rätselt: Männlein oder Weiblein? Diesmal gab's kein Rätsel, weil keine Wahl, denn die Klos waren unisex: Man steht da schon mitten im gekachelten Labyrinth, wenn man kapiert, dass man in jede Kabine kann, die da ist. Händewaschen, quatschen, flirten geht hinterher querbeet. Nach dem Selbstversuch lässt sich vermelden: läuft.