Die Magie der Großstadt
von Tim Schomacker
Bremen, 15. August 2013. Das Wort "Copyshop", könnte man meinen, sei eigens erfunden, um es auf einer Theaterbühne zu sprechen. Im kleinen Chor aus drei Figuren, ganz vorn am Rand der mit weißem Klebeband auf dem roten Pflastersteinboden abgemessenen Spielfläche. Drei symmetrische Vokale, umgeben von einer einigermaßen erschöpfenden Auswahl von Konsonanten: "Copyshop". An diesem Wort kommt der Satz zum Stehen, prallen die vorangegangenen Worte wie "Café", "Kiosk" oder "Fotoladen" ab, scheinen sich zu sortieren. Unmittelbar danach kehrt Ruhe ein für einen sehr kurzen Moment.
Am Ende siegt die Wirtschaft
von Andreas Schnell
Bremen, 25. August 2012. Ein bisschen ironisch ist es ja: Eigentlich sollte diese lange Theaternacht im Rahmen des Festivals "Auf Vermögen angelegt" im Kulturzentrum Schlachthof wirklich die ganze Nacht dauern. Zumindest solange Bedarf seitens des Publikums bestünde. Was zur kämpferischen Note des Titels gepasst hätte. Es ging nämlich um die Auseinandersetzung mit Vermögen, Fragen nach der Grundlage eines guten Lebens, um die wahren Werte, unterschieden von den Warenwerten sozusagen. Also um eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, der seine verheerende Schönheit nicht nur im Zusammenhang mit dem Euro offenbart. Dann allerdings wurde die lange Theaternacht in Absprache mit der Wirtschaft des Schlachthofs auf ein sozial verträgliches Maß gestutzt: Um halb drei sollte Schluss sein. Womit die Ökonomie mal wieder die Kunst in Grenzen verwiesen hätte. Zu sehen gab es aber trotzdem eine ganze Menge.
Erleuchtung im Gotlandwald
von Tim Schomacker
Bremen, 22. Juli 2011. Die Bäume sind nach oben hin offen. Als irreale Schonung stehen sie in der rechten hinteren Bühnenecke. Natürlich überwiegt an ihnen das Requisiten- und Zeichenhafte: zylindrische Stämme, die unterhalb der Decke enden – und unterhalb der "Baumkrone". Sie sind ja keine Natur, sondern Kunst. Doch als Kunst höchst real. "Eine Nacht im schwedischen Sommer" ist ein Stück über Kunst. Und über deren eigene Sichtweisen auf das, was als wirklich gilt.
Neues von Mutter Erde
von Andreas Schnell
Bremen, 28. Oktober 2010. Dass Theater nicht nur Fragen aufwerfen, sondern auch Antworten geben könne - nicht weniger will Frank-Patrick Steckel mit "Rein theoretisch" aufzeigen, das er mit dem Ensemble des Bremer Theaterlabors erarbeitet hat. "Klima", "Finanzen", "Energie", "Bedingungsloses Grundeinkommen", "Agrarpolitik", "Millenniumsprojekt", "Arbeit", "Ungleichheit" und "Medien" sind die Themen, die behandelt werden. Sie sollen auf "aktuelle Lösungsanstrengungen" hinweisen, heißt es in der Ankündigung des Theaterlabors, das sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit politischen Stoffen befasst hat, wie etwa dem "Plutos" des Aristophanes, den Frank-Patrick Steckel hier im letzten Jahr auf die Bühne brachte.
Rache ist Kunstblut
von Andreas Schnell
Bremen, 12. August 2010. Ein Stück über den Krieg wollte Patrick Schimanski machen. Und stieß auf "Die Sieben gegen Theben" (Aischylos) und "Die Hilfeflehenden" (Euripides) und landete bei Einar Schleef und Ulrich Müller-Schwefe, die beide Stücke in eines schmiedeten und, indem sie die chronologische Reihenfolge verkehrten, den Kreislauf von Tod und Rache in Endlosschleife schickten. Das Stück, so ist zu lesen, wurde seit der Uraufführung in Frankfurt im Jahre 1986 nicht wieder aufgeführt.
Das Grundheitere des Dichters aus Sozialistisch-Preußen
von Thomas Irmer
Bremen, 18. März 2010. Dass Peter Hacks wieder salonfähig ist, wurde merkwürdigerweise von der FAZ angestiftet. Selbst seine kühnsten Bemerkungen zum Untergang des Sozialismus und Sieg des Kapitals werden heute von einer Bewundererphalanx goutiert, die vom konservativen Martin Mosebach bis zum neulinken Dietmar Dath reicht. Nur die Theater haben bislang das Niveau der Debatte unterschätzt, die natürlich auch auf die Neuentdeckung seines Werks aus ist.
Partisanenstreich in der Mainstream-Kultur
von Thomas Irmer
Bremen, 24. Juni 2009. Heiner Müllers zwischen 1956 und 1971 entstandener Bilderbogen zur deutschen Geschichte gehört zu seinen selten gespielten Stücken. Was sicher nicht allein daran liegt, dass über vierzig, zumeist kleinere Rollen zu besetzen sind. Von der Varus-Schlacht über Friedrichs Preußen, Stalingrad, Hitler und Goebbels bis zur DDR am 17. Juni 1953 spannt sich der Bogen subversiven Unbehagens an deutscher Geschichte: Mal als schwarze Groteske, mal als hart überhöhter Realismus, der dann wieder mit einem surrealen "Nachtstück" gekontert wird.
Das Quantum als Quelle und Qual
von Andreas Schnell
Bremen, 26. Februar 2009. Wer an den gegenwärtigen Zuständen in der Welt etwas auszusetzen hat, tut nicht schlecht daran, es mit Brecht zu versuchen. "Die Heilige Johanna der Schlachthöfe" etwa bietet einige lesens- und hörenswerte Argumente wider den Kapitalismus. Brecht unterzog sich einer Mühe, die ein Aristophanes nicht nötig hatte. Zu dessen Zeiten gab es weder ein voll entwickeltes Bankenwesen, noch die dazugehörigen Erscheinungen wie Kredite auf Kredite. Nachdem Frank-Patrick Steckel am Theater Bremen den erwähnten Brecht-Klassiker vor einem Jahr unter Mitwirkung von Schauspielern des Theaterlabors auf die Bühne brachte, griff er für seine jüngste Arbeit trotzdem auf den antiken Griechen zurück, um von unserer Gegenwart zu erzählen.
Ein Wochenende Kunst
von Andreas Schnell
Bremen, 24. Juni 2008. Rainald Goetz sagt, er schreibe fürs Theater, "weil die Bühne so gut riecht und weil man angespuckt wird von den Schauspielern, wenn man in der ersten Reihe sitzt". Mindestens das hätte ihm bei der Premiere seines Stücks in der Concordia in Bremen also schon einmal gefallen. Das Ensemble des Theaterlabors, einer im Lande wohl einzigartigen Beschäftigungsmaßnahme für arbeitslose Schauspieler, ist ganz oft ganz nah am Publikum, vorn in einer Reihe aufgestellt als Chor oder auch in der Eingangsszene in Gestalt eines innig knutschenden Pärchens, das sich im weiteren als Künstler und Muse entpuppt.