Oder besser noch: eine Frau
von Sascha Westphal
Detmold, 25. Januar 2019. Die Situation hat etwas Romantisch-Idyllisches. Selbst die leicht heruntergekommen wirkende Bungalow-Fassade, die sich im Hintergrund erhebt, stört diesen ersten Eindruck nicht weiter. So wie es sich Jennifer und Bob Jones in ihren Liegestühlen bequem gemacht haben, deutet alles auf eine angenehme, zum Träumen und Schwärmen einladende Frühlingsnacht hin. Und das versucht Jennifer auch: "Die Nacht ist so wundervoll. Man kann beinahe hören, wie die Wolken vorüber ziehen." Doch Bob lässt sich auf die poetischen Anwandlungen seiner Frau erst gar nicht ein. Seine recht prosaische Reaktion deutet jene Risse an, die schon nach wenigen Repliken offen zu Tage treten. Eigentlich wäre es an der Zeit, dass die beiden sich einmal aussprechen, aber das will ihnen nicht gelingen. Kleine, alltägliche Missverständnisse provozieren umgehend Vorwürfe, und die gipfeln schließlich in einer feindseligen Sprachlosigkeit.
Dass das Leben weitergeht, ist keine Platitüde
von Sascha Westphal
Detmold, 19. Mai 2017. Alles kreist um eine Tragödie. Der 15-jährige Christopher wird an einem Sonntagnachmittag überfahren und stirbt kurz darauf. Dennoch beginnt "Am Strand der weiten Welt" ganz und gar undramatisch, ein paar Tage vor dem entsetzlichen Unfall. Zwei Teenager sind nachts im Bus auf dem Weg nach Hause. Sarah würde gerne noch irgendwo weiter feiern. Alex, Christophers älterem Bruder, reicht es für den Abend. Sie ist zwar ein Jahr jünger als der 18-Jährige, aber deutlich forscher und neugieriger. Sarah möchte Erfahrungen sammeln, das Leben in jedem Augenblick auskosten. Also macht sie dem schüchternen, immer wieder zurückschreckenden Alex ein Angebot, das er eigentlich nicht ausschlagen kann: Er darf sie küssen. Doch dazu ist er einfach noch nicht bereit.
Auf dem Leichentuch von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
von Sascha Westphal
Detmold, 6. Mai 2016. Ein Vorhang in den Farben der französischen Nationalflagge hängt von Bühnenhimmel herab und bedeckt auch gleich noch die gesamte Vorderbühne. Seine besten Tage hat er allerdings schon hinter sich. Die Farben leuchten längst nicht mehr, und nicht nur auf dem weißen Streifen zeichnen sich deutlich Flecken ab. Das Banner der französischen Revolution war nun einmal von Anfang an ein riesiges Leichentuch. Das wissen natürlich auch Georg Danton, seine Frau Julie und seine engsten Vertrauten Camille Desmoulins, Philippeau und Herault-Séchelles, und sie ahnen ebenso, dass ihre Zeit sich mehr und mehr dem Ende zuneigt.
Zerplatzte Hoffnungen
von Sascha Westphal
Detmold, 15. Januar 2016. Am Ende ihres Textes "für drei Spielerinnen und einen Männerchor von drei Stimmen" stellt Henriette Dushe den Regisseur vor die Wahl. Er kann dieses sechsstimmige Klagelied mit dem Chorsatz "Vollendet ist das große Werk" aus Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung" ausklingen lassen. Wenn ihm das zu pathetisch erscheinen sollte, schlägt die Autorin alternativ vor, dass "der Männerchor vielleicht Schuberts 'Die Nacht'" anstimmt: "Wie schön bist du, / Freundliche Stille, himmlische Ruh'!" Malte Kreutzfeldt hat sich bei seiner Uraufführungsinszenierung für diese sehnsuchtsvollen Zeilen entschieden, und sie erklingen nicht nur am Ende, sondern auch schon gleich zu Beginn.
Morden als natürlicher Zustand
von Stefan Keim
Detmold, 16. Januar 2015. Herzog Theodor hat seinen Bruder umgebracht. Wenig später erkennt er, dass der Mord ungerechtfertigt war. Es ist ihm egal. Er hat nun schon so viel getötet, jetzt kann er auch einfach weitermachen. Der junge Christian Dietrich Grabbe hat 1822 ein ungewöhnlich bitteres und zynisches Theaterstück geschrieben. Seine Zeitgenossen konnten nichts damit anfangen, wenn sie denn überhaupt Kenntnis davon nahmen. Uraufgeführt wurde es erst 70 Jahre später. In den vergangenen Jahren wird es gelegentlich wieder inszeniert, in Karlsruhe, München und in der Bochumer Rottstraße 5 – nun auch in Grabbes Heimatstadt Detmold.
Gnadenlos, aber genüsslich
von Ulrich Schmidt
Detmold, 15. September 2010. Zur Saisoneröffnung begann das Landestheater Detmold in seiner zweiten Spielstätte, dem Grabbe-Haus, mit Werner Schwabs "Die Präsidentinnen". Das wirklich kleine Haus ist für dieses Kammerspiel wie geschaffen. Die Präsidentinnen Erna, Grete und Mariedl kennen eigentlich nur die Kehrseite des Lebens, die Abgründe mit Männern, ihre Lüste und Gelüste und vor allem ihre Perversionen. Vom Leben im wahrsten Sinne des Wortes beschissen, reden sie vor allem von Scheiße, von hartem und weichem Stuhl. Geistig tut sich die Enge zwischen Kinder, Küche, Kirche auf.
Teutsche Recken im Schlamm
von Michael Laages
Detmold, 5. Februar 2009. Sie haben sich wirklich viel vorgenommen – zum einen dieses sonderbare, wie aus der Zeit gefallene Stück zu retten, es kenntlich bleiben zu lassen gegenüber dem offensichtlichen Missbrauch, der mit ihm getrieben wurde: "Die Hermannschlacht" von Christian Dietrich Grabbe, diesem Verlorenen im literarischen Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts.