Es ist gut, weil es laut ist
von Willibald Spatz
München, 19. April 2015. Diese Aufführung gehört nicht in ein Theater, dort wirkt sie fremd. "R + J" ist ein Rockkonzert, zwei Gitarren, Bass, Sängerin und Sänger – das Schlagzeug wird aus dem Off eingespielt. Dazu gibt es Videobilder, Tanzeinlagen und ein paar Zwischentexte. Alles in allem eine saubere Show, Heavy Metal mit Electro- und Reggae-Passagen. Und das alles vor dem Publikum des Festivals radikal jung, das auf Stühlen sitzt und sich nicht mitreißen lassen will. Einmal verlässt die Combo die Bühne und tanzt. "Everybody dance", lautet die Aufforderung, der gerade zwei Leute folgen. Nach zwei Minuten setzten sie sich wieder, und Galyna-Mariya Pavlyk, die Sängerin, bedankt sich bei den beiden.
Ausgegrenzte aller Länder, vereinigt euch und spielt!
von Isabel Winklbauer
München, 5. April 2014. Die Rahmenhandlung von Eyal Weisers "This is the Land" ist so kompliziert, dass man einen Knoten im Kopf bekommen könnte. Realität ist: 2011 erfand das israelische Ministerium für Kultur den Zionist Creation Award, einen Preis, der seitdem vorbildliche zionistische Kunst auszeichnet. Viele Regisseure boykottierten den Preis, der Kunst unverfroren in den Dienst der Politik stellt. Andere tobten, weil ihre Arbeiten nach Gutdünken abgelehnt wurden. Die fiktive Reaktion auf diesen Eklat liefert nun der israelische Regisseur Eyal Weiser, indem er von einem imaginären Gegenfestival ausgeht, dem Festival all derer, die beim Zionist Creation Award abgelehnt wurden. So einen "Salon der Abgelehnten" gab es auch in der Pariser Kunstszene des 19. Jahrhunders, wo die Nachwuchsmaler um einen Platz in der Jahresausstellung, genannt Salon, rangen; er ist durchaus ein Traditionsformat. Weiser lädt nun zum "Zionist-Creation-Salon der Abgelehnten". Was bedeutet, dass hier Kritik am Zionismus erlaubt ist.
Flucht in die Kunst
von Michael Stadler
München, 23. April 2013. Die Magie eines Festivals, die hängt gar nicht unbedingt mit der Qualität der einzelnen Inszenierungen zusammen, sondern liegt in diesem geballten Übermaß an Eindrücken, die plötzlich kreuz und quer im Gehirn funkende Verbindungen schlagen können, diese zufälligen Motive, die sich nicht durch ein Stück, sondern von Stück zu Stück ziehen – sie drängen sich einem auf. Beim Radikal-jung-Festival werden die Analogien zwischen zwei Inszenierungen, beide eingeladen aus Tel Aviv, sogar in einem Moment gleichzeitig hörbar. Da steht Yoav Bartel als Volkstanzlehrer auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters. Er hat das Publikum bereits in die Performance "Shall we dance" eingesponnen, hat mit einer Zuschauerin ein paar Schritte geübt. Dann hört man dumpf eine Etage tiefer, im Erdgeschoss, wo die große Bühne liegt, das Wummern von Techno-Beats.
Radikale Top Ten
Folgende zehn Produktionen sind zum Festival Radikal Jung 2013 eingeladen, das vom 19. bis 26. April am Münchner Volkstheater stattfindet:
Demut vor deinen Taten Baby (UA)
Theater Bielefeld
Regie: Babett Grube
Kinder der Sonne
Schauspielhaus Zürich
Regie: Daniela Löffner
Mein Jerusalem - A performance by Sabine Sauber (UA)
Tmuna Theater Tel Aviv
Regie: Eyal Weiser
Die Protokolle von Toulouse (UA)
Thalia Theater Hamburg
Regie: Malte C. Lachmann
Winterreise
Stadttheater Klagenfurt
Regie: Marco Štorman
Breiviks Erklärung (UA)
Eine Produktion des "IIPM - International Institute of Political Murder"
Regie: Milo Rau
Terrassensaal Haus der Kunst
Ich bedanke mich für alles (UA)
Eine Produktion von O-Team mit dem Theaterhaus Jena.
Regie: Samuel Hof
Shall we dance (UA)
Home Made Ensemble Tel Aviv
Regie: Abigail Rubin / Yoav Bartel
Arabboy
Münchner Volkstheater
Regie: Abdullah Karaca
Die Glasmenagerie
Schauspiel Köln
Regie: Sebastian Kreyer
Seit zwei Jahren weitet die Jury des Regienachwuchs-Festivals seinen Blick über die deutschsprachigen Grenzen. In diesem Jahr sind zwei israelische Abende dabei: Shall we dance und Mein Jerusalem – A Performance by Sabine Sauber vom Leben mit und in der Kunst. Hier zur nachtkritik der Gastspiele.
Das Festival findet vom 19. April bis 26. April 2013 im Münchner Volkstheater statt. Der Auswahljury gehörten in diesem Jahr der Chefdramaturg des Münchner Volkstheaters und Festivalleiter Kilian Engels, der Theaterkritiker C. Bernd Sucher und die Schauspielerin Annette Paulmann an.
Per Doppelpass durch die Erinnerung
von Michael Stadler
München, 27. April 2012. Der eine ist freundlich, etwas überdreht, trägt ein weißes Trikot und spielt mit einem Fußball herum. Der andere legt hippe Musik auf, trägt ein rotes Trikot und wird die Leitung des Abends übernehmen. Fordert den aufgekratzten Spieler auf, seinen Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Der eine, der Kaugummi-Kauer, ist der Vater. Der andere, der Moderator, ist sein Sohn.
Wie ein Fähnchen im Wind
von Michael Stadler
München, 22. April 2012. Hosen runter, Wunden zeigen. Wer Konsul werden will, der muss seinem Volk auch was zum Bestaunen bieten. Das weiß die Mama von Coriolanus. Auch wenn ihm die Blöße peinlich ist, muss der Kriegsheld die Selbstdarstellung in Unterwäsche durchstehen, muss akzeptieren, dass andere mit ihm kurzzeitig auf dem Podest stehen, so Leute aus dem Volk, die dem Patrizier eigentlich ein Dorn im Auge sind. Dann bekommt er aber das Amt, singt seiner Erzeugerin einen ungarischen Schlager, woraufhin die ein "The winner takes it all" anstimmt. Das Muttersöhnchen gewinnt erst mal und meint auf Anfrage, jaja, er habe da ein schönes kleines Programm. Was das beinhaltet, sagt er nicht. Jetzt ist er ja erst mal Konsul von Rom. Da habt ihr's.
Radikal jung in München 2012
vom 21. bis 29. April 2012 am Münchner Volkstheater
Im Archiv von nachtkritik.de finden Sie Nachtkritiken zu einzelnen Aufführungen sowie Lexikon-Einträge zu einigen der Regisseure von "Radikal jung" 2012.
Hier der Spielplan mit Links zu den Nachtkritiken:
Rocco und seine Brüder nach dem Film von Luchino Visconti
Nachtkritik vom 5. Mai 2011
Regie: Antú Romero Nunes
Maxim Gorki Theater Berlin
Große Bühne, 21. April, 19:30 Uhr
Korijolánusz nach William Shakespeare Tragödie "Coriolanus"
Nachtkritik vom 22. April 2012
Regie: Csaba Polgár
HOPPart Company Budapest
Theater Gut Nederling, 22. April, 20 Uhr, 23. April, 18 und 21 Uhr
Hate Radio. Reenactment einer Sendung des Völkermordradios RTLM von Milo Rau
Nachtkritik vom 1. Dezember 2011
Regie: Milo Rau
IIPM- International Institut of Political Murder, Berlin Zürich
Große Bühne, 23. April und 24. April, jeweils 18 und 21 Uhr
Faust von Johann Wolfgang von Goethe
Nachtkritik vom 24. November 2011
Regie: Moritz Schönecker
Theaterhaus Jena
Große Bühne, 25. April, 19:30 Uhr
Tschick, Fassung von Robert Koall nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf
Nachtkritik vom 19. November 2011
Regie: Jan Gehler
Staatsschauspiel Dresden
Große Bühne, 26. April, 19:30 Uhr
This is my dad von Ilay den Boer
Nachtkritik vom 27. April 2012
Regie: Ilay den Boer
Het Huis van Bourgondië Maastricht
Große Bühne, 27. April, 19:30 Uhr
Felix Krull nach dem Roman von Thomas Mann
Nachtkritik vom 17. Juni 2011
Regie: Bastian Kraft
Münchner Volkstheater
Kleine Bühne, 26. April, 27. April, 28. April und 29. April, jeweils 20 Uhr
Der große Gatsby nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald
Nachtkritik vom 10. November 2011
Regie: Christopher Rüping
Schauspiel Frankfurt
Große Bühne, 29. April, 19:30 Uhr
Der Auswahl-Jury von "Radikal jung" gehören der Festivalleiter und Chefdramaturg des Münchner Volkstheaters Kilian Engels, der Theaterkritiker C. Bernd Sucher und die Schauspielerin Annette Paulmann von den Münchner Kammerspielen an.
Zu folgenden der eingeladenen Regisseure finden Sie Lexikoneinträge auf nachtkritik.de: Antú Romero Nunes, Milo Rau und Bastian Kraft.
Berichte von den letztjährigen Ausgaben des Festivals finden Sie im Lexikoneintrag: Radikal jung
Ego-Implosionen
von Steffen Becker
München, 14. April 2011. Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Es ist kein Zufall, dass diese Frage zum geflügelten Wort der Populärphilosophie wurde. Drei Inszenierungen, Gastpiele aus Belgrad, Brüssel und London, des Festivals Radikal jung am Münchner Volkstheater, zu dem erstmals auch junge ausländische Regisseure eingeladen sind, beschäftigen sich mit dem Phänomen unklarer Persönlichkeiten.
von Georg Kasch
München, 16. April 2010. Und der Preis geht an ... Romanadaptionen. Beim "radikal jung"-Festival am Münchner Volkstheater zeigten die Hälfte der acht Produktionen epische Stoffe: frei von Formzwängen und virtuos in der Wahl theatraler Mittel, um ihre Geschichten zu erzählen - nicht nur die Siegerproduktion, Bastian Krafts Adaption eines Romanfragments von Franz Kafka "Amerika".
radikal jung München 2010
vom 9. bis 16. April 2010 am Münchner Volkstheater
Im Archiv von nachtkritik.de finden Sie Nachtkritiken zu einzelnen Aufführungen sowie Glossar-Einträge zu einigen der RegisseurInnen von radikal jung 2010.
Die auf dem Festival gezeigten Inszenierungen wurden von einer dreiköpfigen Jury aus 40 gesichteten Arbeiten ausgewählt. Diese besteht aus dem Festivalleiter und Chefdramaturgen des Münchner Volkstheaters Kilian Engels, dem Theaterkritiker C. Bernd Sucher und der Schauspielerin Annette Paulmann von den Münchner Kammerspielen.
Erklärtes Ziel des Festivals ist es, so die Pressemitteilung, "die neue Generation der Theatermacher im deutschsprachigen Raum zu fördern, ihre thematischen und ästhetischen Vorlieben aufzuzeigen und sowohl einem Fachpublikum als auch einer breiten Öffentlichkeit Perspektiven einer möglichen Theaterlandschaft von morgen aufzuzeigen". Den diesjährigen Publikumspreis gewann Bastian Kraft. Ein kommentierendes Festival-Roundup hat Georg Kasch geschrieben.
Hier der Spielplan mit den Links zu den Nachtkritiken:
9. April – Hedda Gabler von Henrik Ibsen, Regie: Alice Buddeberg (Schauspiel Frankfurt)
10. April – Der Geisterseher von Friedrich Schiller, Regie: Antú Romero Nunes (Maxim Gorki Theater Berlin)
11. April – Ernst ist das Leben (Bunbury) von Oscar Wilde, Regie: Anna Bergmann (Thalia Theater Hamburg)
12./13. April – Amerika nach Franz Kafka, Regie: Bastian Kraft (Thalia Theater Hamburg)
12./13. April – Himmelangst von Daniela Dröscher, Regie: Lilli-Hannah Hoepner (Schauspielhaus Bochum)
14./15. April – Im Pelz von Katharina Schmitt, Regie: Johannes Schmit (Schauspiel Leipzig)
15./16. April – Eros nach Helmut Krausser, Regie: Christine Eder (Münchner Volkstheater)
16. April – Romeo und Julia von William Shakespeare, Regie: Simon Solberg (Staatsschauspiel Dresden)
www.muenchner-volkstheater.de/RadikalJung
Hier lesen Sie einen Bericht über radikal jung 2009.
Schwitzen, Spielen, in Abgründe schauen
von Sabine Leucht
München, 24. April 2009. Man könnte jetzt meckern, weil unter den acht bis neun Inszenierungen, die die Festival-Jury um den Chefdramaturgen des Münchner Volkstheaters seit 2005 einlädt, immer etwa zwei extrem verzichtbar sind. Dass sich aber kaum zehn Leute einig sein dürften, welche Inszenierungen dies sind, das ist schon die erste Stärke von "Radikal Jung". Kilian Engels, die Schauspielerin Annette Paulmann und der Kritiker C. Bernd Sucher blättern alljährlich mit schönster Zuverlässigkeit ein breites Spektrum von Zugriffen und Themen einem heterogenen Publikum hin.