Verdammt noch mal Menschenleben retten!
von Cornelia Fiedler
Düsseldorf | Online, 1. Oktober 2020. Wir sind's, das Nerd- und Streber*innen-Team: Auf dem Schulhof hätte keine*r mit uns gespielt, weil wir mit unserer Klugscheißerei genervt hätten, was wir wiederum mit einer altklugen Bemerkung über Massenpsychologie und Faschismus kommentiert hätten, wofür wir dann endgültig aufs Maul bekommen hätten… Aber wir sind ja unter uns, Hannes, Fabian und ich. Also dürfen wir ruhig mal angeben: Heroische 90 Minuten anstatt der vom Game-Theater-Kollektiv machina eX veranschlagten 120 Minuten – und der Fall ist gelöst: Game Over, level accomplished, zack feddich.
Nacht der Kannibalen
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 11. September 2019. Wenn ganz am Ende von Claudia Bosses Inszenierung das Licht verlischt, legt sich eine bedrückende Schwärze über die weitläufigen Räume der "Botschaft". Das ehemalige Kino war schon mehrfach Schauplatz für vom Forum Freies Theater (FFT) produzierte Inszenierungen. Die Finsternis verschluckt nun also das Publikum ebenso wie die Performerinnen und Performer. Die Körper der Zuschauenden und die Körper der Spielenden bilden für einen kurzen Moment eine Gemeinschaft, aus der es kein Entrinnen gibt.
Die Kunst des Diebstahls
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 25. Januar 2018. Die Zeiten der "Animal Farm" sind längst vorüber. George Orwells Allegorie auf den Terror Stalins und den letztendlich zwangsläufigen Verfall der Ideale der Oktoberrevolution hat ihre Dringlichkeit verloren. Mit dem Ende des Kalten Krieges ist sie zu einem historischen Dokument geworden. Die Tiere, die sich in Orwells düsterer Vision gegen den Bauern Jones aufgelehnt und ihn vertrieben haben, sind seit langem tot. Insofern ist es nur konsequent, dass zu Beginn von Felix Ensslins Fortschreibung der Animal Farm mit anderen Mitteln die Enkel der Orwellschen Tiere die Bühne betreten. Man kehrt zurück und will doch etwas ganz anderes machen.
Spiel mir das Lied von der Macht
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 2. Juli 2016. Der leere Barhocker fällt sofort ins Auge. Nur drei Menschen, eine Frau und zwei Männer, haben sich auf der Bühne versammelt. Aber der bildende Künstler und Autor Stephan Kaluza hat in seiner Eigenschaft als Regisseur und Bühnenbildner dieser Uraufführung vier schwarze Hocker jeweils in einigem Abstand voneinander aufgereiht. Einer von ihnen bleibt die ganze Zeit über frei und erzählt so auf ganz unspektakuläre Weise von einem zerstörerischen Machtgefälle. Die, die mit ihren Taten das Schicksal der Yanomami ohnehin bereits bestimmt haben, bleiben ein weiteres Mal unter sich.
Der Witz der Melancholie
von Stefan Keim
Düsseldorf, 23. April 2016. Eine Stimme quäkt aus dem Lautsprecher. Wie ein Mantra wiederholt sie, dass Gott das "Ende von der Welt" kenne und man sich deshalb mit ihm gut stellen sollte. Kornelius Heidebrecht sitzt am Klavier und schlägt zunächst stimmlose Tasten an. Die speichert er als Loop im Computer, spielt den Rhythmus ab und improvisiert dazu Akkorde und Melodiefetzen. Die anderen kommen dazu, nehmen sich Instrumente, steigen ein. So entsteht die Ouvertüre des Theaterkonzerts "Wenn ich was hören will, muss ich aufs Dach".
Wir vom Stamme Kains
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 12. April 1015. Am Ende von Charles Baudelaires "Abel et Caïn", das Teil dieses wild wuchernden Abends ist, liegt alle Hoffnung auf dem Stamme Kains. Der gezeichnete Brudermörder und seine Nachkommen sind die, die vielleicht noch etwas verändern könnten, von denen einmal der ersehnte Aufruhr ausgehen könnte: "Kains Stamm, zum Himmel steige und auf die Erde schleudre Gott!"
Kannibalistischer Akt
von Martin Krumbholz
Düsseldorf, 25. September 2014. Wer diesen ungewöhnlichen, anspruchsvollen und gegen Ende sich suggestiv steigernden Abend beobachtet und zu beschreiben versucht, dem stellt sich die Frage, ob er tatsächlich – der übliche Vorgang beim Schreiben einer Kritik – eine Art Hierarchie konstruieren soll in der Konfrontation mit einer Arbeit, die gerade das nicht tut und deren Thema letztlich die Entgrenzung ist, also die Vermeidung jeder Festlegung auf einen geographischen oder weltanschaulichen Ort.
In der perfekten Welt
von Martin Krumbholz
Düsseldorf, 13. September 2014. Einerlei. Schade, dass es dieses Wort nicht mehr gibt, das so viel schöner klingt als "egal" oder "gleichgültig". Dostojewskis "Lächerlicher Mensch" benutzt es oft, ihm ist vieles einerlei, obwohl ihm gar nichts gleichgültig ist. Einerlei ist ihm, dass die anderen ihn lächerlich oder gar verrückt finden, was ja einer Beförderung gleichkäme. Mehr noch, ihm ist selbst am besten bewusst, dass er lächerlich ist. In Wahrheit ist er natürlich – wie sein Autor – ein Moralist. Er verzweifelt am Zustand der Welt und möchte sich erschießen. Den Revolver hat er bereits gekauft und auch schon geladen. Bevor er zur Tat schreitet, träumt er einen Traum, in dem die Frage untersucht wird, ob die Menschen schön und glücklich sein können, ohne die Fähigkeit einzubüßen, in dieser Welt zu existieren.
Auf der Flucht
von Dorothea Marcus
Düsseldorf, 12. März 2014. Er wird einfach nicht grün. Ich sitze vor einem Knopf und drücke ihn, sobald er rot leuchtet, damit ein anderer Knopf Grün anzeigt und meine Arbeitsschicht beendet. Kurz drücken? Schnell? Lang, verzögert, abgehackt? Gefühlte zwanzig Minuten vermüllt diese Fragestellung meinen Kopf, während ich nur von fern die Endlos-Loops, Passwort-Geschreie, das gehetzte Brüllen der Mitspieler, die angezählten Stunden bis zur Grenzschließung höre. Ich kann mich aber nicht darauf konzentrieren, sonst verpasse ich das rote Licht und mithin die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen und weiterzukommen. Ich muss auch noch drüber schreiben! Stress. Und dann schließt die gouvernantenhaft grausame Fabrikaufseherin in grauem Anzug, die allein mir Geld auszahlen kann, einfach so die Fabrik – und meine stupide Geschäftigkeit zerplatzt in einem Nichts aus Sinnlosigkeit.
Von der Kunst im Angesicht der Katastrophe
von Sascha Westphal
Düsseldorf, 12. September 2013. Es riecht nach Erde und Pflanzen. Die Natur hat sich zurückgeholt, was ihr eigentlich schon immer gehörte, und die Zivilisation einfach überwuchert. So war es in den ukrainischen und weißrussischen Gebieten, die nach dem katastrophalen Reaktorunfall in Tschernobyl am 26. April 1986 evakuiert werden mussten; und so ist es nun auch auf der Bühne des FFT Juta.
Spiel's nochmal, Jonny
von Martin Krumbholz
Düsseldorf, 20. September 2012. Als der englische Neurologe John Langdon-Down im 19. Jahrhundert Menschen mit der angeborenen Gehirnkrankheit, die man heute das "Down-Syndrom" nennt, "mongoloid" taufte, also "mongolenähnlich", wollte er, wer weiß, vielleicht einen Scherz machen. Mediziner haben manchmal einen grimmigen Humor. Jedenfalls hat jene Bezeichnung sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein erhalten, bevor sie durch den offiziellen Begriff "Down-Syndrom" ersetzt wurde.
Jonah im Bauch der Schaltzentrale
von Dina Netz
Düsseldorf, 23. Februar 2012. Das Trio Marlin de Haan, Axel von Ernst und Julia Klomfaß hatte die Latte hoch gehängt: Die Thermodynamik hat es in den Titel ihrer neuen Arbeit am Forum Freies Theater Düsseldorf geschafft, deren vier Sätze wohl keiner der Zuschauer parat hat. Macht aber nichts, es reicht zu wissen, dass es dabei irgendwie um Wärme, Energie und Unordnung geht.
Es dröhnt die Tonspur, es zucken die Silben
Von Regine Müller
Düsseldorf, 24. November 2010. Himmelblaue Samtvorhänge rahmen die Bühne und den Zuschauerraum ein. Neonlampen werfen kaltes Licht in eine Ödnis, die an realsozialistische Multifunktionsräume erinnert. Die Bühne ist leer bis auf ein paar sehr kleine Lautsprecher, im Zuschauerraum sind die Sitzreihen abgebaut, auf den übrig gebliebenen Stufen liegen dünne Sitzkissen, auf denen man mehr hockt als sitzt. An der rechten Seite der Tribüne fehlen die kargen Polster, um eine Gasse für die Darsteller zu bilden.