Zwischen Mahnern und Mullahs

von Claudius Lünstedt

Berlin, 20. Februar 2008. Auf der diesjährigen Berlinale beflügelte der Dokumentarfilm Football Under Cover von David Assmann und Ayat Najafi Publikum und Kritik: eine Kreuzberger Frauenfußballmannschaft hatte es sich in den Kopf gesetzt, nach Teheran zu reisen und dort gegen die iranische Frauennationalmannschaft zu spielen. Nach irrwitzigen Mühen kommt die Begegnung tatsächlich zustande – die Teams trennen sich eins zu eins unentschieden. Assmann und Najafi hatten die iranischen Behörden überrumpelt und viel dafür getan, dass aus diesem geschundenen Land endlich einmal gerechtere Bilder zu sehen sind.

Nicht immer nur die Minderheit religiöser Fanatiker, sondern eine repräsentative Masse singender und tanzender Zuschauerinnen, die mahnenden Sittenwächterinnen trotzen. Auch das Berliner Ensemble ist nach Teheran gereist. Claus Peymanns Inszenierung von Brechts "Mutter Courage" war zum alljährlichen Fadjr-Festival geladen und hat prompt den Hauptpreis eingeheimst.

Markige Gutmenschensätze

Die Freude hierzulande ist jedoch – gelinde gesagt – bescheiden. Im Berliner Tagesspiegel waren markige Sätze zu lesen, die Rede ist von Künstlern, die mit dem Teufel paktierten, und am Ende mahnte ein erhobener Zeigefinger, wer "die Mullahs" mit Theater entzücke, statt ihre Repressalien zu geißeln, sende falsche Signale. Sicherlich hätte es die Gutmenschenseele des Kommentators beruhigt, hätten Peymann und sein Ensemble kurz bevor der Lappen hoch geht, schnell ein paar mahnende Worte ans Publikum gerichtet, zum Beispiel gesagt, wie leid ihnen die tagtäglichen Menschenrechtsverletzungen tun – ach, das Mitleid wäre so schön gewesen, und ganz sicher hätte der Tagesspiegel Hochachtung vor der "Geste" gehabt und den Auftritt gelobt.

Das internationale Fadjr-Festival in Teheran entzückt ein breites Publikum, ganz und gar nicht jedoch, wie der Tagesspiegel falsch vermutet, das Regime. Jahr für Jahr setzen die Behörden alles daran, nur harm- bis belanglose Inszenierungen durchzuwinken, das, was im weitesten Sinn "verdächtig" scheint, hat so gut wie keine Chance, ins Programm zu gelangen. So wurden im letzten Jahr sämtliche Gastspielvorschläge des Goethe-Instituts abgeschmettert, es blieb beim ewigen Dauergast Roberto Ciulli, der, iranerfahren, quasi ein Dauerbillet gelöst hat.

Theaterbesessene Mullahs

Entzückt wäre das Regime vermutlich nur gewesen, hätte das Berliner Ensemble seine Reise abgesagt, denn dann hätte es eine seiner paranoiden Sorgen um Spionage weniger gehabt. Noch wahrscheinlicher aber ist, dass ein Fernbleiben schlicht Gleichgültigkeit hervor gerufen hätte – ein Achsel zuckendes "na und?" Allein enttäuschend wäre der fehlende Programmpunkt für die begeisterungsfähigen iranischen Zuschauer gewesen, unter die sich ganz sicher auch theaterbesessene Mullahs mischten – man kann es nicht oft genug schreiben: es gibt nicht "die" (bösen) Mullahs, sondern ebensolche, die ihr Land reformieren möchten und sich sogar für einen säkularen Staat einsetzen.

Das Gastspiel des Berliner Ensembles hat folglich nicht das Regime unterstützt, sondern das Publikum der Kulturnation Iran. Es bedankte sich mit sage und schreibe 20 Minuten Applaus, ja, den Teheranern liegt ihr Festival, trotz derzeit schwacher Jahrgänge, sehr am Herzen – alle Vorstellungen sind überbucht, die Inszenierungen immer Gesprächsstoff. Claus Peymann und dem Berliner Ensemble ist der Erfolg in Iran zu gönnen, und doch bleibt ein fader Geschmack.

Lechzen nach Austausch und Information

Zwar ist es gut und richtig, dass sich deutsche Theater auch weiterhin auf dem Fadjr-Festival präsentieren und es mit am Leben erhalten, doch macht die Auswahl deutscher Produktionen verschnupft, um so mehr, wenn man weiß, wie sehr iranische Theatermacher nach Europa schielen, nach Inspiration und Meinungsaustausch lechzen. In einem Land, dessen Bevölkerung wenig Geld zur Verfügung hat, und Auslandsreisen selten sind, haben Gastspiele Ereignischarakter – sie erlauben, einen Blick aufs Fremde zu werfen, bieten die Chance, ins Gespräch zu kommen, Vorurteile und Klischees auf beiden Seiten abzubauen.

Dabei ist es gut zu wissen, dass die iranische Bevölkerung keineswegs hinter ihrem Präsidenten steht, nein, sie lehnt ihn mehrheitlich ab und hat ihn ja letztlich nicht einmal legitimiert. An den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, bei denen der Wähler keine Wahl hat, da die meisten (reformorientierten) Kandidaten aussortiert werden, nimmt längst nur mehr eine Minderheit teil. Per Zensur verbotene Filme verbreiten sich in Teheran rasend schnell auf dem DVD-Schwarzmarkt an jeder Ecke der Innenstadt – Theater aber braucht nun mal die Aufführung, und dazu muss ein Ensemble eben einreisen.

Um interessante Stücke betrogen

Mehrmals wurde ich im letzten Jahr während eines langen Iran-Aufenthalts jedoch von skeptischen Studenten befragt, ob Roberto Ciulli denn wirklich das zeitgenössische deutsche Theater verkörpere? Nein, musste ich antworten und hatte das Gefühl, das Teheraner Publikum werde Jahr für Jahr aufs Neue um die interessantesten Stücke der deutschen Saison betrogen. Und die gleiche Frage dürfte man sich schließlich auch in diesem Jahr wieder stellen: ist Claus Peymanns Inszenierung der Mutter Courage repräsentativ für das aktuelle Theatergeschehen im Jahr 2008? Wohl eher nicht.

Zum Fadjr-Festival eingeladene Inszenierungen zeigen eben nur Theater, das dem iranischen Auswahlgremium möglichst unbedenklich erscheint. Alles wird per Video vorgesichtet, erst dann folgt das Urteil – Daumen hoch oder runter. Leider gibt es kaum Hoffnung, dass sich die Stückauswahl etwa im nächsten Jahr flexibler gestalten wird, und exakt das ist das (einzige) Problem, weshalb sich eine Einladung zum Fadjr-Festival in theaterästhetischer Hinsicht derzeit sogar auch als Beleidigung verstehen ließe.

 

Der Dramatiker Claudius Lünstedt wurde 1973 geboren und studierte Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Im Januar 2008 kam im Rahmen von "Deutschlandsaga – die 70er Jahre" an der Berliner Schaubühne das Kurzstück "Freiburg" von ihm heraus. In Teheran war er bislang insgesamt fünf Mal, zuletzt von März bis Juni 2007.

 

Stimmen zum BE-Gastspiel in Teheran und zum Theater im Iran

Während im Berliner Tagesspiegel (15.2.2008) Malte Lehming schwere Geschütze auffuhr, und das Gastspiel des Berliner Ensembles im Iran als "erbärmlichen Auftritt" kritisierte, Katrin Bettina Müller in der taz (16.2.2008) die Sache auf eine leichtere, nämlich auf die Theaterwaffen-Schulter nimmt - dabei allerdings auch interessante Details darüber mitteilt, wie das Ensemble mit den zensierten Stellen umging - hat das Mutter Courage-Ensemble in Teheran beim 26. Fadjr-Theaterfestival in Teheran den Preis für die beste Aufführung gewonnen, wie das Berliner Ensemble gerade meldet. Stehende Ovationen für die wackere Carmen-Maja Antoni, drei ausverkaufte Vorstellungen für fast 5.000 Zuschauer – Claus Peymann dürfte zufrieden sein.

Auf youtube sind im Kulturzeit-Bericht zum Thema BE im Iran Bilder und Töne von vor Ort zu sehen (wobei der Kommentator Peymanns Namen, der auch ein iranischer Männervorname ist, merkwürdigerweise immer persisch ausspricht). Und auf rp-online (der online-Seite der Rheinischen Post aus Düsseldorf) findet sich ein lesenswertes Interview mit Kulturaustauschpionier Roberto Ciulli – nicht zum BE-Gastspiel, sondern zu einem eigenen Gastspiel mit dem Theater an der Ruhr in Teheran im Januar 2007. Hingewiesen sei auch auf die Erfahrungen, die nachtkritik-Mitarbeiterin Dorothea Marcus sowie Navid Kermani mit Gastspielen (des Theaters an der Ruhr) in Iran gemacht haben – (Dorothea Marcus war in den Jahren 2006 und 2005 selbst im Iran). Der Orientalist und Schriftsteller Kermani ging im Rahmen seiner Tutzinger Rede zur Zukunft des Goethe-Instituts im Juni 2006 darauf ein.

 

Kommentare  
Zu Lünstedts BE-Plädoyer: Iraner brauchen Kontakt
Für mich als Iranerin scheint es so, dass es in der Mode ist, sich gegen Iran zu zeigen. Das ist irgendwie schick und intellektuell. Überall wurde Iran in Medien nur mit Politik Überblick gezeigt, und habe ich in Deutschland kaum über Nation und Kultur gehört. Iraner versuchen trotz des Wunsches der Regierung sich in Kontakt mit der Welt zu halten, und Fadjr-Festival ist ein Beispiel dafür.

Das Vorurteil des Tagesspiegels beleidigt das Publikum in Iran vor allem. Die Regierung interessiert sich überhaupt nicht.
Zu Lünstedts BE-Plädoyer: Frontmacher & Dialogverweigerer
Das ist der erste vernünftige Text, den ich zu diesem Thema lese. Und er ist nicht nur vernünftig, sondern auch differenziert und gut recherchiert (was ja offensichtlich IN DEN PRINTMEDIEN, also im QUALITÄTSJOURNALISMUS, der ja NUR IN DEN PRINTMEDIEN stattfindet, keine Selbstverständlichkeit ist).
Was denken sich die ewigen Frontmacher und Dialogverweigerer eigentlich? Dass das Regime im Iran vor Wut zittert, wenn das Berliner Ensemble NICHT nach Teheran reist? Der Boykott des deutschsprachigen Theaters würde das Iran-Regime etwa so hart treffen wie die deutsche Bundesregierung ein Streik der österreichischen Fakultäten für vorderasiatische Altertumskunde. Wenn Theater etwas bewirken will, muss es sich zeigen - ob im Iran oder wo auch immer.
Zu Lünstedt: mikeska:plus:blendwerk war auch in Teheran
mit ein bisschen recherche wäre claudius lünstedt aufgefallen, dass wir mit unser schweizerisch-deutschen produktion "Rashomon::TRUTH LIES NEXT DOOR" ebenfalls am diesjährigen fajr festival aufgetreten sind - und dies jenseits des wohlgelittenen grooves von ciulli oder peymann. die auszeichnung für sascha gersak als besten schauspieler des festivals war denn auch als politisches statement der internationalen jury zu verstehen, eine produktion hervorzuheben, die eine unmittelbare begegnung mit einzelnen zuschauern gesucht und gefunden hat. weitere informationen zu unserem gastspiel und seinen kulturellen und politischen rahmenbedingungen unter dominic@blendwerk.ch
zu Lünstedt: mehr "Humanical Correctness"!
Ich bin auch der Meinung, dass hier offener Dialog weiter bringt als Verweigerung und Absage.
Heute könnte man leicht zu der Erkenntnis kommen,
"Journalismus sei ein Irrtum der Evolution", so absurd
erscheint das "Schreiben um des Schreibens willen" mancher "Journalisten"! Mit wenigen Aunahmen...!!! Aber gut recherchierte und dialektisch analysierte Artikel sind rar geworden in Deutschland! Herr Peymann zeigt Haltung, wie auch schon in seinem Angebot, Christian Klar eine Praktikantenstelle im BE an zu bieten. Immer dieser erhobene Zeigefinger nach "Political Correctness" - Herz und Verstand einsetzen - "Humanical Correctness" und nicht immer zum Egon Erwin Kisch Preis schielen !
zu Lünstedt: die Peymanns unserer Gesellschaft_2.0
Es ist schon aberwitzig, daß es jetzt ausgerechnet die Peymannclaquere sind, die dem gegenerischen Lager (oho! Lagerdenken!) "political correctness" und "Gutmenschentum" vorwerfen. Das muß man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen! Gerade die Peymanns unserer Gesellschaft_2.0 sind es doch, die sich mit ihrem abgehalfterten Antiamerikanismus immer gerne in der Rolle des radikalen Außenseiters gefallen. Dabei ist es vornehmlich dieser unausgegorene, altlinke Salonsozialismus, der mittlerweile aus der breiten Mitte der Gesellschaft daherkommt. Was Peymann in seiner Eitelkeit und Beschränktheit über den Äther sendet, ist weder "rar geworden", noch Zeugnis von "Haltung", sondern schlichtweg dumm und Ausdruck peinlicher Wichtigtuerei.
Leute, die Ahmadinedschad zum Kotzen finden und sich nicht, wie C.P., zum nützlichen Idioten eines solchen Verbrechers machen lassen, als "Gutmenschen" zu bezeichnen, grenzt schon an fortgeschrittenen Irrsinn. Aber mit "Dialektik" läßt sich ja bekanntlich alles schönreden. Hoch die internationale Solidarität! Rabulistiker aller Länder vereinigt euch!
Zu Lünstedt: An Karl A. Marx – immer nur tönen!
zu karl arschs kommentar: peymann macht was, wo andere nur tönen! einer der nur tönt ist herr marx-a. die politsch korreten sehe ich heute in denen, die immer dagegen sind, wenn auch nur das wort "iran" fällt. da liebe ich die "gutmenschen", die einfach zu differenzieren wissen. die also wissen, das das gute nicht nur und ausschließlich bei einem selbst sein kann und umgekehrt: das böse bei dem anderen. herrn marx-a. rate ich, dass er seinen text nochmal durchliest. vielleicht fällt ihm da was auf.
an irrig äurig: es geht um Peymanns altlinke Salonparolen
Sehr geerhter Herr "irrig äurig", ich weiß zwar nicht genau wovon Sie sprechen, aber ich spreche von Herrn Peymann als öffentlicher Person, die politische Äußerungen macht; nicht von Herrn P. als Regisseur/Künstler etc. (darüber mögen die Kritiker und Zuschauer urteilen). Seine Äußerungen (Stichwort:"tönen") sind vollständig undifferenziert, ohne jegliche Substanz, dumm und in jeder Hinsicht Ausdruck ressentimentgeladener, erstarrter, altlinker Salonparolen. Welche Äußerungen? Alle. Beispiele? Zu viele: 11.September, USA, C.Klar, bla,bla,bla... Dass er mit seinem Theater irgendwelche Gastspiele sonstwohin macht, geht mir ehrlich gesagt am Arsch vorbei. Er kann von mir aus Gastspiele dahin machen, wo der Pfeffer wächst. Unangenehm ist einzig die affige, rhetorisch-propagandistische Verpackung. Im übrigen kann selbst Herr P. vermutlich auf solche "Fürsprecher" wie Sie verzichten, würde er sich selber wohl kaum als "Gutmensch" oder "politisch korrekt" bezeichnen lassen wollen. Und noch mal für die ganz Doofen: Peymann hat ja selber zugegeben, daß es ihm letztlich nur um PR und Aufmerksamkeit geht (zu lesen in einem Interview, mit einer von echten Terroristen, in einem echten Flugzeug entführten echten Stewardess).
Dennoch vielen Dank, daß Sie mit Ihrer Antwort meinen ersten Beitrag voll und ganz bestätigt haben. Undifferenzierte sozialistische Grüße!
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