Als wir noch arm waren

von Brigitta Niederhauser

Ballenberg, 8. Juli 2015. Ballenberg, das ist die Bühne, auf der die Regisseurinnen schwere Schuhe tragen, wenn sie sich beim Schlussapplaus vor dem Publikum verbeugen. Schwere Schuhe spielen auch in den meisten Produktionen eine gewichtige Rolle. Sie erden all die Figuren, die das Landschaftstheater Ballenberg in den letzten 20 Jahren zu einer der wichtigsten und beliebtesten Laientheatergruppen der Schweiz gemacht haben. So schwer wie die Schuhe ist nämlich meist auch das Leben der Heldinnen und Helden der Inszenierungen von Schweizer Stoffen, die auf dem Weiler oberhalb von Brienz im Berner Oberland gezeigt werden.

Tellerwäscher-Mythos auf schweizerisch

Es sind meist Schicksale aus einer Zeit, als die Schweiz noch kein reicher Dienstleistungsstaat war, als viele Menschen arm waren, ob sie nun ihr Auskommen in der Landwirtschaft oder in den ersten Industriebetrieben fanden. Eine Zeit, die aller Gesellschaftsforschung zum Trotz noch immer gern verklärt wird. Heuer kommt auf dem Ballenberg "Ueli der Knecht" zu seinem großen Auftritt. Dass bereits vor der Premiere längst alle Vorstellungen ausverkauft sind, liegt an Uelis Autor Jeremias Gotthelf, dessen Romane sich intensiv mit der bäuerlichen Welt auseinandersetzen und zu den beliebtesten Stoffen der Berner Freilichttheaterszene gehören. Der Pfarrer aus dem Emmental, der eigentlich Albert Bitzius hieß (1797-1854), hielt aber nicht nur seinen Schäfchen den Spiegel vor, er war auch ein Meister der Charakterisierung: So groß wie seine Sprachgewalt ist, so psychologisch fein gezeichnet sind die einzelnen Figuren.

Ueli1 560 MarkusFlueck uBernhard Schneider als Ueli © Markus Flück

Sein wohl bekanntester und beliebtester Held ist Ueli der Knecht. Auf mehr als 400 Seiten schildert der Entwicklungsroman "Wie Ueli der Knecht glücklich wird", wie auch ein einfacher, vom Schicksal wenig begünstigter Kerl zum Schmied seines Glücks werden kann – wenn da noch einer ist, der tüchtig in die Esse bläst. Uelis umsichtiger Meister sorgt nämlich dafür, dass das Feuer immer heiß genug bleibt.

In ihrer gut 90-minütigen Inszenierung in Ballenberg, zu der der Schriftsteller Tim Krohn aus Gotthelfs Text Dialoge collagiert hat, setzen die Regisseurinnen Renate Adam und Regina Wurster auf eine schlichte holzschnittartige Bilderwelt. Dass dies trotz des komplexen, umfangreichen Stoffs funktioniert, liegt vor allem an der Ensembleleistung. Nur der Hauptdarsteller, Bernhard Schneider, hat eine professionelle Ausbildung absolviert, doch die 36 Laiendarstellerinnen und -darsteller – von den Kindern bis zu den alten Frauen – fügen sich mit ihrem ungekünstelten Spiel alle gekonnt ins prächtige Bühnenbild.

Das Schweiz der Volkspartei

Vor einem Bauernhaus aus Gotthelfs Zeiten spielt die Geschichte, und der Mist ist so echt wie die langen Zöpfe der jungen Frauen. Exemplarisch wird da Uelis Reifeprozess vorgeführt, gar vielen Prüfungen wird der elternlose junge Mann ausgesetzt, und längst nicht alle besteht er. Dem Saufen kann er so wenig widerstehen wie dem Weibervolk, das ihm gern schöne Augen macht. Doch sein Meister lässt ihn nicht fallen, nur aufrappeln, das muss sich der Ueli immer selber, und ohne blauen Flecken kommt er dabei nicht weg. Handfest wird da geprügelt, gezankt und charmiert, unterlegt von der mal lüpfigen, mal melancholischen Musik von Ben Jeger. Wie lebende Bilder wirken die einzelnen Szenen, die alle an Gemälde von Albert Anker gemahnen und in der lauen Sommernacht das Publikum verzaubern.

Nicht von ungefähr gehört denn auch Christoph Blocher, der große Anker-Sammler, Milliardär und Mastermind der Schweizerischen Volkspartei, zu den Hauptsponsoren des Landschaftstheaters Ballenberg. Seine Partei, die am rechten Rand politisiert und sich für eine Abschottung der Schweiz gegen die EU und Ausländer stark macht, beschwört gern eine heile währschafte Schweiz und beruft sich dabei auf die Mythen von einst.

Ballenberg ist ein Synonym für diese Schweiz geworden. Denn das Freilichtmuseum, in dem das Landschaftstheater stattfindet, ist eine Ansammlung von über 100 alten Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden aus der ganzen Schweiz, die Neubauten weichen mussten. Sie alle wurden zerlegt und auf dem Ballenberg wieder aufgebaut und originalgetreu eingerichtet. Ihrer Funktion beraubt, werden sie nun nur noch bestaunt. Vom Butterfass über den Bettinhalt bis zum Rauchküche ist ihre Ausstattung heute so perfekt, wie sie es wohl nie gewesen ist, als sie noch bewohnt wurden. Ein potekimsches Dorf ist der Ballenberg und Wallfahrtsort für ein Idyll Schweiz, wie es nie existiert hat.

Ueli der Knecht
von Jeremias Gotthelf
Bühnenfassung Tim Krohn
Regie: Renate Adam, Regina Wurster, Musik: Ben Jeger.
Mit: Bernhard Schneider und 36 Laiendarstellerinnen und –darstellern.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.landschaftstheater-ballenberg.ch

 

Kritikenrundschau

Der Autor Tim Krohn lasse in seiner Fassung von "Ueli der Knecht" "den Prediger und Moralisten Gotthelf aussen vor. Er verzichtet auch auf die eine oder andere Gewalteskalation", schreibt Svend Peternell in der Berner Zeitung (10.7.2015). Dafür fokussiere Krohn "auf den Entwicklungsweg des verführbaren Ueli, der gerade in Liebesdingen kurvenreich verläuft, in beruflicher Kompetenz aber zunehmend an Profil gewinnt. Bernhard Schneider, der einzige Profidarsteller, kriegt diesen Wankelmut und Wandel mit allen Wellenfahrten und Abstürzen bis hin zum wahren Durchglühen der Liebe mit aufgekratzter Verschlagenheit und Mutterwitz überzeugend hin." Dass aber Schalk und Komik "so lebensnah rüberkommmen und auch viel Anrührendes spürbar wird", sei "einmal mehr den 36 mitwirkenden Laiendarstellern zu verdanken".

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