Lachen über Pegida

von Georg Kasch

Berlin, 25. Oktober 2015. "We are the others", sagt Frank Willens zum Schluss, wir sind die Anderen. "Ich weiß, es klingt pathetisch." Stimmt. Es sieht auch so aus: Da haben sich die Schauspieler auf der Schaubühnen-Bühne längst in ihre Prinzessinnengarten-Oase mit transportablen Tomatenpflanzen, Erbsen und Möhren zurückgezogen, singen Sufjan Stevens und feiern ihre Individualität.

Soll das jetzt tatsächlich der Gegenentwurf sein zu den besorgten Bürgern, Pegidisten und AfDlern, die in den zwei Stunden zuvor als Zombies über die Bühne geisterten? Der Rückzug ins Unpolitische? In eine diffuse Wohlfühl-Welt? Ist das eine ironische Volte Falk Richters oder nur ein Eingeständnis seines Scheiterns? "FEAR" heißt Richters neue Stückentwicklung: Es geht um die Angst der "besorgten Bürger" und Bildungsplangegner vor dem Fremden und Diffusen. Und auch ein klein bisschen um unsere Angst vor ihnen.

Abstürzen aus der Zivilisation

Der Text wirkt, als hätte sich der Autor, angespornt vom Erfolg seines Rants in Small Town Boy, den Thomas Wodianka sich so überzeugend überzog, jetzt ganz auf die satirisch zugespitzte Wutrede verlegt. Seine Textfläche mit wenigen Alibi-Dialogen hat er auf fünf Schauspieler und drei Tänzer aufgeteilt, die sich auf die Reise ins Herz der Finsternis machen, nach Dunkeldeutschland, wo die Zombies wohnen. Während elektronische Musik in Endlosschleifen pulsiert, stellen die Schauspieler Pappkameraden auf, kleben die Gesichter von Eva Herrmann, Beatrix von Storch und Birgit Kelle drauf und auf die kühle Podest- und Steglandschaft, mit der Katrin Hoffmann die hintere Bühne füllt, Protestslogans wie "Abendland in Christenhand".

Fear1 560 Arno Declair uDiese rechten Freaks lassen wir nicht in unseren Gemeinschaftsgarten! © Arno Declair

Während die Tänzer Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Jaw zusammen mit einigen Schauspielern die Bühne als Parkourlandschaft ausmessen, zuweilen sich heftig verkrampfen und über die Bühne geschleudert werden wie von einer fremden, bösen Macht, bleiben die Schauspieler meist Sprachrohr. Das ist durchaus unterhaltsam, wenn Alina Stiegler mit blonder Langhaarperücke und im blauen Glitzerfummel unter Ganzkörpereinsatz als eine wirre Mischung all der rechten Horror-Frauen ihre Weltverschwulungstheorien vom Balkon herabbellt. Wenn Kay Bartholomäus Schulze über sein Wundern darüber, was mit den Menschen im Osten in den letzten 25 Jahren passiert ist, selbst gegen Flüchtlinge zu hetzen beginnt – der Firnis der Zivilisation ist dünn. Wenn alle das Leben der Beatrix von Storch als Horror-Klamauk nachspielen.

Dokument der Ratlosigkeit

Die Schauspieler wirken allesamt angenehm befreit in dieser Stemann-haften Nummernrevue, wobei Revue es auch inhaltlich trifft: Zu oft reiht sich das Naheliegende aneinander. Keine Analyse, nirgends, stattdessen halbgares Kabarett, nahezu ungefiltert aus den Nachrichten überführt. Ist das wirklich alles, was Falk Richter zum Thema eingefallen ist? Da hat man bei der "Heute Show" und der "Anstalt" mehr gelacht und mehr gelernt. Kurz wird einmal sein ewiges Thema, die (Un-)Fähigkeit zu lieben, angerissen. Aber was ist mit den soziopolitischen Bedingungen für Pegida und die AfD? Mit den wirtschaftlichen Hintergründen, die die frustrierten Ossis und die Abstiegsangst der Mittelschicht erst ermöglichen? Warum wird Heinz Bude im Programmheft zitiert, werden seine Thesen aber für die Bühne nicht fruchtbar gemacht? Warum wird Heiner Müller als Schutzheiliger der (Ost-)Intellektuellen angerufen, aber als Autor nicht genutzt? Einmal zitiert Richter Müllers Diktum von Woyzeck als "offener Wunde" – da hätte man doch was draus machen können!

Letztlich ist "FEAR" ein Dokument der Hilf- und Ratlosigkeit. Wie blass das alles bleibt, merkt man immer dann, wenn Original-Stimmen der Wutbürger und Pegidisten eingespielt und rhythmisch gesampelt werden zum Farb- und Trommeldröhnen. Der hysterische Egoismus, der einem da entgegenschwappt, der diffuse Nationalstolz, die dummdreiste Wut der Zukurzgekommenen, ist so viel vitaler und damit so viel erschreckender als alles, was sonst in "FEAR" passiert. Es ist leicht, das Fratzenhafte dieser Menschen zu vergröbern, bis es sich über die Freaks lachen lässt – gerade auch, um die eigene Angst überschaubar zu halten. Das allerdings passt wunderbar zu jener linksintellektuellen Blase, als die sich der Glaskasten mit Marken-Laptop und Zimmerpflanzen interpretieren lässt, in den sich die Protagonisten regelmäßig zurückziehen. Wenn das die Mehrheitsheitsreaktion in Deutschland ist auf Kelle und Co, na dann gute Nacht.

FEAR
von Falk Richter
Uraufführung
Text, Regie und Choreographie: Falk Richter (Choreographie in Zusammenarbeit mit Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Yaw), Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Daniela Selig, Musik: Malte Beckenbach, Video: Bjørn Melhus, Dramaturgie: Nils Haarmann, Licht: Carsten Sander.
Mit: Bernardo Arias Porras, Denis Kuhnert, Lise Risom Olsen, Kay Bartholomäus Schulze, Alina Stiegler, Tilman Strauß, Frank Willens, Jakob Yaw.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Kritikenrundschau

Falk Richter sorge dafür, "dass die Zuschauer dort abgeholt werden, wo sie vermutlich stehen", schreibt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (28.10.2015). Man schaue aus der Perspektive eines Großstadt-Hipsters und Urban Gardeners auf "die seltsamen Typen, die sich montags auf dem Dresdener Theaterplatz versammeln", so Meiborg. "Der Blickwinkel mag ehrlich sein. Erkenntnisfördernd ist er nicht." Unbequeme Fragen würden nicht gestellt. "Zum Beispiel, ob die Spaltung der Gesellschaft nicht auch mit der Arroganz des links-bürgerlichen Milieus zu tun hat." Stattdessen gebe es an diesem Abend "ein Wellness-Programm an Selbstvergewisserung: die Nazis, das sind die anderen."

Richter werde in dieser Inszenierung "überraschend konkret", setze reale Akteure in den Fokus und ergründe die Angst hinter Hass und Fremdenfeindlichkeit, schreibt Katharina Röben in der Welt (27.10.2015). Die erste Hälfte von "Fear" verharre in einer exakten Bestandsaufnahme – "aktuell, rhythmisch, bekannt". In dem Moment, in dem eine Antwort, ein Ausblick notwendig wäre, verfalle die Inszenierung "ins Slapstickhafte mit Hippietum im Urban-Gardening-Paradies und Massen von Neonröhren". So werde das dramatische Potenzial der AfD-Politikerin Beatrix von Storch ergründet. "Das liefert zwar keine Antworten, ist aber herrlich komisch, albern und performativ."

"'Fear' ist eine Revue der Verstörung, auf linke Orientierung ist vom Theater derzeit nicht zu hoffen", sagt Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (26.10.2015) und hat "eine Nummernfolge voller Monologe" gesehen, "ein Theater der heftigen allergischen Reaktionen und Phobien".

Manchmal wirke "Fear" "auch nur wie die platte Selbstbestätigung der moralischen Überlegenheit (…) für sich und ein ohnehin einverständiges Publikum", schreibt Peter von Becker im Tagesspiegel (27.10.2015). Mitunter aber brächen Zweifel auf, "Verzweiflung oder, in Songs und einem Paradiesgärtlein à la Ökolaube, naive Gegensehnsüchte: nach Stille, Frieden, Schönheit". Vielleicht, so von Becker, könne "Fear" noch zu einem Work in Progress werden. "Scheitern, furchtlos besser scheitern."

"Gegendemo mit Windmaschine in der Schaubühne: Falk Richters aktuell-politische Horror-Collage" lautet die Unterzeile der Kritik von Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (27.10.2015) iund FR-Online (26.10.2015). Auf der Bühne eine Angriffslust, die mit der Inbetriebnahme eines 2.300-Watt-Laubbläsers angemessenen Ausdruck finde. Spätestens seit "Small Town Boy“ wisse man, dass der unermüdliche Gesellschaftskritiker Richter einiges an Geduld eingebüßt und das subventionierte Theater "als Ort für unzimperliche Gegendemonstrationen entdeckt hat". Fazit: "Großer Applaus. Erleichtert zustimmend? Dankbar für den Spiegelblickschreck? Vielleicht können sich einige Zuschauer auch wegen des geweckten Muts und der wiedergefundenen Angriffslust kaum halten. Gut wär’s."

"Nicht viel mehr als unterhaltenden Alarmismus" hat dagegen Astrid Kaminski gesehen und schreibt in der taz (27.10.2015): Der tiefe Griff in die Zitatekiste von Pegida, AfD komme nicht viel weiter als "engagiert dümmliche Positionierungen der Lächerlichkeit zu überführen, fundamentalistische Panikmache zu exzerpieren und mit dramatischen Beats zu unterlegen".

"Eine Materialsammlung, ein Flickenteppich, der unter Überdruck nach einer Haltung, nach einer Verbindlichkeit sucht, die er nicht findet", so beschreibt André Mumot "Fear" auf Deutschlandradio Kultur (25.10.2015). Die Inszenierung sei wohl "das Zeugnis eines Schocks, vielleicht auch der verspäteten, naiven Erkenntnis, dass all das tatsächlich stattfindet in Deutschland, dass dieser Hass tatsächlich existiert und etwas mehr als Handgreifliches hat". Falk Richter mache aus alledem keinen runden Theaterabend, sondern "eine wilde, wirre Gegenrede". Subtil sei das nicht, so Mumot, "aber immer wieder auf mitreißende Weise ehrlich".

In einem nachgereichten Artikel in der Welt (6.11.2015) bezichtigt Matthias Matussek die Inszenierung des geistigen Brandstiftertums. Matussek beginnt mit seinem Lieblingsthema, mit sich selbst. Die Inszenierung bietet ihm dazu Anlass, weil Falk Richter sein, also Matusseks, Bild unter den Bildern der einschlägigen "Rechten" zeigt. Matussek schreibt als einer, der sich dumm stellt und beschreibt sehr schön, wie die Differenzierung, die die Inszenierung angeblich für die Guten einfordert, den "hässlichen Frauen" von rechts, der ganzen "Mischpoke aus NSU-Mörderinnen und Katholiken und AfD-Wählern und Pegidas und Fremdenfeinden undsoweiter" verweigert wird. Die seien für die Inszenierer nur: "Alles braune Soße." Angesichts der sonstigen Bullerbühaftigkeit auf der Bühne macht sich Matussek weidlich lustig über Kunst und Künstler und entdeckt schließlich sein Konterfei "zwischen lauter NPD-Wahlplakaten in dieser Dia-Show links auf der Bühne" Findet sich vorteilhaft getroffen und findet, dass er ansonsten unter die "hässlichen Frauen" gar nicht passe. Matusseks Fazit: "Man müsste über diesen weithin als missglückt besprochenen Theaterunfug nicht viel Worte verlieren, wenn dieses helle Deutschland ... nicht diese zischelnden Flammenwörter hervorschießen ließe, wenn da nicht vom 'Schuss zwischen die Augen' gesprochen werde, von 'wegmachen' und 'unter die Erde bringen'. Und wenn nicht "wenige Tage nach der Uraufführung des Stückes" das Auto von Beatrix von Storchs "niedergebrannt" worden wäre, und "kurz darauf ein Anschlag auf das Firmengelände von Hedwig von Beverfoerdes Ehemann" verübt worden wäre, zu dem sich "die Antifa" bekannt habe.

 

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