Ein letztes Glas im Sitzen

von Andreas Schnell

Osnabrück, 19. Dezember 2015. Die alten Entertainer sagen, nichts sei so schwer wie leichte Unterhaltung. Noch schwerer ist es, wenn die Bedingungen so ungünstig sind wie bei der Premiere von "Das Abschiedsdinner" in Osnabrück. Weniger, weil die wegen einer Erkrankung des Schauspielers Oliver Meskendahl um eine Woche verschoben wurde, weshalb es nichts mit der deutsprachigen Erstaufführung des neuen Stücks von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière wurde – die fand am vergangenen Sonntag in Karlsruhe statt. Zu allem Überfluss entpuppte sich Meskendahls Unpässlichkeit als so hartnäckig, dass er auch eine Woche später nicht spielen konnte, weshalb Tilman Meyn übernahm, der gerade einmal eine Woche Zeit hatte, sich die Rolle anzueignen. Keine kleine Leistung, zumal er den größten Part übernehmen musste.

Eskalation der bürgerlichen Psychologie

Dabei kommt es bei Stücken wie dem "Abschiedsdinner", der neuen Komödie der beiden Autoren, die mit "Der Vorname" einen veritablen Kassenschlager schrieben, natürlich nicht zuletzt auf exaktes Timing an, auf ein gut eingespieltes Ensemble. Was in Osnabrück ein bisschen dauerte. Erst gegen Ende hatten sich die drei Spieler aufeinander eingeschossen, nahm das Geschehen Tempo auf. Es könnte sich deshalb lohnen, noch einmal hinzuschauen, wenn sich alles zurechtgeruckelt hat. Denn eigentlich hat "Das Abschiedsdinner" – lässt man sich nicht davon abschrecken, dass in Henning Bocks Inszenierung keine Spur ist vom sogenannten Regietheater, von, sagen wir, Politik, von ästhetischen Experimenten – durchaus etwas zu bieten. Eskalieren doch Delaporte und de la Patellière einmal mehr mit subtiler Garstigkeit die Psychologie souveräner Bürgerlichkeit hinter der Komödienoberfläche.

abschiedsdinner 560 MaikReishaus uMartin Schwartengräber, Tilman Meyn, Stephanie Schadeweg © Maik Reishaus

Es lässt sich an den Fingern einer Hand abzählen, dass angesichts der gesellschaftlichen Verpflichtungen von Weihnachten bis zur Bar Mizwa, die im Bekannten- und Kollegenkreis so anfallen, sich das eine oder andere optimieren ließe. Nerven nicht manche Freunde eher, als dass man ihre Gegenwart genießt? Pierre Lecoeur meint: "Wenn ein Baum wachsen soll, muss man die toten Äste abschneiden." Ein Bekannter von Pierre hat aus diesem Grund das Abschiedsdinner erfunden, mit dem man sich lästig gewordener Freunde elegant entledigen kann. Der zu Verabschiedende wird ein letztes Mal bewirtet, mit viel Tschingderassabum, einem Wein aus dem Geburtsjahr des zukünftigen Ex-Freundes, dessen Lieblingsmusik und anderen Reminiszenzen an bessere Zeiten. Hernach meldet man sich einfach nicht mehr.

Stoff für Schadenfreude

In unserem Fall trifft es Antoine, einen alten Freund von Pierre und dessen Frau Clotilde, die Antoine eigentlich noch nie mochte. Pierre, eher der Pantoffelheld der Ehe, muss mitspielen, hatte er doch vorgeschlagen, diesen Weg der Verabschiedung zu etablieren. Dummerweise hat auch Antoine schon vom Konzept des Abschiedsdinners gehört und kommt den beiden auf die Schliche. Und wenn die Maske der Konvention fällt, wird es bekanntlich für uns Zuschauer amüsant. Das hat das Autorenduo auch diesmal wieder ganz hübsch angerichtet. Wie schon "Der Vorname" beschert dieses Stück seinem Personal unkittbare Risse im Gefüge und dem Publikum damit ausreichend Stoff für Schadenfreude.

Henning Bock und sein Ausstatter Martin Kukulies verzichten auf jegliche Bemühungen der Verfremdung, gespielt wird in einem schlicht eleganten Wohnzimmer-Setting mit Strukturtapete, und das Ensemble wird einigermaßen präzis naturalistisch geführt. Der entscheidungsschwache Pierre ist bei Tilman Meyn womöglich etwas fahriger als er sein sollte, Martin Schwartengräber ist genau der tatsächlich reichlich anstrengende Kumpel von einst, der jeden zweiten seiner Sätze mit der Formel "Ich weiß nicht, ob du weißt..." eröffnet und sich gern selbst zuhört. Stephanie Schadweg als Clotilde könnte die Hosen, die sie in ihrer Ehe trägt, etwas offensiver zeigen. Fest steht: Das letzte Wort ist über dieses "Abschiedsdinner" noch nicht gesprochen.

Das Abschiedsdinner
von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, Übersetzung: Georg Holzer
Regie: Henning Bock, Bühne und Kostüme: Martin Kukulies, Dramaturgie: Maria Schneider, Elisabeth Zimmermann.
Mit: Timan Meyn / Oliver Meskendahl, Stephanie Schadeweg, Martin Schwartengräber.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater-osnabrueck.de

 

Kritikenrundschau

Das "so temperamentvolle wie versierte Händchen nicht nur für aberwitzige Komödien" des Regisseurs Henning Bock habe Osnabrück ja schon so manche Schauspieler-Sternstunde beschert, schreibt Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (21.12.2015). Weniger wichtig, was in dem Stück "an eher läppischen Gesellschaftsspielchen, schön eklig bis gehässigem Kleider- und Rollentausch und anderen komödientypischen Enthüllungen" geschehe: "Es ist alles letztlich amüsant, weil gut gespielt und inszeniert und verteidigt so mit Fug und Recht den Platz der gehobenen Boulevardkomödie im Spielplan."

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