Szenen eines Attentats

von Veronika Krenn

Wien, 4. August 2017. Ein Frontalangriff auf sich vergnügende Menschen wie in Paris 2015 oder ein gezielt homophobes Attentat auf die queere Community? Auf einem provisorischen Podium mit roten Lederstühlen erhitzt sich Performer Robert Jackson, der seine körpersprachliche Beredtheit der eingespielten Stimme des britische Guardian-Journalisten Owen Jones leiht. Bei einer Sky-News-Sendung im Juni 2016, anlässlich des Orlando-Attentats, verließ dieser die Diskussion vorzeitig. Er sah dem homophoben Aspekt der Gewalttat zu wenig Raum gegeben. Aus performativen Dokumenten wie dem Owen Jones-Reenactment gestaltet Christine Gaigg bei Impulstanz Wien ein Bühnenessay zu Homophobie und queerer Kultur, in dem sie als Conferencier nacheinander durch vier verschiedenen (Spiel-)Situationen führt.

49 Tote und 53 Verletzte – das war die aufrüttelnde Bilanz im Nachtclub Pulse in Orlando, Florida vom 12. Juni 2016. In dem Club, der Treffpunkt einer Community von LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) war, kam es zu einem der folgenschwersten Attentate in den USA seit dem 11. September 2001. Der Attentäter selbst sei IS-Sympathisant und, so Meinungen aus seinem Umfeld, homosexuell gewesen. Christine Gaiggs Performance "Clash" nähert sich dem Attentat über Reenactments von Performances und Filmszenen an, die Einblick in homosexuelles Selbstverständnis von Persönlichkeiten geben, die die Gay-Community geprägt haben.

Voguing und Selbstgeißelung

Robert Jackson, der Darsteller von Owen Jones, springt vom Podium, um das sich das Publikum auf dem Boden niedergelassen hat. Bei einem Anschlag auf eine Synagoge wäre ja wohl auch von einem antisemitischen Anschlag die Rede, versucht er die Besucher*innen zu einer Stellungnahme zu bewegen. Die jedoch weichen erschreckt zurück oder schweigen betreten. Gaigg bittet Richtung Technikpult um Musik und verweist nun auf Jenny Livingstons Dokumentarfilm "Paris is Burning" aus dem Jahr 1990, der das Voguing – ein tänzelndes Schreiten über den Laufsteg, das Verkörpern möglichst glamouröser Personae – im Mainstream bekannt machte. Der Film zeigt Ball-Szenen in Harlem, wo Juroren Drag-Darbietungen bewerten. Max Fossati und Juliane Werner, die zuvor das Podium mit Robert Jackson geteilt hatten und, mit getauschten Gender-Rollen, die anderen Diskussions-Teilnehmer*innen performten, tanzen sich, queer posierend, an die am Boden sitzenden Zuschauer*innen heran.

ChristineGaigg "Clash" © Karolina MiernikSediert und selbstgefesselt: Max Fossati in Christine Gaiggs "Clash" © Karolina Miernik

Hinter eine seitlich offene, kreisförmige Holzwand in der Bühnenmitte, das nur mit der allernötigsten Ausstattung angedeutete "Wohnzimmer von Jack Smith", führt Christine Gaigg nun das Publikum. Smith, ein Pionier des Underground Cinema, gilt als einer der ersten Vertreter queerer Ästhetik. Gaigg erklärt, dass er Performances zur Selbsterfahrung nutzte. Max Fossati stellt den sich selbst mit Stricken, Klebebändern und Heimwerker-Utensilien geißelnden Künstler sediert von allerhand psychoaktiven Substanzen dar. Es handle sich bei dem Reenactment um seine Performance "What underground about marshmallows", so Gaigg. Im Vierfüßlerstand, mit herausgestrecktem Allerwertesten, verkündet er mit bleischwerer Zunge, kaum verständlich, eigentlich wolle er "nicht von Älteren gefickt" werden. Die ersten Zuschauer haben inzwischen verstohlen den Raum verlassen.

Predigen von Sittlichkeit und Sodomie

Eine Stimme wird nun hinter der Holzwand hörbar, von Robert Jackson, der – wie wir erfahren – Roy Cohn darstellt, den Anwalt und Vertrauten von Joseph McCharthy. Dieser bestimmte in den 1950er-Jahren mit antikommunistischen Verschwörungstheorien das politische, auch homophob aufgeladene Klima. Später sei er auch für Donald Trump tätig gewesen, so Gaigg. Aus derselben Generation der Gay-Community wie Jack Smith, habe er seine sexuelle Identität verleugnet. Cohn spricht von konservativen Familienwerten, prangert unterwandernde homosexuelle Moralvorstellungen an, die ein Angriff auf die amerikanischen Sitten seien. Das ist das Stichwort, um zurückzukehren zu Jack Smith, der diese Sitten ignoriert. Gaigg gibt Einblick in das ambivalente Verhältnis von Smith zu seinem Publikum, er hasse, aber brauche es und quäle es mit ausufernden Performances.

Christine Gaigg "Clash" © Karolina MiernikWählt Sittlichkeit statt seiner sexuellen Identität: Robert Jackson in Christine Gaiggs "Clash" © Karolina Miernik

Noch während sich Max Fossati als Jack Smith auf dem Boden wälzt, erhebt Juliane Werner die Stimme. Sie verkündet Unglaubliches von der Kanzel: Die Opfer von Orlando seien Sodomiten und Pädophile. Sie sei enttäuscht, dass der Attentäter "seinen Job nicht ordentlich zu Ende gebracht" habe, denn die Opfer verdienten, was sie bekommen hätten. Gaigg stellt sie als einen Pastor der Verity Baptist Church in Sacramento, Kalifornien vor, der alle seine Predigten im Internet veröffentlicht. Die vorgetragenen Texte seien Teile einer tatsächlichen, 45 Minuten langen Predigt über das Orlando-Attentat.

Auf die betretene Schockstarre, die sich im Publikum breitgemacht hat, folgt nun eine finale Lesung der Namen der 49 getöteten jungen Menschen, während Christine Gaigg und ihre drei Performer*innen sich von Zuschauer zu Zuschauerin bewegen, um sie zu umarmen. Gaiggs Bühnenessay führt, über mäandernd ausufernde Stellen, die durchaus mehr Erläuterung und Einbettung in eine Gesamtdramaturgie bedurft hätten, doch noch zu einem starken Ende.

 

Clash
Konzept, Choreographie: Christine Gaigg, Raum, Licht: Philipp Harnoncourt, Sound: Florian Bogner, Peter Plessas, Dramaturgie: Wolfgang Reiter, Kostüme: Dorothea Nicolai, Produktion: Eva Trötzmüller.
Mit: Max Fossati, Christine Gaigg, Robert Jackson, Juliane Werner.
Dauer: 75 Minuten, keine Pause

www.impulstanz.at

Kommentar schreiben