Ein Denkender der Kunst

Berlin, 30. August 2017. Mit einer Gedenktafel an seinem letzten Berliner Wohnhaus wurde gestern der Theaterwissenschaftler, Publizist und Intendant Ivan Nagel geehrt. Das teilte die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa mit. Geehrt werden im Berliner Gedenktafel-Programm seit 1985 Persönlichkeiten sowie Ereignisse und Institutionen, die zur vielfältigen kulturellen, politischen oder wissenschaftlichen Bedeutung Berlins beigetragen haben.

Enthüllt wurde die Gedenktafel für Ivan Nagel in der Keithstraße 10 im Bezirk Berlin-Schöneberg von Kultursenator Klaus Lederer. In seiner Ansprache erinnerte Lederer insbesondere an das so genannte "Nagel-Gutachten": Nach der Wiedervereinigung wurde Ivan Nagel gemeinsam mit Friedrich Dieckmann, Henning Rischbieter und Michael Merschmeier berufen, ein Gutachten zur Berliner Theaterlandschaft zu erstellen. "Auf Grundlage dieses Gutachtens konnten unter anderem das Deutsche Theater, das Berliner Ensemble unter einer kollektiven Leitung und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter der neuen Leitung von Frank Castorf vor der 'Abwicklung' gerettet werden", so Klaus Lederer in seiner Rede, die nachtkritik.de vorliegt.

"Kunst als Lebensform zu begreifen und sie zum Maßstab des eigenen Schreibens zu machen" sei eine Grundüberzeugung von Ivan Nagel gewesen, schreibt der Theaterhistoriker, Dramaturg und Publizist Klaus Völker in seiner Laudatio anlässlich der Gedenktafel-Enthüllung. Nagel hielt es "für geboten, die besten Impulse und Aufbruchsenergien der Kultur- und Theatererneuerung der Jahre von 1970 bis 1989 in Erinnerung zu rufen und dem Provinziellen, allem aufkommenden moralischen und ästhetischen Kleinmut zu widersprechen", so Völker.

Ivan Nagel wurde 1931 in Budapest geboren und überlebte mit seiner jüdischen Familie den Holocaust in einem Versteck. 1948 in die Schweiz geflüchtet, studierte er Philosophie in Frankfurt, Paris und Zürich, unter anderem bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Nach dem Studium arbeitete er als Theater- und Musikkritiker. Von 1960 bis 1969 war er Chefdramaturg der Münchner Kammerspiele. 1972 bis 1979 leitete er als Intendant das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, wo er 1979 das Festival "Theater der Welt" begründete und "so verschiedene Regisseure wie Rudolf Noelte, Dieter Giesing, Claus Peymann, Werner Schroeter, Manfred Karge/Matthias Langhoff, vor allem aber Peter Zadek und Luc Bondy nebeneinander arbeiten" ließ, wie Klaus Völker schreibt. Von 1985 bis 1988 war Ivan Nagel Schauspielchef in Stuttgart. 1989 wurde er als Professor für Geschichte und Ästhetik der Darstellenden Künste an die Berliner Universität der Künste berufen.

"Intellektuelle Autorität sicherte sich Nagel durch seine anregenden Schriften zur Kunst, zum Drama und Theater", so Klaus Völker. Publiziert hat der Theatermacher unter anderem über Regisseure wie Fritz Kortner, Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Peter Stein oder Robert Wilson, Frank Castorf und Peter Sellars sowie über Mozarts Opern. Am 9. April 2012 verstarb Ivan Nagel in Berlin.

(Senatsverwaltung für Kultur und Europa / Historische Kommission zu Berlin / Laudatio Klaus Völker / eph)

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Ivan Nagel-Gedenktafel: Impulse fürs Theater
Ivan Nagel hat wie wenige andere Theorie und Praxis miteinander verbunden. Der Kritiker und der Intendant gab dem deutschen Theater ab den sechziger Jahren neue Impulse. In Syberbergs Film "Fünfter Akt, Siebte Szene. Fritz Kortner probt Kabale und Liebe" (1965) sieht man den Regisseur und seinen Dramaturgen Ivan Nagel miteinander im Gespräch, in Aktion. Ein großes Dokument der Theatergeschichte.
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