Die Money-Monologe

von Christian Muggenthaler

Regensburg, 18. Februar 2018. Irgendwann kommt er dann doch noch, dieser Satz, der zwangsläufig fallen muss: Reichtum, sagt da sinngemäß die reiche Dame, Reichtum mache allein ja auch nicht glücklich. Ein Klassiker, der stets von jenen benutzt wird, die Armut nie gekannt und Not nie erlebt haben. Die Regenbogenpresse hat diesen Satz sogar zu ihrem Geschäftsmodell erhoben. Das Stück "Vermögend", das jetzt am Stadttheater Regensburg uraufgeführt wurde und aus dem die Sentenz stammt, kompiliert die Statements von fünf deutlich überdurchschnittlich vermögenden Menschen zu einem Theaterabend über Lebenslagen, Lebenslügen, Erkenntnissen und Bekenntnissen reicher Leute. Die Autorin Gesine Schmidt, Expertin in der Verfahrensweise des Dokumentartheaters, hat dazu Interviews geführt, biografische Statements zu einer Szenenfolge zusammengeschnitten, die dramaturgisch sehr offen ist, keinen äußeren Handlungsverlauf vorgibt, nie kommentierend eingreift.

Varationen des Reichtums

Teils sind reale Figuren hinter den Bühnenfiguren erkennbar, teils sind sie anonymisiert. Zu sehen sind fünf Prototypen des Reichseins mit ihren jeweiligen Lebenswirklichkeiten, die eines verbindet: eine Reflexionsfähigkeit über die eigene Rolle in der Gesellschaft. Etwaiger Zynismus des Geldmachens kommt nur sehr am Rande vor, am ehesten in der Figur des Bankers (Michael Haake), der das längst von der Realwirtschaft abgekoppelte System der Finanzbranche von innen heraus beleuchtet. Wir sehen eine Erbin (Silke Heise), die mit ihrer Erbschaft nicht richtig klarkommt, weil das Entstammen einer vermögenden Familie keine Leistung darstellt, die materiellen Vorzug ernsthaft begründen würde – sie nutzt den Besitz natürlich trotzdem.

Vermoegend1 560 MartinKaufhold uDie Nöte der oberen Zehntausend. Franziska Sörensen, Michael Haake, Stefan Schießleder, Michael Heuberger, Silke Heise © Martin Kaufhold

Da ist die Stifterin (Franziska Sörensen), Tochter aus gutem Kaufhause mit stattlichen Weltverbesserungstendenzen, die bei all dem nicht verhüllen kann, dass sie über der Gesellschaft steht. Des Weiteren noch: ein Unternehmer (Michael Heuberger) als klassischer Selfmademan aus den 60er und 70er Jahren, dessen Karriere heute gar nicht mehr möglich wäre, und ein Unternehmersohn (Stefan Schießleder), der vom Reichtum entgegen innerfamiliärer Regeln insofern profitiert, als er ihn für ein exklusives Rennmotorbootsportlerleben nutzt. Hinter all diesen Figuren steht die Larmoyanz von Menschen, die klagen über das viele Haben: "Wenn man Geld hat, muss man sich immer rechtfertigen für das, was man sich nicht kauft oder warum man jemanden nicht einlädt", heißt es da beispielsweise.

Backstage der Ökonomie

Die zupackende Regie von Mia Constantine pumpt in diese ineinandergeflochtene Aneinanderreihung von Statements, an die überhaupt zu gelangen eine starke Recherche-Leistung ist, gezielt Dynamik und Bewegung. Über eine Filmsequenz (Video: Michael Lindner) und vom Band eingesprochene Texte kommen die Spieler nur sehr allmählich in ihren Rollen an, gewinnen auf diese Weise aber auch erkennbar Gestalt und Stärke: Sie wachsen in den Bühnenraum hinein. Auf dieser Bühne (Ausstattung: Monika Frenz), eine leicht heruntergekommene Laderampe einer Transportfirma, gewissermaßen das Backstage der Ökonomie, beginnen die Spieler zu interagieren, füllen Kartons mit – offenbar – Spendenwaren, machen Brotzeit, sind einander zugewandt, tun, was dialogisches Theater eben so tut, sprechen dann aber doch nur: Monologe. Das Miteinander ist bloße Staffage, weil diese Leben komplett aneinander vorbeigehen.

Vermoegend3 560 MartinKaufhold uReiche, arme Schlucker: Michael Haake, Stefan Schießleder © Martin Kaufhold

Die Frage ist nur: Gehen sie womöglich auch am Zuschauer vorbei? Bleibt da was hängen? Oder ist das alles doch nur ein durchaus unterhaltsames Bühnen-Äquivalent zum Diaabend mit Schnappschüssen aus dem Reichenzoo? An den Schauspielern kann dieser zwiespältige Eindruck nicht liegen; sie sind souverän, spielstark und oft auch ausgesprochen witzig. Und es werden permanent Themen angeditzt, die vorbeiflitzen wie Elritzen: Mal darf man kurz darüber nachdenken, ob eine Stiftung vermögender Menschen zu welch gutem Zweck auch immer nicht eigentlich einfach nur undemokratische Einflussnahme ist (man kann ja einer Gemeinschaft auch dadurch helfen, dass man sich nicht gegen höhere Steuern sperrt und sein Vermögen korrekt angibt). Mal wird einem Angst und bange, welch archaische Handlungsmotive die Finanzwirtschaft in ihrem inneren Betriebssystem nutzt.

Groß analysiert, bewertet, hinterfragt wird bei dieser Form des Dokumentartheaters aber eher nichts, auch nicht ein womöglich verbesserungsfähiges ökonomisches System, das hinter all diesen Biografien und seinen Schlagschatten der ungerechten Verteilung von Gütern steht. Vorgekaut und vorverdaut wird da nichts: Da darf, muss, soll das mündige Publikum dann schon selbst kauen und dauen. Nur scheint das Material zu dieser selbständigen Analyse, so vollmundig es auch daherkommt, nicht ausreichend zu sein.

 

Vermögend
von Gesine Schmidt
Regie: Mia Constantine, Bühne und Kostüme: Monika Frenz, Video: Michael Lindner, Licht: Martin Stevens, Dramaturgie: Stephanie Junge.
Mit: Michael Haake, Silke Heise, Franziska Sörensen, Michael Heuberger, Stefan Schießleder.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause.

www.theater-regensburg.de

 

Kritikenrundschau

Die "Spielanordnung" von Mia Constantin erzeuge "Fallhöhe", schreibt Peter Geiger in der Mittelbayerischen (21.2.2018). Die Zuschauer beobachteten aus "unterschiedlichen Perspektiven" die "fünf Vermögenden" bei der, leider dialoglosen, Zusammenarbeit, dem Verpacken von Hilfsgütern. Die Schauspieler*innen waren offenbar überzeugend, das Ende vom Lied bei Gesine Schmidt, die aus "O-Tönen" ein "abendfüllendes multimediales Stück" gestrickt habe: Selbst derjenige, der sich auf die "Kunst" verstehe, Geld zu verdienen, müsse nicht glücklich sein.

 

 

Kommentare  
Vermögend, Regensburg: neue Dimension
Lieber Herr Muggenthaler, sorry, aber Ihre Kritik klingt unausgeschlafen. Ich war selbst in der Uraufführung und war begeistert. Gesine Schmidts Textcollagen kreieren ein wunderbar authentisches Bild von Menschen, die von materiellen Sorgen befreit sind, mithin - nochmals sorry an alle Leser, die vielleicht von Alltagssorgen geplagt sein mögen - einen Spiegel für uns alle. Denn niemand von uns lebt existenziell bedroht, die Sinnfragen der Ultrareichen haben die westliche Allgemeinheit längst erreicht.

Aus diesem Grund wecken die auf der Bühne geäußerten Gedanken permanent Assoziationen zu eigenen Lebensfragen und den bisherigen Antworten. Dazu kommt die außerordentliche Leistung der Schauspieler, die von Schmidts transkribierten Texten auf faszinierende Weise in die Persönlichkeiten der eigentlichen Texturheber, die der ursprünglich interviewten Millionäre, verwandelt werden. Als Zuschauer erlag ich der Illusion, die eigentlichen Textschöpfer selbst auf der Bühne zu erleben.

Und hier geschah das nächste Wunder: Die in zeitlichem und räumlichen Abstand voneinander entstandenen Monologe verflochten sich zu einem tiefgründigen und oft witzigem Netz, das mich als Zuschauer über den gesamten Theaterabend gefangen nahm und nicht eine Sekunde lang aus seiner Spannung entließ.

SO geht modernes Theater: Es lässt uns eintauchen in Welten, die uns zu eigenen Gedanken anregen, zeigt uns Entwürfe und Richtungen, ohne uns gleich ein Urteil mitzuliefern. Sie, lieber Herr Muggenthal, hat das Stück offenbar kaum erreicht. Mich hat es berührt und inspiriert, mir hat es gezeigt, dass sich ein Theater auch heute noch Werte vermitteln kann ohne zu moralisieren, dass es anregen darf ohne zu belehren, und dass es den Zuschauer als Partner auf Augenhöhe akzeptieren kann, wie es Frau Schmidt als Autorin und Frau Constantine als Regisseurin und allen Schauspielern und Schauspielerinnen aufs scheinbar leichteste gelungen ist.

„Vermögend“ hat mir sogar eine neue Form des Bühnenstücks eröffnet. Dokunentartheater war mir bislang unbekannt; es stellt an die Zuschauer sowie vor allem an die Schauspieler ganz neue Ansprüche. Die Spannung zu halten ohne wirklich fassbare Dramaturgie, Interaktionen zu kreieren ohne wirkliche Dialoge, Menschen zu zeigen ohne sie zu Marionetten zu machen, das ist eine Richtung, in die sich Theater entwickeln darf und sollte. Das Stück verdient ein genaues Hinsehen. Es thematisiert nicht allein eines der Top-Probleme unserer Zeit, es zeigt auch eine neue Dimension des Theaters. Vielleicht besuchen Sie es einzweites Mal, lieber Herr Muggenthal. Den MacherInnen jedenfalls sei herzlich gedankt!
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