Fehlender Rückhalt

München, 19. März 2018. Intendant Matthias Lilienthal wird die Münchner Kammerspiele zum Ende seiner Vertragslaufzeit im Sommer 2020 verlassen. "In München ist kein Rückhalt für die Verlängerung meiner Arbeit gewährleistet, nachdem die CSU-Fraktion einen Beschluss gegen eine Vertragsverlängerung gefasst hat", wird Lilienthal in einer Presseaussendung der Kammerspiele zitiert. "Ich freue mich auf die nächsten zwei Spielzeiten mit den Münchner Kammerspielen", so Lilienthal weiter.

Matthias Lilienthal Kammerspiele 268 Sima DehganiMatthias Lilienthal © Sima Dehgani Hintergrund für die Entscheidung ist die Tatsache, dass eine Verlängerung, die demnächst angestanden hätte, aussichtlos scheint. Wie die Süddeutsche Zeitung online berichtet, hat die CSU-Stadtratsfraktion, Juniorpartner in einer Großen Koalition mit der SPD, schon vor zwei Wochen den Beschluss gefasst, Lilienthals Vertrag nicht zu verlängern. Lilienthal war noch von der vorherigen Koalition aus SPD und den Grünen nach München berufen worden. Wie die Süddeutsche Zeitung weiter berichtet, hatte sich Lilienthal erst Anfang Februar vor dem Stadtrat für die auf 63 Prozent gesunkenen Auslastungszahlen der Kammerspiele verantworten müssen.

"Mut zum Experiment"

Der Kulturreferent der Stadt München, Dr. Hans-Georg Küppers (SPD), der bei Lilienthals Berufung federführend war, bedauert dessen Entscheidung: "Die Münchner Kammerspiele sind in den letzten Jahren stark im Gespräch, auch in Bezug auf die Rolle des Stadttheaters in der Gegenwart und in der Zukunft. Wir sehen großartige Vorstellungen. Zum Beispiel haben die Arbeiten von Nicolas Stemann (Shakespeares Kaufmann von Venedig, Jelineks Wut, Tschechows Der Kirschgarten) oder David Marton (La Sonnambula, On the Road) eindrucksvoll gezeigt, wie Schauspielkunst und neue theatrale Formen zusammengeführt werden können."

Ein Theater mit Mut zum Experiment könne sich mit seinen Produktionen nie auf der sicheren Seite wähnen. "Dennoch geht das engagierte Team der Münchner Kammerspiele bewusst diesen Weg, dem leider nicht das gesamte Publikum folgt. Gleichzeitig entdecken Kulturinteressierte, die bisher nicht ins Theater gegangen sind, die neuen Formate für sich und nehmen sie an." Eine Vertragsverlängerung wäre aus Küppers Sicht sinnvoll gewesen, "um zu zeigen, dass es mehr als fünf Jahre bedarf, um die ganze Bandbreite einer wirkungsvollen Intendanz unter Beweis zu stellen."

(Münchner Kammerspiele / geka)

 

 

Presseschau zum Abgang des Intendanten Matthias Lilienthal

Als erste reagierte im Radio Susanne Burkhardt auf die Meldung vom Rückzug Lilienthals von der Intendanz der Münchner Kammerspiele. In Fazit (19.3.2018), der abendlichen Kultursendung auf Deutschlandfunk Kultur (hier zum Nachhören) sagte sie: München habe einen Intendanten gewollt, "der das Haus öffnet für ein junges Publikum, einer der das Stadttheater erneuert und so richtig aufmischt". Lilienthal mit seinem "Mix aus Ensemble-Theater, freier Szene, aus Performance und Schauspiel" sei als der Richtige erschienen. "Aber der lässige und schnodderig wirkende Lilienthal und die Stadt München – das waren von Anfang starke Gegenpole. Erfolgsrezepte, Formate und Gruppen, die im Hebbel am Ufer prima funktionieren, ließen sich offenbar nicht einfach nach München übertragen, auf ein großes Haus mit festem Ensemble und Repertoire."

Nach Bekanntwerden des Rückzugs erhob sich auf den Plattformen der Süddeutschen Zeitung ein rechtes Stimmengewirr. Zunächst kommentierte Susanne Hermanski auf SZ online (20.3.2018, 17:20 Uhr): Ohne die Stimmen der CSU könne die SPD Lilienthal nicht halten. Obwohl seine Intendanz "an den Kammerspielen eine "der raren konsequent kulturpolitischen Gesten der SPD" sei und obendrein eine "Herzensangelegenheit" des SPD-Kulturreferenten Hans-Georg Küppers. Dabei habe Lilienthal "für die Stadt und die Kammerspiele auf seine Weise Beachtliches geleistet". Er habe den gesellschaftlichen Diskurs hier so streitbar geführt, wie man es sich von "der Politik" wünschen würde. Und habe dabei "immer wieder an große, klaffende Wunden der Stadt gerührt".

Anders Christine Dössel, sie schreibt, ebenfalls auf SZ online (20.3.2018, 18:57 Uhr): Das Münchner Publikum sei nicht zu konservativ für Lilienthals Theater. Es sei "traditionell linksliberal und so neugierig, offen und theaterbegeistert wie kaum ein anderes in Deutschland". Aber es liebe Schauspielertheater, für das an den Kammerspielen "wenig Platz" sei. Lilienthal nun habe dieses Publikum "als überaltertes, weißes Stammpublikum" verachtet und hätte es als Intendant doch aber "abholen und mitnehmen" müssen. Dass "mangels Theater – und ja: auch mangels Qualität – die Zuschauer" wegblieben, sei nicht das "einzige Krisensymptom" seiner Intendanz. Auch Top-Schauspieler, der Hausregisseur und der Chefdramaturg seien gegangen oder hätten den Abschied angekündigt. In Wirklichkeit funktioniere die Übertragung der Berliner Erfahrung aus dem HAU auf die Kammerspiele nicht. Nicht das Publikum sei "stehen geblieben", sondern Lilienthal.

Wiederum anders sieht es am Tag drauf Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (21.3.2018). Nach Lilienthals Beginn sei schnell klar gewesen: "Wer sich nur von Sprechtheater im Goldrahmen ernähren will", werde hier nicht satt. "Zu viel Performance, zu wenig Schauspielkunst, zu viel Programm für Flüchtlinge und junge Leute, zu wenig für jene, die die Kammerspiele schon seit Jahrzehnten lieben". Nur ein Teil des Publikums habe sich über den Intendanten gefreut, "der sich wirklich mit der Stadt auseinandersetzt". Kein anderer Intendant sei in der Stadt so präsent wie Lilienthal. Auch bei seinen Vorgängern sei die Auslastung im zweiten Jahr nicht besser gewesen, dafür biete Lilienthal viel mehr Veranstaltungen, meine es ernst mit dem Flüchtlingstheater, unterhalte enge Beziehungen zur Freien Szene und habe außerhalb Münchens mit seiner "Kulturentwicklungsstätte" Erfolg.

Und abermals widerspricht ein anderer Kollege der Süddeutschen, Egbert Tholl (21.3.2018): Schon mit seiner ersten Produktion, "Shabbyshabby Apartments", hätten sich die Parameter von Lilienthals Kunst gezeigt. "Sie erregte Aufsehen, beruhte auf einem einzigen Gedanken, gab sich politisch, definierte den öffentlichen Raum als Bühne und benötigte keine Schauspieler." Vor allem aber habe es immer wieder an "Gedankenleistung" und "Qualität" gemangelt. Auch die Münchner Arbeiten von Nicolas Stemann und Simon Stone hätten fahrig, nicht durchdacht gewirkt. She She Pop, Philippe Quesne und Gob Squad seien weit hinter ihrem Vermögen zurückgeblieben. "Lilienthals Scheitern" beim angestammten Publikum, so nun auch Tholl anschließend an Dössel, sei "kein Scheitern der Moderne, sondern eines in der Vermittlung". Neues müsse "sich legitimieren und dabei zwingend sein".

In der Münchner Abendzeitung (online 20.3.2018, 22:42 Uhr) streiten Michael Stadler und Robert Braunmüller über den Abgang des Kammerspiele-Intendanten. Michael Stadler bedauert, weil Lilienthal die Kammerspiele "demokratisiert", sich mit "gesellschaftsrelevanten Themen" auseinandergesetzt und ein inzwischen "eingespieltes Ensemble" habe. Die Kammerspiele böten "Thementheater mit einigen schauspielerischen Glanzlichtern, kein Schauspielertheater mit gelegentlichen Themenschwerpunkten." Das Ensemble sei "voller bemerkenswerter Persönlichkeiten". "Internationale Stimmen" wie Toshiki Okada oder Amir Reza Koohestani hätten "inspiriert inszeniert". "Gewöhnungsbedürftig" bleibe, dass die Kammerspiele kein reines Sprechtheater mehr seien. Es gebe sehr viele "Gastspiele, Lesungen, Musikabende". Viele Produktionen der letzten Zeit seien gelungen.

Robert Braunmüller begrüßt Lilienthals Entscheidung. "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende." Auch im dritten Jahr sei der Besucherrückgang nicht gestoppt. Die offiziellen 63 Prozent seien "zu schwach". Die Kammer 1 sei viel zu oft leer, man rette sich "mit Lesungen, Konzerten und Filmen" und schöne mit Popkonzerten die Auslastung. Lilienthal halte das Publikum für "dimpflig", man könne aber nicht auf Dauer gegen das Publikum einer Stadt anspielen. "Berliner Hochmut". Wirklich "enthusiastische Kritiken" seien überregional nicht erschienen. Außerdem: zum Performen brauche man weder "hoch spezialisierte Schauspieler mit Jahresverträgen", noch "teure Werkstätten". Lilienthal sei "drauf und dran" einen Kunstbetrieb neoliberaler Prägung wie in den Niederlanden einzuführen. Auch als "Sozialbürgerhaus der Altstadt" seien die Kammerspiele "nicht gedacht".

Die Berliner Stimmen spekulieren naturgemäß über den weiteren Verbleib des Matthias Lilienthal. Als erster meldet sich Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (online 20.3.2018, 15:43 Uhr): Bei Lilienthals Arbeit gehe es darum, "die Ensemble- und Repertoire-Strukturen zu lockern ". Das laufe vereinfacht auf "eine Schwächung des Schauspieltheaters zugunsten der Performancekunst hinaus". – "Wir hätten ihn ganz gern wieder hier in Berlin … aber fast noch lieber hätten wir mit dem komfortablen Sicherheitsabstand noch ein bisschen weiter verfolgt, wie sein aktuelles Experiment ausgeht." Normalerweise müsste Lilienthal eigentlich nach Berlin ziehen, schätzt Seidler die Situation ein, "aber dass er die Volksbühne ein zweites Mal retten wird, ist undenkbar" [wieso eigentlich? – der Säzzer].

Rüdiger Schaper kommentiert auf tagesspiegel.de (20.3.2018, online 18:23 Uhr): Fünf Jahre Lilienthal an den Kammerspielen, "ein ausgemachter Berliner in München", das habe nicht "glattgehen" können. "Lilienthal hat andere Talente als Fingerspitzengefühl. Im Grunde hat er offen durchgezogen, was andere verdeckt machen – den Wandel des deutschen Stadttheaters zur Diskursplattform." Das müsse man nicht gut finden, aber die Alternativen seien "schwer", wie man an "vergleichbaren Häusern" sehe. "Schauspielertheater", das sei heute die Avantgarde. Und Lilienthal? "Geht es in zwei Jahren zurück nach Berlin?"

Simon Strauß schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.3.2018) ganz kurz und endet so: "Bei Lilienthals Nachfolge wäre jedenfalls darauf zu achten, dass neben der Experimentierfreude auch die Schauspielervorlieben des Publikums nicht ganz aus dem Blick geraten."

(jnm)

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Kommentare  
Lilienthal verlässt München: wer kündigt wen?
Liebes Nachtkritik-Team,

eine Nachfrage zu diesem Artikel, die Fakten scheinen mir nicht plausibel formuliert:

"In München ist kein Rückhalt für die Verlängerung meiner Arbeit gewährleistet, nachdem die CSU-Fraktion einen Beschluss gegen eine Vertragsverlängerung gefasst hat", wird Lilienthal (...) zitiert.

Dieser Abschnitt klingt, als ob man Lilienthals Vertrag nicht verlängern würde. Und später wird über Küppers gesagt, er bedauere Lilienthals Entscheidung.

Was ist denn nun der Fall? Wurde er von der CSU gegangen oder geht er selbst?

Danke für die Antwort.

(Liebe Frauke,
Küppers gehört der SPD an, die in München den Oberbürgermeister stellt, und hatte damals, als die SPD im Stadtrat noch mit den Grünen koalierte, Lilienthal geholt. Seit 2014 bildet sie im Stadtrat eine Große Koalition mit der CSU, die sagt: Eine Verlängerung (die man demnächst hätte verhandeln müssen) wird es mit uns nicht geben. Deshalb hat Lilienthal offebar die Flucht nach vorne angetreten und von sich aus eine Verlängerung ausgeschlagen.
Beste Grüße, Georg Kasch / Redaktion)
Lilienthal verlässt München: Wetten...
...dass ab jetzt etwas klarer wird, wie lange monsieur dercon noch bleibt?
Lilienthal verlässt München: Schade
Lilienthal geht.
Schade. Ich bedaure das. Obwohl ich viele Inszenierungen, den ‚Tiefen Schweb‘ etwa, auf meiner persönlichen Skala mit null Punkten verorten musste und mir bis auf ‚Hamlet‘ das meiste nicht so richtig gefallen hat, boten und bieten die Kammerspiele immerhin ein Kontrastprogramm zum Residenztheater.
‚1968‘ etwa war auch furchtbar, aber: Man kann hinterher stundenlang das Für und Wider erwägen und diskutieren und wunderbare Anschlussabende dabei haben.
Im Residenztheater dagegen sind die meisten Vorstellungen so großartig, dass hinterher alle einer Meinung sind, nämlich der meinigen und wenn man danach zum Essen geht, ist die Aufführung kein Thema mehr.

Ich persönlich brauche kein rundes Theatererlebnis, dafür habe ich Hollywood; ich finde es viel ‚spannender‘ (Lilienthals Lieblings-Vokabel), gelegentlich vor den Kopf gestoßen zu werden, peinlich berührt zu sein und intellektuell unterfordert: Kurzum, darüber einen Münchner Grant herauslassen zu können.

Laut Presse fehlten zwei Sachen: Die Abonnenten und die Kunst. Naja, Kunst ist ein weites Feld und eine Auslastungszahl von 63% ist ja so schlecht nicht. (Bei der Landtagswahl 2013 sind auch nur 63,6% der Bürger zur Wahl gegangen). Bin gespannt, wie die CSU bei der Wahl im Herbst abschneidet. Die werden sich dann sagen: Hätten wir doch den Söder besser gegen den Lilienthal ausgetauscht!
Immerhin bleibt Lilienthal noch bis 2020. Da kann ich noch viel stänkern und das steigert natürlich dann auch die Besucherzahlen; wenn das Ganze eh nicht nur ein Marketing-Gag ist, die Münchner in die Kammerspiele zu locken, nach dem Motto: ‚Echtes Theater im Restangebot: Danach wieder schicke Kunst für Leute, die schon alles haben!‘
Ab heute bin ich Lilienthal-Fan.
Lilienthal verlässt München: Medienkampagne
Die lokale Theaterkritik wird sich freuen. Hat sie Lilienthals Weggang doch seit Beginn seiner Intendanz aktiv betrieben. Die Medienkampagne gegen die Kammerspiele hat dem Haus echten Schaden zugefügt. Selbst wohlmeinendes angestammtes Publikum muß durch zwei Jahre Dauerbeschuss mit Verrissen unabhängig von der Qualität der Aufführungen verunsichert worden sein. Ganz zu schweigen von den von vornherein skeptisch eingestellten Theatergängern. Aber was kann man von der Theaterkritik der Süddeutschen schon erwarten. Dass sie den Versuch eines neuen Stadttheaters goutiert? Frau Dössel, Sie bekommen jetzt sicher bald Ihren THEATERVORHANG zurück! Dann wird es endlich wieder richtig schön!
Das Publikum ist nicht mitgegangen? Das angestammte vielleicht, das junge schon. Allein, das junge, unbequeme, andere, es hat in München keinen Platz. Diese Stadt ist fertig. Wer es bis jetzt nicht glauben wollte - das Drama um Lilienthals Kammerspiele hat es eindrücklich gezeigt.
Lilienthal verlässt München: keine Kampagne
Nur weil Journalisten eine andere Meinung haben, sollte man noch lange nicht von einer Kampagne sprechen. Das ist kindisch und überempfindlic.
Wenn umgekehrt, scheinbar Neues gegen "Altes", mithilfe 'progressiver' Journalisten durchgesetzt wird, redet auch niemand von Kampagne...
Und Jung hat auch nicht per se Recht und ist auch nicht selbstredend das 'bessere Publikum'! Wie kommt man denn darauf. Oder gibt es eine altersbedingtes Verfallsdatum bei Zusehern?
Wenn mit JUNG natürlich einfach die 'Werberelevante ' Zielgruppe gemeint sein sollte, na dann.....willkommen im Neoliberalismus.
Lilienthal verlässt München: Güte der Kunst
@ Michael Laages
Wer Matthias Lilienthals Abgang als Signal für Chris Dercon versteht, hat echt nichts begriffen. Das hat so was von einer kleinlichen Schadenfreude und Rechthaberei. Die Lage in München ist nochmal eine ganz andere als die in Berlin. Für Lilienthal ist das bedauerlich und besonders für München eine kulturelle Katastrophe. Lilienthal hat viel Pech gehabt. Schauspieler- und Regisseursabgänge und sicher auch die Auslastungszahlen werden jetzt genutzt, um einen Unliebsamen loszuwerden. Dass die SPD da kein Rückgrat zeigt und sich von der CSU in Koalitionsgeiselhaft nehmen lässt, ist ein Armutszeugnis ohne Gleichen. Die große Koalition lässt grüßen. Die Süddeutsche Zeitung spielt da sicher auch eine unrühmliche Rolle. Man kann nur hoffen, dass Matthias Lilienthal bald wieder eine Rolle in der Berliner Kulturlandschaft spielen wird, in was für einer Funktion auch immer. München ist einfach noch nicht so weit und wird es über lange Zeit wohl auch nicht sein. Chris Dercon demontiert sich an der Volksbühne höchst selbst, da muss man jetzt nichts beschwören. Über seinen Verbleib sollte die Güte der Kunst entscheiden und nicht Auslastungszahlen oder Politikerwillen.
Lilienthal verlässt München: vor Ort
Die Kammerspiele werden mit gleich zwei Produktionen zum Theatertreffen eingeladen und kurz darauf meldet Lilienthal seine Nicht-Verlängerung wegen fehlenden Rückhalts in der Stadt. Wirklich sehr schade, dass vor Ort der künstlerische Mehrwert seines Programms nicht gesehen wird. Vielleicht ähnlich wie in Berlin mit der Volksbühne...?
Lilienthal verlässt München: auf Debatten muss mehr folgen
Die Opfer-Story von der "Medienkampagne" gehört genauso zu Lilienthals Narrativ wie die Mär, dass "München" ihn nicht mag: alles Schattengefechte, die ablenken von der Tatsache, dass das Haus nie zu einer schlüssigen Dramaturgie gefunden hat, egal ob Lager hier oder Lager dort (hat er doch selbst das Lagerdenken wortstarkt befördert). Lilienthal ist gut im Debatten-Anstoßen. Das braucht "München" und es wurde tatsächlich mehr diskutiert. Die Ernüchterung kam mit der Einsicht, dass daraus zu wenig folgt: Durchlauferhitzer-Mentalität, Debatten-Marketing und Namedropping, aber keine Konsequenz und zu wenig Qualität in der Umsetzung. Hier hat Lilienthal "München" schlicht unterschätzt. Denn bereits Johan Simons hatte ein Publikum ans Haus gebunden, das sich nun intellektuell unterfordert fühlt, Beispiel 1968-Abend. Ansatz "spannend", viel Publikumsinteresse, aber der Abend verlor sich in Oberflächlichkeiten, weil wieder einmal mit zu wenig Zeit und Denke daran gefeilt wurde. "Fusion" oder "international" reicht nicht als Konzept. Und hier fehlte schlicht die Theateridee über das Statement oder die "Setzung" hinaus, trotz aller gelungenen Inszenierungen, Programmschwerpunkte und experimentelleren Ansätze, die man nach ihm sicher wieder sehr vermissen wird.
Lilienthal verlässt München: Küppers Verlogenheit
Wenn Küppers an Lilienthal glauben würde, hätte er die Möglichkeit, seine Vertragsverlängerung durchzufighten, denn genau das wäre sein Job. Dass er sich politisch nicht hinter "seinen" Intendanten stellt, aber öffentlich seinen Abschied bedauert, zeigt die Verlogenheit der Politik. Es ist diese fehlende kulturpolitische Konsequenz, die zu Sätzen führt wie in Stefans vorigem Kommentar: "München ist einfach noch nicht so weit". Auch wenn ich diese Meinung ganz und gar nicht teile (München ist nicht Hype wie Berlin und Hype funktioniert in München nur bedingt) ist es doch bedauerlich, wie wenig das große Potential experimentierfreudiger und intellektueller Publikumsschichten durch alle Generationen und Lager in Münchens Theaterlandschaft kulturpolitisch gehoben wird. Da dachte die Stadt, mit Lilienthal sparen wir uns die Ausgaben für ein freies Produktionshaus, aber nun muss sich die Kulturpolitik bald wieder einmal abgehängt fühlen.
Lilienthal verlässt München: seltsam
Die Kommentare finde ich seltsam.
Das Publikum bleibt aus und die Süddeutsche trägt Mitschuld!?
Ich gebe seit 40 Jahren in die Kammerspiele, aber so einen Verhau habe ich noch nie erlebt (bin wahrscheinlich zu alt).
Die Kammerspiele gleichen eher einem Gemischtwarenladen als einem Theater. Es gibt Vorstellungen die schon vor Spielplanveröffentlichung ausverkauft sind. Vorstellungen unter denen ich mir nichts vorstellen kann und die nur wenige Male angesetzt sind. Vorstellungen mit schlichten Erkenntnissen. Vorstellungen die trotz Thema keinen Bezug zu München herstellen (1968). Vorstellungen die nur von Kritikern und ‚geladenem‘ Publikum stattfinden (Mittelreich-Kopie, Einladung zum Theatertreffen weil die Regisseurin Newcomerin, Jung und Frau ist)

Und es gibt auch Vorstellungen die mich begeisterten.
(...)
Um das ganze Spektrum zu beurteilen und schätzen zu könnten, müsste ich quasi täglich in die Kammerspiele gehen.

Viel bieten? Darunter leidet die Qualität.
Schade für das Theater mit diesem schönen Raum in dieser schönen Stadt!
Lilienthal verlässt München: Patentschutz
@4: Darf ich schon einmal Patentschutz auf Ihren Kommentar für die Demission Chris Dercons anmelden? (dann mit folgenden Transformationen: Lilienthal > Dercon, Sueddeutsche > Berliner Zeitung, Dössel > Seidler, Kammerspiele > Volksbühne, Theatervorhang > Räuberrad, München > Berlin)
Lilienthal verlässt München: kleine Richtigstellung
Lieber Herbie,
die Theatertreffen-Jury lädt nicht die zehn bemerkenswertesten Regisseur*innen ein, sondern die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen.
Ihr Seitenhieb auf Anta Helena Recke geht also an der Sache vorbei.
Lilienthal verlässt München: zeigen, wo es langgeht?
Was ist das für ein Getue? Das Theater, das angeblich in München noch was Unbekanntes hätte sein sollen, wo hätte der Gute es denn haben wollen? Für den Ansatz, den Münchnern jetzt zu zeigen, wo es langgeht, war das Puplikum eigentlich ganz gelassen. Offensichtlich hat er trotzdem gesehen, dass "München ein Theaterwunder erlebt hat". Besser wäre es gewesen, wenn es die Anderen gesehen hätten.

So geht es bei Institutionen, ein Kommen und Gehen und immer das Neuste. Es wird schon keiner draufgezahlt haben. Beschädigt wurde vielleicht der Blick auf die Arbeit ausserhalb der Institutionen, die in denselben Theatertopf geworfen wurde. Aber so ist das Leben.
Lilienthal verlässt München: CSU nicht entscheidend
...und bevor jetzt flott legenden gerankt werden, muss doch zunächst mal gefragt werden, warum der kämpferische herr intendant es nicht drauf ankommen lässt...immerhin hat die deppen-csu gar nichts zu "entscheiden", sie hat sich nur positioniert; ob sie sich durchsetzt als kleinerer partner der münchner rathaus-koalition, steht ja dahin...
Lilienthal verlässt München: nicht begriffen
...und herr bock...begriffen haben wohl eher sie nicht, wovon ich rede. Das macht aber nix.
Lilienthal verlässt München: bitte erläutern
Sehr geehrter Herr Laages, dann werden Sie bitte mal konkret. Kann man von einem sich wissend gebenden Journalisten ja auch verlangen. Ansonsten deute ich Ihr Geraune wie oben geschrieben.
Lilienthal verlässt München: lebendiges Theater
#10, Herbie: Was haben Sie denn zuletzt gesehen? Point of no return- Hamlet- Trommeln in der Nacht- Wut- Amerika-, Nachts als die Sonne für mich schien, Mittelreich/Mittelreich-Black- oder zuletzt Die Attentäterin?
Und ja Sie haben recht, es gibt sehr viel Verschiedenes und alles gesehen zu haben ist schwierig, das ist jedoch gar nicht nötig. Schauen Sie sich das an, was Sie interessiert, nehmen Sie sich ein Gastspiel vor, das nur 2-3 Mal gezeigt wird, oder sehen Sie sich eine Stück aus dem Repertoire an. Es hängt von Ihnen ab. Jeder ist frei zu entscheiden.
Sie schreiben "Die Kammerspiele gleichen eher einem Gemischtwarenladen als einem Theater." Diese Wahrnehmung verstehe ich, mir ging es mit dem Spielplan zu Beginn nicht anders...man braucht Zeit, um sich einen Reim daraus zu machen. Doch ebenso ist das ein Spiegel unserer Zeit. Massives (mediales) Angebot, aus dem ich mir etwas ziehen kann, nicht muss. Es ist eine Einladung und jeder ist willkommen, ob schick oder in Jeans und Shirt.
Dazu stellt sich mir seit Lilienthal die Frage: was ist denn eigentlich Theater und wie erwarte ich, dass es zu sein hat? Sitze ich in einem Stück ist es MEINE Erwartung, die ich bei Nicht-Gefallen gespiegelt zu spüren bekomme, mein Verlust, den ich spüre, wenn ich ´klassisches Sprechtheater´ vermisse..es sagt etwas über mich und über meine Akzeptanz Neuem und Anderem gegenüber. Und auch teile ich nicht die Begeisterung für jedes der Stücke im Spielplan, jedoch spüre ich den Mut und die Neugier, Neues anzugehen mit grandios klugen Teams, ein Theater, das mich als Mensch erreicht und mich danach immer nachdenken lässt, und über das Gesehene diskutieren lässt. Zu so viel ist Theater fähig, wenn ihm Zeit gelassen wird und ich mir als Zuschauer die Zeit nehme, zu schauen, was macht es mit mir?
Lilienthal verlässt München: Befürchtung Gastspielbetrieb
(...)

Sicher kann ich entscheiden was ich im Spielplan anschauen will, das tu ich auch. Aber Neues um jeden Preis!?

Meine größere Befürchtung liegt bei der Gefahr, dass nur noch Gastspiele stattfinden werden und das hauseigene Ensemble abgeschafft wird (Siehe Holland und anderes).
Ich vermutete diese Richtung wird auch vom Kulturreferat verfolgt.


Soweit.
Danke für Ihre Reaktionen.
Herbie
Lilienthal verlässt München: fahl bleibt fahl
@17: General remark.

Sie schreiben "Sitze ich in einem Stück ist es MEINE Erwartung, die ich bei Nicht-Gefallen gespiegelt zu spüren bekomme, mein Verlust, den ich spüre, wenn ich ´klassisches Sprechtheater´ vermisse..es sagt etwas über mich und über meine Akzeptanz Neuem und Anderem gegenüber."

Mag alles sein, aber die (de-)konstruktivistische Zerlegung von Ablehnung kommt an ihre Grenzen, wenn meine Erwartung, dass mich ein Theater bewegt oder anregt, unterlaufen wird. Fahl bleibt fahl. Trantütig bleibt trantütig. Oberflächlich bleibt oberflächlich. Auch wenn ich meine Erwartungen fleißig reflektiere.

Das Theater kann eben nicht immer den Ball zurückspielen und behaupten: "Du hast es nur nicht verstanden." oder "Du hattest halt 'falsche' Erwartungen." Manchmal schon, aber nicht ständig. Ansonsten rudern wir im Schaum der Auflösung.
Lilienthal verlässt München: alles gesehen?
Als Münchner Theaterbegeisterter finde ich Eure ganzen Kommentare ziemlich doof. Hat einer von Euch das alles gesehen was an Aktivitäten ausserhalb des Schauspielhauses geboten wird und Ihr jetzt so groß lamentiert ?
Offensichtlich nicht, denn sonst wäre die Auslastung ja nicht so grottenschlecht....
Lilienthal verlässt München: Post vom Ensemble
Das Ensemble spricht
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=72602
Lilienthal verlässt München: Viral
Super. Muss man viral verbreiten. Raus aus der Mediathek!
Lilienthal verlässt München: Suchen und finden
@19
Ihre Bemerkung "die (de-)konstruktivistische Zerlegung von Ablehnung kommt an ihre Grenzen, wenn meine Erwartung, dass mich ein Theater bewegt oder anregt, unterlaufen wird.", ist interessant.
Sitze ich in einem Stück und bemerke ich die Ablehnung anderer Zuschauer, geht es mir vielleicht ähnlich. Doch die Entdeckung liegt doch im persönlichen Entdecken meiner selbst, nämlich: dass ich meine Erwartung entdecke, mich sollte Theater bewegen und anregen. Bekomme ich das nicht, werde ich vielleicht wütend oder sehe die Möglichkeit darin, mich zu verhalten..also die Vorstellung zu verlassen, mich darüber zu empören, dass das Theater meinen Wünschen nicht folgt und mich bewegt, dass Lilienthal mich nicht füttert in meinem Bedürfnis.
Oder ich lasse mich darauf ein und es sind immerhin die Kammerspiele, eines der besten Theater deutschlandweit, die das ´verbrechen´, wochenlang geprobt, erdacht, durchdacht und aus-probiert haben. Gelingt es mir, ihrem Versuch zu folgen..entsteht zweierlei: ich lasse meine Erwartung los, lasse mich auf das Jetzt ein und öffne mich gegenüber etwas das meine Neutralität verdient hat.

Haben Sie denn keines der genannten Stücke als´bewegend oder anregend´ empfunden? Alles nur "fahl und trantütig"? Welches, wenn ich fragen darf, haben Sie gesehen? Es interessiert mich wirklich..

Und meiner Meinung nach gibt es keine ´falsche Erwartung´. Wir haben Vorlieben und Geschmäcker und wird uns etwas genommen, das uns lieb ist, empfinden wir Verlust, bekommen wir etwas anderes vorgesetzt. Dementsprechend ist das `Neue´ Lilienthals anders, anders zu lesen, aber nicht unbedingt schlecht, nur für uns Gewohnheitstiere nicht so leicht verdaulich. Vielleicht ist die Chance dahinter Neugier zu entwickeln?

Und ja, ich finde auch, es gab ´schlechte´ Produktionen,...
Aber jeder Koch vertuts sich mal, in der Bemühung eine neues Gericht zu kreieren, manchmal passen die Zutaten nicht, manchmal gelingt es schlicht nicht, das Konzept ist nicht gut. Ganz wie es im Brief des Ensembles steht: "Das Neue ist kein Fertigprodukt, das sich bestellen und umgehend konsumieren lässt, es will gefunden werden."
Und ich vertraue diesem Haus.
Lilienthal verlässt München: allgemein angemerkt
@23: Ich hatte #19 extra mit "general remark" überschrieben. Meine Anmerkung war *allgemeiner* Natur (expressis verbis: Man kann nicht jedes Inszenierungsversagen mit einem beschränkten Publikum erklären.) und bezog sich insbesondere *nicht* auf einzelne Arbeiten der Lilienthal-Indendanz. ("Point of no return" schien mir nicht trantütig, sondern knackig, beispielsweise. "Mittelreich" hingegen schien mir eine Katastrophe. "War and Peace" schien mir fahl.)

Und - general remark - auch an "besten" Theatern entstehen miserable und mittelmäßige Arbeiten. Das ist unvermeidlich und kein Problem per se.
Lilienthal verlässt München: freudige Nachricht
Für mich war diese Meldung vom 19.3.2018 eine wirklich freudige Nachricht.
Die Kammerspiele sind ein städtisches Theater in München und für Münchner Bürger und werden hoffentlich bald wieder eins werden. Und wenn die Münchner von der Arbeit von Lilienthal und seinem Team überzeugt wären, dann sähen die (realen) Auslastungszahlen ganz anders aus. Denn nicht alle Münchner sind überaltert, ignorant oder CSU-Wähler.
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