Raus aus der Kleinbürgerhölle!

von Tobias Prüwer

Leipzig, 29. September 2018. "Mein Leipzig lob ich mir". Mit dem Kran schwebte die Leuchtschrift samt Geheimratskonterfei aufs Gebäudedach. Die Stadt hatte endlich ihre Lobhudelei in Neon wieder – auf einem Kaufhaus. Zur Imageveranstaltung im Juli setzt Schauspielintendant Enrico Lübbe nun einen mutigen Gegenpunkt. An einen hervorragend reduzierten "Faust 1" schließen sich "Faust 2" - Stadtexkursionen an, die mit Versöhnungsgeste zurück ins Haus geholt werden.

Irren auf der Scheibenwelt

Haben die Deutschen insgesamt schon eine enge Beziehung zu "ihrem" Faust, so ist das Verhältnis der Leipziger noch enger. Leipzig hat Goethe, der selbst die Stadt immer hasste, umarmt und eingemeindet. In Auerbachs Keller gibt's regelmäßig Faust – die Rockoper zu sehen. Ein Missverständnis sieht Regisseur Lübbe auch in der Geschichte der "Faust"-Interpretationen und entwirft ihn nun einmal anders. Seinem Heinrich gehen jedes faustische Forschen, jeder teutonische Tatendrang und Mannesmut ab. Er ist ein ausgebrannter Mensch, der sich fragt, ob das jetzt schon alles war. Getrieben von Sorge, Not, Mangel und Schuld lebt er dahin und will der Kleinbürgerhölle entkommen. Ach, und da steht er nun.

faust 05 560 Rolf Arnold uDie verspiegelte Scheibenwelt der Bühne von Etienne Pluss © Rolf Arnold

Versuchte Lübbes Vorgänger Sebastian Hartmann in seiner Faust-Adaption, die ausgeleierten Zitatpfade des Textes zu umgehen, indem er alle Sprache wegließ, setzt Lübbe nun ganz auf die Sprache. Aber er streicht, gruppiert neu, bettet ein und schafft verblüffend originelle Neurhythmisierungen, die Unterstützung durch einen Chor und ein bewegliches, meist leeres Bühnenbild: Im schwarzen Guckkasten ist die Drehbühne in Schräglage gestellt. Sie kreiselt oft und rampenartig kann ihr Mittelteil aufgestellt werden. Das erinnert nicht nur in der Konstruktion an Ulrich Rasches Woyzeck und Das große Heft, sondern auch die Bewegungen der Schauspieler und des Chors sind hier wie dort aufs Wandern und Marschieren ausgelegt.

So beginnt die Inszenierung mit einem beim Umherirren auf dieser Scheibenwelt strauchelnden Faust. Er trifft auf Sorge, Not, Mangel und Schuld: Diese vier Elendswesen werden ihn in Gestalt von vier Schauspielenden nicht mehr von der Seite weichen. Erst nach diesen Umweg über den letzten Akt von "Faust II" spielen sich die bekannten Szenen des ersten Tragödienteils ab. Wenn sie nicht gestrichen sind. Kein Vorspiel, kein Prolog, den Auerbachskeller braucht Lübbe schon gar nicht, der Hexentanz wird nur als lebendiges Bild einer weltlichen Orgie angedeutet.

Auch gestrichen: Mephisto

Der Stoff findet sich auf wenige Grundmotive reduziert, von denen jede Figur das ihrige einbringt. Das wird – bis auf Wagner – stimmlich vervielfacht, weil mehrere Personen die Figur geben. Faust hat seine Elendsbegleiter – die wie innere Einflüsterungen wirken. Da braucht es gar keinen Mephisto mehr als äußeren Verführer. Richtig gelesen: Der Teuflische ist auch gestrichen! Faust will ausbrechen aus quetschender Enge, aus dumpfen Gemächern und dem Druck von Giebeln und Konventionen. Er ist berauscht vom Fluchtinstinkt. Gretchen – sie wird von einem ganzen Gesangschor unterstützt – ist kein blondes Zopfmädel, sondern will selbst ausbrechen. Julia Preuß spielt sie als zarte Widerspenstige mit herbem Einschlag und brilliert mit einem fantastischen Schlussmonolog.

Der im Sprachtiming hervorragende Wenzel Bannyer ist mit seinem Faust immer dann am besten, wenn er bekannte Zeilen durch Intonisationsvariationen zerstückelt und in ihrer Bedeutung verschiebt. Die bekannte Studierstubensequenz presst er mühsam in einzelnen Konsonantenkaskaden heraus. Vokale fehlen, es zischt als ob er die slawischen Ortsnamen der Region aufsagt. Zum Schluss hängt ihm ein Geiferfaden aus dem Mund. Der Mann hat mit seinem bisherigen Leben fertig. Das ist viel großartiger, als wenn er mit viel Gestus irgendeiner okkulten Quintessenz der Welt nachspüren wollte. Genaugenommen ist das bei Goethe schon bloße Behauptung. Dieser Faust hier will leben und genießen, nicht analysieren und verstehen.

Kapitalakkumulation und Naturbeherrschung

Am gelungensten zeigt sich Lübbes kluger Umgang mit der Sprache ausgerechnet am "Osterspaziergang", den Peer Baierlein, der Komponist von 89/90, durchrhythmisiert hat. Der Text ist eine Schulszene eingebettet, wird von einer Lehrerin dirigiert, immer wieder fragmentartig im Chor aufgesagt. Dazwischen finden sich allerlei Merkverse eingestreut. "Iller, Lech, Isar, Inn, ...", "Seit das Deutsche Reich besteht, wird das Gewinde rechtsgedreht." Das schafft eine hübsche Herausstellung der goetheschen Phraseologie. So jedenfalls hat man "Vom Eise befreit" noch nicht gehört.

faust 03 560 Rolf Arnold uIntonationsvariationen der goetheschen Phraseologie auf großer Schräge © Rolf Arnold

Aber der Abend sollte ja ein "Geschenk" werden. Also freut sich zunächst der im Haus ansässige Gastronom über 45 Minuten Pause. Dann folgt ein kurzes, schlecht gespieltes Figurentheaterintermezzo von drei Pappmaché-Goethes. Dann werden Kapitalakkumulation, Menschenschöpfung und Naturbeherrschung als Themen von "Faust 2" ausgewiesen und das Publikum auf entsprechende Exkursionen geschickt. Zu wählen war aus einem – dem Vernehmen nach – Aktienhandel in der Alten Handelsbörse, einem Vortrag über Künstliche Intelligenz im anatomischen Theater. Der Kritiker wählte Tagebau und Umsiedler, das in den Katakomben des Völkerschlachtdenkmals verhandelt wurde.

Effekte und Emotionen

Ein charmant-flotter Vortrag, Hörspiel und Dokumentation von Zeitzeugen informieren über den Raubbau der Braunkohleförderung. Noch heute droht ein Dorf weggebaggert zu werden für die Technologie von gestern. Das ist tragisch, aber auch ein bisschen beliebig. Natürlich ist es klug, statt den rätselhaften "Faust 2" mit Effekten nur zu bebildern, ihn inhaltlich zu entschlüsseln. Es ging – beim Braunkohlefall jedenfalls – nicht auf. Es war zu spielerisch. Denn gewiss bleiben die Problemfelder Geldschöpfung, Raubbau an Natur und Mensch aktuell. Die Frage stellt sich ja weiterhin: "Wo bin ich Mensch, wo darf ich's sein?"

Zurück im Theater kreiselte einmal mehr die Bühne, löscht sich auf einer Videoleinwand der Faust-Text wie von Geisterhand und kehrt der Abend zum von Sorge, Not & Co. Getriebenen zurück. Der Kreis schließt sich allmählich. Schlussendlich peitscht der vom Rang und im Parkett verteilte schmetternde Gesangschor noch einmal alle Emotionen in die Höhe. Diese Unmittelbarkeit lässt keinen kalt. Schlussendlich setzt auch Lübbe auf Effekt. Es funktioniert.

 

Faust
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Enrico Lübbe, Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Sabine Blickenstorfer, Video: fettFilm, Komposition Musik & Chor: Peer Baierlein, Chorleitung: Franziska Kuba, Ustina Dubitsky, Choreographie: Stefan Haufe, Dramaturgie: Torsten Buß, Produktionsleitung Themen-Touren: Maximilian Grafe, Licht: Ralf Riechert.
Mit: Wenzel Banneyer, Julia Preuß, Tilo Krügel, Andreas Dyszewski, Thomas Braungardt, Alina-Katharin Heipe, Denis Petković, Bettina Schmidt, sowie die Student*innen des Schauspielstudio der HMT: Tobias Amoriello, Ron Helbig, Julian Kluge, Philipp Staschull, Friedrich Steinlein, Paul Trempnau, Nicole Widera, Nina Wolf.
Dauer: ca. 6 Stunden, drei Pausen

www.schauspiel-leipzig.de

 

Kritikenrundschau

Eine durchaus imponierende Zumutung, "ein Wagnis, weil eine Anstrengung mit Ansage. Fürs Darstellerensemble wie fürs Publikum", so Steffen Georgi in der Leipziger Volkszeitung (1.10.2018). Lübbe leiste eine breitgefächert chorische Aufbereitung des "Faust". "Ein Ansatz, der etwas für sich hat." "Auch dass im Chorgewusel eines mitunter recht inflationären Rauf-auf-die-Bühne-runter-von-der-Bühne Faust etwas verloren wirkt, passt." Ausgehend vom Homunculus-Motiv im "Faust II" äußern sich per Videoeinspielung auch mal Koryphäen zu Genomik, Robotik und Künstlicher Intelligenz. Fazit: "In all seiner Komplexität ist der Stoff ohnehin unmöglich adäquat auf die Bühne zu bringen. Was dann auch Lübbes Versuch zeigt. Als Wagnis, inklusive Schwächen, gelungen. So klug als wie zuvor, ist man jedenfalls auch nach diesem 'Faust'."

Lübbe inszeniere den Goethe-Klassiker wie eine Sinfonie, "Kopf- und Schlusssatz in klassischer Schauspielform umschließen dabei ein Puppenspiel und einen Themenparcours durch die Stadt", so Stefan Petraschwesky im mdr (30.9.2018). Handlung sei beiseite gewischt, "Lübbes Ansatz ist eine doppelte Motivsuche", auf der Stückebene: Wer ist Faust, wo will er hin? Auf der Dichterebene: Warum hat Goethe das geschrieben und warum gilt es als Nationalepos? "Lübbe extrahiert aus dem gesamten Text ein paar zentrale Stellen und stellt sie zunächst in kurzen Szenen, wie Motive auf die Bühne. Dann werden sie variiert, ineinander geschoben, Interferenzen erzeugen neue Klang- und Schaubilder." Für Petraschwesky eine "originelle, aktuelle, schlüssige Interpretation mit hohem Schauwert".

Faust bleibe fern-verschwommen im semantischen Halbschatten. "Er wird als Person nicht greifbar und taumelt verzweifelt-vergebens wie im Fieberdelirium durch die Retrospektive seiner Existenz", schreibt Irene Bazinger in der FAZ (4.10.2018). "Die originalen, mitunter umgestellten Szenen werden harsch gestreift, intellektuell abgestraft und rudimentär paraphrasiert." Ein paar klug gesetzte Denkanstöße kämen dabei heraus, die bei aller naturgemäßen Verkopftheit oft witzig und sinnlich gestaltet seien. "Warum nicht, 'Faust' hält auch das aus. Bloß etwas mehr Goethe, etwas mehr Drama und etwas mehr theatralische Plastizität wären dabei nicht schlecht gewesen."

Im MDR-Fernsehen (4.10.2018) berichtet Michael Marten mit vielen Bewegtbildern und Regisseur-Interviews-Schnipseln von der Premiere. Das Konzept, der Einzelne gegen die Gesellschaft, gehe auf. Der Abend verbinde "leichtfüßig hohen Anspruch mit guter Unterhaltung". Fazit: "Dieses Gewimmel sollte man sehen"

"Im 'Faust I' schlägt Intendant Lübbe mit der großen Regiepranke zu," schreibt Joachim Lange in der Mitteldeutschen Zeitung (9.10.2018). Bei dem als Chefsache behandelten Goethe-Hauptwerk handelt es sich aus Sicht dieses Kritikers um ein sechsstündiges Abenteuer, das keine Minute in Langeweile abstürzt.

 

Kommentare  
Faust, Leipzig: schade
Als Hartmann noch am Haus war, gab es unter jeder Kritik immer 50 Kommentare. Da wurde noch gestritten. Jetzt sind sich immer alle einig, dass das Stück ja "ach so genial" war und man kann sich freuen, wenn 5 Leute etwas schreiben.

Ich bin wirklich überrascht, dass es Herrn Prüwer gefällt. Hat man doch von den sechs Stunden Theater zwei Stunden mit warten zugebracht. Auch darf man nur eine der Touren sehen. Schade drum. Bestehen die Touren doch eh nur aus vorab produzierten Videos. Die hätte man auch einfach im Haus zeigen können und so jedem die Möglichkeit bieten, sich mit der gesamten Komplexität des Stoffes auseinander zu setzen.
Das Puppentheater war grauenhaft und wirkte nach dem Faust I wie ein billiges Zugeständnis an das Rentner-Publikum von Leipzig.
Faust I selbst war ja noch irgendwie interessant. Immerhin funktioniert diese Frankenstein-Regie hier noch. Immerhin wirklich Überzeugend: Julia Preuss als Margarethe. Sie war das, was den ganzen Abend gerettet hat.
Dafür dann das Große Gähnen im Faust II (der eben doch nur größtenteils aus Pause bestand).

Auch schade um den Chor, der bis zum Schluss bleiben muss, obwohl er in Faust II nun keinen Zweck mehr erfüllt. Das muss schon sehr gut bezahlt sein, damit man sowas mitmacht.

Insgesamt für mich ein (erwartbar) enttäuschender Abend. Da wünsche ich mir doch sehr den Enrico Lübbe zurück, der als Schauspieldirektor in Chemnitz noch wirklich für Wellen sorgte.
Faust, Leipzig: Oberknall
Es war der absolute Oberknall! So hatte ich Faust noch nicht gesehen (und gehört). Bei Castorfs TT-Faust war es alles andere als Faust, gestern trotz Textverschiebungen, Chöre, Gesang und tausend Sequenzen alles Goethe. Geil! Nebenbei Herr Prüwer: ich fand das Puppenspiel auch großartig!
Faust, Leipzig: gelungener Abend
Lieber Herr Bauser,
Sie schreiben einerseits:'Auch darf man nur eine der Touren sehen', andererseits schreiben Sie:'Bestehen DIE ToureN doch eh nur aus vorab produzierten Videos." Entschuldigen Sie bitte, aber ich verstehe es rein logisch gesehen nicht, wie Sie wissen können, daß alle 3 Touren nur aus Videos bestehen, wenn Sie nur 1 davon sehen konnten?
Des Weiteren schreiben Sie:"2 Stunden mit Warten zugebracht". Ich habe insgesamt nur 40 Minuten Pause gehabt - was einer normalen Theaterpause entspricht. Der Rest der Zeit war die Verteilung auf die Tour: Audio-Guide austeilen bzw die Zuschauer auf die Shuttle Busse verteilen und das Zurückkehren in's Schauspielhaus - das braucht nun mal Zeit.
Ihrer Kritik kann ich nur teilweise zustimmen. Faust I fand ich sehr gelungen. Das Puppenspiel hat den doch sehr schweren Stoff aufgelockert und somit zur recht runden Farbe des Abends beigetragen - wußten Sie eigentlich, daß Goethe ein Puppentheater im Haus hatte ? - kennen Sie also den historischen Zusammenhang, warum dieses Puppenspiel überhaupt in die Inszenierung paßt?
Ihrer Beurteilung des Faust II stimme ich größtenteils zu. Ich fand diesen auch eher langweilig. Trotzdem ein schöner und trotz kleinerer Schwächen, sehr gelungener und sehenswerter Abend.
Faust, Leipzig: großes Ganzes
Was soll man sagen über diesen Faust? Da stecken gute Ideen drin, viel Energie, ein paar starke Bilder und eine wahnsinnig berührende, verstörende Margarete. Doch wollen sich die einzelnen Teile nicht zu einem großen Ganzen verbinden. Zu viel Verschiedenes scheint gewollt, durch den Mangel an Konzentration geht die Schlagkraft mehr und mehr verloren. Kratzt man an der durchaus beeindruckenden Faust-I-Oberfläche, kommt so viel mehr nicht zum Vorschein ...

Unsere ganze Besprechung: https://reihesiebenmitte.de/ueb-immer-treu-und-red-nicht-rein-oder-fuenf-faeuste-fuer-ein-halleluja/
Faust, Leipzig: ein ganzes Theater
Was für ein herausragender Abend. Wie es Lübbe schafft, diese Texte mal wieder anhören zu können. Mit Gegenbetonungen, Rhythmuswechsel. Tolle Schauspieler. Das Beste: ein ganzes Haus trägt diesen Abend, ein ganzes Theater ist dieser Abend. Das ist bemerkenswert: wie ein Theater nicht nur über Gemeinschaft , Teamarbeit redet, sondern hier LEBT! Bravo!
Faust, Leipzig: wie in Rasches Woyzeck
Funktionsweise und Ästhetik der sich aufstellenden und um sich selbst rotierenden, metallischen Drehscheibe in Faust I ist tatsächlich mit der Bühne von Rasches Woyzeck aus Basel identisch. Das hat Nachtkritk benannt und ist an Fotos unschwer nachzuvollziehen. Was hat sich der Intendant eines großen deutschen Stadttheaters damit gedacht, dass er das künstlerische Eigentum seiner Kollegen mit Füßen tritt? Ein schlechtes Signal für die Theaterlandschaft und ein Armutszeugnis für Bühmebildner Etienne Pluss und Regisseur Enrico Lübbe.
Faust, Leipzig: bereits Legende
Ich bin überwältigt. Sechs Stunden die extrem kurzweilig sind. Figuren, die berühren (Margarethe, Faust) und nicht wie bei anderen Chorstücken nur hohle Regiehülsen sind (bei Rasche zum Beispiel, wo alle nur rhythmisch auf einer Tonlage zur Maschine sprechen und marschieren).
Lübbe ist da viel klüger und sensibler. Ein großer Abend, der jetzt schon Legende ist. Das Beste, was Leipzig seit Jahrzehnten gezeigt hat (und ich gehe seit 1987 in dieses Haus).

(Anm. der Redaktion: Dieser Kommentar stammt von derselben IP-Nummer wie die Kommentare #2 und #5.)
Faust, Leipzig: Vorschlag
Wäre es nicht eine Überlegung wert, Kommentare, die offenkundig von (sicher ungebetenen) Claqueuren stammen, gar nicht erst zu veröffentlichen? Diese „Enttarnungen“ sind ja absolut richtig, werfen aber immer auch ein ungutes Licht auf die jeweiligen Inszenierungen. Diese haben aber doch, wie in diesem Fall auch, Lobhudeleien oft gar nicht nötig!

(Liebe/r User*in, wir stellen solche Häufungen ja erst im Nachhinein fest und verzichten dann auf nachträgliche Löschungen, weil die Kommentare bereits in die Geschichte des Threads eingegangen sind und oft auch Reaktionen hinterlassen haben. Mit besten Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Faust, Leipzig: Erstaunliche Euphorie
Mal vom Jubelperser, der auch noch so dusselig ist sich erwischen zu lassen abgesehen, staune ich über den Zuspruch, den dieses Werk dann doch findet. Mir kam es herzlich schlecht vor, ohne nachvollziehbares Text- und Regiekonzept, als modern kostümierte Biederkeit und dann auch noch dicht am Plagiat. Als Event mag das angehen, als Theaterabend war es nicht der Rede wert.
(Dennoch hab auch ich natürlich eine "Rede" verfertigt, wer lesen mag: https://teichelmauke.me/2018/10/06/ins-faeustchen-gedacht/ )
Faust, Leipzig: erschütternd
Meine Meinung über die Inszenierung von Herrn Lübbe ist vernichtend. Goethe und Faust das ist meine Welt, ich habe fast alle gesehen. Manfred Zetzsche, Günther Grabbert, Friedhelm Eberlein, Bruno Ganz alle als Faustdarsteller - letztlich die grandiose Inszenierung von Herrn Hartmann. Insgesamt habe ich über 200 Mal den "Faust" genossen und denke, ich bin mit 78 Jahren ein Kenner der Szene und darf mir ein Urteil erlauben. Was mir am 05.10. widerfahren ist, spottet jeder Beschreibung. Für mich eine Beleidigung der Szenerie. Faust,der sich unartikuliert auf der Drehbühne präsentiert. Der Osterspaziergang wird mehrmals verunglimpft, Dialoge werden mehrmals wiederholt, als würde es der Zuschauer beim ersten Mal nicht erfassen. In der Einführung wird Margarete als starke Frau vorgestellt und auf der Bühne erscheint Gretchen, welche sich wie wahnsinnig benimmt; sich auf der Drehbühne wälzt. Diese verunglimpfte Interpretationen könnte ich reihenweise fortsetzen. Viele Szenen, wie z.B. Auerbachs Keller ( wo wir schon mal in Leipzig sind), werden überhaupt nicht berücksichtigt. Alles in allem war die Aufführung für mich erschütternd und nicht nachvollziehbar. Schade, das Haus bleibt für mich tabu, ich werde auch meine Meinung gegenüber anderen kundtun.
Faust, Leipzig: geschüttelt und gerührt
Ehrlich gesagt gehöre ich auch zu den Faust.b.kennern… die den Text mitsprechen könnten… die Szene für Szene die Striche oder Ergänzungen registrierensortieren… und ich gebe zu: ich kenne ihn, den kindlich, nostalgischen Hang zum Gekannten… welcher aber bei dieser Aufführung ganz und gar nicht bedient wurde… und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken… Inszenierungsteams machen ja dies und jenes mit oft gespielten Stücken… den Faust als Vorzurückundnocheinmalgedankendreisprung hab ich jedoch noch nie genießen dürfen… und endlichendlich(!) mal ohne Zauber&Mysterienspiele… dafür rührend irdisch.konkrete Sprachexerzitien… solch betonungszerpflücktrhythmisierten Osterspaziergang hätte man sich im Schulunterricht als An&Aufregung gewünscht… und die konsonantenkrächzende Illustration Faustscher Zweifelung als gurgelndes „hb nn ch, phlsph…“ hat mehr als nur denkerregenden Effekt.
Nein, die kaleidoskopische Fragmentierung lässt Ganzheitlichkeitsvorstellungen in´s Leere laufen… und bleibt eben deshalb authentisch.
Gut, das Puppenzwischenspiel lässt sich als intellektuelle Unterforderung kritisieren, aber ein wenig Goetheerdung durch U-Theater macht (genau wie das Homunkulusknetangebot) bei einem Sechsstundenabend durchaus Sinn…Schmunzelfalten gegen Denkerstirnrunzeln auszuspielen, bleibt da eine wohlfeile Übung für Theaterschwergewichtler (die ihnen natürlich trotzdem gegönnt sei.)
Zur Mitternacht denkbeschschwingt aus dem Theater zu kommen, darf gern öfter vorkommen. Faust geschüttelt,- mich hat's (an)gerührt.
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