Charme-Offensive

von Sophie Diesselhorst

18. Dezember 2018. Vor etwas mehr als einem Jahr hat sich der Verein Pro Quote Bühne gegründet. Ich selbst war beim ersten Interview dabei. In weiser Voraussicht haben sich die Initiatorinnen nicht zum Ziel gesetzt, ihre Forderung einer fünfzigprozentigen Frauenquote in allen künstlerischen Theater-Ressorts binnen Jahresfrist zu erreichen. Sonst müssten sie ihr Vorhaben dieser Tage für krachend gescheitert erklären.

Eochraum für althergebrachte Dynamiken

Denn besonders viel Veränderung ist noch nicht sichtbar, wenn man zum Beispiel die aktuellen nachtkritik.de-Charts anschaut. Unsere wöchentlichen Top Ten listen die von uns besprochenen Inszenierungen auf, bei denen erhöhte Betriebstemperatur herrscht. Sie sind nicht von der Redaktion kuratiert, sondern gesteuert von einem Algorithmus, bei dem verschiedene Aufmerksamkeits-Messer gegeneinander aufgerechnet werden (Kritikenresonanz, Zuschauerbeteiligung).

Vergangene Woche nun gab es auf die Veröffentlichung der Charts hin einen kleinen Twitter-Rumor: Der Autor und Schauspieler Stefan Hornbach zählte "Frauenanteil auf inszenierender Seite: 10%. Auf Autor*innenseite: 0%. Intendant*innen zähle ich jetzt mal nicht nach, weil ich so doll gähnen muss." (Es wären drei von zehn gewesen, 30 Prozent). Wem gilt der Vorwurf? Den Häusern, die Frauen immer noch zu selten auf die großen Bühnen lassen, wo das breite Publikum hinströmt? Den Kritiker*innen, die den Zuschauerströmen nachrauschen auf der Suche nach dem größtmöglichen Lesepublikum? Den Charts, die solchen Dynamiken einen größeren Echoraum verschaffen? Sicher allen. Systemzusammenhänge haben viele Schaltstellen. Wir nehmen uns da nicht aus.

Gleichstellung als Theater-Politikum

Dass noch nicht so viel Veränderung sichtbar ist, heißt aber nicht, dass sich nichts tut. Das ist allerdings nicht so einfach zu beschreiben, wie sich auch auf der Geburtstags-Pressekonferenz von Pro Quote Bühne letztes Wochenende in den Berliner Sophiensaelen zeigte. Da konnte PQB-Vorsitzende Angelika Zacek als Erfolge im Wesentlichen eine wachsende Unterstützer*innen-Zahl (aktuell 250) und ein expandierendes Netzwerk innerhalb und außerhalb der Theaterwelt aufzählen. Und: Dadurch, dass das Thema Gleichstellung im vergangenen Jahr zum Dauerthema geworden sei, sei es in den Theatern zum Politikum geworden.

Kolumne 2p diesselhorstMit Tortendiagrammen und Infografiken, der visuellen Währung des virtuellen Informationszeitalters, lassen sich solche Tendenzen nicht belegen – also wurden erst einmal weiter die in der "Grütters-Studie" veröffentlichen Zahlen aus dem Jahr 2014 beschworen, die die Missstände deutlich aufzeigen (und hier bei uns infografisch aufbereitet sind). Man wolle allerdings, so Zacek, Daten sammeln, und plane dafür eine Dezentralisierung des Vereins in Ortsverbände, die näher dran seien sowohl an den Theatern als auch der Landes- und Kommunalpolitik. Auch werde PQ Bühne sich auf Österreich ausweiten.

Aber guckt man auf die Spielpläne…

Doch was ist mit der zentralen Forderung der Bewegung? Die Quote bleibt ein Reizthema. Der Deutsche Bühnenverein besetzt seine Gremien zwar mittlerweile paritätisch und hat eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer eingerichtet – eine Quote lehnt er aber ab, musste Angelika Zacek als konkreten Misserfolg verkünden. Auf dem Podium der Pressekonferenz saß auch Bettina Jahnke, Intendantin des Hans-Otto-Theaters Potsdam, die zum Vorstand des Bühnenvereins gehört. Sie treffe dort keinen Kollegen, der offen sagen würde, er sei gegen die Quote, so Jahnke: "Aber guckt man dann auf die Spielpläne..."

Moderatorin Amina Gusner setzte gleich ganz oben an und fragte Berliner Festspiele-Intendant Thomas Oberender, einen von zwei Männern auf dem Podium, gerade heraus, ob er nicht eigentlich mehr tun könnte: zum Beispiel nur Theater zur Theatertreffen-Auswahl zuzulassen, die die 50-Prozent-Forderung von Pro Quote Bühne erfüllen. Statt sich auf diese Frage einzulassen, pries Oberender die Freie Szene als Vorbild für die Stadttheater – in der ja apropos Gleichstellung vieles schon besser funktioniere. Außerdem schlug er eine Verfassungsänderung gegen den Gender Pay Gap vor; die gleiche Bezahlung aller unabhängig vom Geschlecht gesetzlich zu verankern, was ja tatsächlich zumindest für die staatlichen Theater als öffentliche Institutionen konkrete Auswirkung hätte.

Das System beginnt mit den Schauspielschulen

Der Frage nach der Quote wich Oberender also aus, wohingegen die selbsternannten "Scheißspielerinnen" Anne Haug und Melanie Schmidli von Projekt Schooriil sie noch weiter dachten: Es müsse eigentlich Verhaltensquoten geben – gegen männliche Monologe an der Rampe und die Frau, die im Hintergrund im Hemdchen ein einfaches Lied singt. Denn das System sei "von Anfang an ungerecht", sagte Anne Haug und bezog sich damit auf die Schauspielschulzeit.

Haug studierte an der UdK, doch aus dem Publikum kam sofort ein aktuelles Beispiel: An der Schauspielschule Leipzig war es üblich, 12 Männer und sechs Frauen in einen Jahrgang aufzunehmen. Auf Initiative Studierender werden jetzt erstmals acht Frauen und acht Männer aufgenommen. Festgeschrieben wurde diese Regelung allerdings nicht, "man wolle es erstmal ausprobieren", berichtete einer der Initiatoren – einer der wenigen Männer im großen Saal der Sophiensaele, wo mehr Theaterleute als Journalisten saßen und die Stimmung einvernehmlich vorsichtig optimistisch war, ohne dass man Problemfragen aus dem Weg ging. Dass fast keine Männer anwesend waren, sei zwar "kein Wunder und typisch für solche Veranstaltungen", befand der als theater-externer Gast geladene Botschafter von HeForShe Deutschland, Vincent Immanuel Herr. Für die, die nicht von ihr betroffen seien, sei Diskriminierung eben Theorie. Aber wenn der Kampf erfolgreich sein solle, müssten auch die Männer überzeugt – und vielleicht ein bisschen vehementer zu Veranstaltungen wie dieser eingeladen – werden.

Einfallstor für mehr Diversität

Alte Binse? Anscheinend aber eine, die immer und immer wieder herausgeholt werden muss. Jedenfalls wenn die Bewegung, die Pro Quote Bühne in Anlehnung an ähnliche Vereine vor einem Jahr gestartet hat, nicht an denen in Machtpositionen scheitern soll, die sie aussitzen wollen und das mit modischen Lippenbekenntnissen garnieren – und sich im Zweifelsfall damit herausreden, dass sie keine Frau für den Job gefunden hätten.

Lisa Jopt, Mitgründerin und Sprecherin des befreundeten Ensemble Netzwerks, äußerte auf dem Podium eine ziemlich gute Idee, wie solchen Ausreden vorgebeugt werden könnte: Die gerade erst mit dem "Faust-Preis" ausgezeichnete Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten" will sie feministisch neu auflegen zu "20.000 Theatermitarbeiterinnen treffen ihre potentiellen Arbeitgeber". Eine geballte Charme-Offensive, in der all die, die bisher durch die Löcher der Buddy-Netzwerke fallen, konzertiert auf sich aufmerksam machen. Es könnte ein Einfallstor sein nicht nur für mehr Frauen, sondern generell für mehr Diversität auf und hinter den Bühnen. Man kann gespannt sein.

 

Sophie Diesselhorst ist Redakteurin bei nachtkritik.de. Vorher hat sie mal drei Wochen in einem Call Center gearbeitet, wo sie dazu angehalten wurde, möglichst schnell "Ich aktiviere Sie jetzt!" zu nuscheln, um krumme Deals zu besiegeln, ohne dass der arme Mensch am anderen Ende der Leitung es merkt. In ihrer Kolumne versucht sie deutlich zu sprechen.

 

In ihrer vorherigen Kolumne rief Sophie Diesselhorst zum Erhalt einer Sozialen Plastik auf – des Grandhotel Cosmopolis in Augsburg.

 

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