Und ewig schallt die Ohrfeige

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 21. März 2009. Myrtle Gordon lebt hier nicht mehr. Bei Armin Petras heißt sie Frida, wohl nach der exzessiven Malerin Frida Kahlo. In John Cassavetes Film "Opening Night" von 1977 war Myrtle Gordon die Schauspielerin, die sich nicht ohrfeigen lassen wollte. Schließlich werden ja immer nur die Schauspielerinnen geohrfeigt, nur um sich nach Probenende von einem männlichen Kollegen anhören zu müssen, er sehe sie gar nicht mehr als Frau, sondern als Profi. Und dabei soll die Profi-Künstlerin mit dem eiskalten Herzen doch tagein, tagaus echte Gefühle produzieren!

Petras hat Cassavetes‘ Filmstoff kräftig gestrichen und auf die kleine Bühne des Schauspiels Frankfurt gebracht. Dort legt sich ein gewaltiger Vorhang in Falten (Bühne: Olaf Altmann), er kleidet Rückwand und Boden in samtiges Rot und verleiht allem Geschehen eine sanft glühende Schönheit – bisweilen auch leise Puff-Atmosphäre.

Experten, Quallen und Nico

Grob zeichnet Petras die Geschichte der Myrtle Gordon alias Frida nach, einer berühmten Schauspielerin, der plötzlich die Rolle einer alternden Frau vorgesetzt wird. Ihre Weigerung, sich mit dieser auseinanderzusetzen, wird als Verneinung des eigenen Alterns interpretiert, und auch hier schallt die Ohrfeige: Warum müssen sich Schauspielerinnen wirklich schlagen lassen? Und warum sollen sie echte Gefühle bemühen, um eine fremde Geschichte zu repräsentieren? Diese und andere Fragen hat sich René Pollesch im vorletzten Jahr anhand von Cassavetes‘ Film gestellt, in der Stuttgarter Inszenierung "Liebe ist kälter als das Kapital".

Petras aber nimmt kaum Distanz zum Stoff ein und bekommt darum auch seine Grundproblematik nicht in den Blick: Die gesellschaftspolitischen Implikationen, die im Film ständig mitschwingen – wenn er etwa ziemlich schlicht davon ausgeht, dass das Altern für Frauen ein größeres Drama ist als für Männer. Und wenn er das Bild des Künstlers pflegt, der sich mit Haut und Haar seiner Kunst verschreiben muss, um Außergewöhnliches zu schaffen. Beide Gemeinplätze lässt Petras stehen, ohne sie zu hinterfragen.

Er reißt das Thema des Alterns an, wenn etwa im Video angebliche Experten über den Zynismus des Alterns sprechen und Quallen majestätisch durch die Fluten gleiten. Und er interessiert sich flüchtig für das Verrutschen des Privaten ins Berufliche, für die Anerkennungs- und Machtverhältnisse des Kunstbetriebs, die auch vor dem Privatleben nicht Halt machen.

Als vereinsamende Diva Frida hängt sich Friederike Kammer an Männerhälse, sucht nach ein bisschen Liebe und knutscht, à la Madonna und Britney Spears, leidenschaftlich mit ihrem Fan Nancy. Doch beide Spuren, den prekären Status des Künstlers und das Alter, verfolgt der Regisseur nur sporadisch. Im nächsten Moment spielt er Songs von "The Velvet Underground" ein, gesungen von Nico, dieser depressiven deutschen Sängerin, die wild lebte und früh starb – noch so eine mythenbeladene Künstlerinnenfigur, die einfach unbefragt in den Raum gestellt wird.

Lear, Nancy und die Sehnsucht nach R.

Dafür werden hie und dort Brocken von Shakespeares "King Lear" eingestreut – wohl weil es hier um künstlerische Produktionsprozesse gehen soll, ums Theater auf dem Theater. Und Robert Kuchenbuch macht sich auch gut als alternder König mit rußigen Wangen und Pluderhosen, allein, zur Erhellung trägt Lear wenig bei.

Vollkommen unterbelichtet bleibt auch Fridas Gegenspielerin, das Mädchen Nancy, das stirbt und fortan als Gespenst an Fridas Seite lebt. Im Film gehen die Schauspielerin und ihr untoter Fan ein bizarres Abhängigkeitsverhältnis ein, in der Inszenierung bleibt dieses Motiv sonderbar unterentwickelt. Anne Müller steht vielmehr ziemlich verloren neben dem Geschehen, bohrt hyperventilierend die Hände in die Taschen und guckt fremd.

Natürlich wäre dies kein Abend von Armin Petras, wenn es bei aller konzeptionellen Rohheit nicht diese ebenso berührenden wie komischen Szenen gäbe, etwa wenn Kuchenbuch und Friederike Kammer Leidenschaft spielen sollen und alle Schauspieler umherwetzen, die beiden Küssenden mit Wasser zu bespritzen – eine herrliche Wasserschlacht, wie sie Petras auch schon in "Gertrud" inszeniert hatte.

Im Ganzen aber ist es ein Abend der verpassten Möglichkeiten, an dem es kaum gelingt, sich den Pollesch-Schatten von der Zuschauerbrille zu wischen: Sophie Rois, wie sie in "Cappuccetto Rosso"  durch den Prater stöckelt, Myrtle Gordons Ruf auf den Lippen: "Ich habe meinen Zauber verloren! Ich habe meinen Zauber verloren!" Und natürlich der furiose Slapstick zwischen Bühnen-Realitäten in "Liebe ist kälter als das Kapital". Solche starken Setzungen bleiben in Frankfurt leider aus.

 

Opening Night
nach dem Film von John Cassavetes. Deutsch von Brigitte Landes.
Für die Bühne bearbeitet von Armin Petras.
Regie: Armin Petras, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Katja Strohschneider, Video: Chris Kondek, Christiane Kühl.
Mit: Friederike Kammer, Wilhelm Eilers, Oliver Kraushaar, Sabine Waibel, Robert Kuchenbuch und Anne Müller.

www.schauspielfrankfurt.de

 

Zuletzt wurde von Armin Petras hier besprochen: Die Bearbeitung von Werner Bräunigs Roman Rummelplatz im Januar 2009, die Bearbeitung von Max Frischs Homo Faber Ödipus auf Kuba im November 2008, beide aufgeführt im Berliner Maxim Gorki Theater, dem Petras als Intendant vorsteht.

 

Kritikenrundschau

Peter Michalzik zählt in der Frankfurter Rundschau (23.3.2009) in Frankfurt die 21. Petras-Inszenierung: "Opening Night" nach dem Film von John Cassavetes. Aus dem mache Petras "eine einfache, sozusagen nackte Aufführung, kaum Requisiten, wenig Illusion". Er erzähle vollständig den Plot, gebe sich aber "keine Mühe, die Ebenen auseinander zu fieseln. Wieso auch? Es geht um etwas anderes", nämlich "um die Engführung auf das eine Gefühl: Wie ist es zu ertragen, wenn das Begehren einem nicht mehr zufliegt? Wie ist es zu ertragen, wenn man nicht geliebt wird? Was passiert, wenn man deswegen kein Gefühl hat? (...) Wie kann man Gefühle haben? Wie kann man etwas spüren?" Das sei natürlich "die Schauspielerfrage schlechthin" und werde von den sechs Schauspielers nun "in unprätentiösen, schönen, schlackenfreien Szenen" umkreist – ein "Spiel über das Spüren". Und alle spielen sie mit "an der Ballade des verhinderten Gefühls, alle nehmen teil an einer kleinen Utopie. Das, eine Utopie, ist jede Aufführung von Petras. 'Opening Night' ist eine der Ernüchterung."

Auch Tilman Spreckelsen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.3.2009) ist angetan: Protagonisten-Paar Friederike Kammer und Oliver Kraushaar machten "ihre Sache auch diesmal wieder ausgezeichnet". Und wie die irrlichternde Anne Müller in einer Nebenrolle in der zweiten Szene "einfach dasteht" und als Nancy Fridas Bühnenpartner Chris anstarrt, sollte man gesehen haben". Ein "gewichtiges Manko" der Inszenierung bestehe allerdings darin, "dass einem die Sache, um die es geht, an diesem zweistündigen Theaterabend schon früh hinreichend deutlich ist" und sich das "große Lamento" ums Älterwerden dann nur noch wiederhole. So seien "die Schimpfkaskaden", die die Diva Frida "über sich ergehen lassen muss und selbst verteilt, irgendwann so vorhersehbar wie wohlfeil".

Kommentare  
Petras' Opening Night: Ronald und Blodt
es ist aber auch schwierig mit diesen namen und dann inszeniert dieser petras auch noch so unverschämt viel dass es frau boldt etwas über den kopf wächst. die inszenierung sowieso aber auch mit den namen ist sie etwas überfordert:
es gibt christian und robert kuchenbuch, aber keinen roland kuchenbuch. bei opening night ist robert am start und mit roland meint frau blodt wohl herrn kukulies, der auch immer mit diesem petras herumspringt. nur heißt der eben nicht roland sondern ronald.
aber wie soll man sich beim milchkaffee sonntag in der frühe auch noch auf solche kleinigkeiten wie namen konzentrieren können, wenn man dem marathonmann der über alles hinweghuscht sowieso nicht hinterherkommt? da ist frau boldt einfach mal hinterher über ihre kritik gehuscht.
Petras' Opening Night: sehr wohl ein Roland
Lieber "namen und huschen",
vielen Dank, auch im Namen der Frau Blodt, die ja, wie Sie wissen, Boldt heißt, für die Kuchenbuch-Korrektur. Der Fehler ist der Redaktion, die ja Robert Kuchenbuch hier in Berlin immer wieder auf der Bühne sehen kann, ebenfalls peinlich.
Solche Namens- und Buchstabendreher schleichen sich doch allzu schnell ein. Famos deshalb, dass wir so aufmerksame LeserInnen haben.
Dennoch muss ich darauf bestehen, dass es sehr wohl, wider Ihren Brustton der Überzeugung, einen Roland Kuchenbuch gibt, nämlich den zugehörigen Vater zu Robert und Christian, der mehr als 30 Jahre lang am Potsdamer Hans Otto Theater engagiert war und bis heute dortselbst auf der Bühne zu erleben ist.
Mit Sonntaggrüßen
Nikolaus Merck
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