Odyssee Europa - Vorbericht nach dem ersten Tag
Regionalbahn ins Mythenreich
von Sarah Heppekausen
Bochum, 27. Februar 2010. Zwischenstation. Ganz unspektakulär am heimischen Schreibtisch, während ein Großteil der Mitreisenden in fremden Betten bei (hoffentlich) freundlichen Gastgebern im Ruhrgebiet übernachtet. Wahrscheinlich sinnieren sie noch bei einem Glas Wein über den frühesten Vertreter der Aufklärung, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ihn verstanden. Oder sie lassen die Urgeschichte der Subjektivität einfach mal beiseite und erzählen von einem Odysseus, der totenschuldbeladen wie er ist, in seiner Heimat nie wirklich ankommen wird, obwohl er doch da ist. Wie in Essen.
Oder von dem lässig-müden Mann in der Unterwelt, der die Geister der Toten nicht von seinen hängenden Schultern abschütteln kann. Wie in Bochum.
Oder von dem gnadenlosen Heimkehrer, der in den Träumen der Penelope-Buhler als Menschen-Filetierer erscheint. Das ist der nicht auftretende Odysseus in Oberhausen.
Was auch immer. Der Tag war lang, eine eigene Irrfahrt gehört zum festen Programm der Odyssee Europa. Auch wenn sie nur zwei Tage, nicht zehn Jahre dauert. Per Bus, Bahn, Schiff und Pedes sind die 400 Theatermarathonis unterwegs, zu den Nebenschauplätzen begleiten sie zum Teil auch die Gastgeber und Weggefährten. Eine Stadtführung in der Essener City unter dem Titel "Baustellen" steht auf meinem Programm, zwischen dem niemals-so-ganz-heimkehrenden Odysseus im Grillo-Theater und dem Hades durchschlurfenden im Schauspielhaus Bochum. Andere führt die Reise in Wattenscheids berühmteste Currywurst-Bude, ins Ruhrpott-Café, zur Zeche Zollverein oder zum Reiterhof. So aufregend ist das Ruhrgebiet, rufen die engagierten Reisebegleiter dabei wortlos aus. Schade nur, dass in unserer Gruppe ausschließlich Mülheimer und Bochumer sind, die wissen das schon.
Später Regionalbahn nach Bochum, Busfahrt nach Herne, Schifffahrt über den Rhein-Herne-Kanal auf der Santa Monika im bunten Lampionschein. Da wird die Theaterfahrt glatt zur Lustreise. Ein erster Intendant und seine Dramaturgen warten jetzt bloß noch aufs Bier. Dringend. Ein anderer hätte wahrscheinlich lieber einen Schnaps. Claus Peymann hat die Inszenierung auf seiner früheren Heimbühne in Bochum offensichtlich gar nicht gefallen, zumindest die Leistung des Odysseus-Darstellers Wolfgang Michael. Den hat der Berliner Ensemble-Chef nämlich kräftig ausgebuht.
Gottverdammt! möchte man da zurückbuhen (und Quinn aus Enda Walshs "Penelope" zitieren). Welch ein unangestrengter Odysseus, der in seiner hybriden Beiläufigkeit solch Menschlichkeit offenbart. Aber dazu morgen mehr. Gleich geht die Reise weiter.
Sarah Heppekausens ausführliche Besprechung der Odyssee und ihrer sechs Premieren in sechs Ruhrgebietsstädten lesen Sie hier.
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