Kennst Du das Land, wo die Misanthropen blüh'n …

von Thomas Askan Vierich

Baden, 23. Juli 2010. Die Inszenierung passt zum Ort. Ferdinand Raimund, neben Johann Nestroy der bedeutendste Dichter des Alt-Wiener Volkstheaters, hat eigentlich für die Wiener Vorstadt geschrieben. Jetzt hat man ihn in den putzigen k.u.k-Barock der Sommerfrische südlich von Wien versetzt.

Hier verzieren Stechpalmen in Kübeln den Vorplatz zum altehrwürdigen Casino, warten frisch gestrichene, weiße Holzbänke auf erholunsbedürftige Pensionisten. Alles geht sehr beschaulich zu. Die Sommerarena ist ein hundert Jahre alter Jugendstilbau gleich neben dem Casino und verfügt über ein rumpelnd ausfahrbares Glasdach. Man sitzt nicht völlig im Freien, hat bei Schönwetter aber den freien Himmel über sich.

Klamauk und Zeitkritik
Das Stück beginnt bei Sonnenschein mit einer etwas tölpelhaften Gesangseinlage der Jäger des Alpenkönigs, eines österreichischen Rübezahl. Baden ist berühmt-berüchtigt für seine Operetten. In der Sommerarena spielt man erst seit 2009 auch etwas anderes als Operetten. Der singende Rübezahl kommt als schriller Cowboy daher. An seinem Stetson prangt ein Hirschgeweih, vermutlich aus Plastik. Seine Jäger tragen ebenfalls Stetson und viel blaue Schminke im Gesicht. Sie trällern ein harmloses Liedchen und vollführen dazu seltsam gestelzte Handbewegungen. Sind wir doch in einer Operette gelandet? In einer schlechten noch dazu?

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Alpenkönig Michael Masula und Menschenfeind Karl Markovics
© Christian Husar

Gott sei Dank übertreibt der französische Regisseur Jérôme Savary, bekannt für seinen Grand Magic Circus und bis 2007 Intendant der Pariser Opéra-Comique, das Operettenhafte und Schrille nicht. Gesang und Tanzeinlagen gehören natürlich zum Alt-Wiener Volkstheater. Aber noch viel mehr. Das ist das Schwierige an einer Neuinterpretation dieser Theaterform. Es hat schon zu seiner Blütezeit im Biedermeier den schenkelklopfenden Klamauk mit böser Zeitkritik verbinden wollen. Raimund fühlte sich sogar zum Tragischen berufen, was ihm nie wirklich gelang.

Heutige Nestroy- und Raimundinszenierungen kranken oft daran, dass sie sich nicht zwischen Komödie und Tragödie entscheiden können, dass sie das Zeitkritische oft krampfhaft ins Heutige transferieren, dass sie zu komisch oder zu kritisch sein wollen. Savary gelingt der Spagat. Seine Aktualisierungen sind moderat und treffend.

Lust, Laune und Fingerspitzengefühl
Franz Josef Breznik ergänzt die Originalmusik Wenzel Müllers mit leicht rockigen Klängen. Nicole Beutler kann in den Umbaupausen als gequälte Gattin des Menschenfeindes mit Songs von Jacques Brel brillieren. Nichts wirkt aufgesetzt, auch nicht das Schrille. Niemand überzieht, alle sind mit Lust und Laune und Fingerspitzengefühl dabei.

Savary trifft in Tonlage und Optik den Spielort Baden: Mit fröhlichem Augenzwinkern zitiert er den provinziellen Pomp draußen vor der Türe. Die Kostüme von Eva Humburg wirken in ihrer forcierten Farbigkeit im strahlend weißen Bühnenbild genauso schrill wie Baden kitschig. Raimunds Sprachwitz zündet noch immer, und Karl Markovics arbeitet in seiner Interpretation des Menschenfeinds die schon bei Raimund angelegte Tragik heraus.

Auch wenn das Stück 182 Jahre alt ist, es hat sich seine Aktualität erhalten: Ein durch seine Gutmütigkeit finanziell betrogener Mann zieht sich enttäuscht von der Welt zurück, fühlt sich verfolgt, von Feinden umzingelt. Seiner Gattin unterstellt er, ihn umbringen zu wollen. Alles dreht er ins Negative und wird so für seine Umwelt zu einer unerträglichen Last. Bis die Sagengestalt des Alpenkönigs eingreift, in seine Rolle schlüpft und ihm plastisch vor Augen führt, wie schrecklich es ist, mit so einem Menschen zusammenleben zu müssen.

Und im Wahn blitzt auch Erkenntnis auf
Der Menschenfeind sieht das ein und wird zum Menschenfreund. Oder wie er selber, nicht ganz ohne bittere Ironie, sagt: zum "pensionierten Menschenfeind". Das klingt ein wenig so, als würde ihm etwas fehlen, als hätte ihn die biedermeierliche Idylle, in die er sich einfügt, kastriert. Das hat der Hypochonder Raimund wohl auch so gemeint, der sich im Menschenfeind ziemlich schonungslos selbst beschrieben hat.

Eine Gesellschaft, deren oberstes Ziel es ist, dass möglichst viele möglichst glücklich sind und der Rest sich gefälligst ruhig zu verhalten hat, erträgt keine Exzentritäten. Und dazu zählt ein Mensch, der nicht mehr an das Gute in seinen Mitmenschen glaubt. Solche Leute müssen diszipliniert werden. Und wenn es dazu der Zauberer aus dem Wald bedarf.

Natürlich übertreibt der Menschenfeind in seinem Hass. Natürlich ist er ein Hypochonder, ein vom Verfolgungswahn befallener. Aber in seinem Wahnsinn blitzt immer wieder auch tiefere Erkenntnis auf, eine Wahrheit, zu der seine angepasste Umgebung nicht mehr fähig ist, die es aber andererseits aus nachvollziehbaren Gründen mit einem wie ihm auch nicht aushalten kann.

Diese Ambivalenz arbeitet Markovics sehr plastisch heraus. Und sein Gegenspieler Michael Masula legt seinen Alpenkönig so zweideutig schmierig an, dass man dessen Vorbildfunktion als weiser Waldschrat auch nicht unbedingt glauben muss. Wunderbar auch, wie Masula, optisch an Jack Nicholson erinnernd, in die Rolle des Menschenfeinds schlüpft und wirklich spielt, dass er jemanden spielt und dabei gnadenlos überzeichnet. Dazu passt, dass ihm ständig der angeklebte Schnurrbart verrutscht. Das war sicherlich nicht geplant, aber Masula macht daraus am Premierenabend eine zündende Kabarettnummer.

Die Verlockung der Übertreibung
Auch Pippa Galli ist in ihrer beherzten Darstellung des Stubenmädchens hervorzuheben. Neckisch und selbstbewusst stolziert sie in ihrem kurzen Röckchen auf hochhackigen Schuhen umher und singt ihre beiden Couplets herrlich falsch. Das passt zu ihrer Rolle. Auch Boris Eder als Diener Habakuk brilliert mit komischen Einlagen und Körperverrenkungen. Auch hier gilt: Die Verlockung zur Übertreibung muss groß gewesen sein. Sie sind ihr alle nicht erlegen.

Kurz vor dem Finale setzt der Regen ein. Als die ersten Zuschauer fliehen, tritt Jérôme Savary auf die Bühne und bittet charmant um Geduld, man versuche das Dach zu schließen. Eine Weile bleibt es beim Versuch. Alles blickt gebannt nach oben. Dann schließt es sich doch noch quietschend und ratternd unter dem Beifall des Publikums, und man gibt das unterbrochene Finale noch einmal. Der Schlussapplaus will gar nicht mehr enden, besonders für Karl Markovics, dem der Abend sichtlich Spaß gemacht hat. Nicht nur ihm.

 

Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Romantisch-komisches Original-Zauberspiel von Ferdinand Raimund in zwei Aufzügen.
Musik von Wenzel Müller und Franz Josef Breznik
Inszenierung: Jérôme Savary, Mitarbeit: Simone Stricker, Bühne: Jérôme Savary und Eva Humburg, Kostüme: Eva Humburg, Musikalische Leitung / Dirigent: Oliver Ostermann,
Arrangeur: Franz Josef Breznik, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Michael Masula, Philipp Brammer, Helmut Wiesinger, Karl Markovics, Nicole Beutler, Katharina von Harsdorf, Klaus Haberl, Pippa Galli, Hendrik Winkler, Boris Eder, Stefan Wilde, Christine Jirku, Othmar Schratt, Elisabeth Luger, Chor und Orchester der Bühne Baden.

www.buehnebaden.at


Kritikenrundschau

Nach Ansicht von Anne-Catherine Simone in der Presse (26.7.2010) hat Jérôme Savary Raimunds Posse inszeniert, "ohne eine Ahnung von der Originalsprache und -kultur zu haben". Er sei aber so klug gewesen, "seiner österreichischen Assistentin Simone Strickner viel Spielraum bei der (sprachlichen) Feinarbeit zu lassen. So kommt das universelle Charakterstück zum Vorschein, ohne dass die lebenswichtige Blutbahn zum Österreichischen gekappt würde." Das Zweite sei, "dass der 68-jährige Franzose den 'Alpenkönig' so weit in die verspielte Selbstparodie treibt, dass jede Gefahr unfreiwilliger Komik gebannt ist, gleichzeitig aber haargenau dort haltmacht, wo die Komik anfangen würde, den ernsten Kern der Geschichte zu zerstören - man merkt: Savary hat großen Respekt vor dem Charakterbildner und Psychologen Raimund." Und so sei das Ergebnis "einfach fulminant. Noch dazu mit einem begeisternden Karl Markovics in der Hauptrolle, dem man zwar alles Mögliche zutrauen würde, aber nicht unbedingt eine Intimbeziehung zum österreichischen Volkstheater."

 

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