Inflation des Ich

von Anne Peter

Berlin, 22. September 2007. Das berühmte und so vieldeutige "Ach!" der Alkmene, mit dem Heinrich von Kleists Lustspiel "Amphitryon" endet, sagt sich hier ganz beiläufig dahin. Es ist ein schnelles Ach-ist-ja-auch-egal, ein Komm-vergessen-wirs. In Jan Bosses Inszenierung am Maxim Gorki Theater spricht Alkmene es auch nicht selbst; ihre Dienerin Charis ist es, die schnell das vermeintliche Happy End runterrattert.

Mit diesem "Ach" wird alle vorangegangene Verwirrung weggewischt. Angezettelt hat sie der oberste Gott, der die schöne Menschenfrau in Gestalt ihres Feldherrn-Gatten Amphitryon für zwei nächtliche Schäfer-Stunden besucht. Merkur steht Schmiere und klaut sich dafür das Aussehen von Sosias, Charis' Mann und Diener Amphitryons. Das Durcheinander der Identitäten ist auf allen Seiten groß, als am nächsten Morgen der unwissentlich betrogene Ehemann vor der Tür steht. Die Männer sagen "Ich bin", aber keiner ist sich mehr sicher.

Jupiter vorm Glühbirnenvorhang
Die Frauen wollen sagen "Ich liebe dich" und wissen nicht, zu wem. Hans Löw spielt Jupiter und Amphitryon in einer Doppelrolle. Oder auch nicht. Denn in beiden Parts gibt er, ähnlich wie in Bosses gefeiertem "Werther" der letzten Saison, den jammerigen Narziss, der in den Armen der Frau vor allem Selbstbestätigung sucht. Wieder verkörpert er brillant die Inflation des Ichs. "Auch der Olymp ist so öde ohne Liebe", klagt Jupiter Alkmene sein Selbstmitleid. Ein eifersüchtelndes Muttersöhnchen im pflaumenbraunen Samtanzug, ein armseliges Würstchen, das geliebt sein will. Er fordert, brüllend, seiner Wenigkeit unbedingte Ergebenheit. So gar kein Göttergatte.

Wie erloschen steht er da, Löw als Jupiter, im gleißenden Licht des Glühbirnen-Vorhangs, mit dem Bühnenbildner Stéphane Laimé das Gemach des Highclass-Paares einrahmt. Die Frau steht, vom langen Körper verdeckt, hinter ihm. Zunächst sind nur ihre Hände sichtbar, umarmende, streichelnde, die sein Gesicht betasten. Nicht ihr, sondern dem Publikum ist es zugewandt. Er wehrt sie ab und muss sich aus mangelndem Eigenglühvermögen eine der Birnen unters Hemd halten, wo ein Herz sein könnte. Er fordert das Verscheuchen des Zweifels, dass sie sich in der Hingabe nur der ehelichen Förmlichkeit gefügt haben könnte.

Schnösel Amphitryon
Da pustet Anja Schneider leicht in die Luft: ihre Alkmene glaubt, das reicht. Sie weiß nicht recht, was er von ihr (noch) will. Schneider spielt das Verwirrt-Sein von Anfang an mit, sie runzelt schon verständnislos die Stirn, als Jupiter-Amphitryon ihr den Unterschied zwischen dem Geliebten (der er sein will) und dem Gatten (vor dem er ausgezeichnet sein möchte) aufdrängt. Erster Auftritt Amphitryon der Richtige: ein geschäftsmäßiger Schnösel, der den eisernen Vorhang zum gemeinsamen Heim hochfahren lässt wie das Garagentor nach einem langen Arbeitstag, die Arme zur leeren Geste ausbreitet, um jetzt bitteschön mal so richtig stürmisch begrüßt zu werden.

Doch es läuft nicht nach Plan, Alkmene bringt den gebührenden Enthusiasmus nicht so richtig rüber. Also muss das Wiedersehen noch mal gespielt werden, der Mann ist schließlich Regisseur dieser Ehe. Alkmene zuckt die Schultern und lässt sich's gefallen. Erzählt widerwillig, aber um des lieben Frieden willens, die Geschichte der Nacht, Amphitryon brüllt "Rache!". Sie versteht die Welt nicht mehr, will sie aber im Grunde auch gar nicht verstehen.

Kajalaugen und Ponyschick
Schneiders Alkmene will gar nicht so genau wissen, wie ihr geschieht. Warum alles unnötig kompliziert machen, wenn sie doch rosarot sehen will? Als verwöhntes Luxus-Weib mit Kajalaugen und Ponyschick wiegt sie ihre Weiblichkeit von einem Bein aufs andere, dreht die langen Blondsträhnen, grazösiert mit den Armen und ist gut angezogen.

Tatsächlich gewährt das grüne Seidenkleid die tiefsten Einblicke. Mit der Seelentiefe ist es hingegen nicht allzu weit her. Das Nachbohren von Gott und Gatte quittiert sie mit gequältem Migräneblick. Sie begreift sehr wohl, als Jupiter sich ihr zu erkennen gibt. Doch letztlich: was tut's? Denn die Amphitryone scheinen in der Tat austauschbar, beide gleich weit entfernt von dem, was sie sich zusammenidealisiert. Umso fester möchte sie daran glauben, dass es eine tolle Nacht war und dass sie sie mit dem Richtigen verbracht hat. Deswegen wählt sie am Ende wissentlich den 'falschen' Amphitryon. "Laß ewig in dem Irrtum mich", sind ihre vorletzten Worte.

Das ist Ehe! Das ist Zärtlichkeit!
Dass am Anfang dieses Abends das Ende einer tollen Liebesnacht steht, muss allerdings behauptet werden, damit es geglaubt werden kann. Und so ruft Charis (Hilke Altrefrohne) nach der ersten Liebesszene zweifelsfrei begeistert aus: "Das ist wunderschön! Das ist Ehe! Das ist Zärtlichkeit! Das ist Treue!" Das Publikum kann angesichts dieser Schönrednerei nur lachen. Wie es überhaupt viel zu lachen gibt an diesem Abend, den Komödien-Spezialist Bosse so leicht wie nur möglich macht.

Kleistsches Identitätsweh ist hier nur noch in der Parodie vorhanden. Dabei kann in den (vorgesehenen) komischen Rollen vor allem Altefrohne glänzen. Robert Kuchenbuch gibt den Sosias als naiven Tölpel und Michael Klammer den Merkur als coolen Brutalo. Beide stecken im ausgestellt klischeelastigen Afro-Pop-Kostüm inklusive dunkler Ganzkörperbemalung und Lockenperücke, dazu entsprechend raumgreifendes Gestikulieren oder Posing – ziemlich dick aufgetragen dafür, dass damit womöglich nur die Diener-Herren-Differenz markiert werden soll.

Ach! – puff.
Die im Übrigen ziemlich unerheblich ist: schließlich geht es hier ganz ums Private. Und die Ehen kriseln hier wie dort. Dabei passen sie doch eigentlich ganz gut zusammen: der Liebe wollende Mann und die lieben wollende Frau. Deswegen kann sich hier auch alles so – Ach!-puff – in Wohlgefallen auflösen, obwohl doch eigentlich keiner die 'Liebe', so wie Bosse sie hier inszeniert, wollen kann.

Amphitryon
von Heinrich von Kleist
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Dagmar Fabisch, Musik: Arno P. Jiri Kraehahn. Mit: Hilke Altefrohne, Anja Schneider, Michael Klammer, Robert Kuchenbuch und Hans Löw.

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

In der Süddeutschen Zeitung (27.9.2007) schreibt Peter Laudenbach, er habe "Kleist auf Pisa-Niveau" gesehen. Bosse löse die "Tragikomödie ... in virtuose Spielmomente und Situationskomik auf". Dass wir indes "in diesem Spiel ... nur sehen, was uns unser Verstand erlaubt und dass das, was wir für Wirklichkeit halten, eine Konstruktion ist", sei ein Gedanke, mit dem Bosse die Spielfreude seiner Darsteller nicht belasten wolle. Der Abend liefere "gut aufgelegte, fröhlich gespielte Unterhaltung - um den Preis der gnadenlosen Banalisierung".

Bühnenbild, Dialogregie, die Diener-Handlung im Kontrast zur sozialen Bel Etage - alles ist eigentlich ziemlich richtig in dieser Inszenierung befindet Dirk Knipphals in der taz (26.9.2007), nur halt alles etwas ZU eindeutig. "Die Summe dieser kleinen Eindeutigkeiten ergibt das Manko dieser Inszenierung. Jan Bosse hat Kleist einleuchtend spiel- und goutierbar gemacht". Aber die Chance an Kleist zu scheitern hat er sich nicht gegeben. Sprich: Bosse stutzt sich Kleist zurecht, als Verfasser einer "Beziehungstragikomödie". Dass es "bei Kleist'schen Gefühlen um einen Kampf um Leben und Tod geht, kann man auch nicht immer sehen".

Der Aufführung gewogen, zeigt sich auch Matthias Heine in der Welt (26.9.2007). Zwar "glaubt" man weder Hans Löw den Militärstrategen und Helden, noch Anja Schneider die Königin. "Beide sind eher heutige Gefühlsverwirrte in der Identitätskrise". Das sei aber "in Ordnung", schon "bei Kleist" sei die Götterwelt nur "eine Maskerade" gewesen, "hinter der sich die Qual fast moderner Seelen verbarg". Den "wertherhaft schmachtenden und leicht beleidigten Zug" des Jupiters mache Löw "sehr glaubhaft". "Ähnlich rührend macht Anja Schneider den Gefühlsaufruhr der Alkmene deutlich". Zwar fielen "manche Aspekte des kleistschen Dramas unter den Tisch", doch handele es sich um eine "unterhaltsam-intelligente Inszenierung".

"'S ist Volkstheater-Zeit, Freunde!" ruft Nikolaus Merck, der Rezensent der Frankfurter Rundschau (24.9.2007), aus. "Ganz normale Menschen" hat er in Jan Bosses "Amphitryon"-Inszenierung gesehen. So normal, dass "die handfeste bis deftige Annäherung an den deutschen Herzens-Heinrich" vor allem den Abstand ausmesse, der "uns von der Kleist’schen Gedanken- und Gefühlswelt trennt."

In der Berliner Zeitung (24.9.2007) charakterisiert Ulrich Seidler Bosses Theater als eines, das "eine Spannung und Freude" ausstrahle, "die man vom Geschenke-Auswickeln kennt." Bosses Ansatz zum "Amphitryon" belegt er mit dem schönen Neologismus "inventuristisch", was soviel meint wie: "Was haben wir denn da eigentlich für ein Stück?" Die Hauptrolle in der Aufführung spiele der "sinnfällig gekürzte Text".

Einen "geradezu exemplarischen Bosse" hat Christine Wahl vom Tagesspiegel (24.9.2007) erlebt. Auf der Habenseite sieht sie einen intelligenten und sensiblen Umgang mit der Kleist'schen Sprache sowie facettenreiche, wahnsinnig amüsante Schauspieler. "Was dafür allerdings fast vollständig auf der Strecke bleibt, ist die Fallhöhe." Aus dem "gähnenden Wer-bin-ich-Loch", das es bei Kleist ja auch gibt, werde "mit einer tollen Pointe oder einem gekonnten Tanzschritt" ganz schnell wieder rausgehüpft.

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