Dieses Mal ist des Teufels

von Regula Fuchs

Bern, 26. Oktober 2007. In Reih und Glied stehen sie da: Eine Kompanie weißer Plastikgartenstühle füllt die Bühne in der Berner Vidmar-Halle 1, der neuen zweiten Spielstätte des Stadttheaters, und gibt jener Ordnung ein Gesicht, die am Anfang von Gotthelfs Novelle in dessen freundlichem Tal herrscht; wo die Sonne gütig auf die Gottesfürchtigen scheint und sich die Tische unter der reichen Ernte biegen.

Angeordnet sind die Plastiksessel so akkurat wie Kirchengestühl, und die Taufgemeinschaft der Rahmengeschichte nimmt Platz. Doch mit dieser hält sich Erich Sidler, der Schauspielchef im neuen Team des Stadttheaters, der sowohl Textfassung als auch Regie verantwortet, nicht lange auf. Bald verwandeln sich die Akteure in die Figuren der Haupthandlung, in jene Bauern, die vom fremden Herrn – einem "Teutschen" – geknechtet sind.

Um ihre unmenschliche Fron zu bewältigen, gehen die Wankelmütigen einen Pakt mit dem Teufel ein. Genauer: Christine, ihrerseits eine Fremde vom fernen Bodensee, bändelt mit dem Satan an, der als Lohn ein ungetauftes Kind fordert und der jungen Frau einen schicksalhaften Kuss gibt, aus dem dereinst das Spinnen-Mal wachsen wird, das den schwarzen Tod über Mensch und Tier bringt.

Sinnliche Entschlossenheit

Erich Sidler hat für seinen Einstand am Berner Stadttheater einen Stoff gewählt, der als Schullektüre vermeintlich abgewetzt und wegen seiner konservativ-christlichen Moral für die Gegenwart dünn geworden ist. Doch mitnichten: Gotthelfs Novelle von 1842 ist noch immer voller Saft und Leben, dies vor allem wegen seiner Sprache, die sinnlich und entschlossen ist, gerade dort, wo es schauerlich wird. Zudem ist die Geschichte eingebettet in eine raffinierte Erzählstruktur mit Rahmenhandlung, Haupthandlung im Mittelalter und der Wiederholung des Geschehens zweihundert Jahre später.

Gotthelfs Erzählen, Gotthelfs Sprache holt Erich Sidler auf die Bühne – gemeint ist das durchaus wörtlich. Er erfindet nämlich keine neuen Dialoge oder übersetzt das Ganze ins Schweizerdeutsche, wie das im Volkstheater gerne getan wird. "Die schwarze Spinne" in seiner Dramenfassung folgt Gotthelfs Originaltext. Das bedeutet, dass es viele Erzählpassagen gibt und dementsprechend zwei Erzählerinnen. Mancherorts wurde der Text von der dritten Person in die erste übersetzt, so dass die Figuren über sich selber reden, also ihre Handlungen gleichzeitig ausführen und beschreiben.

Dieses komplexe Erzählverfahren wird in diversen Variationen durchgespielt – manchmal unterbrechen Figuren die Erzählerin und nehmen die Sätze selber in den Mund, manchmal werden verschiedene Teile der Geschichte ineinander geschoben, manchmal stimmt das Gespielte offensichtlich nicht mit dem Erzählten überein und wird mehrdeutig. Das Wort "Erzähltheater" bekommt so eine neue Bedeutung, und weil auf diese Weise Gotthelfs Sprachbilder zum Blühen kommen, hat die Inszenierung schon viel erreicht.

Ventile öffnen sich, Quellen versiegen

Die unheilvolle Geschichte nimmt ihren Lauf: Der Teufel fordert seinen Tribut, die Bauern schaffen es aber, ihm die Neugeborenen jeweils durch eine rasante Taufe vorzuenthalten. Die Harmonie vom Anfang ist rasch nur noch Erinnerung: Die Stühle sind niedergemäht, und alle, egal ob Satan oder Bauer, pflügen sich durch das Feld von weißem Plastik, bis das Bild allmählich etwas überstrapaziert ist. Sowieso hält sich die Regie mit Einfällen zurück, und überlässt die Schauspieler in Situationen von emotionaler Intensität einem Naturalismus des Spiels, der abgegriffen wirkt.

Christine (Friederike Pöschel), der die grausliche Spinne auf der Wange wächst und in Körper und Seele schmerzt, rauft sich die Haare, schreit und jault, klammert sich an den Pfarrer, stampft und rennt. Mehr als das gängige schauspielerische Vokabular des Leids bietet Sidler an solchen Stellen leider nicht auf. Und je mehr sich die Ventile der Verzweiflung bei den Figuren öffnen, desto stärker versiegt beim Zuschauer die Quelle der eigenen Vorstellungskraft.

So übertüncht dieses forcierte Spiel oftmals Gotthelfs Eindringlichkeit, gerade in den dramatischen Momenten, was schade ist. Denn die Geschichte verfügt, trotz der Moral des Pfarrers Gotthelf und obwohl sich Sidlers Inszenierung von jeder Aktualisierung fernhält, auch über zeitlose Inhalte – sie zeigt den Egoismus der Bauern, denen ihr Wohl mehr gilt als die Seele eines Ungeborenen, oder die Gruppendynamik der Dorfgemeinschaft, wenn für das erlittene Unglück ein Sündenbock gefunden werden muss.

 

Die schwarze Spinne
nach der Novelle von Jeremias Gotthelf
Bühnenfassung und Regie: Erich Sidler, Bühne: Wolf Gutjahr, Kostüme: Bettina Latscha, Musik: Philipp Stangl. Mit: André Benndorff, Dagny Giulami, Margot Gödrös, Heidi Maria Glössner, Sabine Martin, Georg Mitterstier, Friederike Pöschel, Ernst Sigrist, Diego Valsecchi und Stefano Wenk.

www.stadttheaterbern.ch

 

Kritikenrundschau

Auf NZZ online (29.10.2007) weiß Regula Freuler angesichts der Sidlerschen Inszenierung nicht, ob standhalten oder fliehen: "Das Zuschauerherz aber schwankt zwischen Lachen und Erschau(d)ern ob der zunehmend grotesken Veranstaltung." Wobei das Groteske hier durchaus Gotthelfs wilde Mittelalterei mit Teufel, Babyopfer, tapferer Dame mit Spinne auf Backe und bösem adligen 'Schwob' meint, als auch Sidlers um eine Ladung weißer Plastikstühle herum gebaute Inszenierung. Die Aufführung flackert hin und her zwischen "reinem Erzählen", wilden Auftritten der Schauspieler, "bis man sich fragt, wie viele Höhepunkte eigentlich in einer Klimax Platz haben", um am Ende das "christliche Gleichnis" in die "Rocky Emmental Picture Show, aber die bierernste Fassung" zu verwandeln. 

Der Wechsel zwischen Erzählen und Handlung bilde ein Dauerhemmnis für die szenische Entwicklung, befindet Noëmi Gradwohl in der Berner Zeitung (29.10.2007). Durch den dauernden Wechsel verwischten sich sonderlich "die Konturen" von Teufel und despotischem Lehnsherren, die beide vom gleichen Schauspieler gegeben werden. "Das Ensemble, durchaus zu Besserem fähig, flüchtet sich rasch in Brüllkaskaden, um vermeintlich doch noch zur Emotionalität zu finden." Nur der Neuzugang im Ensemble, die Hauptdarstellerin Friederike Pöschel lässt sich nicht beirren, ihre Christine mutiert "mit Stolz, Entschlossenheit und Grösse vom anfänglichen Opfer" zur "tapferen Tragödin".

 

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