Pippi Langstrumpf im Herzen der Finsternis

21. Februar 2013. Das Berliner Ballhaus Naunynstraße lud zu einer Veranstaltung ein, in der Positionen der N-Wort-Debatte noch einmal zusammengefasst wurden. Auch wurde der Verstörung über Kälte und Ignoranz Ausdruck verliehen, mit der das deutsche Feuilleton sein Recht auf Rassismus verteidigt.

Von Esther Slevogt

Berlin, 21. Februar 2013. Es war der Abend des Tages, an dem der Tod Otfried Preußlers bekannt wurde, der am Montag gestorben ist: Otfried Preußler, der einer der wesentlichen Ermöglicher der sogenannten Kinderbuchdebatte war. Denn er hatte sich vom Brief eines Vaters berühren lassen, der von der Verstörung seiner siebenjährigen Tochter Timnit über das N-Wort in "Die kleine Hexe" berichtet hatte. Daraufhin hatte er der Entfernung aller rassistisch konnotierten Begriffe aus seinen Büchern zugestimmt.

"Black Intervention" hatte das Berliner Ballhaus Naunynstraße eine Veranstaltung überschrieben, in der wesentliche Positionen der Debatte noch einmal aufgearbeitet wurden. Auch wurde hier der Verstörung über die Ignoranz und Indolenz Ausdruck verliehen, mit der das deutsche Feuilleton so vehement sein Recht auf Rassismus verteidigt.

Wegweiser Otfried Preußler

Diese Haltung zeige, dass wesentliche Ideologen der "Leitkultur", die sich in den deutschen Feuilletons verbarrikadieren, nicht auf Augenhöhe diskutieren wollten, brachte Mekonnen Mesghena seine Einschätzung auf den Punkt. Im Berufsleben ist er Leiter eines Schlüsselreferats der Heinrich-Böll-Stiftung, und zwar der Abteilung "Migration und Diversity" – und im Privatleben der Vater der siebenjährigen Timnit, deren folgenreiche Erschütterung über den herabsetzenden Rassismus in der Sprache eines berühmten Kinderbuchs er an den publizierenden Verlag weitergeleitet hatte.

mekonnen mesghen 280 sleSein Brief an den Thienemann-Verlag löste die Debatte aus: Mekonnen Mesghena. © sleMesghena wies in seinem Beitrag noch einmal darauf hin, dass Preußlers wegweisende Rolle in dieser ideologisch geführten Debatte komplett unterschlagen werde. Stattdessen inszeniere das Feuilleton diesen Vorgang als "Angriff auf das Weiß-Sein", vergleiche die Forderung nach Schutz vor rassistischem Vokabular mit Zensur und der nationalsozialistischen Bücherverbrennung. Doch wer das tue, ignoriere die Tatsache, dass diese Begriffe mit einer langen Geschichte der Entmenschlichung, Misshandlung und Ausbeutung verbunden seien. Mesghena erwies Otfried Preußler noch einmal ausdrücklich seine Reverenz: Dessen Einlenken verbinde ihn und seine Tochter für immer mit diesem Autor. Sein Tod mache traurig, das Zeichen, dass er kurz zuvor noch setzen konnte, jedoch froh.

Wider die hoffnungslos Vorgestrigen

Es war eine denkwürdige Veranstaltung, bei der schnell klar wurde: Die Debatte hat erst begonnen und wird die Kultur dieses Landes nachhaltig umkrempeln. Schon nach dreißig Minuten wirkten die, die da in den großen Feuilletons immer noch um Deutungshoheit ringen, hoffnungslos vorgestrig: Jene, die das N-Wort in den letzten Wochen provokant auf ihre Titelseiten setzten, ebenso wie der verblendete Literaturkritiker Denis Scheck, der sich nicht entblödete, im Fernsehen mit schwarz geschminktem Gesicht (also mit Blackfacing) das N-Wort in Kinderbüchern für schützenswert zu erklären.

Schon der enorme Andrang vor dem Theater machte deutlich, dass dieses Thema keineswegs nur ein Minderheitenthema ist, sondern die Gesellschaft längst damit begonnen hat, ihre Werte und Begriffe neu zu vehandeln. Höchstens die Hälfte aller Interessenten fand am Ende im überquellenden Zuschauerraum des Ballhauses Naunynstraße in Kreuzberg überhaupt Platz. Wer nicht hereinkam, konnte die Veranstaltung per Live-Stream im Internet verfolgen.

Ach, du armes männliches weißes Bildungsbürger-Ich!

Gekommen waren Autoren, Musiker und Performer, die jeweils Arbeiten zur Debatte präsentierten. Die Berliner Landschaftsarchitektin und Kolonialismusforscherin Noa Ha las einen ironisch-melancholischen Text, der die Argumente der aktuellen Debatte reflektierte. Dazwischen flocht sie Fetzen eines Selbstgespräches des gekränkten männlichen weißen deutschen Bildungsbürger-Ichs, das sich von den Folgen von Mesghenas "höflich argumentierendem Brief" nun so tief getroffen zeigt: Nicht nur, dass bereits die Blackfacing-Debatte vor einem Jahr seine bildungsbürgerliche Selbstverständlichkeiten zutiefst untergraben hätte. Nun solle der deutschen Identität auch noch ihre Kindheit genommen werden! Doch könne es nicht sein, fragte Noa Ha, dass dieses Land nicht erwachsen werden wolle?

Der Autor Philipp Khabo Koepsell, der sich bereits mit seiner Publikation "Die Akte James Knopf" zu Michael Endes Buch "Jim Knopf" in die Debatte einmischte, beeindruckte mit einer poetry-slamhaft vorgetragenen Fantasie über Pippi Langstrumpfs Vater Efraim, besser bekannt als König von Taka-Tuka-Land. Nicht nur, dass er dieses einst als antiautoritäres Vorzeigemodell verklärte Aussteigerleben als höchst zwiespältig, sozial auffällig, kolonialistisch und semikriminell dekonstruierte. Im Untergrund seines Textes funkelte dieser Pippi-Langstrumpf-Vater ziemlich finster als romantisierte Kinderbuch-Version des bösen Elfenbeinhändlers Kurtz, dem dunklen Zentrum von Joseph Conrads abgründiger, imperialismuskritischer Erzählung "Heart of Darkness" – bei Lindgren allerdings jeglichen kritischen Potenzials beraubt.

joshua kwesi aikins 280 sleWider Denis Schecks Blackfacing: Joshua Kwesi Aikins. © sleDie Regisseurin und Autorin Simone Dede Ayivi, die jüngst einen (auch auf nachtkritik.de) viel diskutierten Beitrag zur Kinderbuchdebatte im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht hatte, stellte ihr neues Theaterprojekt vor. Sie hatte ein schmerzhaftes Bonmot im Gepäck: So oft, wie sie stets nach ihren Wurzeln gefragt werde, habe sie eines Tages das Gefühl beschlichen, sie müsse ein Baum sein, aber kein Mensch.

Mangelndes Geschichtsbewusstsein

Der junge Politologe und Historiker Joshua Kwesi Aikins schließlich kam noch einmal auf den unsäglichen Blackfacing-Fernseh-Auftritt des Literaturkritikers Denis Scheck im Januar zu sprechen. Dieser Auftritt, so Kwesi Aikins, belege gerade jenes mangelnde Geschichtsbewusstsein, das die N-Wort-Schützer stets als Argument gegen seine Streichung ins Feld führten: Scheck sei in dieser so tief im rassistischen Denken verwurzelten Aufmachung ausgerechnet am 27. Januar im deutschen Fernsehen aufgetreten, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag. Damit habe er die Opfer des Nazi-Rassismus verhöhnt, unter denen auch Menschen gewesen seien, die auf Grund von nationalsozialistischen Verordnungen, die überquellen würden vom N-Wort, das Scheck so schützenswert finde, misshandelt, sterilisiert und ermordet wurden.

Dann folgte ein so lapidarer wie eindringlicher Vortrag über die 350-jährige rassistische Tradition nicht nur des N-Wortes selbst, sondern auch der Gesellschaft, die so sehr auf seine Weiterverwendung besteht: Vor 350 Jahren nämlich habe der brandenburgische Kurfürst mit dem Handel von versklavten Menschen aus Afrika begonnen. Zu diesem Zweck sei damals übrigens die erste Aktiengesellschaft der deutschen Wirtschaftsgeschichte gegründet worden: die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie. Sprachgeschichte als Wirtschaftsgeschichte? Fest steht, beide Systeme müssen neu verhandelt werden.

 

Alles über die Blackfacing-Debatte auf nachtkritik.de im Lexikon.

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