Schlimm bleibt schlimm

von Leonie Krutzinna

Hildesheim, 27. September 2014. Als wäre der Anfang das Ende. Wie zum Schlussapplaus tritt das Ensemble aus der Bühnenflucht dem Publikum entgegen, ein Trupp Hooligans, kostümiert irgendwo zwischen Rambo und Braveheart. Doch statt erlösendem Beifall ertönt in Endlosschleife die seherische Formel der Hexen: "Schön ist schlimm und schlimm ist schön". Prophetisch umklammert die Dichotomie von Gut und Böse, das "fair is foul and foul is fair", Shakespeares "Macbeth" und begleitet die Figur Macbeth auf seinem Weg vom treuen Vasallen zum blutrünstigen Mörder.

Die Krone als Fremdkörper
Bildgewalt, so scheint der Hildesheimer Regisseur Gero Vierhuff zu meinen, braucht es bei der Brutalität des Textes nicht. Die Nebelmaschine macht das Licht in dem mit Wellblechwänden ausstaffierten Bühnenraum diffus, ein khakigrauer Farbfilter liegt über der Figurenkostümierung. Auf- und Abgänge gibt es kaum, keine sichtbaren Rollen- oder Schauplatzwechsel, keinen Kulissenumbau. Umso schärfer treten die Requisiten hervor, die Schwerter, Äxte, Dolche und Lanzen: Explizit wird es dann, wenn es um Gewalt geht. Und während man sich auf der Bühne – kampfchoreographisch angeleitet – erdolcht, ersticht und Theaterblut über den Kopf schüttet, bleibt gar keine Zeit, um eine qualitative Dimension von Herrschaft auszumessen. Hingeschludert ist auch die Machtinsignie: eine Krone, die als lächerlicher Fremdkörper auf dem Haupt des Machthabers sitzt, als hätte sie der Hospitant von der Mittagspause bei Burger King mitgebracht.

macbeth 414 560 andreas hartmann uHildesheimer Schlachteplatte © Andreas Hartmann

In der Hubba-Bubba-Wolke
Regisseur Gero Vierhuff setzt auf Atmosphäre statt Diskurs. Um Macbeths Entrücktheit und die gestörte Weltordnung darzustellen, greift er auf choreographische, musikalische und rhythmische Effekte zurück. Ein dystopisches Setting entsteht, aus dem es keinen Ausweg gibt. Leitmotivisch beschleunigt und retardiert das Blut die Handlung. Langsam kriecht es den Saum des zu Beginn noch unschuldsweißen Kleides der Lady Macbeth hinauf. Minutenlang liegt König Duncan leblos da, niedergestreckt von einem Eimer Theaterblut. Eingehüllt in die kunstblutige süßliche Hubba-Bubba-Wolke gibt es auch fürs Publikum olfaktorisch über zweieinhalb Stunden kein Entrinnen.

Vierhuff gelingt eine solide visuelle Übersetzung des 400 Jahre alten Textes in ein Bühnenstück. Viel mehr aber nicht. Assoziationen und Analogien bleiben aus. Als Macbeth schlussendlich besiegt ist und das erlösende "Die Welt ist frei" den Applaus einfordert, hat das Hildesheimer Publikum Schlachten, Kämpfe und Gefechte überstanden. Der Losung der Hexen ist jedoch nichts entgegengesetzt: Von Ordnung oder auch Sinn – keine Spur.


Macbeth

von William Shakespeare

Deutsch von Angela Schanelec

Regie: Gero Vierhuff , Bühne und Kostüme: Marcel Weinand, Musik: Felix Gebhard, Kampfchoreographie: Tristan Fabian, Dramaturgie: Astrid Reibstein.
Mit: Simone Mende, Marek Egert, Martin Molitor, Dennis Habermehl, Michaela Allendorf, Thomas Strecker, Dieter Wahlbuhl, Katharina Wilberg.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.tfn-online.de

Kritikenrundschau

Gero Vierhuff inszeniere Shakespeares dunkelste und kürzeste Trägödie "mit einem intensiv aufspielenden Ensemble" - und zwar "mit einer Vehemenz und zugleich Distanziertheit, dass den Zuschauern zuweilen der Atem stockt," schreibt Martina Prante in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung (29.9.2014). Vierhuff, dem die Kritikerin "intensives Gespür für massive Gefühle" bescheinigt, vertraue auf das Wort und die Mechanik dieses psychologischen Meisterwerks und mache die Zuschauer zu Komplizen eines blutigen Desasters, bei dem die Welt aus den Fugen gerät, schicke es auf einen Ritt durch menschliche Abgründe. Am Ende protokolliert die Kritikerin minutenlangen Applaus und Bravo-Rufe.

 

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