Goetheklößchen an Vanilleeis

von Frauke Adrians

Weimar, 28. September 2014. Zur "Lotte" gibt es rosa gebratenes Rumpsteak mit einer Senfkruste, Speckbohnen und, ganz wichtig in Thüringen, gebratene Kloßscheiben. Man spielt Theater im Weimarer Hotel Elephant, dem ersten Haus am Platze heute wie vor 200 Jahren, und der findige Hotelier offeriert dazu das Lotte-Arrangement: "Theateraufführung, Übernachtung und Kulinarik verbinden!" Das viergängige Menü im Elephantenkeller ist für 36 Euro zu buchen.

Und das Stück selbst, "Lotte in Weimar" nach Thomas Mann: Ein buchenswertes Ereignis? Ein unterhaltsames auf alle Fälle. Zudem ist das Zwei-Personen-Stück so kurz, dass es wahlweise vor der klaren Tafelspitzconsommé mit Gemüse und Markklößchen oder nach dem kleinen gebackenen Schokoladen-Himbeerküchlein mit Vanilleeis und Sahne genossen werden kann. Regie führt der Intendant des Deutschen Nationaltheaters höchstselbst. Hasko Weber hat sich und seinem Team hier ein kleines Vergnügen gegönnt, das niemandem viel Mühe macht und das Elephanten-Team bestimmt erfreut.

Lotte2 560 LucaAbbiento uOnce upon a time in Weimar: Goethe und Charlotte Kestner, geborene Buff
© Luca Abbiento

Hatten sich Weimars Touristiker nicht zu Zeiten von Hasko Webers Amtsvorgänger Stephan Märki wiederholt darüber beklagt, das Nationaltheater strahle zu wenig aus auf die Stadt und ihren Fremdenverkehr? Nun haben sie ihr maßgeschneidertes Theater-Event mit Goethe-Bezug. Und es ist tatsächlich eine feine Idee, die Lotte genau dort auf die Kleinstbühne zu bringen, wo Thomas Mann sie in seinem Roman angesiedelt hat.

Kulleräugige Nervensägen

Seine Lotte trifft 1816 in Weimar ein und steigt im Hotel Elephant ab, vorgeblich, um ihre Schwester zu besuchen, tatsächlich in der Hoffnung, nach 44 Jahren ihren jungen Dichter von damals wiederzusehen. Charlotte Kestner, geborene Buff, das Vorbild von Werthers angebeteter Lotte, wird in Weimar belagert von jeder Menge Weimarern und Weimaranern, die einen Blick auf die gealterte Berühmtheit erhaschen wollen – und belästigt von Herrschaften, die Goethe tatsächlich oder vermeintlich nahestehen oder sich in seiner Aura sonnen.

Die Leiden der Lotte kann Hasko Weber in seiner eineinviertelstündigen Inszenierung nur andeuten. Aber seine beiden Schauspieler, Anna Windmüller als um Würde und Fassung bemühte Charlotte Kestner und Krunoslav Šebrek als diverse kulleräugige Nervensägen, spielen diese Miniaturfassung mit so viel Witz, dass man, ob vor oder nach dem Lotte-Menü, gern zuschaut. Zum Zimmertheater-Flair passt die minimalistische Ausstattung von Andrea Wöllner; zwei Stühle und ein Garderobenständer, an dem Krunoslav Šebrek Zylinder, Perücke und Gehrock zwischenlagert, genügen vollauf.

Braun überzogenes Himbeerküchlein

Šebrek beeindruckt mit seinem Talent fürs Komische und der Wandlungsfähigkeit, mit der er gleich vier zu Karikaturen verknappte Figuren spielt. Er ist der Hotelwirt Mager, der in aufdringlicher Untergebenheit alles an Lotte "buchenswert" findet, und der gelehrte Dr. Riemer, der zumindest ahnt, dass seine Person im Scheine der Persönlichkeit Goethes einfach zerschmilzt; er ist die lästerhafte, schielende Adele Schopenhauer ebenso wie August Goethe, des Großen Sohn, dem wohl vor allem der zweite Gang des Lotte-Menüs – Miesmuscheln in Weißweinsud – zugesagt hätte. Der versoffene, großspurige Filius weckt in Lotte Muttergefühle – der beste Beweis dafür, dass sie es auch nicht immer leicht hatte im Leben.

Anna Windmüllers Lotte lässt sich heroisch-stoisch von Mager betatschen und vom lüsternen August an die Trinkerbrust drücken. Nur ihre Erinnerungen an Goethe, den jungen und den alten, bringen sie in Rage. In überzeugendem Furor zitiert sie Fausts Gretchen – "Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, das musste mal gesagt werden!" - und fasst ihre Enttäuschung über den zum selbstgerechten Denkmal erstarrten Geheimrat in ätzende Worte. Und immer wieder, das ist eine starke Regieidee, fängt sie in den immer gleichen Worten vom Mittagessen bei Goethe an: So viel hatte sie sich davon versprochen, so kühl und unpersönlich wurde es.

Aber der kleine Saal im Hotel Elephant, in den 60 Zuschauer passen, ist nicht der Ort für währende Wut; schon gar nicht der Ort für ernsthafte Rückblicke auf den tiefbraunen Fleck in der Geschichte dieses mehr als 300 Jahre alten Hotels – Weber streift das Thema nur en passant. Das Schokoladen-Himbeerküchlein soll ja niemandem im Hals steckenbleiben. Lotte im Elephanten, das ist ein kurzweiliges Theaterstündchen. Vor allem, aber nicht nur, für Weimar-Touristen.

 

Lotte in Weimar
nach Thomas Mann
Regie: Hasko Weber, Ausstattung: Andrea Wöllner, Dramaturgie: Beate Seidel.
Mit: Krunoslav Šebrek und Anna Windmüller.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.nationaltheater-weimar.de

 

Mehr Lotte? Goethes andere Lotte, Charlotte von Stein, erwachte jüngst in Weimar beim Kunstfest in Your Lover forever von Lily Sykes zu neuem Bühnenleben.

 

Kritikenrundschau

Von einer intellektuellen Komödie, die es in sich hat, spricht Hubert Spiegel in der FAZ (30.9.2014). Nicht nur Goethe, auch Joyce und Virginia Woolf hätten an Thomas Manns Roman an mitgeschrieben. Und auch der dunkle Einfluss Hitlers sei spürbar, "im Roman und auch in der klugen Bühnenfassung der Dramaturgin Beate Seidel". Gegen die Ansprüche der Nazis auf die Weimarer Klassik hätte Mann sie mit diesem Roman verteidigt. Die Partei hatte Goethe und Schiller zu den ersten Nationalsozialisten erklären lassen und das Hotel Elephant, in dem der Roman spielt und in dessen Keller schon Goethe seinen 80. Geburtstag feierte, abgerissen und im eigenen Stil wieder aufgebaut. Hasko Webers kleine aber feine Inszenierung sei eine Petitesse, "aber eine, die es in sich hat".

Als "spielerische Petitesse auf anspruchsvollem Niveau" und kurzweiliges Vergnügen beschreibt Thomas Bickelhaupt in der Thüringischen Landeszeitung (30.9.2014) den Abend. Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass sich "beim Theaterfreak der reinen Lehre die Nackenhaare sträuben", da der Abend nicht nur das Schauspiel selbst sondern auch ein Menü inkludiere. "So mancher Gast des renommierten Hotels Elephant jedoch "dürfte sich amüsiert zurücklehnen, weil er sich im Sinne des nach wie vor wirkmächtigen Mythos Weimar angenehm unterhalten fühlt". Besonderes Lob erhält nicht nur die "klug eingekürzte" Spiefassung von Beate Seidel, sondern auch der Schauspieler Krunoslav Šebrek, der den Kritiker besonders mit seiner Darstellung einiger Nebenfiguren begeistert.

Es sei sowohl zur Ehre Hasko Webers gesagt als auch des Hotels 'Elephant', "wenn diese kleine, hübsche Inszenierung eine Marketingmaßnahme genannt wird", schreibt Henryk Goldberg in der Thüringer Allgemeinen (30.9.2014), die er insgesamt "bekömmlich" findet. Insbesondere Krunoslav Šebrek "plaudert und windet sich, mit heiterem Antlitz und sprechenden Händen, sehr amüsant durch vier Rollen." Scharf zu tadeln bleibe, "dass in dem hernach angebotenen Lotte-Menü die Pilze fehlen. Da bitten wir Weimarer Kulturbürger doch sehr um Werktreue!"

"Man könnte sagen, ein fast betörender Sprechanfall zweier Schauspieler (Anna Windmüller und Krunoslav Sebrek), ein nahezu atemloses Duett aus Thomas Mann’schen Texten, in dem Weimar als ein Ort des Klatsches, eines allzumenschlichen Alltags und dominiert von seinen Honoratioren erscheint", schreibt Helmut Schödel in der Süddeutschen Zeitung (1.10.2014). "Dieser Abend ist, um es mit Thomas Mann zu sagen, absolut „buchenswert“ und gehört schon jetzt zu den schönsten Petitessen der Saison."

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