Vertrautes Terrain

von Thomas Rothschild

Stuttgart, 5. Oktober 2014. Der Titel erweckt Erwartungen: "Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist." Er wird an diesem Theaterabend vier Mal so oder so ähnlich gesprochen. Wer nun aber hofft, auf die implizierte Frage eine Antwort zu erhalten, kennt René Pollesch nicht. Einmal setzt Astrid Meyerfeldt zu einer Erklärung dafür an, was die Arbeit ist: "Wissen wies geht, und nichts dazu machen."

Ein rätselhafter Satz, auf den keine Argumentation folgt. Pollesch liebt die Tautologien, die Paradoxien, den Aphorismus, der Theorien eher anklingen lässt oder suggeriert als expliziert. Geht es also in dem neuen Stück um Arbeit? Dürfen wir mit einem Jeremy Rifkin fürs Theater rechnen? Wohl kaum. Es geht, wie so oft bei Pollesch, um alles und um nichts.

Differenzierung des Postdramatischen

Der Glaubenskrieg zwischen Christen und Muslimen ist ein Pappenstiel verglichen mit dem Krieg, der mittlerweile zwischen den Verfechtern des seit Hans-Thies Lehmann so genannten Postdramatischen Theaters und den Getreuen eines auf literarischen Texten beruhenden Theaters herrscht. Dabei liefert die begriffliche Schlamperei die in Kriegen erforderlichen Rauchschwaden. Das Etikett des Postdramatischen, die fließenden Übergänge zur Performance und zum projektorientierten Theater verhindern eine dringlich benötigte Differenzierung.

Das Theater eines René Pollesch oder auch eines Jan Neumann, der dem Kollegen Pollesch in Stuttgart mit seiner Stückentwicklung "Die Stadt das Gedächtnis" um genau eine Woche zuvorkam, hat mit mancherlei Darbietungen, die unter den genannten Labels präsentiert werden, inhaltlich, stilistisch und qualitativ weniger gemeinsam als ein "Hamlet" in Hamburg mit einem "Hamlet" in Castrop-Rauxel. Eine Pollesch- oder eben auch eine Jan Neumann-Inszenierung kann immer nur als Intervention für oder gegen diese Theatermacher gelten, nicht für oder gegen irgendein postdramatisches Zeitalter.

Gemischte Gesichter

In der Außenstelle Stuttgart ist Pollesch insbesondere bei jungen Zuschauern seit den Intendanzen Friedrich Schirmer und Hasko Weber ein beliebter Gast. Er hat sich hier wie anderswo seine geistesverwandte Truppe, allen voran den urkomischen Christian Brey, herangezogen. Jetzt bereichert er auch das kunterbunte Repertoire von Armin Petras und muss von vorne anfangen.

duweissteinfachnicht3 560 ju ostkreuz uAstrid Meyerfeldt mit Tobias Dusche (Video und Live-Kamera) und Linda Krieg (Soufflage)
© Julian Röder / Ostkreuz

Mit Astrid Meyerfeldt allerdings hat er eine Darstellerin zur Verfügung, mit der er schon in Berlin zusammen gearbeitet hat. Man merkt es ihr an. Sie beherrscht den schrägen Stil, den man bei Pollesch gewohnt ist. Neu hinzu kommen Johann Jürgens, Christian Schneeweiß und der eben erst zum Schauspieler des Jahres gewählte Peter Kurth.

Ob Peter Kurth "einer der vier, fünf besten Darsteller in seiner Altersklasse Mitte fünfzig" ist, wie Armin Petras kürzlich in einem Interview deklariert hat, sei dahingestellt. Auf jeden Fall ist er, jenseits aller Ranglisten, eher ein hervorragender psychologisierender Verwandlungsschauspieler als ein schriller, wilder Stilist wie etwa Martin Wuttke oder, mit anderen Worten, nicht unbedingt ein Schauspieler, der einem sofort in Zusammenhang mit René Pollesch einfiele. Denn es gibt durchaus Pollesch-Schauspieler, wie es Mnouchkine-Schauspieler oder Wilson-Schauspieler gibt.

Locker unangestrengt

Aber Kurth, der Robert Mitchum immer ähnlicher sieht, fügt sich ganz großartig in das Quartett. Formal ist "Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist" dem Konversationsstück oder auch der Sitcomedy verwandt. Der Unterschied liegt in der Ungefügtheit der Dialoge. Kurth aber spricht diese Dialoge mit jener lockeren Unangestrengtheit, die sie erst zum Leben erweckt. Gestisch setzt er auf einen Minimalismus, der der Inszenierung entspricht: So bewegungstechnisch enthaltsam war Pollesch in Stuttgart noch nie. 

duweissteinfachnicht1 560 ju ostkreuz uAuftritt aus der Versenkung © Julian Röder / Ostkreuz

Die Gesprächsrunde wechselt von der verdeckten Hinterbühne, wo eine Videokamera die Schauspieler in bekannter Weise auf eine Leinwand transferiert, durch eine schmale Tür unter einem Kruzifix auf die Vorderbühne, auf der ein vierstöckiges Bett, eine gelbe Sichel, eine Treppe, die nirgends hin führt, mit Monstranz, ein Christusbild mit zwei Riesenkerzen und später ein aufblasbarer, die Bühnenbreite füllender Hammer zu sehen sind (Bühnenbild: Janina Audick), und wieder zurück. Wenn Peter Kurth slapstickartig (und vergeblich) versucht, an der seitlich angebrachten Leiter vorbei ins zweite Bett von unten zu klettern, ist das schon der Höhepunkt szenischer Aktion. Nur Astrid Meyerfeldt darf fuchteln und kreischen wie in früheren Pollesch-Tagen, dass es eine Freude ist.

Nicht diese Videokacke

Wenn Astrid Meyerfeldt sagt: "Ich hasse Video. Oh nein, wir spielen hier nicht diese Videokacke oder?", wenn sich Polleschs Theater also selbst (ironisch) thematisiert, befinden wir uns wieder auf vertrautem Boden. Wenn aber in jener zyklischen Form, die Pollesch immer schon geliebt hat, die Frage nach einem Hörgerät oder nach Kontaktlinsen mehrfach wiederholt wird, ist Daniil Charms ganz nah. Das Absurde ist in Polleschs Stücken massiver beheimatet, als er wahr haben möchte. Oder treibt er sein Spiel mit uns? Wie er es mit dem Titel "Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist" tut.

Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist
von René Pollesch Regie: René Pollesch, Bühne: Janina Audick, Kostüme: Svenja Gassen, Live Kamera: Tobias Dusche, Dramaturgie: Anna Haas, Souffleuse: Linda Krieg.
Mit: Johann Jürgens, Peter Kurth, Astrid Meyerfeldt, Christian Schneeweiß.
Dauer: 1 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

 

Mehr zu René Pollesch: Zuletzt besprachen wir House for Sale, das im September 2014 an der Berliner Volksbühne Premiere hatte.


Kritikenrundschau

Glücksmomente hat Nicole Golombek von den Stuttgarter Nachrichten (6.10.2014) wieder mit Pollesch erlebt: "Schöne komplizierte Sätze, die auf einen niederprasseln, die einen berühren und verwirren und überfordern." Der Abend lebe von einer "Mischung aus Theorie und Körpertheater"; sein Diskurs wirke "dieses Mal erstaunlich bodenständig, weil er von Arbeit handelt, etwas also, das (fast) jeder kennt". Leider kämen nicht alle Akteure mit "den hochtourigen, von postmodernen Denkern inspirierten Pollesch-Sätzen klar, die Tempo und gewisse Distanz bei den Sprechenden erfordern". Fazit: "Kein ganz großer, aber ein amüsanter, kluger Abend".

Pollesch-Stücke sind "lustig wie ein Schokoladensoufflé süß ist", weiß Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau (6.10.2014). Die Stuttgarter Schauspieler bewegten sich "mit allergrößter Selbstverständlich- und Natürlichkeit durch absurde Textpassagen" und Slapstick. Worum es gehe, sei die falsche Frage. Immer wieder kreise man wie im postdramatischen Theater üblich um "Theatermachen und um Kreativität". So wisse Pollesch vielleicht nicht, was "die" Arbeit sei, aber "er liefert doch die von ihm erwartete verlässlich ab".

„Die vier von der Stuttgarter Theoriebaustelle eines Theaters nach der Postmoderne tun so, als würden sie allmählich einen Stücktext verfassen, der das Leiden der Gesellschaft und des Theaters am Kreativitätszwang verhandelt. Dazu gehört unter anderem Distanz zum eigenen Tun", berichtet Jürgen Berger in der Schwäbischen Zeitung (6.10.2014). Symbolisch wird dem Kritiker der zentrale Bühnenhammer: "Er liegt als schlaffe Hülle auf dem Boden, wird irgendwann aufgeblasen und schwebt wie eine Erinnerung an bodenständige handwerkliche Arbeit über der Szene. Im Schwebehammer kann man, wenn man so will, auch einen Hinweis in Richtung jener in der Regel jungen Regisseure verstehen, die ihre eigene Kreativität derart überschätzen, dass sie fundamentale handwerkliche Regeln außer acht lassen und so wild in klassischen Theatertexten herumfuhrwerken, dass am Ende nicht Mal mehr sie selbst verstehen, was sie da tun."

Pollesch habe einen "Text entwickelt, der sich griffig und dabei höchst vergnüglich mit den fragwürdigen Mechanismen des Theaterbetriebs auseinandersetzt und seine Schauspieler "glänzen mit einer großen Ehrlichkeit auf hohem Niveau", lobt Elisabeth Maier in der Canstatter Zeitung (6.10.2014). "Polleschs Faible für komische Situationen und einen manchmal platten Boulevard-Jargon" werde souverän ausgekostet.

Der Abend sei "kein religiöses Lösungsangebot, sondern eine bittere Bestandsaufnahme", so Judith Engel in der tageszeitung (7.10.2014). Was hier diskutiert werde, passe eher auf ein linksorientiertes Symposium gegen kreative Arbeit als auf einen Gottesdienst. "Der Imperativ 'Sei kreativ!' erweist sich als absoluter als manches Glaubensgebot."

"Getrieben von den komplexen Satzungetümen, hasten die Schauspieler wie stets bei Pollesch den Gedanken hinterher", schreibt Adrienne Braun in der Süddeutschen Zeitung (10.10.2014). Polleschs Stärke, das Selbstverständliche zu demontieren und das Diktatorische in vermeintlicher Freiheit zu entlarven, sei aber etwas zu routiniert und im Detail unpräzise geraten, "Schlagworte ersetzen noch keine Argumentation". Vor allem werde das Phänomen Kreativität nicht differenziert, sondern meint allein den Kampfbegriff der Generation Kreativwirtschaft.

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