Zum Glück sind da die Monster

von André Mumot

Berlin, 5. Oktober 2014. "Ich bin nicht darstellbar!", verkündet Margot Honecker an diesem Abend kategorisch. "Ich finde, es müsste ein Gesetz geben, dass man Frau Margot nicht darstellen darf!" Ist natürlich Quatsch, denn genau darum geht es ja gerade in Theresia Walsers 2013 in Mannheim uraufgeführtem Stück: dass man drei Schauspielerinnen ins historische Kostüm steckt und ihnen freudvolles Imitieren ermöglicht. Zu diesem Zweck werden die drei notorischen Diktatorengattinnen Imelda Marcos, Leila Ben-Ali und eben Margot Honecker bei einer Pressekonferenz zusammengeführt, in der sie über die Verfilmungen ihres Lebens sprechen und ganz nebenbei ihre unbelehrbare Verdorbenheit zu Protokoll geben sollen.

Lachlust

Vorm Berliner Renaissance-Theater fahren sie dann auch ganz standesgemäß vor, mit riesigen Sonnenbrillen auf den Nasen und beleidigter Noblesse in den Mundwinkeln, was dem Publikum in einem schmissigen, eigens von Jim Rakete angefertigten Video-Einspieler zur Einstimmung präsentiert wird und so gut funktioniert, dass der erste leibhaftige Auftritt des Trios sogleich mit euphorischem Applaus gewürdigt wird: Vorschusslorbeeren, die natürlich keineswegs unangebracht sind, denn diese drei versierten Profi-Diven - zwei von ihnen plus der Regisseurin an der nicht weit entfernten Schaubühne überlebensgroß geworden - wissen genau, wie man mit Händen, Blicken, Kapriolen noch das letzte Kichern aus dem Publikum rauskitzelt, wenn es denn schon mal in echter Lachlust ist.

Königin von Karthago

Judith Rosmair als Frau Leila aus Tunesien, tut sich da noch am schwersten, ist bisweilen überschrill und zerfahren, wenn sie immerfort selbstgeschriebene Gedichte aufsagen und dazu ihren Leopardenfellmantel aufschlagen und die spindeldürren Beine breitmachen will. Doch man muss es ihr lassen: Auch sie wuschelt sich ganz hervorragend die Haare in lasziven Modelposen, stellt klar, dass sie die "Ehrenbürgerwürde der Universität Stuttgart" besitzt und beschreibt mit schnarrend enthemmter Hysterie, wie Asseln und andere Kleintiere ihre Notdurft in jenen Rohren verrichten, aus denen die Normalsterblichen ihr Trinkwasser beziehen, weshalb die ehemalige "Königin von Karthago" ausschließlich auf Abgefülltes aus kanadischen Wäldern zurückgreift.

Im Wartburg um die Kurven

Weit weniger glamourös stakst Corinna Kirchhoffs Margot auf die Bühne, in aschigen Ostfarben und engem Rollkragen, aber demonstrativ neidlos gegenüber den dekadenten Kolleginnen. ("Andere haben Schuhe, ich habe Pullover!") Die Stimme kehlig tiefergelegt und dauerempört, ist sie ein kaltes Funkelaugenbiest, eine unheilbar verblendete, gefährliche Cholerikerin, die wie keine zweite mit dem Zeigefinger wedeln kann, während sie bekanntgibt, "dass 40 Jahre Gerechtigkeit" einfach nicht genug waren, um die Menschheit von der Wahrheit zu überzeugen. Manchmal muss die Kirchhoff selber lachen wegen der Mords-Gaudi, die sie entfacht, wenn sie nostalgisch an Stalins Geburtstagsfeier im Kreml zurückdenkt, an ihr Haus im furchtbaren Wandlitz oder daran, wie sie im weißen Wartburg immer so gerne "um die Kurven" gefahren ist.

Luxusgeschöpf frisst politische Kritik

Aber dann ist da noch Imogen Kogge, die stets Zarte, die hier als propere, gemütlich summende Imelda Marcos ihrem Vorbild nicht nur sehr ähnlich sieht, sondern von Anfang bis Ende eine gelassen virtuose Glanznummer absolviert, vor allem wohl, weil sie in keiner Sekunde vergisst, dass sie hier Komödie machen soll und sonst nichts. Und so gibt sie nicht nur leutselig bekannt, dass eine Oper über sie entstehen wird ("Ich hatte immer das Gefühl, dass mein Leben gesungen werden müsste"), sie tritt auch ans Mikrofon und trällert mitten im Gespräch völlig unbelastet die höchsten Töne, nur um im nächsten Moment in ein schallendes, schnaufendes, glückseliges und, ja, ungemein ansteckendes Gelächter auszubrechen, während sie unbekümmert daran erinnert, dass die Margot ihre Bürger ja im eigenen Land einsperren musste, um diese vom Fortlaufen abzuhalten. Sie ist von einer hinreißenden, einnehmenden Fröhlichkeit, ein argloses philippinisches Luxusgeschöpf, dem man nichts übelnehmen will und kann. Damit ist sie das größte Plus dieses Abends und, natürlich, auch sein Kernproblem: Denn was dies für die politischeren Dimensionen des Stückes bedeutet, versteht sich wohl von selbst.

Im Kühlschrank

Um diese hervorzuheben, hat Theresia Walser den drei grotesken Knallcharginnen der Weltgeschichte allerdings sowieso noch einen Simultandolmetscher an die Seite gestellt, der ihre Aussagen verdreht, die tieferen Bedeutungen entschlüsselt und der, dank eigener DDR-Kindheit, auch selbst betroffen und deshalb angemessen zornig ist. Boris Aljinovic muss diesen armen Tropf aus Jena mit aller Gewalt zum Sympathieträger machen, zur moralischen Instanz, zum empörten Opfer, das aufbegehrt und sich von den drei charmanten Monstern schließlich sogar in den Kühlschrank sperren lassen muss, wo er allerdings auch ganz gut aufgehoben zu sein scheint. Hier, gegen Ende, kommen dann inmitten des charakterlosen Nicht-Bühnenbilds mit Stühlen und Kaffeetassen Ton und Stimmung arg ins Wanken, und sowohl Tina Engels unauffällige bis unsichtbare Regie als auch Theresia Walsers Stück zeigen ihre Defizite überdeutlich.

Am Ende fassungslos

In den komödiantischen Momenten ist alles Lach- und Schieß, oberflächliches, aber spritziges Kabarett, ein Pastiche aus zugespitzten Sottisen und echten Zitaten. Wird es aber ernst, treten nicht etwa moralische Grautöne und menschliche Tiefen hervor, sondern bloß die Banalität der längst eingerannten Türen. Die Empörung über die Selbstgerechten, die im korrupten Luxus schwelgten, während ihre Bürger litten, ist so simpel und unhinterfragbar, dass selbst die knappen anderthalb Stunden dieser Aufführung im letzten Drittel zäh und zäher werden. Aber da sind ja, zum Glück, noch die Monster: die Rosmair, die Kirchhoff und die Kogge, die am Ende, nach einem kleinen Urnenunfall, die Asche von Erich Honecker auf ihrem Mantel hat und in ihrem Haar und ihrem Schal, sodass sie, während um sie herum laut gekreischt wird, noch mal bloß nach Luft schnappt und aufs Schönste fassungslos ist. Wohl weil sie verstanden hat, dass für sie nichts rauszuholen ist aus alledem, außer – komme, was wolle – komisch zu sein.

 

Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel
von Theresia Walser
Regie: Tina Engel; Bühne: Momme Röhrbein; Kostüm: Jorge Jara; Dramaturgie: Gundula Reinig; Video: Jim Rakete. Mit: Boris Aljinovic, Imogen Kogge, Corinna Kirchhoff, Judith Rosmair. Dauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.renaissance-theater.de

 


Kritikenrundschau

"Der Saal im Renaissance-Theater lacht und quietscht", wenn die Diktatoren-Gattinnen ihre Pointen setzen, berichtet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (7.10.2014). Er selbst quietscht eher vom Zähneknirschen. "Unseligerweise" wende Walser in der Figur des Dolmetschers einen "dramaturgischen Kniff an, der die ohnehin schon knirschkonstruierte, auf der Stelle tretende Situation nochmals verkompliziert und ausbremst"; und auch über die Regie von Tina Engel weiß der Kritiker nicht allzu Positives zu sagen (die "meiste Zeit" sitze "man in Posen"). "Lustig ist es ab und zu dennoch. Und anderthalb Stunden sind schnell vorbei."

"Eine verrückte Komödie. Ein großer Schauspieler-Spaß. Zum Schreien komisch." So resümiert dagegen Peter Hans Göpfert im Kulturradio des rbb (6.10.2014). Die Figur des Dolmetschers wird von ihm als „besonderer Kunstgriff" gewürdigt. "Je weiter der überspannte Schlagabtausch eskaliert, desto ungenauer und selbständiger übersetzt dieser Gottfried die Äußerungen der drei Weiber."

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