Kommt ein Mann zur Welt - Rafael Sanchez' Uraufführung von Martin Heckmanns
Stückchenwerk Leben
von Dorothea Marcus
Köln 3. April 2007. Wie sollen wir leben, im Ozean der Entscheidungsoptionen? Und wer sind wir, angesichts des Etiketten-Überangebots? Als würden diese Fragen nicht schon täglich zur Verzweiflung treiben, hat sie Martin Heckmanns zum Thema seines neuesten Stücks "Kommt ein Mann zur Welt" gemacht, eine Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Düsseldorf und sein Spielzeitmotto "Ich und Ich".
Auch Bruno Benjamin Raffael Stamm, Heckmanns Held mit dem klangvollen Namen, jagt lebenslang seiner Identität hinterher - getrieben von Stimmen im Kopf, die auch als fünf Schauspieler, Onkel, Tante, Eltern und Liebesbegleiterinnen auftauchen und sagen, wie alles sein müsste: die Liebe, die Arbeit und der Ruhm - und dann kommt am Ende doch nur so eine zusammengestoppelte, ewig pubertäre und um sich kreisende Existenz heraus. Ja, aber wie soll man die jetzt nur gestalten, wenn man gar nicht weiß, wie sie überhaupt aussehen soll?
Lebenslauf einer Zwei-Minuten-Berühmtheit
Im Stück des 1971 in Mönchengladbach geborenen Autors brechen sich Familienszenen und philosophische Reflexionen, Ironisiertes und Emotionales. Bruno kommt als Kind einer bedrückend liebenden Mutter und eines Möchtegern-Künstler-Vaters zur Welt, durchläuft im Zeitraffer diverse Pubertätskrisen, will Künstler werden, kommt aber ins Gefängnis und hat seine zwei Minuten Ruhm als politisch verbrämter Schlagersänger - um dann, erst erotisch frustriert und dann chronisch untreu, von seiner großen Liebe verlassen zu werden, an Alzheimer zu leiden und an Krebs zu sterben. Ein wahrhaft durchschnittlicher Lebensweg, in der die Rollen sich häuten wie die Schauspieler, die nach und nach ihre Kleidung ablegen und von Jugendfreunden zu Geschwistern zu Gefängnisdirektoren zu werden - nur Bruno bleibt im schwarzen Jeans und Pulli eigentlich immer derselbe, "ich war schon längst erfunden, als ich mich erstmals aussprach" - fragt sich eben nur, als wer oder was.
Tragödie zwischen Klamauk und Höhenflug
Der Regisseur Rafael Sanchez, kindlich verspielt, macht daraus eine schnittige Show mit Slapstick- und Gesangseinlagen, die sich zwischen Allegorie und Abenteuerroman bewegt. Brunos Lebensbeginn ist in ein Gebrauchtmöbellager verlegt, in das Bühnenbildner Simeon Meier verschwenderisch Sitzgruppen verteilt hat, unter denen Bruno fast verschwindet: so ist es eben, man ist ins Leben geworfen und weiß nie, wo man sich länger niederlassen sollte. Nach und nach wird die Bühne leerer, eben so, wie sich die Wahlmöglichkeiten verengen. Markus Scheumann zeigt Bruno als spielwütigen Schwerenöter, zappelig, wankelmütig, fröhlich und intensiv durchschnittlich durch die Höhen und Tiefen seines Lebens surfend, immer auf der Suche nach dem absoluten Glück und der eigenen Besonderheit. Zu Ende bringt er kaum etwas und ist von gnadenloser, innerer Inkonsequenz. Heckmanns Sprache stellt die rasende Flüchtigkeit der unerbittlichen Zeitmaschine durch Halbsätze, Gesprächsfetzen und nur angerissene Dialoge dar, die extrem komisch sind, aber Traurigkeit nachschwingen lassen. Nur die Liebe bringt etwas Ruhe, aber da Bruno alles haben will, reicht eine nicht: Kathleen Morgeneyer ist eine duldsame Suse zwischen Naivität und Verbitterung, aber auch sie hat irgendwann genug.
Zwar ist Bruno ein Stehaufmännchen, aber sein Ende dennoch elend und vorhersehbar: die hart erkämpfte Biografie ist in kleine Stückchen zerfallen. "Ich hätte vielleicht...", sagt er zum Schluss, aber bringt auch diesen Satz nicht zu Ende. Ein rasantes Abbild des Stückchenwerks, das man Leben nennt, diese klamaukige Tragödie aus Banalität und Höhenflug.
Kommt ein Mann zur Welt (UA)
von Martin Heckmanns
Regie: Rafael Sanchez, Bühne: Simeon Meyer
Mit Markus Scheumann, Kathleen Morgeneyer.
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
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