Trümmer-Träume aus dem Gazastreifen

von Friederike Felbeck

Düsseldorf, 29. Oktober 2014. Anwältin, Kinderärztin oder Schauspielerin wollten sie werden. Sie tragen noch einen Teddybär im Arm oder fürchten sich vor Prüfungen, die immer Schlag 12 Uhr beginnen. Aber ihre Schulen sind geschlossen, das Dach über dem Kopf ist ihnen weggesprengt und die besten Freunde und Verwandten von Bomben in Stücke gerissen, deren fleischliche Einzelteile in Plastiktüten gesammelt und ins Krankenhaus gebracht werden. Sie haben gesehen, was kein Mensch in ihrem Alter sehen sollte und gelernt, eine Phosphor-Bombe an ihrem typischen Klang zu erkennen.

gaza monologues2 280h c ashtar theatre uKleider, geteilt wie das Land: "Gaza Monologe"
© Ashtar Theatre
Alptraumhaft rot leuchtet die Bühne, die mit ein paar Holzstufen und von der Decke hängenden weißen Stoffbahnen sparsam eingerichtet ist. Vier junge Mädchen legen sich selbst die Hände zu einem Würgegriff um den Hals, ihre Gesichter verzerren sich, sie gehen zu Boden. Ein maskierter junger Mann, mit breitem Rücken und kampfbereit hochgezogenen Schultern tritt ihnen bedrohlich gegenüber und schlägt – pantomimisch – auf die Wehrlosen ein.

"Gaza ist ein Streichholzbriefchen... und wir sind seine Hölzchen", sagt Tamer Nijib, der als einziger zugleich Autor und Interpret seines eigenen Textes ist. Nur dem Umstand, dass er im Besitz eines italienischen Passes ist, verdankt der inzwischen 23jährige, dass er ausreisen durfte. Er ist einer der über dreißig jungen Menschen, die auf Initiative des Ashtar Theatres ihre eigenen Geschichten  aufgeschrieben und auf der Bühne als "Gaza-Monologe" erzählt haben. Heute gibt es eine nächste Generation von 14- bis 18-Jährigen, die – in arabischer und englischer Sprache – davon berichten, wie sich ihr Leben durch Besatzung und Bombardements verändert hat.

"Ohne das Theater wäre ich verrückt geworden"

Unter der künstlerischen Leitung von Iman Aoun ist so eine genau inszenierte Choreografie des Grauens und ein Panoptikum von Szenen der Gewalt entstanden, die das Leben von Jugendlichen in den palästinensischen Autonomiegebieten zur Zeit des ersten Gaza-Krieges 2008 schildern. Verfasst haben die Monologe betroffene Jugendliche selbst. Ihre Texte sind inzwischen um die Welt gegangen: Bereits 2010 wurde das Stück anlässlich des Internationalen Tags der Solidarität mit dem Palästinensischen Volk in New York vor der UN präsentiert.

Nach einer deutschen Erstaufführung durch Jugendtheaterclubs an der Berliner Schaubühne entstand 2012 eine preisgekrönte Hörspielfassung. Nun tourt das Ashtar Theatre aus Ramallah mit einer neuen Version von 6 aus 31 Monologen noch bis Anfang November durch den deutschsprachigen Raum. Dann kehrt es zurück zu einem Alltag aus Schule, Familie – und der Theaterarbeit mit dem Ashtar Theatre. Die Proben sind ein wichtiger Bestandteil des Lebens der palästinensischen Jugendlichen geworden. "Ohne das Theater", sagt einer von ihnen, "wäre ich verrückt geworden".

Eindringliche Warnung

In der Inszenierung von Bayan Shbib wird um die Jugendlichen ein szenischer Rahmen aus expressiven, sich direkt an das Publikum wendenden Momenten und chorischen Ensembleszenen gespannt. Er wird immer wieder durch genau gesetzte Zäsuren unterbrochen, um so die jungen Akteure vor der Emotionalität ihren eigenen Erlebnisse zu schützen. Wenn sie von ihrer Lust zu lästern, der Freude über die zerstörte Schule oder ihren verschämten Lügen auf Facebook erzählen, zeugen sie vom unbedingten Willen zu überleben, zu lachen und sich ein kleines Stückchen Glück zu erobern.

Das Theaterspiel gewährt ihnen dabei eine Freizügigkeit, die auf der Parzelle Gaza, deren einziger Ausgang das Meer ist, ansonsten unmöglich ist. Die Aufführung der "Gaza-Monologe" durch die jungen Akteure des Ashtar Theatre ist dabei stärker als die politische Programmatik, die sie begleitet. Ihre Tragweite reicht über den Israel-Palästina-Konflikt hinaus. Die Monologe sind eine eindringliche Warnung vor der Infamie vermeintlich sauberer und folgenarmer Kurzkriege und ihren ferngesteuerten Gefechte. Die Traumatisierungen, die insbesondere Kinder und Jugendliche erleiden und für den Rest ihres Lebens in sich tragen, sind weder geografisch noch kulturell gebunden. Vor allem aber ist die Aufführung ein Plädoyer für die heilende Wirkung und therapeutische Kraft des Theaters, die den beraubten Kindern von Gaza ihre Identität zurückgegeben hat.

 

Gaza-Monologe
Texte von Yasmeen Abu Amer, Mahmud und Reem Afana, Heba Daoud, Wi’am El Dieri, Sami El Jerjawi, Tamer Nijib
Regie: Bayan Shbib, Tourbegleitung: Lamis Samir Shlalda, Bernhard Karimi.
Mit: Dalia Said Abu Rdaha, Aseel Andre Saba, Dara Wisam Rafeedi, Sasha Elias Asbah,  Tamer Nijib, Walid Khaled Hantoli.
Dauer: 45 Minuten, keine Pause

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
www.ashtar-theatre.org

 

Mehr zu Iman Aoun? Im August 2014 sprach die Theaterleiterin mit uns über Theater und Krieg.

Kommentare  
Gaza-Monologe, Düsseldorf: Kunst-Missbrauch
Das Grundproblem der Gaza-Monologe ist, dass Kinder ihre traumatischen Erlebnisse mit Hilfe der Theaterkunst verkraften wollen, was zur Schaustellung eigentlich weniger geeignet ist. Über das Prinzip Anerkennung, die sich durch das Publikum ergibt, kommt der therapeutische Aspekt erst zum tragen. Das aber ist die eigentliche Tragik der Gaza-Monologe, die auf Seiten des Publikums liegt: Wer will schon Kinder oder Jugendliche für Aussagen kritisieren, die sie wiederum im Publikumsgespräch bewusst politisch intendiert formulieren? Ich hab das Stück vor zwei Wochen gesehen und es war abscheulich mitzuerleben, wie niemand im Saal dem Aufruf zum Boykott von Waren aus Israel widersprach. Es ist sehr schade, dass Frau Boldt nicht auf diesn Aspekt einging. Was hat ein Theaterstück vor der Uno zu suchen? Hier wird Kunst als politische Waffe missbraucht, um Druck auf die Weltbevölkerung auszuüben, dabei verschanzen sich die Macherinnen hinter den Traumata der Kinder. Das ist unverantwortlich und hat mit künstlerischer Freiheit nichts mehr zu tun. Ohne die eigene Verantwortung zu kennen, zu erwähnen, kann man nicht austeilen. Man muss die israelische Regierung kritisieren! Man muss den Siedlungsbau stoppen! Ja ja ja, aber Kollektivschuldzuweisungen, die eine Gruppe verdammt, macht Palästinenser zu alten Getreuen einer expansiven rechtsnationalistischen deutschen Außenpolitik! Die Demonstrationen im Sommer in Essen haben das bestätigt. Wie fühlt man sich als Israeli, wenn es heisst "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!"? Man kann nicht einfach so selbstverständlich Kinder auf die Bühne stellen, wenn die Zuschauer total damit einverstanden sind. Der Abend, den ich gesehen habe, der verkam zu einem Parteitagstreffen feinster Emotionen. Spei übel, kann ich nur sagen, wurde mir da. Mir kam immer das Bild von Erdogan in seiner Sportpalastrede in Köln vor ein paar Jahren. Wissen den die Kinder nur das Holocaustbild, dass in Israel existiert? Setzen sich die Kinder und Theatermacherinnen eigentlich ausreichend mit der deutschen Geschichte auseinander. Ich bin es leid in gesprächen mit Palästinensern immer zu sagen, dass Hitler kein guter Typ war. Frau Aoun erklärt in Interviews gerne, dass sich in Deutschland was ändern muss. Was aber genau meint sie? Und sind Israelis etwa keine Palästinenser? Was sind überhaupt Palästinenser? Der Mythos, der zur Staatsgründung aufgebaut wurde, steht dem israelischen, bei genauer Betrachtung, in nichts nach. Hier ist sehr viel mehr Differenzierung, Bildung & Informiertheit und insgesamt weniger Polemik angebracht. Für letzteres ist Frau Boldt zu danken.

(Liebe/r Peter, die Autorin der Kritik ist nicht Esther Boldt, sondern Friederike Felbeck. MfG, die Redaktion)
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