Monster am Klavier

von Dorothea Marcus

Köln, 6. November 2014. Und wieder eine "Hedda Gabler". Schon im letzten Jahr erreichte sie in Deutschland, insbesondere NRW, eine überwältigende Bühnenpräsidenz. Aber vermutlich ist die Krankheit, an der Ibsens Hedda leidet, eine, die sich epidemieartig im modernen Menschen ausbreitet: die narzisstische Persönlichkeitsstörung.

hedda gabler 560a thomasaurin xMintgrün ausgepolsterte Paradies-Hölle, darin Guido Lamprecht und Yvon Jansen als
Ehepaar Tesman. © Thomas Aurin

Am Schauspiel Köln ist die menschenverachtende, destruktive und unglückliche Hedda Yvon Jansen, eine platinblonde Schönheit in wallendem weinroten Abendkleid, die plötzlich hinter dem Klavier erscheint. Regisseurin Karin Neuhäuser hat den Sechziger-Jahre-Stil gewählt und den Salon der Tesmans in mintgrün gepolstert. Hier dringt kein Ton nach außen – die perfekte emotionale Folterkammer. Es erklingt "Stand by me" von Ben E. King aus dem Jahr 1961, einer Zeit, in der man Manuskripte noch unwiderruflich verbrennen konnte. Ein Herzchen-Ballon hängt von der Decke, die Blumen zur Hochzeit sind noch eingeschweißt und stapeln sich an der Wand. Ausgepackt werden sie in dieser Ehe nicht mehr. Draußen vor der Terrassentür: zarte Bäume im Zwielicht, ein See-Grundstück. Ein Paradies, vergiftet.

Zwischenmenschliche Verrohung

Im entspannten Plauderton der Zadek-Übersetzung beginnt diese "Hedda Gabler". Guido Lamprecht als Ehemann Jörgen ist rechtschaffen, gemütlich, attraktiv und grundsympathisch. Eigentlich gibt es keinen Grund, diesen Mann zu verachten, wenn er nicht immer diese leicht sexuell-betulichen Anspielungen auf Heddas Körperformen und seinen Besitzanspruch auf sie machen würde. Aber das reicht nicht, um zu verstehen, warum Hedda, die Pistolenliebhaberin, immer wieder grundlos nach Diener oder Reitpferd loskreischt. So richtig entspannt tanzen kann Jörgen also nur mit dem Dienstmädchen, seine Frau bewundert er besser nur von Weitem. Zwischendurch kommt sie mit Vampirszähnen und Pilotenuniform herein, eine eher befremdliche Einlage, oder lässt sich vom Amtsgerichtsarzt Brack, den Niklas Kohrt als smarten SM-Liebhaber gibt, mit einer Reitgerte umgarnen.

Doch warum ist Hedda so böse? Dies ist die Kardinalfrage, an der sich jede Darstellerin aus Ibsens Drama von 1890 messen lassen muss. Yvon Jansen changiert zwischen kindlichem Charme und kalter, unmotivierter Bösartigkeit. Manchmal wirkt sie fast erstaunt darüber, was sie anrichtet – einfach um herauszufinden, was danach passiert. Damit endlich mal etwas passiert. Die zwischenmenschliche Verrohung dieser Hedda ist der Durchschnitts-Psyche nicht mehr vermittelbar: egozentrisch, empathielos, erniedrigend. Aber letztlich eben auch unmotiviert und unerklärbar.

hedda gabler 560 thomasaurin xYvon Jansen und Niklas Kohrt als SM-liebhabender Brack © Thomas Aurin

Karin Neuhäuser inszeniert die "Hedda Gabler" in Köln flott und mit gutem Timing, aus einem Guss, aber auch als fast boulevardeskes Plauderstück mit Auf- und Abtritten aus dem Zuschauerraum hinaus. Der Leerstelle des Hedda-Charakters allerdings kommt sie nicht bei. Das schaffen auch die Darsteller um Jansen herum nicht, obwohl man ihnen allen sehr gerne zusieht. Nikolaus Benda ist als scheiterndes Genie Eilert Lövborg, mit Bart und Schal, ein sehr glaubwürdiger Künstlertyp mit Abgrund, Annika Schilling zeigt als Lövborgs liebende Zuarbeiterin Thea Elvstedt im wunderschönen Kostüm und mit Wallemähne eine ungewöhnlich weiche Seite, eine patente Bettina Muckenhaupt spielt das Fräulein Juliane Tesman.

Einfach nicht totzukriegen

Doch der Glutkern des Dramas jenseits des Krankheitssymptoms, die Sehnsucht nach mehr echtem Leben, das Unglück über das eigene, zu kleine Dasein, das Gefühl von Sinnlosigkeit und Langeweile im saturierten Dasein, das sich immer mehr zur Falle entwickelt – um all diesem nachzugehen, hätte Yvon Jansen ihre Hedda weniger schnell und forsch anlegen müssen. Flugs verbrennt Hedda das Manuskript Lövborgs, gibt ihm eine Pistole zur Selbsterschießung, erschießt sich selbst in Sekundenschnelle – niemals ist an ihr ein Hauch von Zweifel, Zögern oder auch nur Sehnsucht nach Anderem zu spüren. Und so ist Yvon Jansens Hedda nur ein glattes, kaltes Monster, ein empathieloses Symptom, mehr ein Abziehbild als ein Charakter oder ein Weltgefühl. Sie wirkt an jeder Stelle beherrscht und elegant, wie eine, die liebt, was sie tut – auch wenn sie, verächtlich plärrend wie ein Baby, Lövborgs Manuskript, sein "Kind", verbrennt. Erst als sie, obwohl Lövborg sich erschossen hat, auf dem Klavier ein Tanzlied anstimmt, begreift man, dass sie kindlich, narzisstisch und krank wohl einfach nicht mitbekommt, was sie anrichtet. Als Diagnose der Zeit taugt das durchaus, als Erklärung der rätselhaften Hedda nur bedingt.

Zum Schluss, direkt nach dem Schuss, der sie umbringt, löst sie sich und geht allein nach vorn, wie um zu zeigen: solche wie ich sind einfach nicht totzukriegen. Und führen jenseits der Fiktion ihr Leben weiter.

 

Hedda Gabler
von Henrik Ibsen
Deutsch von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen
Regie: Karin Neuhäuser, Bühne und Kostüme: Heidi Fischer, Licht: Hartmut Litzinger, Dramaturgie: Thomas Laue.
Mit: Guido Lamprecht, Yvon Jansen, Bettina Muckenhaupt, Annika Schilling, Niklas Kohrt, Nikolaus Benda, Hilke Kluth.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

Anmerkung der Redaktion: Eine Nebeneinanderstellung von Heddas Eigenschaften und dem Asperger-Syndrom in der ersten Fassung dieser Kritik haben wir auf Veranlassung der Autorin gestrichen, nachdem mehrere Leser auf das darin enthaltene Diskriminierungspotential hingewiesen haben. Wir entschuldigen uns dafür.

 

Was nachtkritik.de sonst noch aus Köln besprochen haben? Die Uraufführung von Sibylle Bergs Viel gut essen zum Beispiel, in dem sie ätzende Tiraden Marke Internetkommentar vertextet. Oder Das Käthchen von Heilbronn von Hausherr Stefan Bachmann.

 

Kritikenrundschau

"Die hauptberufliche Schauspielerin Karin Neuhäuser beweist auch als Regisseurin einen untrüglichen Blick fürs sprechende Detail, fürs gelungene Timing", schreibt Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (8.11.2014), jeder Auftritt, jede Geste sitzt. Im Gegensatz zu Hedda langweilt sich der Zuschauer hier nicht zu Tode, aber "was fehlt, ist der Blick fürs große Ganze". Dem Stück den psychologischen Boden zu entziehen, es ansonsten aber zügig vom Blatt wegzuspielen, sei entschieden zu wenig. Am Ende war doch alles nur ein Spiel, suggeriert die Regie. "Weshalb man diese konsequenzlose 'Hedda' auch nach dem kurzen, kräftigen Schlussapplaus gleich wieder vergessen hat."

"Mit offenem Visier zu kämpfen ist nicht die Art dieser Salonschlange", wie Yvon Jansen die Brüche der Figur, ihre abrupten Stimmungswechsel spielt, sei in seiner klaren Kälte beunruhigend, so Andreas Rossmann in der FAZ (10.11.2014). Karin Neuhäuser schicke das Stück von 1890, ohne es zu glätten, auf den Boulevard und bestätige seine Aktualität. "Dass ihre dichte, prononcierte Inszenierung sich mit Zitaten von Filmbildern und -posen auch als selbstironisch-souveräner Kommentar zum grassierenden Vampirismus des Theaters gegenüber dem Kino lesen lässt, ist in Köln nicht die letzte Pointe." Am Ende hat sich Hedda Gabler – Peng! – erschossen und kehrt kurz darauf hohnlachend zurück: zum Applaus. "Wieder nur ein Spiel. Leben läuft anders", so der Rezensent.

Neuhäuser rücke Heddas Selbststilisierung ins Zentrum des Abends, inszeniere damit aber auch munter über so manchen psychologischen Abgrund dieses Gesellschaftspanoramas hinweg, findet Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (11.11.2014). Als Hedda plötzlich zur Gejagten in ihrem eigenen Schreckensszenario werde, bringe Yvon Jansen auch das konsequent und ungerührt zu Ende. "Die Inszenierung ist da unentschlossener, sie bleibt auf halbem Wege zwischen drögem Standard und erfrischender Attacke auf den Klassiker hängen."

 

Kommentare  
Hedda Gabler, Köln: tangiert nicht
Ich kann der Schreiberin in einigen Dingen nur zustimmen, ich habe den Abend verlassen und mich gefragt was ich dort mitnehmen soll- denn die Figur der Hedda bleibt mir zu kalt und fast teilnahmslos - man KANN dieses Stück so inszenieren allerdings ist für mich fraglich ob man es im Jahr 2014 so auf eine so große Bühne wie dem Köln bringen muss. Der Abend tangiert nicht und ist in vielerlei Hinsicht dem Boulevard näher als Ibsen es wahrscheinlich gewollt hätte. So ist es den Spieler kaum möglich aus dem Konstrukt herauszutreten und sich spielerisch zu befreien, wodurch die Figuren etwas hätten an dem sie sich wirklich abarbeiten könnten. Hedda ist mir hier zu glatt ihr fallen die Entscheidungen zu leicht man sieht kein mit sich Ringen.....
Hedda Gabler, Köln: Jansen als Lichtblick
Ja, ich kann schon nachvollziehen, was Frau Marcus an der Figur der Hedda gestört hat. Für mich ist das aber - wenn überhaupt - ein nachrangiges Problem an diesem öde vom Blatt runtergespielten, stinklangweiligen Spießertheater, das ich da gestern Abend gesehen habe. Im Gegenteil, das forsche Spiel von Frau Jansen und ihre Suche nach einem überraschenden, unpsychologischen Ton war eher der Lichtblick dieser Inszenierung. Schauspielerisch sind mir eher das fremdschämige Rumgebrüll von Herrn Benda und das trutschige Provinztheaterspiel der beiden älteren Damen negativ aufgefallen.
Hedda Gabler, Köln: auf der Suche nach einer Figur
@parzifals Schwester
Die (nach meinem Empfinden auch noch eitle) Suche nach einem unpsychologischen Ton, schien mir genau das Problem zu sein.
Ich habe da leider nur eine Schauspielerin auf der Suche nach einer Figur gesehen und eben keine Hedda die mich hätte faszinieren können.
Und die "Brüchigkeit, die Suche, das Austesten der Haltungen einer möglichen Hedda", kann mir den Buckel runterrutschen!
Das sind nach meiner Erfahrung meistens Ausreden für fehlende Inspiration.
Hedda Gabler, Köln: nicht inspirierend
...an dem Abend konnte nichts inspirieren weil alles von Minute Eins klar war.
Fremdschämen @parzifals schwester trifft es ganz gut.
Hedda Gabler, Köln: über einen Ton gebügelt
Ein schlimmer Abend, über einen Ton gebügelt, grob, (...). Was ist denn mit dieser Regisseurin passiert, die hat uns doch mal in Frankfurt und Kassel ganz dichte mutige Abende beschert??
Hedda Gabler, Köln: aufgefallen?
Asperger-Syndrom = zwischenmenschlich verroht, egozentrisch, empathielos, erniedrigend??? Asperger-Syndrom - ein Synonym für das Böse?
Das ist richtig diskriminierend formuliert...und keinem in der Redaktion aufgefallen?
Hedda Gabler, Köln: falsche Darstellung
Wer keine Ahnung von Autismus, in diesem Falle dem Asperger Syndrom, hat, der sollte auch nicht darüber schreiben.

Die Darstellung ist nicht nur falsch, sie ist für Betroffene wie mich beleidigend und ein Schlag ins Gesicht, der all unsere Aufklärungsbemühungen zunichte macht.

Die Redaktion sollte schnellstens diese Passage entfernen oder anpassen. Sie zeugen von uninformierter Ignoranz und Behindertenfeindlichkeit.
Hedda Gabler, Köln: keine Pathologisierung
Und generell noch an die Redaktion der Ratschlag, dass mit dem pathologisieren doch besser ganz sein zu lassen. Danke.

http://autismus-ist.de/krankheits-und-behinderungsmetaphern-ein-leitfaden-fuer-journalisten/
Hedda Gabler, Köln: streichen
Ich bin Asperger-Autistin und bin weder "zwischenmenschlich verroht", "ernierdrigend", "egozentrisch" oder "unempathisch". (...) Mit psychiatrischen Diagnosen um sich schmeißen, das gibt dem Text so einen schönen intellektuellen Touch. Dass die Autorin dabei offensichtlich in keinster Weise verstanden hat, worum es beim Asperger-Syndrom wirklich geht, scheint sie nicht davon abzuhalten. Ihre Vorurteile werden schon stimmen.

Ich erwarte eine Änderung der betreffenden diskriminierenden Textpassage und eine Entschuldigung. Nichtautisten sind ja ach so empathisch, die sollten das wohl hinbekommen, nicht wahr?
Hedda Gabler, Köln: Kälte entspringt Situation
Hier werden wohl zwei Aspekte vermischt. Man hört ja immer wieder davon, auch von Autisten selbst, dass sie die Gefühle anderer Menschen tatsächlich nicht nachempfinden können. Dass sie also zum Beispiel Emotionen anderer Menschen (wie z.B. Weinen, Lachen) nur über das Ablesen der Mimik (Wasser läuft über die Wangen, Mundwinkel ziehen sich nach oben usw.) erkennen können. Das ist dann natürlich mitnichten "absichtlich" kalt, sondern sie können es nicht anders. Es sind also eher die Mitmenschen, für die es dann schwierig wird, wenn Autisten deswegen nicht genauso wie andere handeln können, z.B. aus eigenem Mitgefühl heraus andere Menschen zu trösten.

Hedda Gabler von Ibsen ist da doch ganz anders angelegt, geht man mal vom Text aus. Ihre Kälte entspringt ihrer sozialen Situation. Sie lebt an der Seite ihres Ehemanns Tesman ein Luxusleben in voller Absicherung, welches sie sich mit ihrem Geliebten Lövborg nicht leisten könnte. Diesen Widerspruch auszuhalten, zwischen einer materiell abgesicherten Ehe und einer immateriellen Liebe, ist meines Erachtens das Thema von Ibsens Hedda.
Hedda Gabler, Köln: Änderung & Entschuldigung
Die Nebeneinanderstellung von Heddas Eigenschaften und dem Asperger-Syndrom haben wir auf Veranlassung der Autorin gestrichen, nachdem mehrere Leser auf das darin enthaltene Diskriminierungspotential hingewiesen haben. Wir entschuldigen uns dafür.
Hedda Gabler, Köln: Mimik und Körpersprache
Liebe Redaktion: die Aussagen waren allerdings nicht nur diskriminierend, sondern schlicht falsch.

Inga: gut gemeint, aber leider auch falsch. Autisten haben Probleme Mimik und Körpersprache zu entschlüsseln, deswegen entgehen ihnen Hinweise auf den emotionalen Zustand anderer Menschen. Sie fühlen, sofern sie deren emotionalen Zustand aber erst einmal kennen, durchaus mit.
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