Kasimir und Karoline – Ulrike Quade nimmt Horváth am Theater Basel beim Wort und zeigt wilde Tiere
Manga, Striptease, Techno
von Christoph Fellmann
Basel, 27. November 2014. Wenn so ein Stadthipster an den Hau-den-Lukas tritt, geht der Schlag natürlich bis in die Cloud. Und prompt materialisiert sich von oben herab sein Glück, in Form eines Vintage-Soundsystems, das auf die Bühne schwebt, eines Tanzpavillons aus ironischen Glitzerfäden und einer Mikrofonanlage, in die er Karaoke singen kann. Nicht zu vergessen das Kokain, weil es herrscht ja Jahrmarkt, und irgend jemand hat immer noch ein bisschen Geld für die "Achterbahn", auch wenn der Retro-Zeppelin einen auf Ödön von Horvath macht und durch sein erhabenes Entschwinden noch einmal das Ende aller Hoffnung herbeizitiert.
Streng distanziertes Stellungsspiel
Und so kommt "Kasimir und Karoline", das Stück aus der Depression der Vorkriegszeit, also im jungen, schicken Praktikantenprekariat unserer Ära an. Oder tut wenigstens so, indem es Kasimir in Turnschuhe, Chinos und ein schnittiges Hemd (slim fit) steckt und Karoline in einen Remix aus Secondhand-Stilen. Denn es kommt sich so in der Lesart der Company von Ulrike Quade zwar ein total zeitgemäßes Pärchen abhanden, das zu Techno tanzt und zu androiden It-Keepern in die Bar hüpft. Doch leider muss es halt immer noch Horvaths alten Text reden, also diesen zutiefst bürgerlichen Sound herstellen, in dem Kasimir und Karoline um sich und ihr braves Leben ringen. Das Problem ist nur, dass sich das fatale Ende des Bürgersinns nicht mit Figuren aus einer Zeit und einem Milieu erzählen lässt, denen man den Satz, man möge doch "das Private und die Krise" separat behandeln, allenfalls als ironisches Zitat glaubt.
Diese Lücken zwischen Text und Bild, Text und Stimmung, Text und Sound schließen sich über neunzig Minuten nicht. Oft kann man dem Ensemble dabei zusehen, wie es damit kämpft, den gefühlsechten Tonfall zu meiden, zu dem die Dialoge verleiten. Philippe Graff gelingt es noch am besten, aus dem Problem einen Charakter zu entwickeln, den man in seltenen Augenblicken auch mal ganz biedermeierlich gern bekommen kann. Der trotzig monotone und laute Duktus befähigt seinen Kasimir nicht nur zum abgebauten Chauffeur aus alter Zeit, sondern auch zu einem splendiden Hoffnungsverweigerer des 21. Jahrhunderts. Das passt dann auch ganz gut in das streng distanzierende Stellungsspiel, das Ulrike Quade ihre Schauspieler, Tänzer und Puppen exekutieren lässt.
Schau her, es ist der Freak!
Sonst aber sperrt sich die empathische Erzählweise von Ödön von Horvath immer wieder gegen die Art, wie sie an diesem Abend erst kühl ausgeleuchtet, dann in den Star- und Körperkult unserer Zeit gezerrt wird. Nicht, dass man sich darob für Karolines Verrat an ihrem eigenen Lieben interessieren würde, oder dafür, wie Erna neben ihrem Merkl Franz einfach erlöscht. Dafür aalt sich die Tanzmieze bald nackt auf dem Präsentierteller, und die "Schöne Nacht, du Liebesnacht" donnert daher, als sei das Lied nicht von Jacques Offenbach, sondern von Rammstein. Denn genau, jetzt muss ja irgendwann mal was mit Nazis kommen. Und also werden Fäuste geballt und gerät der Technotanz zum faschistoiden Trip. Und just nach Karolines Mutmassung, wonach die Menschen halt "wilde Tiere" seien, verwandeln sich die Figuren in eine: Hundemeute. Und reißen wen wohl? Ach, schau her, es ist der Freak, der mit Pferdekopf schon die ganze Zeit einsam auf dem Jahrmarkt zugange war.
Mangapuppe und Techno, Striptease und ein Text von Ödön von Horvath: Dieser Theaterabend ist wie ein Concept Store in Berlin-Kreuzberg. Schön ausgeleuchtet und mit allerhand todschickem Zeug bestückt, das nichts miteinander zu tun hat. Und darum würde man, wenn Kasimir schließlich fragt, welche Partei man wählen soll, vielleicht antworten wollen: die Piraten?
Kasimir und Karoline
von Ödön von Horvath
Regie: Ulrike Quade, Bühne: Floriaan Ganzevoort, Kostüme: Jacqueline Steijlen, Musik: Jannik Giger, Lukas Huber, Choreografie: Joost Vrouenraets, Puppen: Matt Jackson, Licht: Heidvoegelin Lights.
Mit: Judith Strössenreuter, Philippe Graff, Inga Eickemeier, Florian Müller-Morungen, Martin Hug, Cat Smits, Ivan Blagajcevic, Raakesh Sukesh.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-basel.ch
Zuletzt wurde Kasimir und Karoline an der Berliner Schaubühne von Jan Philipp Gloger verhipstert.
In der Neuen Zürcher Zeitung (28.11.2014) schreibt Alfred Schlienger, die Regisseurin inszeniere das Stück "als Easy Reader mit hippen Bildern", "eingedampft und aufgepeppt". Manche Bilder seien sehr stark, doch unter dem Bilderreigen leide "die feine, sprachlich doppelbödige Figurenzeichnung, die für Horvath so bezeichnend ist". "Am besten ist der Abend dort, wo er sich nicht ans Leichtbekömmliche verliert. Beim listigen Horváth immer eine besondere Herausforderung."
Der Cocktail aus Schauspiel, Tanz und japanischem Puppenspiel bekommt Quades Basler Inszenierung schlecht, findet Stephan Reuter in der Basler Zeitung (29.11.2014). Dass die Regie Horváth mit Rainald Götz verwechselt und dass der Musiker Lukas Huber die Horváth-Stille zwischen den Menschen mit Elektro-Beats zudröhnt, mag ja noch als Konzept durchgehen. Aber wenn man ein fragiles Erzählgerüst unter einer Performancekitschlawine verschüttet, muss sich hinterher keiner wundern, wenn die Leute bei einer so himmelschreiend tragikomischen Geschichte wie der von „Kasimir und Karoline“ nur mehr mit den Schultern zucken.
Quade nehme einzelne Versatzstücke aus Horváths Regieanweisungen auf und setze sie neu ein, so Susanna Petrin in der Basellandschaftlichen Zeitung (29.11.2014) "Dem Text bleibt sie treu. Dadurch entstehen in dieser Zusammenarbeit zwischen Schauspielern aus ihrer Kompagnie und solchen des Theaters Basel Szenen mit viel Musik und Tanz, die man sich durchaus gerne anschaut. Nur ergeben sie kaum Rätsel auf oder bringen zusätzliche Erkenntnisse." Stattdessen werde die Botschaft des Textes verdoppelt: "Wenn die Wirtschaftlichkeit über allem steht, geraten die Menschen zu lenkbaren Spielfiguren und die Liebe pervertiert zur Pornographie."
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