An Liebe berauscht

von Jens Fischer

Oldenburg, 30. November 2014. Was die Zuschauer gern wollen: die bitterste der melancholischen Komödien Shakespeares als facettenreich schillernden Liebestaumel erleben – mit fantasievollem Schwärmen, herzgütigem Sehnen, gierigem Suchen, mit zueinander Stolpern, übereinander Stürzen, Zupacken, Wegstoßen. Was Dramaturgen gern mit dem Stück zeigen wollen: Männer und Frauen als Zwitterwesen, deren Geschlechterverwirrung und Identitätskrise mit aktuellen Gender Studies kommentiert und von harschen Rockklängen aufgewirbelt wird. Regisseur Martin Laberenz aber will vor allem – Karneval. Einfach mal tun, was sonst verboten ist. Mit Zitaten von Antonin Artaud nicht nur das "Plädoyer für ein maßloses Theater" ins Programmheft schreiben, sondern auch für die Dauer der Aufführung einen von Leidenschaft durchpulsten Befreiungszauber initiieren. Sich nicht ver-, sondern entkleiden. Kräfte freisetzen, die nicht nach Neutralisierung in ehelichen Beziehungen streben.

Ein geradezu kindlich unschuldiger Optimismus ist das: Einfach mal schranken-, hemmungs-, schamlos agieren, dann wird's ein entklemmendes Fest für alle. Wobei die Musik so egal ist wie illyrisches Gefühlsraunen, narrative Nachvollziehbarkeit und wer wem gerade die Kleider vom Leib reißt. Es geht nicht um unerfüllbare Liebessehnsucht. Es geht um: Party. Sie findet in einer Art Zirkusbühnenbild statt, alle Darstellungsartisten sind um die Manege platziert.

Lust der Brandschutzvorschrift

Obwohl wir in der Premiere sitzen, sehen wir Probeszenen. Was ihr wollt? Alles geht! Solange es allen Spaß macht. Sentenzen, Situationen, Figurenkonstellationen werden über- oder unter-, aber nie ausgespielt. Sie geraten immer schnell an den Punkt, an dem Improvisation verabredet wurde. Die Absprachen aber reichen in Laberenz' "Was ihr Wollt"-Inszenierung nicht weit, Spielspannung und -tempo sacken sofort deutlich ab. Im Zwang zu ständig lustigen Ideen verheddert sich das Ensemble zwischen Sprach-, Symbol- und Rollenspielen, legt einige Assoziationen obendrauf und stellt seine Theatermittel aus. Albern bis amüsant, alles Karneval, also folgenlose Tändelei.

wasihrwollt1 560 karen stuke uBühne frei fürs Liebesspiel: "Was ihr wollt" in Oldenburg © Karen Stuke

Daher poltert immer mal wieder Haushofmeister Malvolio (Jens Ochlast) als Anwalt von Opas Theater auf die Bühne und fordert Klassikerästhetik und präzises Schauspielhandwerk. Dafür bestrafen ihn die Kollegen später. Zuerst aber muss er die ersten Zuschauer aus dem Saal treiben und sich selbst lächerlich machen: als obrigkeitshöriger Zwangscharakter entkleiden, die Hoden abklemmen und Brandschutzvorschriften vorlesen: "Ich weiß, dass das nicht unterhaltsam ist, aber das ist wichtig." Also lustig. Muss lustig gemacht werden.

Chronisch ironisch

Das Ensemble beginnt, Regeln und Rituale zu verulken. In einem endlosen Slapstick ängstlicher Lust zieht sich beispielsweise Gräfin Olivia (Lisa Jopt, mit ihrer Spielwut und Bühnenpräsenz der Glutkern des Abends) vor ihrem Objekt sexueller Begierde aus, kokettiert provozierend und kiekst: "Och, ich habe zu viel gezeigt." Zu viel Haut entblößt, zu viel Seele freigelegt. Und weitere Besucher zum türenschlagenden Verlassen des Theaters inspiriert.

Dann bepflastert sie sich kurzfristig mit den aktuellen Spielplanleporellos des Staatstheaters, tanzt schließlich doch lieber Hippie-fidel nackt durchs Parkett und beschwert sich, dass jemand auf ihre Brüste gestarrt habe. All das geschieht natürlich chronisch ironisch, in prachtvoller Künstlereitelkeit. Und macht so vielleicht doch ein Thema des Stücks deutlich, nämlich wie zufällig dort die Liebe ihr Opfer wählt. Sie liebt hauptsächlich sich selbst. Wie auch alle Figuren hochgradig selbstberauscht wirken. 

Kippende Gefühle

Die Inszenierung wird ihrer Einfälle, Zutaten, Zitate nie Herr. Nur einmal entwickelt sich dynamisch aus dem Improtheatergestus eine intensive Shakespeare-Szene – wenn Olivia erstmals auf Viola trifft und geradezu rauschhaft über sie herfällt. Richtig nicht lustig wird es, wenn der Narr den selbstgerechten Malvolio bestrafen soll. Die Darsteller zeigen, dass ein zersplitternder Holzbalken so klingt wie ein brechender Arm. Zu diesem Hörspielhorror windet sich Malvolio opfergerecht. Theaterblutfläschen werden gereicht und weitere Verabredungen zu neuen Foltersoundtrackvarianten getroffen. Beschämt und gedemütigt – will Malvolio zum Finale zurückbeschämen. Nämlich alle "ausrotten". So kalt sagt er das, so abgrundtief böse, dass man ihn nicht versteht in seiner Rachlust. An diesem Abend wird aus dem Spott- ein Hassobjekt. Vielleicht ja, weil er wie Norddeutschland mit Karneval einfach nichts anfangen kann.

Was ihr wollt
von William Shakespeare, Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Martin Laberenz, Bühne und Kostüme: Peter Schickart, Musikalische Leitung: Kat Kaufmann, Licht: Sofie Thyssen, Dramaturgie: Marc-Oliver Krampe.
Mit: Lisa Jopt, Agnes Kammerer, Nientje Schwabe, Rajko Geith, Thomas Lichtenstein, Pirmin Sedlmeir, Jens Ochlast, Maximilian Pekrul, Sven Daniel Bühler und Yassin Trabelsi.
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.staatstheater.de

 

 

Kritikenrundschau

Auf nwz-online, der Webpräsenz der Nordwestzeitung schreibt Regina Jerichow (1.12.2014): Laberenz verstehe "das Ganze von vornherein als Spiel". Seine Komik beziehe er "bevorzugt aus dem langatmigen Scheitern", "Textzeilen, die sich verhaken, Darsteller, die sich in den Sand schmeißen, Szenenfragmente, die wiederholt werden", ... Dazu viel Gehampel und Gebrüll". Das "Blankziehen" bleibe das "bevorzugte Stilmittel der Regie". Gegen Ende verwandele der Regisseur überraschend die Szenerie in eine Folterkammer. "Immer noch ein Spiel, aber plötzlich eines auf Leben und Tod." Das Ensemble sei dabei Laberenz' "einziges Pfund.

Auf Kreiszeitung.de (1.12.2014) konstatiert Johannes Bruggaier: "Eine seltsam verklemmte Gesellschaft sind wir geworden, die Kindergärten mit Lärmschutzwänden einmauert, Betrunkene aus Innenstädten verbannt und sich empört, wenn im Theater tatsächlich Theater gespielt wird." Martin Laberenz schicke sein Ensemble "zurück in die Unvernunft". Das sei unterhaltsam und spannend, alles wirke "sehr live und unvorhersehbar", allerdings "auf Kosten der literarischen Substanz". Zuletzt ziele das "mehr auf Krawall ab als auf Erkenntnis". Wo Schauspieler so sich selbst überlassen blieben, spielten "die Kraftmeier den Rest an die Wand". 

 

 

Kommentare  
Was ihr wollt, Oldenburg: absoluter Tiefpunkt
Diese Kritik ist für das Gebotene eigentlich noch viel zu wohlwollend.

Dass zahlreiche Zuschauer bereits vor der Pause laut ihren Unmut äußerten und die Vorstellung verließen, sollte nicht unerwähnt bleiben.

Ebenso fehlt mir die Information, dass die eigentliche Handlung des Stückes inmitten all der obskuren Ideen der Regie lediglich noch zu erahnen war.

Diese Premiere war mit Abstand der absolute Tiefpunkt meiner jahrzehntelangen Theaterbesuche an verschiedenen Häusern.

Der Regisseur sollte sich schämen und das Staatstheater wäre gut damit beraten, diese Farce umgehend vom Spielplan zu nehmen.

Jeder einzelne Euro Eintrittsgeld für diesen Irrsinn ist ein Schlag ins Gesicht des Besuchers und eine regelrechte Frechheit des Hauses gegenüber seinem Publikum.
Was ihr wolt, Oldenburg: Ist der Regisseur ein Regisseur?
An Peinlichkeiten kaum mehr zu ueberbieten! Ist der Regisseur ein Regisseur? Wenn ja - was heisst das hier? Die Schauspieler machen lassen,was"sie wollen"? Ein richtig schlimmer Abend!
Was ihr wollt, Oldenburg: mutig bleiben
Das sehe ich überhaupt nicht so. Der Abend ist ein Erlebnis mit großartigen, mutigen Schauspielern, die wirklich alles geben. Ich hoffe, dass das Staatstheater den gleichen Mut hat und sich nicht von türenschlagenden Zuschauern beeindrucken lässt! Und außerdem: die geblieben sind haben am Schluss ja auch gejubelt. Ich möchte dem Staatstheater Oldenburg aus voller Überzeugung gratulieren: Herzlichen Glückwunsch zu diesem Experiment.
Was ihr wollt, Oldenburg: Woher die Ablehnung?
nochmal@Jochen: Ihr Beitrag macht mir Angst und Bange. Schön, die Inszenierung hat Ihren Erwartungen nicht entsprochen, aber woher diese abgrundtiefe Ablehnung? Macht nicht gerade die Vielfältigkeit des Umgangs mit dem Stoffkanon den Reiz des deutschsprachigen Theaters und überhaupt die Überlenbensfähigkeit des immer wieder Inszenierten aus? Der Regisseur soll sich schämen? Nee! Bitte nochmal drüber nachdenken!
Was ihr wollt, Oldenburg: risikobereit
Eine von Erbostheit geschlagene Tür ist ein Klatschen, zudem die Hände nicht in der Lage sind. Ein bekanntes Verhalten des in ihren Erwartungen nach Bestätigung suchenden Publikums. Theater ist ein Versuch und im bestem Falle eine Risiko für alle Beteiligten. Dieser Abend ist ein großes Risiko, viel mehr für die Darsteller als für die "Voyeure" die es sich bequem machen um es zu betrachten. Den Kampf zu sehen, mit der Freiheit umzugehen ist ein Erfahrung, die zu einiger hier geäußerter Kritik in keinem Verhältnis steht. Ob Gelingen oder nicht, ich bin sehr dankbar für den Mut und die Opferbereitschaft, die viele geniale Momente an diesem Abend möglich machten. Es ist die Unsicherheit und die Brisanz des Moments, die Theater lebendig macht. Und dieses Lob geht an Regie und an das Ensemble.
Was ihr wollt, Oldenburg: lebendig
Also ich fand die gestrige Aufführung sehr lebendig und unterhaltend. Shakespeare wieder mehr an das ursprünglich live Performative heranholen und nicht von deutsch-romantisch geprägter Texttreue her zu inszenieren - so habe ich den "Chef"-Dramaturg des Hauses in der Einführung verstanden - funktioniert. Schön, die Nacktszenen sind ausgiebig, aber um mit Picasso zu antworten: "Kunst ist niemals keusch, man müsste sie von allen unschuldigen Ignoranten fernhalten" Am Ende stand Applaus.
Was ihr wollt, Oldenburg: entfesseltes Spiel
Einer der lustigsten und unterhaltsamsten Theater abende den ich seit langem gesehen habe. Hut ab und bitte mehr davon. Braves Rumgestehe gehört abgeschafft. Das tolle am entfesselten Spiel war ja das man mit großem Vergnügen auf nicht ausgetretenen Pfaden der Geschichte gefolgt ist.
Was ihr wollt, Oldenburg: Pekrul-Fan
Immer wieder toll: Maximilian Pekrul
Was ihr wollt, Oldenburg: Welt aus den Fugen
Ein großartiger Abend mit unglaublichen Spielern. Ich bin sehr beeindruckt von der Konsequenz und Rücksichtslosigkeit im Spiel und im Erzählen: Über dreieinhalb Stunden taucht man in den Zustand einer Welt ein, die völlig aus den Fugen geraten ist. Das aufregend und macht glücklich.
Was ihr wollt, Oldenburg: freies Spiel
Shakespeare at his best - fuck the text. Freies Spiel - geiles Spiel. Hingehen und miterleben.
Was ihr wollt, Oldenburg: zwei Tage Hochstimmung
Auch ich war berauscht von dieser modernen Interpretation des Stücks und muss den Schauspielern ein großes Lob aussprechen für diese erfrischende Darbietung, ihr künstlerisches Schauspiel und ihren wagemutigen Einsatz auf der Bühne. Etwas Vergleichbares habe ich persönlich noch nie gesehen und mich hat diese Inszenierung nachhaltig - ganze 2 Tage lang - in Hochstimmung versetzt. Großartige Leistung; einfach mal was ganz anderes. Mich hat's gepackt!!! Weiter so ...
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