Marschrichtung "Terminator"

von Matthias Weigel

Berlin, 3. Dezember 2014. Das große Paradoxon ist aus dem Kriegswaffenkontrollgesetz direkt abzulesen. Demnach dürfen deutsche Unternehmen kein Kriegsgerät in Länder exportieren, in denen die Waffen "friedensgefährdend" eingesetzt werden könnten. Aber wie bitte sieht ein friedlicher Waffengebrauch aus? Und als wäre das moralische Dilemma, ob man überhaupt mit Gewalt Frieden schaffen kann, nicht schon kompliziert genug, spielen in Deutschland auch noch die mächtigen Interessen eines ganzen Industriezweiges in die Waffenexport-Frage hinein.

Für Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger am Berliner HAU ein naheliegendes Thema, nachdem er sich in früheren Arbeiten bereits mit Europas Außengrenzen oder privatwirtschaftlichen Armeen auseinandersetzte. Welche Perspektiven kann er eröffnen auf die besonders heiklen Rüstungslieferungen an kurdische Gruppen zum Kampf gegen die Terrorgruppe IS – die ja sogar von Gregor Gysi gefordert wurden?

Hunderte Milliarden Euro Umsatz

Kroesingers Faktentheater unterscheidet zwischen drei Entwicklungsstufen des Krieges: der linearen, bei der schlicht eine Kanonenkugel ihr Ziel treffen sollte; dem industriellen Krieg, der enorme Nachschub- und Versorgungsstrukturen erfordert; sowie dem postindustriellen, der vor allem digital und per Fernsteuerung stattfindet. Spätestens mit den zwei letzten Arten wurde und wird in Deutschland viel Geld gemacht: Von Heckler & Koch über Rheinmetall bis hin zu Diehl Defence ist die deutsche Rüstungsindustrie hunderte Milliarden Euro Umsatz schwer, lernen wir von den unaufgeregt vortragenden Darstellern.

exporting2war 560 davidbaltzer bildbuehne.de uSüß, so ein Panzer – oder? Mit der These, dass die Waffenindustrie fragwürdig ist,
rennt Hans-Werner Kroesinger offene Türen ein. © David Baltzer / bildbuehne.de

"50 Jahre Lenkwaffen – eine echte Erfolgsgeschichte!" Nachgesprochene Interview- oder Betriebsfeier-Passagen bringen den Doppel-Ekel auf den Punkt. Abgedroschener Unternehmens-Sprech gesellt sich zu Produkten, die Menschen töten sollen – selten zeigt sich der Kapitalismus so offen und direkt menschenverachtend. Zum Einrahmen auch das Argument der Rüstungsindustrie, man müsse ja internationales Waffenexportgeschäft betreiben, denn allein mit den schrumpfenden Aufträgen durch die Bundeswehr würde es sich nicht lohnen, die Produktion und Entwicklung aufrechtzuerhalten.

Abstrakte Informations-Kanonen

Zwischen militärischen Blech-Wänden wandeln die fünf Darsteller hin und her, deuten Situationen an, gliedern die Informationen räumlich. Ihre theatrale Kriegsführung, wenn man so möchte, bleibt hingegen aber eine lineare: Die abstrakten Informations-Kanonen kennen ausschließlich das Ziel "Rüstungsindustrie". Weder werden persönliche Schicksale gezeigt, noch alternative Wege angedeutet. Gerade beim Kampf gegen die Terrorgruppe IS fragt man sich doch, welche "besseren" Möglichkeiten es außer den bösen Waffenlieferungen denn gibt – keine Antwort. Dass die Waffenindustrie mindestens fragwürdig ist, damit rennt Kroesinger doch mehr als offene Türen ein.

Im Laufe der gut anderthalb Stunden ist man schließlich beim Krieg der Zukunft angelangt: Drohnen werden nicht mehr von Menschen ferngesteuert, sondern haben selbst gelernt, Ziele zu identifizieren. Welch hervorragende Ziele doch wir, die so viele Daten in Umlauf bringen, abgeben würden! Es ist die Vision der "Terminator"-Filme: Die Maschinen haben die Macht übernommen und beginnen den ultimativen Krieg gegen die Menschheit. Bei "Terminator" kommt das aber nicht von ungefähr: Die Maschinen wurden darauf programmiert, die größte Bedrohung von der Erde abzuwenden. Und die ist nun mal die Menschheit selbst. Doch an diesem Punkt ist die Filmreihe – vergleichsweise – längst philosophisch und multiperspektivisch.

 

Exporting War
von Hans-Werner Kroesinger
Konzept / Regie: Hans-Werner Kroesinger, Raum und Kostüm: Valerie von Stillfried, Licht: Thomas Schmidt, Dramaturgie / Recherche: Regine Dura.
Mit: Judica Albrecht, Katrin Kaspar, Lisa Scheibner, Lajos Talamonti, Armin Wieser.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

Mit Waffen, ihrer Produktion, ihrem Export und ihrem Einsatz beschäftigt sich auch Rimini Protokolls Situation Rooms, das bei der Ruhrtriennale herauskam, zum Theatertreffen 2014 eingeladen wurde und im Dezember 2014 im Berliner HAU gastiert.

 

Kritikenrundschau

"Ein Thema, bei dem allzu leicht moralische Entrüstung die Auseinandersetzung überblendet. Hans-Werner Kroesinger gerät nicht mal in die Nähe dieser Gefahr", findet Patrick Wildermann im Tagesspiegel (6.12.2014). Seine Performer schlagen einen Tonfall sarkastischer Distanz an, während sie gewohnt gründlich recherchiert das Spannungsfeld deutscher Rüstungsproduktion durchmessen, "ganz so, als seien sie professionelle Präsentatoren auf der Waffenmesse 'Idex' in Abu Dhabi, die jährlich das Kriegsgerät der Zukunft vorstellt". Die Illusion vom sauberen Krieg werde durch die fortschreitende Digitalisierung befeuert wie nie zuvor, mache der Abend klar. Der einem keine Haltung aufdränge, "sondern den immanenten Zynismus einer Branche offen legt".

"Über die Geschichte der Gewehrfabrik belehren die Performer bei ihren wackeren Auftritten auf der Vorderbühne mit irgendwie stolzem und milde provozierendem Blick: Aufgemerkt und hingehört!", so Eberhard Spreng auf DLF Kultur heute (6.12.2014). Kroesinger gehe es um eine gewisse historische Tiefenschärfe, "aber mit Geschichtsunterricht über den schwäbischen Hersteller will sich die Aufführung nicht begnügen". Der Blick weite sich zu anderen Rüstungskonzernen und ihrem Führungspersonal. EADS habe zum Beispiel den Bereich Cyber-Security als neues Geschäftsfeld entdeckt. "Über die kulturellen und zivilisationsgeschichtlichen Dimensionen dieser Zukunftsperspektive hätte man gerne einen ganzen Abend erlebt". So bleibe er ein spekulatives I-Tüpfelchen in einem Dokumentartheater, das genauso gut ein Dokumentarfilm hätte sein können oder ein ausführlicher Zeitungsartikel.

Simone Kaempf würdigt in der taz (10.12.2014) Kroesingers neues Projekt, das "einmal mehr gründlich recherchiert" sei. "Der gelungene Abend zweifelt nicht an, dass Rüstungsexport bestimmten Notwendigkeiten folgt, aber suggeriert ein System aus sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen, in denen die Wirkung der Waffen, ihre Konfliktlösung- oder verstärkung, spekulativ bleibt."

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