Wo Sprache tropft, da lass dich nieder

von Petra Kohse

Berlin, 21. Februar 2008. Kleist zeigt Schlimmeres als einen Alptraum. Er zeigt, wie der Augenblick der Hingabe, der dem Begehren folgt, als Vernichtung ausgelebt wird: Vernichtung des Begehrens und Vernichtung des Begehrten. Er zeigt den blinden Fleck in der Seele der Frau und Königin. Und wie dieser sie nicht nur beherrscht, sondern auch verschlingt. "Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder, / Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz / Mir ein vernichtendes Gefühl  hervor...".

Penthesilea sucht Achill, und Achill sucht Penthesilea. Sie treffen sich auf dem Schlachtfeld, wo er sich ihr als Mann ergibt, als Feldherr aber siegreich ist. Sich verbinden zu müssen, um ganz zu werden, was sie will, hält die Amazonenkönigin nicht aus. Sie flieht in Wahn, Blutrausch und den eigenen Tod.

Schon bei Kleist gibt es diesen klinischen Aspekt, wenn sich das Geschehen weniger vollzieht, als dass Vollzug bloß immerzu geschildert wird. Und diesen reißerischen Charakter durch das Dauerentsetztsein der atemlosen Berichterstatter, die die Schatten des Berichteten übergroß an die Wand werfen.

Heute nennt man es Angst vor Nähe
Luk Perceval
sattelt auf beides auf, wenn er "Penthesilea" in der Schaubühne jetzt als archaisch bebildertes Hörstück in einer geschlossenen Anstalt vorführt. Mit Darstellern, deren Haare, Gesichter und Körper kalkweiß geschlammt sind und deren Augen und Münder in einem entzündlichen Rot glühen, als hätten sie seit Jahren keine Sonne mehr gesehen. Die mit nackten Beinen in schlabbrigen Männernachthemden (Amazonen) oder mit nackten Oberkörpern in schlabbrigen Hosen (Griechen) und allesamt in schwarzen Arbeitsschuhen stecken.

Für den Regisseur indessen scheint der Alptraum schon das höchste Ziel zu sein. Denn obwohl der (nicht nur) weibliche Double-Bind des Nicht-mit-mir-und-nicht-ohne-dich (auch bekannt als: Angst vor Nähe) in den zweihundert Jahren seit Entstehung des Stückes durchaus gründlich analysiert und trivialisiert worden ist (Tod des Märchenprinzen!), will Perceval trotzdem bloß darüber raunen, als handle es sich dabei nicht um sich gegenseitig blockierende Projektionen, sondern um einen gewissermaßen naturhaften Sündenfall.

Der Sound des Schicksals
In der Mitte der runden Bühne hat Annette Kurz ein riesiges Bündel von Holzstäben aufgestellt, vielleicht viermal so hoch wie die Darsteller und oben von einem Metallgeviert zusammengehalten. Zu Beginn verdrehen die Griechen die Hölzer wie Mikadostäbe, so dass man ab jetzt auf ihren Fall wartet, der am Ende auch erfolgt. Bis dahin wirft das Bündel den Schatten einer Sanduhr an das Rund der Betonrückwand, und das Licht wandert von links nach rechts.

Die Schicksalszeit also läuft, und der Experimentalmusiker Jean-Paul Bourelly steht mit seinen E-Gitarren vor einem Verstärker rechts am Rand und klopft und bürstet Herzschlagrhythmen auf die Saiten, instrumentiert die ganz große Angst und Zerstörung oder improvisiert zu leiseren Stimmungen.

Immer im Kreis herum
Das symbolische Arrangement und der Klang. Das Bühnenrund wird von herabhängenden Mikrofonen markiert, in die die Griechen so demütig Bericht erstatten, als hätten sie dabei direkten Kontakt nach ganz, ganz oben. Sie flüstern und hauchen, lassen keine Silbe auf den Boden fallen, sondern schicken alles sorgfältig in die Richtung einer so drohenden wie offenbar tröstlichen Außenwelt. Dann wieder schlurfen sie in geisterhafter Blässe vor der Betonwand entlang oder ziehen im Dauerlauf Kreise.

Dass Katharina Schüttler als Penthesilea die Mikrofone in Schwingung versetzt, einfach draufhaut beim Vorbeirennen, ist die größtmögliche Provokation in diesem System und wird mit Unterwerfung geahndet. Und die Unterwerfung mit verzweifelter Rache. Was hier heißt: mit dem Bericht von verzweifelter Rache.

Bettina Stucky, Christina Geiße und Carola Regnier als die weiteren Amazonen, Rafael Stachowiak als Achill und seine Kampfgenossen performen ein Hör- und Schattenspiel. Einer lässt Sprache tropfen und die anderen stehen starr und stumm. Penthesilea, die entsetzte Entsetzliche, ist bei Schüttler eine hölzerne Halbwüchsige im Hemd, Stachowiaks Achill der Liebessieggewisse, ein sportlich-lässiger Kumpel von nebenan.

Bloß Ungesagtes statt Unsagbarem
Es herrscht hier in mehrfacher Hinsicht eine Dramaturgie der Leerstellen, die aufs Unsagbare zielt, aber im Ungesagten verharrt. Nicht, dass diese Hörspielästhetik nicht immer wieder konzentrierte Momente hervorbringen würde. Dann aber bewegen sich die kalkigen Darsteller plötzlich und stauben dabei albern oder posieren gruftig, als wäre es fürs Gothical oder die Geisterbahn.

Am Ende stürzen die Riesenmikados auf die Erde und bilden die Trümmer von etwas, das hätte entstehen können, derweil Katharina Schüttler immer wieder "Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder..." vor sich hinsagt und den Haufen umkreist. Kein Tod, sondern bloß die Hölle der Zwangshandlung, das zumindest ist realistisch, allerdings auch pathologisiert und dadurch endgültig dem Unbegreifbaren zugeordnet.

 

Penthesilea
von Heinrich von Kleist
in einer Fassung von Luk Perceval und Maja Zade
Regie: Luk Perceval, Bühne: Annette Kurz, Kostüme: Ursula Renzenbrink, Musik: Jean-Paul Bourelly. Mit: Christina Geiße, Manuel Harder, Ulrich Hoppe, Michael Rastl, Heiko Raulin, Carola Regnier, Katharina Schüttler, Rafael Stachowiak, Bettina Stucky.

www.schaubühne.de

 

Mehr zu Luk Perceval: Molière. Eine Passion – Luk Percevals Theatermarathon, Salzburg 30.7.2007. Luk Perceval wird Chefregisseur am Thalia Theater Hamburg, Meldung 8.11.2007.; www.lukperceval.info

 

Kritikenrundschau

"Dieses Theater kommt einem erstickend nahe. Es ist intensiv. Aber im Großen und Ganzen ist es doch Folter." schreibt Matthias Heine (Welt, 23.2.). Denn Perceval mache mit dem Stück das, was Penthesilea mit Achill macht: "Er zerfleischt das Stück. Und er spuckt die Fetzen in eine große Suppe, die mehr mit einem Ritual zu tun hat als mit einer konventionellen Aufführung des Dramentextes." Perceval und Co. wollten dort hinabtauchen, wo sie auf dem "tiefsten Grund des Antiklassikers Kleist archaisches Triebleben und nackten Wahnsinn vermuten". Und zum E-Gitarren-Sound merkt Heine an: "Viele hielten sich vor der Musik die Ohren zu. Mich überkam dieses Bedürfnis eher, wenn die Schauspieler sprachen." Das "Korsett der Inszenierung" erlaube nämlich nur vier Ausdrucksarten: "rennen, hecheln, schreien und flüstern". Schüttler sei dabei nur "eine Brüll- und Trampelzutat unter vielen".

Durchaus "beeindruckend, aber leer" findet Nikolaus Merck (Frankfurter Rundschau, 23.2.) diesen Abend der "schweren Bühnenzeichen". Der "Glutkern aus Begehren und Fremdheit" prädestiniere die "Penthesilea" dabei geradezu für "Luk Percevals ethnologisches Theater. Hoch abstrakt konzipiert, operiert dieses Theater mit archaischen, essenzialistischen Bildern." Die "Stimmverfremdung per Mikro" und das "erschöpfende Rennen" seien die "bekannten Stilmittel des Perceval-Ethno-Theaters, das uns, vermeintlich, Bekanntes fremd macht". Es sei jedoch "die Schwäche des Abends, dass er statt der Geschichte zwar starke Stimmungen und kurz aufscheinende Bilder gibt, das in Fremdheit und Atmosphäre Aufgelöste jedoch nicht zu einem neuen Ganzen verbindet."

Christine Dössel (Süddeutsche Zeitung, 23.2.) sieht das anders. Der Abend komme zwar der "unspielbaren Tragödie" nicht wirklich bei, sie wisse aber davon zu raunen, "wie sie sich anfühlt". Perceval inszeniere das Stück "als Geburt der Tragödie aus dem Geist von Jimi Hendrix und der Experimentalmusik". Und die Musik "kann mal quälend sein bis an die Grenze zum Kitsch und zum Pathos, dann wieder sehr berührend – zwischen beiden Polen bewegt sich dieser Abend, der eine große Kunstanstrengung ist, und dessen Kunst deshalb auch nicht ganz ohne Anstrengung zu haben ist". Perceval erzeuge "eine kalte, klaustrophobische Atmosphäre vom Krieg als Endzustand", die Figuren hätten "etwas zutiefst Pathologisches". Und "wer sich mit offenen Sinnen einlässt", überdies "manch gezierte Pose verzeiht, der wird durchaus angefegt, angerührt von der eruptiven Wucht". Vor allem von den Frauen: "Katharina Schüttlers Penthesilea drückt (...) einen solchen Extremismus des Fühlens aus, dass der Blitzschlag der Liebe, der sie so unerwartet trifft und im Innersten zerreißt, glühende Funken des Hasses, des Stolzes und der tiefsten Verwirrung sprüht."

Nach Irene Bazinger (FAZ, 23.2.) habe man es dagegen mit einem "Kraft-durch-Unfreude-Theater" und mit Figuren zu tun, die "am dünnen Faden der Regie-Arroganz" regelrecht eingehen. Die Inszenierung sei schlicht eine "Frechheit", schimpft sie. Denn: Perceval setze "ausschließlich auf Krawall und Lautstärke". Dabei wisse "inzwischen jedes Kind, dass Schreien lediglich die Stimme steigert, nicht die Argumente".

Rüdiger Schaper (Tagesspiegel, 23.2.) sagt ebenso entschieden: "Nein. Dieses Theater nervt. Es bewegt sich nicht. Und wenn es sich bewegt, ist es vorhersehbar." Wie "bitter" das sei, "wenn ein so formbewusster Regisseur wie Luk Perceval das Drama schockgefriert. Zwei Stunden lang hält sich das Ensemble auf einer monotonen Oberfläche. Eine Zustandsbeschreibung, nicht die Beschreibung eines Kampfs". Und dann "diese Kälte!". "Grau-weiß ist die Grundfarbe der Inszenierung, und von Anfang an ist alles so gepolt, wie es am Ende sein wird." Perceval habe "eine solche Angst vor (falscher) Theatralik, dass er sich in Kunstformen des Ungefähren flüchtet". Diese "Penthesilea" sehe aus "wie eine Off-Produktion der Achtziger, nur sehr viel teurer".

Ulrich Seidler (Berliner Zeitung, 23.2.) zufolge ist es eine "graue Messe", die Perceval da inszeniert hat: "Es gibt Rituale, Gebete, Opfer, Heilsversprechen und viel Im-Kreis-Gerenne. Der Jazz-Musiker Jean-Paul Bourelly gibt, auf der E-Gitarre improvisierend, den Zeremonienmeister. Am Ende reinigt ein Gewitter, wenn die Balken niederkrachen und die Schaubühne zittern lassen." Das sei ein "guter Plan", nur leider werde er "viel zu gut durchlüftet von ästhetischem Wollen". So komme es, dass "die Realität, die Perceval hereinlässt" nicht zum Zuge komme: "Das Geschehen bleibt angefertigt, kunstgewerblich und sportiv." Und Katharina Schüttler? Ihre Kraft reiche "nicht für mehr als Trotzigkeit". Und die Musik? "Kunstkrach".

"Krieg ist eine Droge", und die Musik in Percevals Inszenierung sei "ein Trip", schreibt Christiane Kühl in der taz (23.2.). Warum also bringt Penthesilea den um, den sie liebt? "Weil Krieg ist", antworte die Inszenierung. "Das "große Gefühl" als Hoffnungsträger hat Perceval aufgegeben. Die Liebe ist in seinem Drama nicht fehlgeleitet, sondern durch permanenten Kriegszustand und andauernde Erniedrigung unmöglich." So sei es folgerichtig, dass Penthesilea am Ende nicht aus ihrem Rausch erwache, wie alle Krieger ist sie "reif für die Klinik". Katharina Schüttler bleibe als Penthesilea dabei "blass". Ihr Nachthemd erscheine "bald wie eine Zwangsjacke, in der sie ausrastet oder wie sediert ins Leere starrt."

Christine Wahl (Spiegel online, 22.2.) behauptet, alles erstarre an diesem Abend "zur leeren Pathosformel mit erhöhter unfreiwilliger Komikgefahr". Weil dem Abend der Stoff fehle, würden "Stellvertreter-Pobleme nicht lange auf sich warten" lassen. Außerdem wisse Perceval mit Kleists "außerordentlicher Sprache" wenig anzufangen. Zu erleben sei eine "Mixtur aus Radiothriller und Flirthotline". Bei Katharina Schüttler würden, wie momentweise auch bei Carola Regnier, "immerhin blasse Ahnungen" aufscheinen, "wie es hätte werden können". Das indes sei nur ein "schwacher Trost".

Kommentare  
Penthesilea: es geht nicht um Angst vor der Nähe
Sehr geehrte Frau Kohse,

zwar habe ich die Aufführung (noch) nicht gesehen und meine Lese-Erkenntnis ist vor zehn Jahren geronnen, aber darf ich dennoch verwundert anmerken, dass Sie - offenbar - die Inszenierung von Perceval messen an Ihrer eigenen, im übrigen befragenswerten Meinung über das Stück?

"Sich verbinden zu müssen, um ganz zu werden, was sie will, hält die Amazonenkönigin nicht aus. Sie flieht in Wahn, Blutrausch und den eigenen Tod."

Was ist denn das für ein Geschwurbel? Und weiter...:

"Denn obwohl der (nicht nur) weibliche Double-Bind des Nicht-mit-mir-und-nicht-ohne-dich (auch bekannt als: Angst vor Nähe) in den zweihundert Jahren seit Entstehung des Stückes durchaus gründlich analysiert und trivialisiert worden ist (Tod des Märchenprinzen!)"

Vielleicht haben Sie Gelegenheit, das Stück noch mal zu lesen. Kleist's Thema ist der Geschlechter-Kampf, also die scheinbar notwendige Unterwerfung des einen Partners unter den anderen, um überhaupt ein Paar werden zu können. Eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe ist das erstrebte Ziel, aber die (grossenteils verinnerlichte) Ideologie der Amazonen erlaubt die Realisierung nicht.

Kleist zu unterstellen, es ginge um "Angst vor der Nähe" heisst, ihn komplett fehlzuinterpretieren. Kleist ist gerade der Autor des unendlichen Sehnens nach Nähe, des Wunsches nach einer orgiastischen Selbstauslöschung des Individuums.
Das kann dann auch der Blutrausch sein.
Und bei Kleist führt dieses Sehnen zu seiner Sprachgewalt, die gleichsam formal das angestrebte Ziel bereits einlöst.

Angst vor der Nähe - sorry, das ist Küchenpsychologie des 19. Jahrhunderts.
Penthesilea: Perceval ist hier etwas ganz Seltenes gelungen
Eine Gegenmeinung: Ich finde, Perceval ist hier etwas ganz Seltenes gelungen: ein wirkliches Theater der Grausamkeit. Eine Welt erschaffen, die vom Trauma beherrscht wird und vom Krieg. In der die Menschen nur noch Schatten ihrer selbst sind. Und dann ein Gefühl, das viel zu groß für sie ist, sie zerreißt und zerstören muß.
Das Worte zu Musik werden und Musik zu Worten, dass man den Krieg und das Gefühl und den Rausch fast körperlich wahrnimmt.
Ich war lange nicht mehr so berührt.
Lichtjahre entfernt vom sonstigen Ostermeier- Richter- Deutschlandsaga- Schaubühnenkindergarten.
Penthesilea: als ob eine Sekte ins Theater geladen hätte
Leider war das kein gelungener Perceval Abend. Die Bühne war beeindruckend, und es gab einige starke Momente, aber ansonsten war es einfach langweilig. Man konnte der Handlung nicht folgen, es war völlig unklar, was die beiden Hauptfiguren aneinander so fasziniert, Schüttler blieb weit hinter dem zurück, was sie sonst zeigt im Theater, Stucky leider auch - es war völlig humorfrei, als ob irgend eine Sekte zur Theateraufführung eingeladen hätte. Unfreiwillig komisch wurde es immer bei den Trimm Dich Szenen.
Kindergarten gibt es ja eigentlich nie an der Schaubühne zu sehen, ich sehe da eher sehr starke Versuche radikaler Setzungen, manchmal gelingen sie, manchmal scheitern sie, auch dies war immerhin eine sehr starke Setzung, aber hier hat das Konzept nicht so ganz ausgereicht - irgendwann hatte man dann einfach genug auf die Bühne geguckt und wollte auch mal irgendwas über die Protagonisten erfahren und denen nicht nur bei Rennen und theatralisch rumschreien zuschauen - und der Mann, der an der E Gitarre rumgeschrammelt hat -ähem - das war irgendwie olles Theater.
Penthesilea: Toll!
Also wenn ROOM SERVICE kein Kindergarten war, was dann?
Ich fand Penthesilea auch toll!
Penthesilea: Kein Respekt vor der Sprache
Ich war ebenso enttäuscht. Sicher: Perceval findet teils starke Mittel, um eine archaische Welt auf der Bühne zu errichten, deren Kreuzung mit Mitteln des technischen Zeitalters durchaus spannend wirken. Doch die Schauspieler hätten sich nicht unnötig vor den Karren dieser Versuchsanordnung spannen lassen sollen. Ich verlange in solch einem inszenatorischen Kontext keine nach Wahrhaftigkeit strebende psycho-realistische Spielweise. Aber wenigsten sollte man der Kleistschen Sprache den nötigen Respekt entgegenbringen, sich mit ihr auseinandersetzen und wissen, was man sagt. Der Zuschauer wäre dankbar, wenn die Schauspieler (allen voran die beiden Hauptdarsteller) mit klaren Gedanken eine Geschichte erzählen, statt sich bloß der nicht ausreichenden Wirkung irgendwie entrückter Wesen einer antiken Daseinsform hinzugeben. Das hat man nach fünf Minuten verstanden und man beginnt sich zu langweilen. Dass die Mikado-Holzlatten zum Schluß zusammenfallen, ist dann auch keine Überraschung mehr. Schade!
Penthesilea: zu laute Musik schluckt leise Momente
ich saß bei der voraufführung, vorne recht direkt vor dem Gitarren-"Meister". für meine Ohren war das einfach viel zu laut. ich war so sehr damit beschäftigt meine ohren zu zuhalten, dass ich dem was auf der bühne passierte nicht wirklich aufmerksamkeit schenken konnte. Das war sehr schade, denn das bühnenbild empfand ich als gelungen. und es gab, wenn auch wenige, momente der leisen töne, die dicht und fesselnd waren. ansonsten fühlte ich mich in zu vielen momenten dem terror von zu lauter musik ausgesetzt. ein mal eingesetzt hätte dieser effekt meines erachtens berechtigung haben können... aber auf die dauer nervt es einfach nur. zudem ich grundsätzlich, so wie es im obigen kommentar zu lesen ist, das e-gitarren-rumgeschrammelt nicht besonders originell fand!!
Penthesilea: Wieso ist Angst vor Nähe weiblich?
Sehr geehrte Frau Kohse,
ganz ehrlich, ich verstehe nicht, was der "Double-Bind des Nicht-mit-mir-und-nicht-ohne-dich" genau sein soll. Ist das etwa eine allseits (mir aber nicht) bekannte psychologische Formel? Wieso bedeutet "nicht mit mir" + "nicht ohne dich" = "Angst vor Nähe"? Und wieso ist diese Angst (hauptsächlich, aber nicht nur, wie Sie sagen) weiblich? Ist das auf das Stück bezogen? In der Realität sagt man solche Ängste doch eher männlichen Artgenossen nach, oder? Und was hat die Nähe-Angst genau mit dem "Tod des Traumprinzen" zu tun? Ich frage mich das alles wirklich. Vielleicht könnten Sie das noch mal erklären?
Dafür wäre ich dankbar.
MfG, Corinna
Penthesilea: Liebe in den Zeiten des Krieges
Am Anfang wird knarzend der Konfliktknoten geschürzt, die mächtigen Latten ineinanderverkeilt, Holz spannt an Holz, zum Widerstreit verdreht – Bild des Kriegs, der in Kampf verstrickten Heere von Griechen und Amazonen vor den Toren Trojas. Von hier aus, man weiß es schon am Anfang, gibt es nur einen Weg zur Lösung: den Sturz, das Zu-Trümmern-Fallen.
Um dieses hölzerne Kriegskalb zittern und hetzen sie herum, die Krieger beider Seiten. Irrgewordene in Anstaltshemden. Traumatisierte, die ihre Kriegsberichte kaum verständlich herunterstammeln oder hinaufschreien, sich gegenseitig noch hierbei ins Wort fallend, sich die Worte abjagend und diese doch nur mit Mühe überhaupt herauspressend. Ins Pathos greifen derweil die Glieder, krumm gespreizte Finger, kniegebeugte Ausfallschritte.
Allesamt sind sie bedeckt mit dem Staub der Schlachtfelder, von dem im kleistschen Text so viel die Rede ist. Eingehüllt in eine Kruste des Kampfes, unzureichende Hülle, die weder schützt noch abspringen will, sich nicht abschütteln lässt, nur ein bisschen staubt und bröselt. Dazwischen scheinen die Augen rot, wie wund gesehen, weil, was sie sahen, Blut und Schlachten war. Haut scheint rot auch um die Münder, die, was die Augen sahen, verkünden müssen.
Sie alle haben schon im Staub gelegen, niedergedrückt unterworfen gedemütigt. Aus Staub sind sie aufgestanden, taumelnd, verwundet, nicht mehr Herren, nicht mehr Frauen ihrer selbst. Und nur über den Umweg durch den Schlachtfeldstaub, bäuchlings gekrochen häuptlings geschleift, können diese Wesen sich begegnen. Können sich berühren nur auf eine Art: des einen Fuß auf des anderen Nacken. Bezwinger, Überwinder.
Was wird bei Perceval gezeigt? Liebe in den Zeiten des Krieges: seelenversehrte Veteranen, die zur Liebe verunfähigt sind? Oder immerdar Krieg in den Zeiten der Liebe? Eins sind Eros und Thanatos, Küsse und Bisse – fatale Sprachverwirrung. Blutroterosen. Statt Aug-auf-Augenhöhe das ewig alte Aug-um-Auge. So dass die Waage stets ins Asymmetrische schwankt. Allgemeines Muster oder Kriegsgebietsdiagnose?
Achills Umarmung ist hier Umklammerung, Inkettenlegung. Er könnte sie erdrücken erwürgen. Ihre Rache später der Kuss. Unfähig beide zu gewaltlosen Gesten. Taub ist sie für seine Kusshände, die er ihr auf dem Weg zur letzten Schlacht zuwirft, ungeschickte, törichte Vorboten seiner siegessicheren Kapitulationsbereitschaft. Auch das ist für sie bitterernste Kampfansage: seine arrogante Annahme, sie würde den Kampf nur als Spiel zu nehmen bereit sein.
Amazonen, wie sie die Rezeptionsgeschichte nicht kennt. Keine vitalen Mannsweiber. Keine kraftstrotzenden Zicken. Auch keine Lara Crofts. Stattdessen: Eine Oberpriesterin, alt, irr, stockenden Schrittes in schweren Schuhen schlurfend, als trüge sie unendlich schwer an erfahrener Last. Ununterbrochen ihre Finger der Reihe nach abtastend, als sei es ein Wunder, dass diese noch vollzählig sind. Daneben füllige Mutterfiguren, so gar keine Busenlosen. Und schließlich knabenhaft schlank: Penthesilea. Ein gliederschlackerndes Wirrnis mit einem maßlosen Gefühl in der viel zu engen Brust. Es schleudert sie ins Exzentrische. Sie wiederum schleudert die Mikros gen Zuschauerraum, gen Betonwand. Kaum dass die bodenständigen Matronen sie halten können. Ein scheues, ein unzahmes Tier. Unbändig ungebärdig.
Als käme mit diesem Gefühl, das gesetzt, nicht erklärt wird, aus ihrer Brust auch das Dröhnen der E-Gitarre. In seiner Wucht ununterscheidbar vom Schlachtenlärm – unheilvolles Kriegsgeheul, das, unweigerlich physisch spürbar, im Zuschauer widerhallt, dessen Brustkorb zur Resonanz gezwungen. Gitarren-Rhythmus muss den Rhythmus der Sprache ersetzen, deren Versmaß in größere Verständlichkeit aufgelöst ist, über das man hinwegzusprechen versucht, aber das doch oft aufgesagt bleibt. Gewalt auch am kleistschen Formbau, mit dem so schwer fertig zu werden ist. Wie mit so manchem hier.
an Paula A.: toller Text zu "Penthesilea"
toller text, geht unter die haut. werde mir das stück anschauen. schreib öfter hier, paula! danke
Penthesilea: nicht gelungen
leider kein gelungener abend -
Penthesilea: Antwort auf Corinnas Frage
Eine Frau, die sich nach Verbindung sehnt – womit kein umgangssprachliches Habenwollen gemeint ist, sondern eine existenzielle Sehnsucht. Und die gleichzeitig absolut nicht dazu fähig ist, auch nur einen Schritt aus ihrem eigenen System herauszutreten. Dass sie von Achill nicht als Siegerin, sondern als Frau geliebt wird, erträgt sie nicht. Mit ihr ist das nicht zu machen (nicht mit mir). Trotzdem sie sich die Verbindung ersehnt, ist SIE diejenige, die diese zunächst verhindert – dann aber doch vollzieht in einem Rausch der buchstäblichen Einverleibung und Vernichtung (nicht ohne dich). Dass eine das zerstört, was allein sie sich ersehnt, weil sie es weder ertragen, noch missen kann, halte ich für einen klassischen double-bind. Eine doppelte Fessel. Zwei gleichwertige Wahrheiten. Eine Tragödie.
Und was die zugrunde liegende "Angst vor Nähe" anbelangt: Ist es ein zu trivialer Ausdruck für die Unmöglichkeit, die Liebe eines anderen auszuhalten, obwohl man sie ersehnt? Oder ist es trivial, Penthesileas Wollen und Morden darauf zu reduzieren? Ich finde nicht. Für mich ist es im Gegenteil etwas Archaisches. Wer seiner selbst nicht sicher ist, wird aggressiv, wenn die Schutzgrenze überschritten wird. Darin liegt eine große persönliche Tragik. Wird diese Angst tatsächlich eher den Männern nachgesagt? Nun, hier betrifft sie eine Frau, und dass dies kein rein weibliches Problem ist, habe ich ja geschrieben.
Der Link zum "Tod des Märchenprinzen" von Svende Merian ist der, dass dieses Buch in Westdeutschland repräsentativ war für eine falsch verstandene, aber umso tiefer empfundene Emanzipationsbewegung. Ich habe das als Beispiel für die Trivialisierung des Themas genommen: Eine Frau, die einen Mann mit all ihren Projektionen überfrachtet und dann verdammt.
Kohse raus aus nachtkritik.de!
Gebe es Einladungen für bemerkenswertes Kritikergeplänkel, Frau Kohse wäre Dauergast. Ihr Geschreibsel nervt, kann man sie nicht einfach aus nachtkritik.de abwählen. In jedem Satz von Paula A. steckt mehr Erkenntnis.
zum vorigen Kommentar: Gibt's auch Argumente?
"...geplänkel", "nervt", "einfach abwählen", keine "Erkenntnis" - huhuhu guter Mann, haben Sie auch Argumente oder sind Sie nur meinungsfreudig?
Herzlich
nikolaus merck
Zu Paula: verträumt klingt gut, Erkenntnis komplizierter
paula a.'s text mag unter die haut gehen, beschreibt aber nicht das, was auf der bühne umgesetzt wurde, sondern nur eine hypersensible, um nicht zu sagen kitschige empfänglichkeit. ("schleudert die mikros gen zuschauerraum") percevals inszenierung mag tendenzen in die von paula erdichtete richtung gehabt haben, die umsetzung ist leider nur nicht wirklich gelungen. theaterkritik meint auch, scharf zu sehen. verträumt klingt gut, trifft es aber nicht. erkenntnis ist nicht so einfach zu haben, wie herr piewitz glaubt. eine professionelle kritikerin wie frau kohse gegen pathetisches jungmädchengeschwurbel auszuspielen, wendet sich eher gegen den einforderer, als gegen petra kohse.
Was nervt, sind Leute, die NICHTS erklären
genau, das Rumgeschreie von Leuten, die dauernd sagen, dass was nervt, nervt nämlich wirklich. kohse erklärt den abend, paula a. erklärt ihn anders und beide haben vielleicht recht. was wirklich nervt sind leute, die gar nichts erklären. und zu perceval: warum regen sich eigentlich alle so auf?
Percevals Penthesilea: habs gesehen
habs gesehn, gefällt mir nicht. war scheiße
Was soll das Kritikerbashing?
Hallo Herr Piewitz, was soll eigentlich dieses Kritikerbashing (P.K.)? Jeder hier weiss doch, Nachtkritik ist ein Portal von Leuten, die in den Printmedien nur in der zweiten Reihe schreiben. Es ist doch das gute Recht von "Kritikerpraktikantinnen", wenn schon so wenig Chancen bestehen im ernsthaften Feuilleton stattzufinden, selbst ein Forum für Kritiken zu eröffnen. Sicherlich ist da vieles nicht ausgereift. Aber ich lese Nachtkritik als eine Forum durchaus begabter Leute mit interessanten Ansichten. Niemand erwartet hier wirklich wichtige Beiträge, so wie niemand Laien- und Schultheaterveranstaltungen ernsthaft mit Stadttheateraufführungen vergleichen würde. Ich lese P.K. gerne und hoffe, dass sie es irgendwann mal schafft, als feste Redakteurin, nicht nur als Freie, in der taz oder der FR zu schreiben. Jedenfalls eine Paula A. gut zu finden, ist gut gemeint und rührend, aber Erkenntnis ist nach wie vor und Gott-sei-dank Michalzik, Dössel, Berger, Schmidt, Wille und anderen vorbehalten. Beweis? Ein Blick in die grossen Feuilletons.
Automatische Erkenntnis
so ist es. herr wille zum beispiel muss gar nichts mehr selbst erkennen, er schreibt in theater heute, da ist es automatisch erkenntnis. ist das nicht toll?
Penthesilea: Danke für die Antwort
Sehr geehrte Frau Kohse,
ich möchte mich herzlich bedanken für Ihre Antwort und Gesprächsbereitschaft. Dass die Nachtkritiker tatsächlich 'mit sich reden' lassen, ist absolut anerkennenswert. Was Sie meinen, verstehe ich jetzt viel besser. Und dass es ganz und gar kein 'Geschreibsel' ist, natürlich nicht, aber das wissen Sie.
Gewisse Hallodris hier sollten sich an Ihrer Sachlichkeit ein Beispiel nehmen: souverän.
Penthesilea: Danke für rasche Beiträge
ich finde es bewundernswert, wenn menschen schon kritiken verfassen können, wenn ich noch - wie in diesem fall - von dem gesehenen eher verwirrt und betäubt bin. und sowohl frau kohses kritik als auch paula a.s beitrag haben meinem verstehen der aufführung sehr geholfen - dafür vielen dank! mein persönlicher eindruck des premierenabends war, dass zwar alle ingredienzen für eine magische perceval-inszenierung vorhanden waren, aber irgendwie hat's nicht richtig gezündet. vielleicht wird's in den kommenden aufführungen besser, insbesondere bei frau schüttler. bei ihr wäre vielleicht weniger mehr gewesen, stachowiak hat mir zum ersten mal gut gefallen. alle anderen waren gut, frau geiße wieder mal klasse! zur musik: die mag zwar etwas anstrengend sein, hat aber gut gepasst, war - glaube ich - sehr gut gespielt und doom metal (oder wie das jetzt heisst) ist gerade schwer angesagt!
Penthesilea: Selten erreichte mich Aufführung gewaltiger
Selten hat mich eine Aufführung gewaltiger erreicht als diese. Ich habe Krieg erlebt. Ich war selbst Soldatin und weiß, wovon ich spreche. Allerdings ist das, was ich erlebt habe im Prinzip harmlos, aber die Angst ist in jedem Krieg die gleiche. Die Angst macht unberechenbar. Perceval hat das erkannt. Er hat unberechenbare Menschen auf die Bühne gestellt, die es verstanden haben, diese Angst zu vermitteln. Frau Schüttler ist unfassbar gut. Wie sie sich bewegt, mit einer Kraft und zarten Kindlichkeit, die ich an keiner deutschen Schauspielerin bisher erlebt habe. Unkokett und natürlich bleibt sie in jedem Augenblick offen und gewährt einen tiefen Einblick in die seelische Losgelöstheit Penthesileas. Sie ist nicht mehr erreichbar. Sie ist wund. Eine einzige aufgerissene, blutige Wunde - ihre Seele. Sie liebt Achill und würde sich gern mit ihm vereinen. Sie tut es in der einzigen ihr zur Verfügung stehenden Form: Gewalt. Sie mordet den, den sie liebt, vereinigt sich ihm in perverser Art, doch sie kann nicht anders. Während sich meine alte Mutter die Ohren zuhielt, war ich daneben zutiefst gerührt von der Wucht, mit der diese junge Schauspielerin sich preisgibt. Sie wirkt so zerbrechlich und ist so stark. Und doch bleibt diese Penthesilea das Opfer ihrer selbst und ihres Geliebten, den sie zu ihrem Opfer macht. Peinlich, um nicht zu sagen lächerlich fand ich die Aktion von Frau Regnier, ihre Brust heraus zu holen und minutenlang ins Publikum zu halten. Meine Mutter konnte sich des Kommentars nicht enthalten: Bei der Brust! Da könnte ich meine auch noch zeigen. Ich fand die Inszenierung sehr gut. Ich finde es mutig, einen deutschen Dichter wie Kleist dem Publikum völlig neu zu zeigen. Auch Frau Stucky hat mir sehr gut gefallen. Spannende Bilder, die mich nicht los lassen. Nächste Woche bin ich wieder zuhause in Israel und werde von dieser Aufführung auch dort schwärmen.
Penthesilea/Paula: Nicht als Gegenkritik gemeint
„Oh je, oh weh! Was will man hier?
Was will man ihr? Was will man mir?“
kann das pathetische Jungmädchenherz da nur ausrufen!

Doch bitte bitte auf keinen Fall irgendwelche Texte oder Personen, seien sie nun professionell oder pubertär, gegeneinander ausspielen! In meinem Sinne wäre das jedenfalls ganz und gar nicht. Um das noch mal klarzustellen: Mein Wortbeitrag war weder gegen die Nachtkritik von Petra Kohse gerichtet noch selbst als Kritik angelegt.
Es geht auf dieser Seite, zumindest idealerweise (und diesem Ideal kann man – in schwärmerischer Verblendung? – wohl anhängen), doch darum, ein Gespräch über Theater zu führen. Eben nicht beim üblichen Kritikermonolog stehen zu bleiben, sondern den Dialog zu versuchen. Oder auch: Zusammenführen von Stimmen, die sich ergänzen, aufnehmen, weiterdenken, aufeinander antworten, auch widersprechen, befragen. Einem Theaterabend mit Worten nachhängen. Wahrgenommenes festhalten. Eindrücke vermitteln. Assoziationen anlagern. Gedanken aufhäufen. Bedeutung ausbuddeln. Vielleicht dabei auch Erkenntnis stiften. Gemeinsam der Kunst nach-denken. So würde ich es verstehen wollen. (Andere mögen das sehr anders sehen.) Und dieses Nachdenken, zumal es eines über Kunst ist, kann doch in viele verschiedene Richtungen gehen, die nicht einfach als ‚richtige’ oder ‚falsche’ Wege zu markieren sind.
Über Percevals „Penthesilea“ kann man sich doch vortrefflich unterhalten, auch streiten. Und damit können wir ja jetzt einfach weitermachen.
Penthesilea: keine bessere Schauspielerin als Schüttler
Meiner Ansicht nach gibt es in Deutschland derzeit keine bessere Schauspielerin als Katharina Schüttler. Ihre Penthesilea ist nachvollziehbar und glaubwürdig. Bis auf die Musik, die leider viel zu laut war, hat mich der Abend sehr berührt. Krieg ist sinnlos, und wer Krieg will hat schlicht ne Meise.
Penthesilea: Es geht Perceval nicht um Kleists Sprache
Bin durch Zufall auf diese Seite gekommen, die ich nicht kannte, aber Klasse finde, weil ich was zur "Penthesilea" gesucht habe. Ich bin ein Fan von Luc Perceval; vielleicht auch deshalb, weil er einen immer wieder überrascht. Er hat einen Stil, der sich nicht wiederholt. Und trotzdem wird er dahinter sichtbar. Erst bin ich jedesmal stocksauer über das, was er da geboten hat, und dann beginne ich, darüber nachzudenken. Schon erstaunlich, dass viele Erkenntnisse sich allmählich erst heraus kristallisieren. Bei mir ist es so. Als ich vorgestern in der Premiere war, hatte ich mir fest vorgenommen, ihn anzusprechen und zu fragen, was er uns da für einen Mist vorgesetzt hat. Zum Glück habe ich es nicht getan. Denn gestern musste ich den ganzen Tag über die Aufführung nachdenken. Und plötzlich habe ich was begriffen. Es geht ihm bei "Penthesilea" nicht um die Kleistsche Sprache, zu der hat er gar keinen Bezug. Wie anders könnte man es erklären, dass die Schauspieler Texte so sprechen und Dramaturgen solche Striche machen. Nein, es geht ihm um das Irrsinnige und Unsinnige der Gewalt. Krieg wäre lächerlich, wenn dabei nicht Menschen getötet würden. Die Bühne erschien mir wie die Welt, alles ein Kreislauf, auch Zirkusarena - sehr schlüssig, und die Darsteller haben gar keine andere Chance als sich permanent im Kreis zu drehen. Wir tun es alle. Die Menschheit tut es. Sie schlittert von einem Krieg in den anderen. Und die weißen Hemden, die Kostüme, die weißen Gesichter mit den roten Augen, das ist Psychiatrie pur! Dazwischen zwei Verlorene, die zwar wissen, dass sie Verlorene sind, aber noch nicht ganz verloren haben, weil sie sich ineinander verlieben. Ihre Liebe hätte sogar eine Chance, aber das ist in dem Moment vorbei, als er ihr sagt, dass sie mit zu ihm kommt, keine Königin mehr sein darf, sondern nur noch die Frau an seiner Seite. Unglaublich, wie Katharina Schüttler das gespielt hat. Ich habe ziemlich weit vorne gesessen und hätte fast gelacht, weil ich auf einmal das Gefühl hatte, dass sie mich direkt anschaut. Man konnte genau sehen wie sie dachte: "Wie bitte? Der spinnt wohl!" Trotzdem liebt sie ihn. Sie will ihn, und sie bekommt ihn. Anders als er gedacht hätte, aber dass das so ausgeht, wie es ausgeht, ist Kleists Idee. Penthesilea kriegt es nicht hin, sie kommt ihm zwar so nah wie möglich, doch nur mit ihren Waffen. Und das sind nicht die Waffen einer Frau. Doch sie lässt sich nicht zur Hausfrau an seiner Seite machen, sie behält die Macht. Auch wenn sie ihn und sich selbst damit verliert. Schüttler war großartig, aber auch Stachowiak und Stucky haben mir gefallen. Intensiver und klarer als Schüttler kann man Gefühle nicht sichtbar machen. Ich bin jedenfalls froh, dass ich dem Herrn Perceval nicht sofort meine Meinung gesagt habe und werde mir die Aufführung bestimmt noch einmal ansehen. Die Aktion mit dem Brust raus holen fand ich auch grenzwertig.
An Ilka Schrader: Ihre Obrigkeitshörigkeit ist rührend
Ihre Obrigkeitshörigkeit ist rührend, hierarchisch- sehnsuchtsvolle Träumerei von ersten und letzten Reihen, göttlichen Erkenntnissen (selbstverständlich männlichen) und wirklicher Wichtigkeit. Ich wünsche, dass Sie mitmischen in der ersten Reihe, der vordersten Front, dass Sie dazugehören dürfen zu den Hütern der einzig wahren Bildungskultur, und nicht andere sich herausnehmen für Sie zu entscheiden, welche Wertigkeit Ihre Taten besitzen.
Erkenntnis ist nach wie vor und KörperKopf-sei-dank dem jeweils teilhabenden Subjekt vorbehalten.
Alles Zahnärzte, oder was?
das sind doch alles zahnärzte die hier kommentiern. oder wie kommts dass wer hier auch immer die schaubühne kommentiert?
Penthesilea und nachtkritik: Theaterkritik hautnah!
Warum nicht Zahnärzte, wenn sie zum Thema was zu sagen haben. Es ging doch wohl um die Kritik an "Penthesilea" und keinen Kommentar zur schaubühne. Allerdings verstehe ich ihre Frage inhaltlich nicht, wie ich auch den Beitrag Nr.24 nicht verstehe. Wessen Obrigkeitshörigkeit ist rührend, worum geht es ihr/ihm mit dem Beitrag? Was will sie/er damit ausdrücken? Kritik an der Kritik? Und wenn dies der Fall ist, bitte schön, an welcher Kritik? Vielleicht an Kritik im allgemeinen? Letzteres wäre natürlich zu allgemein, um sich darauf beziehen zu können. Ich habe gestern abend die Aufführung gesehen und bin überwältigt. (positiv- aber das ist nur die unbedeutende Meinung eines angehenden Zahnarztes) Im Übrigen bin ich sehr angetan von dieser Seite, in der Theaterkritik hautnah auf sehr hohem Niveau funktioniert, da Kritik an der Kritik möglich und einsehbar ist. In diesem Sinne: Weiter so!
Immer nur Stein und die Schaubühne!
niemand kommentiert hier das gorki oder das dt. merkwürdig... immer nur stein und/oder die schaubühne. und kinderstücke an der vb. der profiler sagt: 50-55 jährige westberliner, eltern von 5 - 10jährigen 2-4 geschwistern, im hauptberuf zahnarzt, lehrer, akademiker, gehn vormittags auch schon mal in den osten.
Penthesilea/Paula: zum Bild der verkeilten Latten
Noch mal zum hölzernen Konfliktknoten: Die mächtig verkeilten Latten, die nicht anders als fallen können, sind dabei auch über allem thronende, stets präsente Bedrohung auch, weil ganz real wirkende Gefährdung der Schauspieler, Beinaheerschlagene. Wie in Percevals „Andromache“, wo der Sturz in die Glasscherben immer nur einen Schritt weit entfernt ist. Schade nur, dass man die Vorbereitung zu diesem Holz-Fallen so sehr bemerkt: Die Schauspieler ziehen sich nach vorn an die Rampe zurück, erst als dort alle sicher im Schatten stehen, wird das haltende Metall gelöst, man lässt es krachen. Keine Trümmer-Überraschung.
Penthesilea: Perceval gelingt ein Sprung von 3000 Jahren
Zunächst danke ich Batja für ihre Kritik. Sie hat viel Geschreibsel über diese großartige Inszenierung weggewischt. So etwas hätte ich gern in den Zeitungen gelesen. Aber dort springt man nicht über seine Schatten.
Es war an der Schaubühne eine großartige, aber sehr umstrittene Aufführung. Gespielt wurde wenig. Die Schauspieler rannten im Kreis, standen und stöhnten in die kreisförmig angebrachten Mikrofone. In der Mitte stachen Holzpfähle in die Höhe, gedreht und am Ende fielen sie wie Mikadostäbe auf den Boden. Eigentlich wäre dass eine Gefahr für die Schauspieler gewesen, wenn sie nicht alle vorher an der Bühnenrand gegangen wären. Man ahnte, jetzt wird es passieren. Dann brechen sie zusammen und zerstören alles. So ist es halt im Krieg und in der unerfüllten Liebe. Sie zerstören alles. Die Musik ist gigantisch. Wer Hendrix mag, gewöhnt sich schnell an die Lautstärke und die Riffs. Allen Kritikern sei gesagt, so regte man sich in den 70er über den Gitarrenkrach auf, heute gehört Hendrix zum Kulturgut.
Insgesamt war dieser Percevalabend ein Kunstwerk, Musik, Tanz, Sprechtheater und Rauminstallation trafen aufeinander. Es ging nicht nur noch um das Kleistwerk. Perceval holt den Text in die heutige Zeit und spiegelt ihn im archaischen Ursprung. Damit gelingt ihm der Sprung über 3000 Jahre Geschichte. Hat sich der Mensch seitdem wesentlich verändert? Liebe, Krieg, Bündnisse, Geschlechterkampf, gegenseitige Bedrohung, Intrigen, göttliche Gewalten und Glaubensfragen, die in irrationalen Auseinandersetzungen enden.
Es dreht sich alles immer im selben Kreis. Die archaisch anmutenden Schönheiten umrunden diesen Kreis ein um das andere Mal an diesem Abend, bis alles zusammenfällt und alle am Rande stehen. Penthesilea verkündet ihren Abschlusssatz, nachdem sie noch eine Runde gewagt hat: „Ich sage vom Gesetz der Fraun mich los, und folge dem Jüngling hier.“
Dann verlischt das Licht und Buh- und Bravorufe sind zu hören. Ich schließe mich den letzteren an, meine Nachbarin macht gar nichts. Sie klatscht auch nicht. Nach vier „Vorhängen“ ist auch schon Schluss. Die Befürworter geben schnell auf, aber wir sind ja auch an der Schaubühne, tief im bürgerlichen Westen.
Penthesilea: großartig, erschreckend, überwältigend
Habs mir gestern angesehen, bin überwältigt. Eine großartige, erschreckende, gut gespielte (besonders von Penthesilea) Performance gegen Krieg und Gewalt. Ein paar Dezibel runter beim Verstärker und das Ganze ist nicht mehr zu toppen.
Penthesilea: Hörspieltheater
ich fand es schlecht, sorry... ich mag dieses hörspieltheater nicht!
Penthesilea: das ist Kleist und jetzt und hier
man kann das alles mitdenken. die schaubühne, zahnärzte, heraushängende brüste...man kann aber auch nur wenige bilder erinnern. achill wie er schlacksig, kindlich unablässig seine runden dreht. krieg und zeit durchläuft. und dann tänzelnd, linkisch, alle listen seines kriegs vergessend im liebestaumel. und penthesilea in aller herrlichkeit der vielen weglassungen. ihr auftritt, die symmetrie dieser im rund herabhängende mikros durcheinanderwirbelnd, diese welch auch immer ordnung, auch sie rennt im kreis durch krieg und leben. diese hilflosigkeit beider, das ist kleist und jetzt und hier.
Penthesilea: uninspiriertes Kunstgewerbe
Schauspieler tanzen völlig vertrottelt. Rennen sinnlos im Kreis. Das ist Liebestaumel? Das ist Krieg? Das ist Kleist jetzt und hier? Vielleicht doch eher schales, uninspiriertes Kunstgewerbe. Langsam nerven die angestellten Schaubühnen Kommentarclaquen in diesem Forum !
Undifferenzierte Polemiken nerven
Langsam nerven die undifferenzierten Polemiker in diesem Forum, die jede Gegenmeinung zu Claque erklären!
Bezahlte Claquen? Geschmäcker sind verschieden.
liebe andrea, alle, die die aufführungen gut finden, sind ihrer meinung nach angestellte claquen, und alle, die es schlecht finden, sind leute mit einer eigenen meinung - so ist es dann doch nicht - nicht alle, die nicht ihre meinung haben, sind bezahlte auftragsschreiber in diesem forum - auch, wenn Sie das nicht verstehen können, es gibt ganz real menschen, die perceval, ostermeier und richter sehr sehr gut finden, die finden das nun mal einfach sehr sehr gut und die bekommen dafür kein geld, die zahlen sogar dafür - damit müssen Sie einfach leben - es gibt tatsächlich unterschiedliche geschmäcker, es ist so, auch, wenn das eine schmerzende erkenntnis ist: es gibt nicht nur andrea. ihr, auf der gehaltsliste einer ganz anderen organisation stehender schaubühnenbesucher.
An Andrea: Geschmäcker sind verschieden
@ an andrea

das mag ja alles sein, lieber an andrea, aber Sie wollen doch nicht sagen, die kommentardichte zur schaubühne in diesem forum, spiegelt den eher davon verschiedenen geschmack der theaterbesucher zB in berlin wieder? da ist das dt eindeutig vorne. und etwas anderes zu behaupten, das tut eben die claque. Sie haben ja recht: Die Geschmäcker sind verschieden. Und zwar der Geschmack hier in diesem Zahnarzt-Forum und der da draussen.
Stellen Sie sich vor, Sie seien Künstler
Stellen Sie sich vor, Sie sind Künstler, halten Ihre Arbeit für politisch, poetisch, genial... Leider sind Sie der einzige, der Applaus ist mau, die Presse verheerend... Eines Abends sitzen Sie vor Ihrem Computer, suchen in den Weiten des Netzes nach einem positiven Echo auf Ihre Arbeit, finden nichts, absolut nichts... Also schreiben Sie selbst etwas. Das nennen Sie Claque? "Corriger la publicité!"
Penthesilea-Kommentar: pingeliger Ordnungshinweis
ich muss jetzt mal der pingeligkeit wegen sagen kommentar 37 und 38 sind an an andrea und nicht an andrea!
Zahnärzte in der Schaubühne – das war einmal
noch kurz was zu den zahnärzten: dass in die schaubühne nur zahnärzte gehen, ist ein klischee aus den peter stein- und andrea breth-zeiten - die zahnärzte sind in der regel abgewandert ans dt oder zu peymann - es ist in etwas so, als würde man sagen, in kreuzberg leben nur westdeutsche, die sich vor dem militär drücken wollen oder als wenn man immer noch seinen pass mitnimmt, wenn man von charlottenburg zur friedrichstrasse fährt - die zeiten haben sich geändert.
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