Etwas ist faul im Ferienparadies

von Dorothea Marcus

Bonn, 24. Januar 2015. In Rimini geht der Bürgermeister sogar zu Beerdigungen in quietschbuntem Bademantel. Ein junger Mann ist ums Leben gekommen, vielleicht durch eine Schiffsschraube – sauber hat sie Arme, Beine und fast sogar den Kopf abgetrennt. Seine Trauer kann Bürgermeister-Darsteller Sören Wunderlich gut unter Kajalstrich und blondiertem Schopf verbergen. Jovial und mit großer Geste spricht er zunächst von Rache, dann von einem bedauerlichen Unfall – und dankt danach erstmal seinen Wählern. Um schließlich über den Toten herzuziehen, der das "Gen der Einwanderer trug: Verbrechen und Chaos". Sören Wunderlich, erst eine Woche vor der Premiere für den erkrankten Bernd Braun eingesprungen, schwenkt erfrischend souverän zwischen fürsorglichem Stadtvater, schmierigem Wahlkämpfer und betroffenem Trauergast. Entrüstet gucken sich die drei Trauergäste an, bevor sie sich dann doch mit ihm auf dem schwarzen Holzsarg lümmeln: Giulia, die liebreizende Bademeisterin, ihr Freund Dino mit blondem Rauschebart und noch so ein halbseidener Journalist.

Pretty Woman in Rimini

Irgendwas ist faul im Ferienparadies, für das Bühnenbildner Fabian Liszt und Selina Traun liebevoll eine Art Mehrzweckzeile gezimmert haben: drei Duschköpfe vor Kacheln, Jalousienfenster, ein verschließbares Espresso-Büdchen in Blechwand, eine schmale rote Tür in Holz. Journalist Cesare (Hajo Tuschy) in weißem Dandy-Anzug ist zunächst noch wild entschlossen, eine Enthüllungsgeschichte über den rätselhaften Todesfall zu schreiben. Doch nachdem er von dem lässigen Bürgermeister im Elektro-Kirmeswagen zum Golfen mitgenommen wurde, hat er es sich anders überlegt. Und auch Dino Fontana guckt lieber den ganzen Tag lang "Pretty Woman" und springt immer öfter dem Bürgermeister auf den Schoß.

Durchblick und Courage hat nur seine Freundin, Bademeisterin Giulia (Anne Kulbaltzki). Nicht nur, dass sie – in heißem Julia-Roberts-Gedächtnis-Mini – messerscharf den frauenfeindlichen Inhalt des Komödienklassikers von 1990 analysiert, sie hat auch ihre lieben Delfine ("die Golden Retriever der Meere") als blutrünstige Menschenfresser-Haie identifiziert. Doch obwohl ständig Holzsärge in unterschiedlichen Größen auf der Bühne vorbei getragen werden, will ihr niemand Glauben schenken. Schließlich ist Sommersaison in Rimini, dazu WM in Italien, und Beweise gibt's keine.

Der Mensch hat viele blinde Flecken

Eine muntere Korruptionsklamotte hat das momentan schwer angesagte und preisgekrönte Autorenduo Nolte Decar (Helmut Kohl läuft durch Bonn, Das Tierreich) da erneut für das Theater Bonn verfasst und sich an Elementen von Spielbergs "Der weiße Hai" von 1975 sowie bei Ibsens "Ein Volksfeind" bedient. Doch eigentlich hätte es der prominenten Vorlagen nicht bedurft, um – bunt und rhythmisch flott von Regieschüler Matthias Rippert inszeniert – die schlichte Erkenntnis an den Zuschauer zu bringen: Wahrheitsliebe ist dem Gelderwerb nicht immer zuträglich. Der Mensch hat viele blinde Flecken auf der Netzhaut, wenn es um sein Konzept von Profit geht.

volkshai2 560 thilo beu uNoch auf Schmusekurs: Bademeisterin Giulia (Anne Kulbatzki) und die drei Korruptions-Boys (Sören Wunderlich, Robert Höller, Hajo Tuschy) © Thilo Beu

Formal steckt "Der Volkshai", der im Probenprozess von den Schauspielern mitentwickelt wurde, voller kindlicher Albernheiten, lächerlicher Absurditäten und comicartiger Verkürzungen, vielleicht wurde er deshalb den Kritikern auch gar nicht erst ausgehändigt. Als Giulia etwa den Hai entdeckt, sinniert sie vorher über ihre Lieblingswörter "Delfin", "Gelee" oder "Wurst", um dann das Meeresmonster mit den Riesenzähnen "einen kleinen Wal durchbeißen zu sehen". Das klingt schon fast zu albern, um es hier aufzuschreiben.

Die Luft ist voller Haie

Die drei korrupten Männer tun von nun an alles, um in ihrer Stadt die Normalität zu beschwören, sogar Showbaden im Meer – das in Wirklichkeit nur eine Dusche ist, wo Cesare und Dino dem Bürgermeister devot die Fingernägel schrubben. Kein Wunder, dass er und Giulia jetzt echte Beziehungsprobleme haben. Er staubt einen Job in Bürgermeisters neuem Aqua-Delfin-Land ab, sie dagegen hält einsam ihre Hai-Warnschildern hoch. Vorher tragen die beiden eine sehr lustige Viertelstunde lang eine durch alle Mann-Frau-Rollenzuweisungen, Begriffs-Bezüge und Klischees surfende aberwitzige Parodie auf einen Paarstreit aus, in der sie wechselseitig beleidigt sind und zur Versöhnung ansetzen, ins Auto und wieder hinaus stürmen, sich an den Herd klammern ("du willst mich an den Herd ketten") und der "Wirklichkeit" ins Gesicht blicken – auch wenn es nur die Ofentür war. In dieser einen Szene erahnt man, was das Autorenduo eigentlich kann: verspielt und kalauernd Schlaglichter auf die Realität werfen.

Trotzdem bleibt am Ende die Frage: Warum schreibt man so ein belangloses Stück, in schlichter Sprache und auf Kabarett-Niveau? Zum Schluss "ist die Luft voller Haie" und hat Giulia ihre drei Hai-Leugner um die Ecke gebracht ("Ciao, Jungs"). Sie schmiert die Kachelwand voll mit ihrem Blut, während die flotte Party-Musik wieder losgeht. Könnte man die Korrupten doch so einfach loswerden. Und alle durchironisierten und banalen Erzählungen von der Korruption ebenso.

 

Der Volkshai
von Nolte Decar (Jakob Nolte und Michel Decar)
Uraufführung
Regie: Matthias Rippert, Bühne: Fabian Liszt, Selina Traun, Kostüme: Selina Traun, Musik: Yu-Chun Huang, Dramaturgie: Johanna Vater, Licht: Lothar Krüger.
Mit: Anne Kulbaltzki, Sören Wunderlich, Robert Höller, Hajo Tuschy.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
Eine Koproduktion mit dem Max-Reinhardt-Seminar Wien

www.theater-bonn.de

 

Kritikenrundschau

An diesem Abend werde "die Komik dem Zuschauer mit Gewalt in den Rachen gestopft, das Lachen mit immer größeren Ködern hervorgelockt, immer wieder erfolgreich, aber irgendwann auch ermüdend", meint Thomas Kölsch im Bonner General-Anzeiger (26.1.2015). "Dabei treten letztlich sowohl Charakterentwicklung als auch Handlung weitgehend auf der Stelle." Es fehle "schlichtweg die Stringenz, der Fokus, um den 'Volkshai' über den Status einer zum Teil brillant gespielten, unterhaltsamen Posse hinauswachsen zu lassen." Immerhin aber liefere Sören Wunderlich in der Rolle des Bürgermeisters "eine Meisterleistung ab: Grell, aber charismatisch, vielschichtig und dynamisch ist seine Figur wahrlich der Herrscher von Rimini".

In winzigen Szenesplittern schreddere und fleddere Nolte Decar fremdes geistiges Eigentum, um damit einen möglichst beachtlichen Mehrwert an Komik zu erwirtschaften, schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (6.2.2015). Das Politische werde nicht ausgeblendet, aber gewissermaßen in eine ununterbrochene Folge von Anführungszeichen gestellt. Mit der Inszenierung lege der Regienovize Matthias Rippert sein Diplom ab; die Autoren wiederum haben Fabel und Figuren gemeinsam mit den vier Schauspielern erarbeitet. "Das junge Team gibt der Szenenfolge erst den Schwung und den Charme und auch die Nonchalance, deren sie bedarf. Fazit: "Eine Petitesse, sicherlich. Präkarnevaleskes Gaudium. Und doch kann das Duo Nolte Decar schon jetzt für sich verbuchen, dem Kalauer auf der Bühne eine ganz eigene Würde verliehen zu haben."

 

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