Vor dem Sanatorium Europa

von Sascha Westphal

Bochum, 31. Januar 2015. Wenn ihm schon nicht das letzte Wort gehört, so doch wenigstens das erste. Don John, dieser Intrigant aus Leidenschaft, der nur glücklich sein kann, wenn alle anderen unglücklich sind, ist erzürnt. Er will beim Spielen seine Ruhe haben und nicht von irgendwelchen Dahergelaufenen (oder in diesem Fall eher Dahergeschwommenen) beobachtet werden. Schließlich habe er 10.000 Euro für seinen Aufenthalt bezahlt.

Die leere, nach hinten von dem noch geschlossenen roten Vorhang begrenzte Vorbühne des Bochumer Schauspielhauses ist ein exklusiver Golf- und Country-Club direkt an der Küste Italiens. Und die ungebetenen Zuschauer, die Roland Riebelings Ränkeschmied Don John so aus dem Konzept bringen, das sind die afrikanischen Flüchtlinge, die nach Europa drängen und dort ein Leben als misstrauisch oder gar verachtungsvoll beäugte Zaungäste führen müssen. Dieser Don John ist also ganz auf der Höhe der Zeit, auch wenn er über einen Golfplatz und nicht mit vielen anderen durch die Straßen einer Großstadt spaziert.

VielLaerm1 560 ArnoDeclair uIm Sanatorium: Xenia Snagowski, Juliane Fisch, Bernd Rademacher, Therese Dörr
© ArnoDeclair

Das kleine Vorspiel deutet es schon an. In dieser Inszenierung geht es nicht um zwei Liebespaare und ein paar Intrigen. Eine Zeit lang bleibt sie zwar allen Modernismen zum Trotz recht nah an Shakespeares Komödie um die Liebeswirren am Hof des Gouverneurs von Messina, der in Bochum ein Sanatorium für Kriegsversehrte und eine Schönheitsklinik für mit sich Unzufriedene ist. Aber das ist wie der Maskenball, bei dem Don Pedro im Namen seines Freundes Claudio um die Hand von Hero anhält, der Tochter des Gouverneurs Leonato, nur eine Art von Versteckspiel.

Masken der Barbarei

Die ausdrucklosen, beinahe gespenstischen Masken, hinter denen die Spielerinnen und Spieler in dieser zu Helene Fischers Atemlos durch die Nacht choreographierten Szene ihre Gesichter verstecken, kehren die innere Leere der Figuren nach Außen. Und eben diesem Prinzip folgt auch der Abend. Den hat Dramaturg Olaf Kröck gemeinsam mit dem Ensemble fertiggestellt, nachdem sich Regisseur Lukas Langhoff und das Schauspielhaus gut eine Woche vor der Premiere wegen "künstlerischer Unstimmigkeiten" getrennt hatten. Die schon zu Shakespeares Zeiten geradezu absurden Irrungen und Wirrungen um das Nichts der Liebe, die sowieso nur Lüge und Manipulation ist, maskieren hier die Barbarei, auf der die Festung Europa errichtet ist.

Selbst die berühmten Wortgeplänkel zwischen Beatrice und Benedikt haben mit einmal etwas Schales. Xenia Snagowksi und Daniel Stock lassen zwar anders als ihre Mitspieler keinen Zweifel daran, dass sie von großen Gefühlen erfüllt sind. Sie sind die einzigen, die wirklich mit sich und der Liebe ringen. Aber auch sie verschließen die Augen vor dem Wesentlichen. Das gibt ihrem Glück etwas Tragisches. Denn im Gegensatz zu Nicola Mastroberandinos unreifem Claudio, Raiko Küsters verrücktem Don Pedro, der seine Umwelt nicht zufällig mit Dizzee Rascals Bonkers malträtiert, und Juliane Fischs oberflächlicher Hero traut man ihnen zu, dass sie etwas verändern könnten. Nur müssten Beatrice und Benedikt dafür aufhören, sich ausschließlich um sich selbst zu drehen.

Haarsträubendes Tischtennis-Doppel

Es ist unmöglich zu sagen, wie diese Inszenierung ausgesehen hätte, wenn Langhoff die Arbeit zu Ende geführt hätte. Aber letztlich spielt das auch keine Rolle. Jede Spekulation wäre nichts weiter als noch mehr Lärm um nichts. Seine Handschrift ist zumindest noch zu spüren, vor allem in den teils enervierenden, teils hemmungslos albernen Dekonstruktionen, die Shakespeares abstruse Wendungen ganz der Lächerlichkeit preisgeben. So ist der gemeinsame Versuch von Don Pedro, Claudio und Leonato, Benedikt in die Liebe zu Beatrice zu treiben, in ein haarsträubendes Tischtennis-Doppel eingebettet. Auf der einen Seite stehen Claudio mit seinem Gipsfuß und Don Pedro, der sich kaum mehr bewegen kann, auf der anderen Leonato und Benedikt, die halbwegs unversehrt sind, aber gar nicht ins Spiel kommen. Diese extrem verlangsamte Slapstickszene ist perfekt getimet und zerstört gerade dadurch den Fluss des Stücks.

Aber eben diese Zerstörungen sind es, die Kröck und sein Ensemble suchen. Bei der platzenden Hochzeit von Hero und Claudio darf dann endlich alles implodieren. Der sich getäuscht glaubende Bräutigam fuchtelt mit einem Sturmgewehr herum und ein Blutregen senkt sich auf die Gäste. Alle sind tot und leben doch weiter. Traurige Untote auf einer Bühne, die sich nun zu drehen beginnt. Dabei offenbart sich dem Publikum auch das ganze Bild auf dem Hintergrund-Prospekt, von dem bis dahin nur die Ränder zu sehen waren. In tosenden Wellen werden zwei kleine Boote mit afrikanischen Flüchtligen hin und her geworfenen. Das ist die Wirklichkeit, und die Komödie, die westliche Kultur, ist das Nichts.

 

Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Regie: Olaf Kröck und Ensemble nach einer Idee von Lukas Langhoff, Bühne: Mascha Mazur, Kostüme: Ines Burisch, Dramaturgie: Olaf Kröck, Licht: Bernd Felder.
Mit: Raiko Küster, Nicola Mastroberardino, Daniel Stock, Bernd Rademacher, Juliane Fisch, Xenia Snagowski, Therese Dörr, Roland Riebeling, Matthias Kelle.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

Von einem "erstaunlich leichtfüßigen Abend, der bitterböse endet", schreibt Max Florian Kühlem in den Ruhrnachrichten (2.2.2015).

Zwar lasse sich, so Jürgen Boebers-Süßmann auf dem WAZ-Portal Der Westen (1.2.2015), was in der Aufführung dem Regiewechsel (nach dem Streit mit dem urprünglichen Regisseur des Abends Lukas Langhoff) geschuldet sei, und was schon vorher fertig war, "von Außen her nicht so genau sagen. Letztlich spielt es aber auch keine Rolle, denn gescheitert ist der Abend keineswegs." Die Setzung des Abends macht für den Kritiker Sinn, "ist jedoch – auch wegen mancher Längen, auch wegen der flachen Figurenzeichnung – nicht wirklich packend. Aber kurz vor Schluss passiert doch noch ein Theaterwunder: Bei der geplatzten Hochzeit von Hero und Claudio fliegt alles nämlich in die Luft."

 

Kommentare  
Viel Lärm um nichts, Bochum: bemüht, behauptet
Alles sehr bemüht mit viel Behauptung!
Viel Lärm ..., Bochum: Hinweis
Siehe auch:

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9451:viel-laermen-um-nichts-der-scheidene-wuppertaler-intendant-christian-von-treskow-legt-einen-scharfen-abgang-hin&catid=343:wuppertaler-buehnen&Itemid=1
Viel Lärm um nichts, Bochum: gescheiterter Versuch
Das war ein gescheiterter Versuch, aktuelle politische Bezüge in ein klassisches Theaterstück zu transportieren. Ich bin kein Feind des Regie-Theaters, aber derartige Versuche sind Wasser auf die Mühlen aller Besucher, die Shakespeare gerne ausschließlich mit Rüschen und Wams sehen wollen.
Viel Lärm um nichts, Bochum: wirklich schrecklich
Es war wirklich ein ziemlich schrecklicher Abend, den man sich besser hätte sparen können. Auch ich bin kein Feind des Regietheaters, aber auch viele welche dem Regietheater kritisch gegenüber stehen, wollen nicht wie in 3 behauptet, Sheakespeare nur in Rüschen und Wams sehen, sondern mit Hirn.Und das war bei dieser Aufführung leider nirgendwo zu entdecken.
Viel Lärm um nichts, Bochum: auf alle Fälle
Sicherlich ein Theaterabend, der die Zuschauer spaltet und bei dem einiges „too much“ ist – aber mit sehenswerten Szenen, einem tollen Ensemble und auf alle Fälle sehr unterhaltsam (und das darf Stadttheater ja auch sein)
Viel Lärm um nichts, Bochum: bescheuerter Begriff
@ das zeigt doch eigtl am besten wie bescheuert der Begriff "Regietheater" ist. denn hier ist ja eben der Regisseur abgereist und der Dramaturg hat die Inszenierung mit dem Ensemble zu Ende geführt. Es müsste also in diesem Fall "Dramaturgen und Ensemble-Theater" heissen. und was kann man da schon dagegen haben?
Viel Lärm um nichts, Bochum: Fulminantes, bittersüßes Ende
Ja, es hatte zwischenzeitlich (kurz!!) seine Längen. Das erste Drittel, na ja, es plätscherte dahin. Jedoch: Sehr unterhaltsam, brilliant gespielt, von Komödie bis Satire und Drama alles dabei - mit einem fulminanten Ende, dass einen bittersüßen Geschmack hinterlässt... Man kann es kaum betrachten, ohne selbst ergriffen zu werden.
Viel Lärm um nichts, Bochum: unentschieden
Ja das war ein sehr interessanter Abend. Ich schließe mich allen unentschlossenen an. Aber ehrlich: mich hätt das wahnsinnig gefreut zu sehen was daraus geworden wäre, wenn Langhoff das zu Ende gemacht hätte. Und man darf spekulieren. Der Abend hat nämlich grad da seine Stärken, wo man das Gefühl bekommt, er riskiert und behauptet was/ greift radikal auf den Stoff zu/ setzt ihm was entgegen. Beispiele sind da vom Tischtennis über diese seltsame Idee der Invaliden bis zum Ende zu finden.
Aber leider hat man das Gefühl, dass das nicht von allen bis zum Ende mitgetragen wurde. Das sichere des mittleren Drittels, das Aufgeben der teilweise hanebüchenen Einfällen macht den Abend letzlich unentschieden.
Aber das Publikum hats heut sehr gefeiert.
Irgendwie wirkts auch nach! Wie die beiden Liebenden am Ende fast desillusioniert und traurig zueinander finden ist ganz groß. Zum Weinen wie zum Freuen. Und das ist doch toll.
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