Männer kommen, Männer gehen

von Christoph Fellmann

Zürich, 31. Januar 2015. Es lässt sich also ein New York beschreiben, in dem man vor Langeweile stirbt. So begibt es sich jedenfalls in diesem "Frühstück bei Tiffany", an diesem Abend im Schauspielhaus in Zürich. Das Nachtleben ist hier so glamourös ist wie eine Einzelfahrt im Autoscooter, der heiratsfähige Mann so charmant wie eine ungebügelte Trainingshose, und die Musik so frei von Swing, als befinde man sich in einem ökumenischen Jazzgottesdienst der 70er-Jahre. Und nicht in einer der verwegensten Erzählungen aus dem alten New York, in der Holly Golightly als frühes It-Girl die Stadt verrückt macht.

Das Leben als Rummelplatz

Truman Capote hat den kurzen Roman 1958 geschrieben, und Christoph Rüping, 1985 geboren, kriegt ihn bei seinem Zürcher Regiedebüt klein. Sein New York ist ein abgewrackter Vergnügungspark, weil das "Leben" ja eine "Achterbahn" ist, wie es schon früh in einem der Lieder heisst, die von einer Band mit dem Aplomb der Buchstabentreue ministriert werden (Bühne: Ramona Rauchbach). Nur die Sängerin Brandy Butler, die eine in die Vierzigerjahre verspätete Ma Rainey gibt, wirkt so, als lese sie das Jazz Age nicht vom Notenblatt ab. Um sie herum wird das Publikum mit Zuckerwatte begrüsst und anschließend viel Text aufgesagt, wo es nichts zu spielen gibt.

Tiffany1 560 ToniSuterTT uNew York, eine olle Kiste: Nils Kahnwald und Hanna Binder spielen das It-Girl
Holly Golightly © Toni Suter / T+T Fotografie

Vorerst aber steht da nur Nils Kahnwald als Nachbar und Erzähler dieser Holly Golightly und ihrer Männer- und Mafiageschichten: wie sie die Besatzung einer Bar – hier: eines Stehimbisses – in Atem hält, wie sie schliesslich eines Abends zu ihm in die Einzimmerwohnung schlüpft, und wie auch er sich in aller Vergeblichkeit in diese so brillante wie zutiefst zerrissene Neunzehnjährige verguckt. Kahnwald also fällt vorerst die Aufgabe zu, die Geschichte in langen Rezitativen zu entfalten, aber nicht voranzutreiben. Man kann förmlich sehen, wie hier ein toller Schauspieler im Verlauf eines Theaterabends die Waffen streckt und von einer wunderbar linkischen Figurenzeichnung ins routinierte Abwickeln einer Schicht resigniert.

Kahnwald steht auch dann noch alleine da, als Holly Golightly textgemäß längst auf- und ins Zentrum ihrer Herrenparties getreten ist. Diese bestehen hier aus vielleicht zwanzig Männern aus dem Publikum, die an Drinks nippen und versuchen, sich aus dem Scheinwerferlicht zu drücken, das die Golightly wie eine Corona umgibt. Dazu hat die Regie eine zündende Idee: Kahnwald, fesch in ein Handtuch gewickelt, verkörpert nun auch Golightly. Offenbar will Rüping die Hauptfigur nicht als Ikone zeigen, wie sie Audrey Hepburn in der Verfilmung aus dem Jahr 1961 bildschön und für alle Ewigkeit aufgeführt hat. Steht ja auch so im Programmheft. Sondern als Projektion ihres Erzählers, eines aufstrebenden Autoren, wie es Truman Capote vor seinem Durchbruch mit ebendieser Erzählung war.

Aus einer mach vier, die Artithmetik des Glamour Girls

Kann man machen, auch wenn es bei Capote weder Hinweise darauf gibt, dass es sich bei Holly Golightly um eine Ikone handeln könnte noch um eine Projektion. Vielmehr schien es sich um eine irrlichternde, zutiefst zerrissene Person zu handeln, für die sich die Männer dann aber doch aus vielen grandiosen Gründen zum Idioten machen. Hier aber gibt es weder sie noch die ernstzunehmenden Männer. Und schon gar keine Gründe. Denn als Rüping sich schließlich doch dafür entscheidet, Golightly noch auftreten zu lassen, stehen mit Nils Kahnwald in kleinem Schwarzem und Perücke, aber auch mit Hanna Binder, Magdalena Neuhaus und Isabelle Menke in irgendwas (Kostüme: Lene Schwind) gleich vier nicht ikonische, nicht männerphantasierte Damen da.

Die Projektionsidee hat sich also totgelaufen. Ohne dass eine neue Setzung an ihre Stelle träte. Das Glamour Girl, das in den Armen der Männer schwebt "wie ein Seidentuch" (wie es bei Capote heisst), erscheint nun wahlweise dumm, kindisch oder blasiert. Und so taumelt der Abend mit seiner gespaltenen Hauptpersönlichkeit bald nur noch eilig durch den Rest der Erzählung. Männer kommen, Männer gehen. Nasen werden gerieben, wenn jemand sagt, es werde eine Nase gerieben. Einem "Dreckskerl" wird mit der Zeitung auf den Kopf geschlagen, wie das in den Strassen von New York nun mal gang und gäbe ist. Ein letztes Lied wird gesungen: "Dreams really do come ...". Das finale Wort – "true" – fehlt. Bezeichnend. Eine Romanvertheaterung ohne Wirklichkeit und Wahrheit.


Frühstück bei Tiffany
von Truman Capote
In einer Bühnenfassung von Richard Greenberg und Ulrike Zemme
Regie: Christopher Rüping, Bühne: Ramona Rauchbach, Kostüme: Lene Schwind, Licht: Gerhard Patzelt, Musik: Christoph Hart, Dramaturgie: Karolin Trachte.
Mit: Nils Kahnwald, Ludwig Boettger, Hanna Binder, Magdalena Neuhaus, Isabelle Menke. Band: Brandy Butler, Roger Greipl, Hipp Mathis.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus.ch


Kritikenrundschau

Von einem Theater, das sich seiner Mittel sehr bewusst ist, spricht Andreas Klaeui in der Neuen Zürcher Zeitung (2.2.2015). Christopher Rüping ziehe mit 'Frühstück bei Tiffany' "die grosse Show ab". Wie ein zweiter Kanal laufe in der Inszenierung "neben Truman Capotes Erzählung die Meta-Erzählung von Wahrheit und Wirkung, Künstlichkeit und dem richtigen Leben im Fake stets mit". Das sei "schlau gedacht und theatersinnlich gemacht".

 

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