Ach Wolfram!

von Dirk Pilz

Köln, 6. Februar 2015. Und dann Auftritt der Fellfrau. An ihrem Gürtel klappert Blechgeschmeide, das Haar ist wirr, die Augen sind zornesscharf. Stampft umher, brüllt, schimpft. Rennt raus, holt ein Schild, lässt es von Bühnenarbeitern herumschleppen: "Die Tafelrunde ist zerstört." Will dann vom Publikum, dass es mitbrüllt, was dieses nicht tut und also beschimpft wird: "Ihr steht doch so auf Mitmachtheater, hat mir Karin Beier erzählt." Lachen, die Leute haben ihre Ex-Intendantin nicht vergessen. "Na macht schon!" Nichts.

Der Fellfrau reicht's jetzt: "Ich scheiß auf das Mittelalter!" Sie scheißt auf das Frauenbild, das Heldengerede, das Gralsgetue und ein Theater, das all dem hinterhererzählt. Ihr Telefon klingelt: "Ja Wolfram! Acht Minuten habe ich für diese Szene!" Also Parzival am Hemdkragen gepackt und geschüttelt, weil er nicht tat, was er beim kranken König Anfortas auf der Gralsburg hätte tun müssen, ihn fragen, woran er leide, auf dass er von seiner Not erlöst werde. "Es ist vorbei! Ihr habt gesündigt, als ihr schwiegt!" Ihr, das sind Parzival und das Publikum. Abtritt von Cundrie, der Gralsbotin. Fellfrau weg, Theater kaputt.Parzival1 560 DavidBaltzer uMarek Harloff tappt als Parzival, Gerrit Jansen schaut hin, Melanie Kretschmann nicht.
© David Baltzer

Seltsam. Anderthalb Stunden hat dieser Abend ohne jeden Rückzug ins Ironische, frei von allen Absicherungen durch Aktualitätsbezüge die Geschichte Parzivals nach Wolfram von Eschenbach erzählt. Mit staunenswerter, naturgemäß auch anstrengender Konzentration, im festesten Vertrauen auf den Resonanzraum der Erzählung selbst, auf ihre Kraft, die sich nicht herbei inszenieren, nur gewähren lässt. Mit leisen Worten und unaufdringlichen Gesten, mit einem silbenschmeichelnden Spiel, das die Sätze immer leicht versetzt illustriert und gerade so mit Spannung versieht, semantisch wie szenisch.

Keine Schwerter, keine Burgen

Da tritt Gerrit Jansen zu Beginn im schlichten Anzug vor eine schwarze Wand, berichtet, wie Ghamuret vor Bagdad starb, im Dienste des Kalifen, und seine Gattin Herzeloyde "besinnungslos zusammenbrach", als sie den Tod vernahm – und Melanie Kretschmann steht stumm an der Wand, krampft die Finger, schaut, ohne zusammenzubrechen.

Da lässt Marek Harloff seinen Parzival, als die Wand sich zum Erzählschlitz, zum Weltenriss geteilt hat, tiergleich auf allen Vieren tappen, auf einen Roten Ritter treffen, von dem einzig die Beine sichtbar sind, bestürmt und bekriegt ihn, aber wir sehen es nicht, wir hören es, wir sehen Blut, wir sehen, was Morden heißt, ohne dass es gezeigt werden müsste.Parzival2 560 DavidBaltzer u... und es wird doch noch ein Bühnenmassaker! © David Baltzer

Da wird bei Parzivals Gang durch die Welt und zu sich selbst auf Schwerter und Rüstungen, auf Burgen und Throne verzichtet, weil es keine Schwerter, Rüstungen, Burgen und Throne braucht, um die Erzählwürdigkeit dieser Geschichte zu beweisen.

Anderthalb Stunden lang hat Regisseur Stefan Bachmann dem Stoff vertraut, der Übersetzung von Dieter Kühn, der Sprachgewandtheit, dem Gestenreservoir seiner Schauspieler. Die Geigen- und Gitarrenbegleitmusiken mochten überflüssig sein, die Kerzen bei Ankunft in der Gralsburg vielleicht bloße Stimmungsmache, ihr Ausblasen mit dem Feuerlöscher neckischer Effekt, der Einsatz von Mikroports bloßes technisches Hilfsmittel, aber es war doch Erzähltheater um des Erzählens willen. Streitbar wie jede konsequente Form, nicht jedoch der Vorlage als bloße Girlande um den Hals gebunden.

Suppentopf und Seelenmatsch
Dann jedoch Cundrie und ihr Bühnenmassaker. Wie Kinder, die erst mit großer Sorgfalt und staunenswerter Geduld einen Turm errichten, um ihn danach mit Lust umzuwerfen, aus schierer Freude am Zerhauen, wütet diese Inszenierung gegen sich selbst. Danach ist, logisch, alles verwandelt. Wo vorsichtiges Zeichenspiel, psychologische Zurückhaltung war, herrscht jetzt derbes Veräußerlichen, als wollten die Figuren ihr Innerstes wie Seelenmatsch auf die Bühne spucken. Es werden Schwerter geschleppt und ausgiebig Blutbeutel zermanscht, es wird gebarmt, geschrien, geschritten, als sei's ein bürgerlich' Trauerspiel. Es wird mit schriller Deutlichkeit hantiert (Trevrizent, der Eremit: ein Penner am Suppenkochtopf) und Parzivals Erhebung zum Gralshüter in schräges Pathos getunkt.

Seltsam. Will dieser harsche Bruch die Menschwerdung Parzivals der Unglaubwürdigkeit bezichtigen? Wird dessen Weg in eine Heimat bei sich selbst vorsätzlich verstellt, um uns einzubläuen, dass derlei Wege inzwischen allesamt vermauert sind? Parzival, der unmögliche Held? Es ist, als zerre sich diese Inszenierung selbst den Boden unter den Füßen weg, um festzustellen, was nicht zu beweisen war: dass ohne Halt kein Leben ist und jedes Leben ins Haltlose ausfranst. Als ziehe sie sich ins Abstrakte, Allgemeine zurück: Parzival, ein Mensch!

So gesehen will dieser Abend am Ende lediglich bestätigen, was sein erster Vers verkündete: "Wenn das Herz mit Zweifeln lebt, so wird es höllisch für die Seele."

 

Parzival
nach Wolfram von Eschenbach
Übertragung aus dem Mittelhochdeutschen von Dieter Kühn
Fassung von Stefan Bachmann und Thomas Laue
Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Esther Geremus, Musik und Komposition: Malakoff Kowalski, Choreografie / Körperarbeit: Sabina Perry, Dramaturgie: Thomas Laue.
Mit: Marek Harloff, Gerrit Jansen, Stefko Hanushevsky, Jörg Ratjen, Melanie Kretschmann, Annika Schilling, Nikolaus Benda.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause.

www.schauspielkoeln.de

 

Kritikenrundschau

Kölns Intendant Stefan Bachmann habe sich "einmal mehr strenge Regietheater-Diät verordnet, um zum Kern der Erzählung vorzudringen. Selten ist ihm das so gut gelungen, wie in dieser Nicht-Dramatisierung des Versromans Wolfram von Eschenbachs", schreibt Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (9.2.2015). "Wundersam fremd und doch altbekannt" wirke der Text, "und wenn ihn Bachmann bildlich ins Hier und Heute versetzt, dann kaum um Kommentare zur Lage abzugeben. Eher, um ihn spielbarer, pathosfreier auf die jetzt weit geöffnete Bühne zu bringen." Bos' Fazit: "Derart freilaufend, lustvoll, blauäugig und doch kampferfahren" hätten Bachmann und sein Ensemble "in Köln noch nicht aufgespielt."

Hartmut Wilmes schreibt in der Kölnischen Rundschau (9.2.2015), der Verzicht auf eine eigene Dramatisierung falle kaum auf, weil Gerrit Jansen "elegant die Handlung" souffliere. Die setze das Ensemble "bravourös in Aktion um, oft in apartem Kontrast zum Text". Und Bachmann finde "starke Bilder", halte jedoch das Gralspathos "klug in Grenzen". Wichtiger als "die Erlösung des Helden" scheine sein "beigelegter Bruderzwist", die "Versöhnung von Orient und Okzident". Die "Krone des Abends" gebühre Melanie Kretschmann als Cundrie. Dass Marek Harloff Parzivals Psychogramm "zwischen Naivität, Ruhmsucht und Reue" eher mimisch skizziere, schade kaum. Ohnehin gebühre Melanie Kretschmann die Krone des Abends. Dank "exzellenter Schauspieler bewahre "fast jede Szene" ihre "Innenspannung". Dieser "Parzival" zeige "das kritisch-intelligente Ringen mit dem Stoff". "Einhelliger Beifall, einige Bravi".

Es sei "eine typische Bachmann-Inszenierung: konzentriert im Detail, eng am Text, das Beste aus den Schauspielern herausholend", meint Jürgen Schön auf koeln.de (7.2.2015). Fünf der Darsteller müssen sich "22 Rollen teilen, brillieren dabei in jeder. Nur Marek Harloff darf sich ganz auf die Titelrolle konzentrieren und reißt das Publikum mit." Bachmann wisse "um die Macht der Bilder und Töne, überrascht das Publikum mit Effekten immer aufs Neue." Allerdings begrabe er darunter auch "allzu oft tiefergehende Fragen, etwa nach der möglichen Aktualität von Parzivals Streben."

Auf dem Online-Portal der Deutschen Bühne (7.2.2015) schreibt Bettina Weber: Parzival sei einer, "der zu etwas wird, jedenfalls bei Wolfram von Eschenbach. Bei Stefan Bachmann bleibt er, trotz des erlernten aufrechten Gangs, trotz Happy End, am Ende eigentlich ein verlorener Idiot, und mit ihm die gesamte Geschichte – genau das ist die große Enttäuschung dieser Produktion". Die "Eigenschaften der Figuren symbolkräftig in ein stark choreographisch geprägtes Schauspiel zu transformieren", gehöre indes "noch zu den schönen Einfällen der Inszenierung", die zu Beginn durchaus einen "regelrechten Sog ins Epische" entstehen lasse. Doch dann nahten die Probleme, von einem bestimmten Punkt an würde die ganze Geschichte "nicht mehr ernst genommen. (…) Die Distanz der Regie zur Erzählung wird nun so groß, dass sich die Inszenierung ihrer eigenen Grundlage entledigt." Ganz so, "als "gäbe es jetzt eben nichts mehr, dass sich noch ehrlich und ernsthaft erzählen ließe, wird nun beinahe jede Szene überzeichnet oder als Karikatur verhökert."

Ansgar Skoda schreibt auf dem Online-Magazin Kultura Extra (9.2.2015): Obwohl die Charaktere der Figuren einfach gezeichnet sein mögen, überraschten sie "in ihrer Vielschichtigkeit". Die "insgesamt fesselnde Inszenierung" überzeuge "auch aufgrund ihres Mutes", Szenerien nur anzudeuten und alle Darsteller, bis auf Marek Harloff in der Rolle des Parzival, "in unterschiedlichen Rollen auftreten zu lassen".

Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.2.2015) gefällt besonders die "Zurückhaltung" des Theaters, die "szenischen Stenogramme" im ersten Teil. Die Inszenierung setze "so dezidiert aufs Wort, dass die Schönheiten der frischen, poetischen Übertragung von Dieter Kühn" aufschienen. Es sei "Regie, die sich in den Dienst des Texts stellt". Ein "Zug zur knappen Stilisierung und unaufdringlichen Verfremdung" bestimme die Bildsequenzen, "nicht immer originell und etwas schmal in den Mitteln" würden die Episoden doch immerhin "sprachbewusst und formgenau umgesetzt". "Konzentriert und konsequent" entwickele "die Inszenierung einen Erzählfluss", der, leider, nach etwa zwei Dritteln, "jäh aufgekündigt" werde. Von "dem Ausfall der Cundrie" von Melanie Kretschmann erhole sich die Aufführung nicht mehr: "Parzival" erleide "eine Bruchlandung".

 

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