No-man-show

von Anne Peter

Berlin, 7. Februar 2015. Das Mediengesumse war groß. Lars Eidinger auf allen Kanälen. Vorberichte vom Spiegel bis zum ZDF. Menschen mit "Suche Karte"-Schildern vor der Schaubühne. Die Vorstellungen bis Ende März sind jetzt schon ausverkauft. Alle wollen den sehen, der über 230 Mal "Hamlet" war und jetzt "Richard III." ist. Die Messlatte liegt weit oben.

Berliner Globe

Ja, sogar eine neue Bühne haben sie ihm gebaut. Sie erinnert an ein elisabethanisches Theater: acht steil ansteigende Reihen um ein sandbedecktes Halbrund herum, vor hohem, mit Treppen und Galerie bestücktem Portal. Stehplätze wie zu Shakespeares Zeiten gibt es in Jan Pappelbaums Globe-Variation nicht, aber auch hier sollen, so Regisseur Thomas Ostermeier, die Zuschauer das Gefühl haben, hautnah dran zu sein, die Schauspieler quasi anfassen zu können.

Ein Ort, wie gemacht für Lars Eidinger. Stürzt sich sein gefährlich unberechenbarer Dänenprinz Hamlet doch seit 2008 stets aufs Neue in waghalsige Scharmützel mit dem Publikum. Und was macht nun sein Richard? Sobald es Zeit für einen Monolog ist – und das ist bei Shakespeares Number-One-Bösewicht bekanntlich sehr oft der Fall –, pirscht er sich nicht etwa an die Rampe, buhlt dort nicht mit Direktansprache um Komplizen, fordert nicht mit plötzlichen Improvisationen heraus, sondern schnappt sich das mittig von der Decke baumelnde Retro-Mikro und performt dort hinein. Naja. Man kann dieses Mikro auch schön gen Publikum schleudern oder sich daran selbst über die Köpfe hinwegschwingen.

Ein König Richard mit Rockstar-Appeal? Zu elektronisch unterdröhntem Live-Schlagzeug schickt er Marius von Mayenburgs Prosa-Fassung gelegentlich eine Passage englisches Original hinterher – so eine Prise Poesie kann nicht schaden, wo die Übersetzung vor allem an Verständlichkeit interessiert scheint. Der tolle neue Raum aber bleibt über weite Strecken ungenutzt, weil sich die Interaktionen mit dem Publikum darauf beschränken, dass die Schauspieler kurz mal in Richtung Ränge blicken, wenn von "Peers" die Rede ist oder gerade sichtbar vor Publikum bigottisiert wird.

Outlaw mit Glamour-Faktor

Wo aber ist die Konfrontationslust des Hamlet geblieben? Seltsam gedämpft bleibt Eidingers Spiel, sein Sprechen auf wenige Varianten beschränkt, selten schöpft er das komische Potential aus. Ostermeier vermeidet aktualisierende Engführung und führt uns Richard als ernsthaft gekränkten Outlaw vor, der es der skrupellosen Welt mit umso größerer Skrupellosigkeit heimzahlen will.

richardiii2 560 arno declair uLars Eidinger als Richard, the Performer © Arno Declair

Fast unscheinbar taucht Eidingers Richard zu Beginn aus der ausgelassenen Feiermeute auf, die den Sieg des Hauses York über das der Lancasters begießen. Richard hat sich für die Inthronisierung des Bruders die Hände blutig gemacht, war der "Packesel für seine Großprojekte" und fühlt sich nun um seinen Lohn betrogen. Nicht nur die ungerechte Natur, sondern auch dieses Packeseltum in den Familiengefechten der Rosenkriege hat ihm wohl den Oberkörper unter dem (sichtbar) aufgeschnallten Buckel nach vorn gekrümmt und die Beine ins X gepresst. So scharwenzelt Richard schief einher, mit Zahnspange, getapter Hand und schwarzer Kopfschutz-Haube etwas übereifrig mit körperlichen Behinderungszeichen überhäuft – auf dass seine Gekränktheit extra triftig motiviert sei. Wenn er später als König auftritt, zwingt ein Korsett ihn in die schmerzende Gerade. Zuvor hat diese manipulationsbegabte Intelligenzbestie, die sich den Weg bis zum Thron von anderen freimorden lässt, schon weißen Maßanzug und Schwarzglitzerjackett vorgeführt – ein Freak mit Glamour-Faktor.

Glaubhaftigkeit

Leider strahlt an diesem Richard außer den Pailletten wenig. Mag sein, dass sich das Spiel nach der Premiere weiter entwickelt, wie es bei "Hamlet" der Fall war. Vorerst drang von dem Verführungsvirtuosen, von der Erotik des sich über alle Moralschranken hinwegsetzenden Wüstlings, der die Witwen seiner Opfer verführt, herzlich wenig durch. Schwierig bei einer Inszenierung, die auf Glaubhaftigkeit baut. Was etwa Lady Anne bewegt, den eben noch verfluchten Gatten-und-Stiefvater-Mörder plötzlich mit einem Kuss zu überfallen, bleibt ein Rätsel. Schön allerdings, wie Eidingers Richard danach ernsthaft staunend fragt: "Wurde jemals eine Frau in dieser Stimmung gewonnen?" – und es selbst kaum glauben kann ...

Schwer haben es die um ihn herstehenden, schon im Stück nur spärlich individualisierten Steigbügelhalter. Ostermeier inszeniert sie austauschbar dahin, als eine Art zeitlose Hosenträger-Elite in Opfer-Täter-Schwarz-Weiß, wo Fatsuit oder Büro-Accessoires zur Schnellcharakterisierung herhalten müssen. Vielleicht könnten diese Gestalten ja zumindest etwas weniger gleichgültig zu ihrer eigenen Hinrichtung schreiten?

Intensitätsfinale

Eva Meckbach als Königin Elisabeth immerhin sind ein paar aufbrausende Momente gegönnt. Und Robert Beyers eisig vom Balkon herunterfluchende Ex-Königin Margaret gehört zu den stärksten Auftritten dieses auch mit Einfällen geizenden Abends (immerhin: es gibt Pellkartoffeln mit Quark, die sich prima an die Wand feuern lassen). In den Intervallen pimpen schöne Videobilder (Vögel als Freiheitssymbole?) und Volle-pulle-Sound die Inszenierung auf, ersatzdrogenhaft.

Am Ende, in der Nacht vor der entscheidenden Schlacht, beweint Richard seine Einsamkeit, während über ihm die Albtraumgestalten dräuen. Im Traum auch ruft er nach jenem rettenden Pferd. Und es ist ein Schattengefecht, das er gegen seine Feinde und ehemaligen Verbündeten kämpft. Der Deus ex machina bleibt aus, was wir sehen, ist die (Selbst-)Vernichtung Richards. Wie Eidinger da gegen Wände und Pfosten drischt, die Treppen hinaufhechtet, in der Luft imaginäre Gegner aussticht und schließlich selbst, hinterrücks, erstochen wird – das ist ein Exzessivitätssolo, ein Intensitätsfinale, die allzu spät sich einlösende One-man-show.

 

Richard III.
von William Shakespeare
Übersetzung und Fassung von Marius von Mayenburg
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Florence von Gerkan, Musik: Nils Ostendorf, Video: Sébastien Dupouey, Dramaturgie: Florian Borchmeyer.
Mit: Lars Eidinger, Moritz Gottwald, Eva Meckbach, Jenny König, Sebastian Schwarz, Robert Beyer, Thomas Bading, Christoph Gawenda, Laurenz Laufenberg, Schlagzeug: Thomas Witte.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Kritikenrundschau

Woher die erstaunliche Wirkung des Erzschurken Richard stamme, beantworte Ostermeiers Inszenierung nicht, noch mache "sie daraus ein großes, fieses, im besten Fall abgründig faszinierendes Theaterrätsel", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen (9.2.2015). Stattdessen werde dieser "Richard III." zu einer "zweieinhalbstündigen, mit viel Musik angeheizten One-Man-Show des rabiat entfesselten Lars Eidinger, die sich indes bald in zirzensischem Brimborium, fataler Gedankenleere und effekthascherischer Aufgeblasenheit erschöpft". Die Inszenierung bestehe "aus viel Luft (…) und auch aus viel Lüge – weil sie keine Wahrheit" über ihre Figuren suche, "sondern kaum an deren Oberfläche kratzt und trotzdem behauptet, sie habe ihr Wesen berührt".

Die Aufführung sei "eine Psychoanalyse des Macht-Obsessiven von fast depressiver Härte, und das ist nicht die geringste Qualität dieser Inszenierung", meint Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (9.2.2015). "Ostermeiers Auseinandersetzung mit dem Text lässt sich bei aller Freude am Knalleffekt auf dessen Monstrositäten ein. Und sie ist bereit, davor zu erschrecken, statt sich mit Coolness-Posen zu panzern." Dieser Richard sei "ein nihilistischer Intellektueller, sehr weit entfernt vom verführerischen Selbstgenuss, den Gert Voss vor drei Jahrzehnten in Claus Peymanns grandioser Inszenierung des Stücks seinem Richard geschenkt hat".

Der "gelungenste Kniff dieses (…) ganz und gar geradlinigen Abends" sei vielleicht, dass sich Eidinger "nicht in schillernder Großschauspielerei" übe, "er bleibt, was er von Beginn an ist: ein buckliger Knilch, ein Quasimodo mit Kinderseele, der gar nicht anders kann, als böse sein vor uns und gut sein vor seinen Fürstenkollegen", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (9.2.2015). "Denn gut und böse fallen in ihm zusammen – sind kein Gegensatzpaar, dem nur die semantische Binnengrenze verwischt ist, sondern sind identisch. Und das ist das Verrückte, ja Überraschende dieses sonst unspektakulären Shakespeareabends: Nicht das Raffinement zwischen Schein und Sein funktioniert hier als stärkste Waffe des theatralischen Schurken, sondern die komplette Stumpfheit, seine kindische Arglosigkeit."

Lars Eidinger gebe viel. "Gibt sich hin und preis", liefere am Ende auch "eine große, körperlich bravouröse Show", meint Peter von Becker im Tagesspiegel (9.2.2015). "Eidinger, so heißt das im Schauspielermetier, bezahlt jederzeit bar. (…) Aber vieles davon bleibt doch: äußerlich." Zumal die Nebenfiguren in "ihrem leider blass konventionellen Aufsagetheater" mitunter wirkten, "als seien sie von der Regie alleingelassen". Von Becker zufolge gründet das Drama Richards "in seiner verkörperten Sprachgewalt". Lars Eidinger bleibe "indes leise, trotz aller Buckelei eher einförmig. Monoton. Ein paarmal züngelnd, listig lächelnd. Aber keine Schärfe – die hat nur Robert Beyer als alte, alle verfluchende Königin Margret. Dieser Richard ist nicht dämonisch, eher bürgerlich, und am dramatischsten klingt das donnernde Schlagzeug."

In dieser Inszenierung leuchte "selten einmal das ganze Ensemble (…). Meist leuchtet nur Eidinger", schreibt Eva Biringer auf Zeit online (8.2.2015). "Er strahlt auch dank der Übersetzung des Schaubühnen-Hausdramatikers Marius von Mayenburg. Von allen Versmaßen bereinigt, heißt es im Text 'wir werden nicht rumstehen und labern' oder 'ich mag euch, Jungs'. Diese saloppe Interpretation kommt Eidingers Improvisationstalent sehr entgegen." Richard sei bei Lars Eidinger "vor allem unscheinbar. Stets achtet er darauf, aus der Froschperspektive zu den Menschen zu sprechen, das schmeichelt deren Ego." Es sei "diese Banalität des Bösen, die erschaudern lässt".

Es könne "schon überraschen, wie still Eidinger Richard III. anlegt, wie er alles karikaturenhaft Laute vermeidet und seinen Meuchelmörder zum gehetzten Denker werden lässt, zu einem, der ständig staunt, was ihm alles gelingt, und seine Blicke fiebrig hin und her gleiten lässt zwischen den Kontrahenten, die er gegen einander ausspielt", meint André Mumot auf der Website von Deutschlandradio (8.2.2015). Eidinger nehme "den autistischen Ehrgeiz seiner Figur in jeder Sekunde ernst und bietet eine Leistung, die in ihrer ungekünstelten Selbstverständlichkeit ihresgleichen sucht: ein Theaterereignis mit Ansage." Eidinger sei "unwiderstehlich, und auch das Publikum verfällt rettungslos seiner wohl dosierten Mischung aus Charme, Verletzlichkeit, rhetorischer Brillanz und funkelndem Selbstbewusstsein."

In diesem "Richard" werde "naturgemäß gerockt, geröhrt und geröchelt, dass manchmal die Ohren klirren", schreibt Matthias Heine in der Welt (9.2.2015). "Klar: 'Hamlet' war ein Welterfolg, der in zahlreichen Ländern gefeiert wurde. Als solcher ist auch 'Richard III.' erkennbar kalkuliert. Er brüllt deshalb so, damit er auch in São Paulo und London verstanden wird." Allerdings hat Heine trotzdem eine "insgesamt kurzweilige und dichte Aufführung" gesehen. Zu Beginn seiner Kritik wirft er übrigens eine bedenkenswerte Frage auf, die er indes nicht weiterverfolgt: "Wieso gilt es eigentlich neuerdings als rassistisch und anstößig, wenn im Theater Weiße mit geschminkten Gesichtern Schwarze spielen – aber wenn ein normal gewachsener Schauspieler mit aufgeschnalltem Buckel und groteskem Pappklumpfuß einen Behinderten imitiert, finden das alle okay?"

Ostermeier habe "die Nähe, die die Bühne bietet, für die Herstellung sehr intimer Theatersituationen genutzt." Da jedoch "alle Rollen außer Richard selbst blass bleiben," sei das Mikrofon "der eigentliche Mitspieler, manchmal auch Gegenspieler von Lars Eidinger", meint Dirk Knipphals in der tageszeitung (9.2.2015). Nicht alle Szenen seien "gleich gut", am meisten im Gedächtnis blieben "die leisen Momente, wenn dieser Richard sich darüber wundert, wie leicht er mit seinen Verstellungen und Intrigen durchkommt." "Etwas beeindruckend Darkes, Beklemmendes" gehe von Ostermeiers "Richard III." aus, doch Knipphals schließt mit der Bemerkung: Wenn der Regisseur "konsequent gewesen wäre, hätte er das ganze Stück so wie den Schluss, nämlich als Solo, inszeniert".

In der Neuen Zürcher Zeitung (12.2.2015) schreibt Dirk Pilz: "Das Schauspiel als Schmalspurbahn in eine selbst geschaffene Sackgasse: Es ist diesem Abend deutlich anzusehen, dass es ihn gibt, um Eidinger den Show-Teppich auszurollen." Das Stück habe es nicht zuletzt deshalb auf den Spielplan geschafft, "weil sich das Stück bestens zur Theaterselbstfeier eignet. Darin kommt der Zynismus dieses Abends zum Ausdruck: Es gibt das Böse, weil es hervorragendes Show-Material ist." Die Inszenierung nehme Figuren zur Ausmalvorlage, um sie mit breitem Pinsel in unmissverständliche Farben zu tunken, alles werde rücksichtslos veräußerlicht.

Peter Kümmel schreibt in der Zeit (12.2.2015), Richard "wirkt äußerlich wie eine
Gestalt aus einem Terry-Gilliam-Film, mit Fischaugenlinse gefilmt oder durch ein Türgucki gesehen". "Dieser vermeintlich Behinderte ist in Wahrheit der Wachste und Geschwindeste von allen, und selbst seinen Buckel trägt er, wie ein Bote seinen Tornister trägt: mit dem Stolz eines Mannes, der eine Mission, ein Ziel hat." Sprachlich würde man Richard heute in der U-Bahn als Sitznachbar nicht erkennen, "ihre Sprache würde einem kaum auffallen. Viele sprachlichen Reichtümer von Shakespeares Drama sind, um Licht und Lesbarkeit ins Gestrüpp zu bringen, vom Bearbeiter weggerodet worden."

Kommentare  
Richard III., Berlin: an Figur gescheitert
Eine absolut treffsichere Kritik (auch wenn zu fragen wäre,liebe Frau Peter,ob eine one-man-show,das Ziel eines Ensembletheaters sein sollte??!!)wer noch einen Beweis braucht,dass Eidinger etwas überschätzt wird und am Ende des Tages doch mehr ein Standup-Improvisator denn ein ernstzunehmender Theaterschauspieler ist,schaue sich diesen Abend an. Bei Ostermeier verkommen dann auch die sonst so großartigen Spieler und Protagonisten des Ensembles (Meckbach, Bading, Schwarz)zu Pappfiguren am Rande,obwohl diese in ihren leisen Momenten allemal mehr Tiefe,mehr Seelenpein spielen und zeigen,,als dass Eidinger auch nur im Ansatz zu vollbringen mag. Er kann halt den Entertainer gut (siehe Hamlet)- damit kaschiert er seine Untiefen und Unfertigkeiten gekonnt,aber an den Dimensionen dieser Figur scheitert er damit grandios und offenbart ganz nebenbei,nun ja,seine Hilflosigkeit angesichts der Aufgabe Richard III!
Richard III., Berlin: Riesenrespekt
"Das Mediengesumse war groß. Lars Eidinger auf allen Kanälen. Vorberichte vom Spiegel bis zum ZDF. Menschen mit "Suche Karte"-Schildern vor der Schaubühne. Die Vorstellungen bis Ende März sind jetzt schon ausverkauft. Alle wollen den sehen, der über 230 Mal "Hamlet" war und jetzt "Richard III." ist." Ich freue mich über jedes theater, dass derart im fokus stehen darf. über 200 mal den hamlet - RIESENRESPEKT und meine verneigung. was der negative unterton von anne peter meint ... einfach schwach.
Richard III., Berlin: mal besser, mal schlechter
Wow, Stefan! Da hat ihr Neid einen ordentlichen Ritt mit Ihnen gemacht. Vielleicht stimmt es, was sie über die Ensemble Arbeit in dieser Inszenierung sagen, aber deswegen müssen sie nicht in Frage stellen, dass Eidinger ein generell guter Schauspieler ist - denn das ist er. Und es gibt Rollen, in denen er besser oder schlechter spielt. Und manchmal scheitern auch die Größten. Ganz normal!
Richard III., Berlin: Theatergeschichte geschrieben
eidinger ist nicht gut, sondern sensationell. richard III ist dramaturgisch schon von shakespeare über weite strecken als solo für einen top schauspieler angelegt. die inszenierung fördert dieses prinzip und lässt das ensemble gleichzeitig differenziert strahlen und glänzen. gestern abend wurde in der schaubühne theatergeschichte geschrieben.
Richard III., Berlin: ohne falsche Ehrfurcht gespiegelt
Liebe Frankquelle,
bei allem Respekt vor Lars Eidinger und den Quoten die er für die Schaubühne und meinetwegen auch das Theater allgemein generiert, ist es an dieser Stelle doch Anne Peters Aufgabe die Aufführung ganz objektiv zu bewerten. Ich bin froh, dass hier jemand die Aufführung alleine, ohne zu große Ehrfurcht, gespiegelt hat.
Richard III., Berlin: krasseste 2er Szenen
@4
mit verlaub, das ist doch einfach quatsch was sie da schreiben.
von wegen "solo" - in diesem stück sind einige der berühmtesten und krassesten 2er szenen der theaterliteratur (lady anne-richard, elisabeth - richard, um nur 2 zu nennen)...beim rest sag ich mal: nehmt euch mal nicht zu wichtig, ihr berliner. ist doch nur theater...
Richard III., Berlin: veraltetes Verständnis
Herr Eidinger ist kein guter Schauspieler. Er hat hier und da eine gute Technik (etwa bei maß für maß wenn er im Hintergrund verschwindet obwohl er auf der Bühne ist). Jedoch könnte er weder bei Golgata Pinick mitspielen, noch bei Einstein on the Beach. Nicht nur sein Narzissmus, auch seine unzureichende Interpretation des Subtextes ( auch im Performanceritt oft zu erleben) offenbaren nicht nur kleine Schwachstellen. In Interviews hat er angegeben das er sich hier und da in seinen Rollen verloren hat, was nicht nur sehr gefährlich ist, sondern auch von einem veralteten Verständnis von Schauspiel herrührt. Ich könnte noch vieles aufzählen, wer diesen Richard mag dem sei es vergönnt, auch wenn ich der Meinung bin, wenn Ostermeier nicht aus den Fehlern lernt die er hier macht, hat er ein großes Problem welches sich auch auf seine nächste Inszenierung auswirken wird. Und ich denke auch das er nicht umsonst darauf hinweist das er sich wünschen würde dass das Publikum diesen Richard erst ab der 35 Aufführung besucht.
Richard III., Berlin: bitte ohne peinliches Chargieren
Zitat aus der WELT-Kritik: "Wieso gilt es eigentlich neuerdings als rassistisch und anstößig, wenn im Theater Weiße mit geschminkten Gesichtern Schwarze spielen – aber wenn ein normal gewachsener Schauspieler mit aufgeschnalltem Buckel und groteskem Pappklumpfuß einen Behinderten imitiert, finden das alle okay?"

Genau das habe ich mich doch auch gefragt - allerdings schon vor längerer Zeit, als die Blackfacing-Debatte tobte. Sowas aufzuführen wie diesen Richard III, ist natürlich politisch vollkommen inkorrekt und klar rassistisch (ein Begriff, der mit dem herkömmlichen Begriff von "Rasse" natürlich nicht das Geringste zu tun hat, sondern ein Joker-term ist, der unterschiedslos für alles eingesetzt werden kann, was nicht voll pc ist).

Wenn Othello, Muley Hassan, Aaron, Aida etc etc nur noch von echten Nichtweißen oder andernfalls/notfalls von Weißen ohne jedes blackfacing als Weißer gespielt werden dürfen, weil sonst Rassismus vorliegt - wie kann es dann sein, daß ein "normal"wüchsiger Schauspieler diskriminierend, diffamierend und rassistisch einen physisch Andersbegabten mittel Stereotypen (spastischer Gang, Klumpfuß, Buckel etc) unbeanstandet chargieren darf? Wieso engagiert man für eine solche Rolle nicht einen tatsächlich spastisch Andersbegabten/physically challenged an ein Theater, gerade im Sinne der Inklusion? Warum stellen die Theater nicht sowieso mehr Andersbegabte ein? Das geht gar nicht! Entweder spielt das ein von Natur aus Andersbegabter authentisch, oder ein "normal"wüchsiger spielt es straight, ohne jedes peinliche und diffamierende Chargieren mit Buckel, spastischem Gang, verkümmerter Hand, und derartige diskriminierende Theaterfaxen. Sowas heißt, sich über Gebrechen lustig zu machen. Theater soll doch authentisch und nicht "als-ob" sein, heißt es doch immer - oder? Und wenn es um physisch Andersbegabte geht, soll das nicht mehr gelten? Richard III kann jedenfalls heutzutage mit Buckel-und-Klumfuß-Kostüm genausowenig gespielt werden wie Othello mit Blackfacing. Da wurde im Theater mal wieder nichts gedacht. Das alte Theaterargument, daß bei blackfacing schon nichts getaugt hat, taugt auch hier nicht: "Das haben wir schon immer so gemacht".

Wer aus Gründen der PC nein zu blackfacing sagt, muß auch nein zu so einer die Gefühle einer Minderheit verletzenden Theater-Chargiererei sagen. Sebastian Koch (das Wetten-daß-Opfer) wäre doch vielleicht für die Rolle frei gewesen.
Richard III., Berlin: Einschränkung der Freiheit
Puh ! Tatjana ! Ihr Ungestühm in allen Ehren . Aber mit solch einer Aussage diskriminieren Sie Herrn Koch !
Abgesehen davon führt exzessives PC zu einer Einschränkung der künstlerischen Freiheit .
Gruß
Richard III., Berlin: in Darmstadt
ne sebastian koch ist nicht frei, der ist ja in Darmstadt am theater. aber klum-fuß, finde ich sehr lustig.
Richard III., Berlin: Theater ist kein Naturschutzpark
Mir geht diese political correctness langsam wirklich auf die Nerven! Wozu macht man den überhaupt noch Theater, wenn sich Schauspieler nicht mehr schminken und verkleiden dürfen? Das ist doch gerade das besondere an der Schauspielkunst: sicht verstellen, dem Publikum etwas vorspielen, am besten so gut, dass man es ihm/ihr auch abnimmt. Das Theater ist auch ein Ort der Illusion - davon geht seine Magie aus. Das Theater muss kein gesellschaftspolitischer Naturschutzpark sein.

@ Tatjana: Samuel Koch hat auch keinen Buckel und keinen Klumpfuss. Also auch nicht authentisch genug. Im übrigen hat er eh keine Zeit, denn er steht u.a. hier in Bonn auf der Bühne: er spielt in "Hiob" einen Autisten!

P.S. ... und Samuel Koch als "Wetten-daß-Opfer" und nicht als Schauspieler zu betiteln, ist politisch voll korrekt, was?
Richard III., Berlin: kein Unterhaltungsgenre
@Tatjana.
Mit Verlaub, ein Appell an ihre Bildung. Es gab eben kein Unterhaltungsgenre in denen sich körperlich gesunde Menschen mit Hilfe allerlei Protesen und Requisiten, zur Unterhaltung eines ebenfalls körperlich gesunden Publikums, über Behinderte Menschen lustig gemacht haben.
Das, meine Liebe Tatjana ist der Unterschied zum Blackfacing und Minstrel!
(...)
Richard III., Berlin: Theater ist "als ob"
Das ist doch das Wesen des Theaters, dass meinetwegen ein Zweig einen Wald bedeuten kann, eine gekrümmte Haltung eine körperliche Beeinträchtigung, ein aufgeklebter Schnurrbart das Zeichen für "Mann" sein kann etc. Oder muss ich Kindsmörderin sein, um Medea spielen zu können? Theater ist "als ob" und im Idealfall trotzdem wahr.
Richard III., Berlin: nur Zauberer spielen Zauberer?
Liebe Nachtkritik -Redaktion,
ich schlage vor, daß sie mal ein Formum ins Leben rufen, das über Theaterspielen als Prinzip diskutiert, nicht nur über Blackfacing sondern eine generelle Ebene aufmacht: Angesichts dieser unglaublichen Mißverständnisse, die es jetzt wieder zur Richard-Darstellung gibt:

Können wir mal klar stellen, was Theater ist?

Falls es diese "Tatjana" wirklich gibt- und der Beitrag keine Provokation eines Theaterkollegen ist - Theater ist doch nicht AUTHENTISCH, das ist das Letzte, was es sein sollte.
Theater ist doch schon immer ein "was-wäre-wenn", und zwar nicht nur auf der Plot-Ebene sondern eben gerade auf der Figuren-Ebene: Was wäre, wenn ich krank, verliebt, bucklig wäre oder die Möglichkeit hätte, meinen Chef umzubringen?

Sonst dürfen nach der Logik der Tatjanas dieser Welt , ja was? - nur noch Bucklige Bucklige spielen und nur noch Dänen den Hamlet? Nur noch echte Mörder Mörder und nur noch verliebte Italiener den Romeo? Und wenn sie dann in echt statt Romeo Fabio heißen, ist es dann noch authentisch - oder rassistisch und herablassend den echten verliebten Italienern gegenüber?

Und in Stücken, in denen Zauberer, Zwergen, Hexen und sprechende Raben auftreten - wo casten wir die alle zusammen? In der Raben-und-Zwergen(pardon: Kleinwüchsige Andersbegabte)-Agentur?

Wo soll denn dieser Wahnsinn noch hingehen?

Man bekommt sofort Lust, sich das Gesicht schwarz anzumalen, einen Buckligen Dänen zu spielen - und dann auf die Sammelklagen der benachteiligten Volksgruppen zu warten.
Richard III., Berlin: ironischer Leim?
Ich glaube, Tatjana wollt mit ihrem Beitrag PC-Haltungen im Theater anprangern, oder täusche ich mich? Dass viele ihr auf den "ironischen" Leim gehen, spricht für die Brisanz ihrer Fragestellung.
Richard III., Berlin: wieso diskriminieren?
@9 Peter
Ich diskriminiere Herrn Koch keineswegs. Er arbeitet derzeit als Schauspieler in Darmstadt (auch in Bonn?). Folglich sehe ich keinen Grund, warum er die Rolle des Richard III an der Schausbühne nicht professionell spielen sollte. Wieso ich ihn mit der Vorstellung, er könne Richard III authentisch spielen ("authentisch" = eine der großen Forderungen modernen Theaters: alles muß echt sein) diskriminieren soll, ist mir nicht nachvollziehbar - diese Forderung nach Authentizität steht bei Blackfacing schließlich ganz genauso im Raum. Oder halten Sie die Vorstellung, einen nichtweißen Schauspieler XXX als authentische Besetzung für die Rolle des nichtweißen Frauenmörders Othello zu nennen, ebenfalls für diskriminierend? "Ethnisch" korrekte Besetzung war schließlich die große Forderung, die im Blackfacing-Fall massiv erhoben wurde - alles andere sei diskriminierend.

Auch in diesem Blackfacing-Fall vor einigen Jahren führte exzessives PC zu einer Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Hier auf Nachtkritik ist ja alles ausführlich dokumentiert - ich denke nur an Aufführungsstörungen am Deutschen Theater wg. Rassismus; Versuche, eine Aufführung absetzen zu lassen; Beschwerden beim Regierenden Bürgermeister und bei der Gleichstellungsbeauftragten. Etc. etc. etc. Die Frage, wie sich das identische Problem eigentlich im Fall einer Behinderten-Rolle wie Richard III darstellen würde, habe ich mir damals verkniffen: Es lag nicht an.

Die moralische Entscheidung angesichts des Problems fiel damals aus Sicht vieler antirassistischer PC-Aktivisten (und auch auf Nachtkritik) recht eindeutig zugunsten PC aus, die künstlerische Freiheit wurde als quantité négligeable zugunsten höherer Werte vom Tisch gewischt: Man könne sich nicht mit der Formel von der "Künstlerischen Freiheit" über das Grundgesetz hinwegsetzen, das Diskriminierung verbiete.

Wieso wollen Sie dann im Falle Richard III mit zweierlei Maßstab messen? Weil Behinderte keine entsprechende Lobby haben?

(Wobei ich for argument's sake mal von der Annahme ausgehe, daß Sie - wie damals die Mehrzahl der Nachtkritik-Kommentatoren - Blackfacing für unentschuldbar rassistisch halten. Falls Sie Blackfacing befürworten, nehme ich meine Annahme natürlich sofort zurück).
Richard III., Berlin: strukturelle Diskriminierung?
@11 Coppelius

Ihre Frage, warum man noch Theater macht, wenn sich Schauspieler nicht mehr einen Phantasieraum bauen dürfen, ist genau das Argument, das damals seitens vieler ratloser Theaterleute gegen den militanten "Rassissmus"-Vorwurf ins Feld geführt wurde: Theater sei schließlich ein Freiraum des Nicht-Wirklichen, in dem Möglichkeiten der Welt erprobt werden können.

Dieser Ansicht wurde allerdings heftigst widersprochen: Kein künstlerischer Freiraum rechtfertige Rassissmus, Kunst stehe nicht über dem GG; das Theater-Argument sei rein rassistisch. Man sprach vom "strukturellen Rassismus im Kulturbetrieb" und vor allem in der deutschen Gesellschaft, wenn ein schwarzgeschminkter weißer Schauspieler auftritt.

Wo ist der Unterschied zur diffamierenden Darstellung einer handicapped person mittels umgeschnalltem Buckel und Klumpfuß?
Richard III., Berlin: wer kennt Unterschiede nicht?
@ 12 Pinke Pinke

Ich fürchte nur umgekehrt, daß Sie den Unterschied zwischen Blackfacing und Minstrelshows nicht kennen. Auch Lawrence Olivier, der sich in einer gigantischen schauspielerischen Tour de force als Othello fast physisch in einen Nichtweißen verwandelt hat, hatte keineswegs die Absicht, sich mit schwarzer Schminke über nichtweiße Menschen lustig zu machen - ganz im Gegenteil. Er glaubte, dem Leid und der Größe der Figur, die nur durch ihre angeborene Hautfarbe in weißer Gesellschaft zum Ziel rassistischer Umtriebe wurde, gerade durch diese Verwandlung näher zu kommen.

Das hat NICHTS mit Minstrelshows zu tun.
Richard III., Berlin: spielen ist nicht politisch korrekt
@13 Horvath
"Das ist doch das Wesen des Theaters, dass meinetwegen ein Zweig einen Wald bedeuten kann, eine gekrümmte Haltung eine körperliche Beeinträchtigung, ein aufgeklebter Schnurrbart das Zeichen für "Mann" sein kann etc. Oder muss ich Kindsmörderin sein, um Medea spielen zu können? Theater ist "als ob" und im Idealfall trotzdem wahr. "

Es ist ja nicht so, daß ich Ihnen hier nicht gerne zustimmen würde - aber daß Theater immer "als ob" ist (was ja eigentlich das Schöne am Theater ist: der "spielende Mensch": Schiller), wird ja sehr gerne entschieden abgelehnt: Ich fürchte, Sie befinden sich mit dieser Ansicht nicht auf politisch korrekter Diskurshöhe.
Richard III., Berlin: Sie sollten das nicht tun
@14 John Rabe

"Man bekommt sofort Lust, sich das Gesicht schwarz anzumalen, einen Buckligen Dänen zu spielen - und dann auf die Sammelklagen der benachteiligten Volksgruppen zu warten."

Genau das hat als Reaktion auf die Blackfacing-Debatte der Literaturkritiker Denis Scheck gemacht: Er hat sich schwarz geschminkt mir roten Lippen und ein Statement in seiner Fernsehsendung abgegeben. Ich weiß nicht, ob es zu Sammelklagen kam, aber in den Gazetten (auch in Nachtkritik) wurde er voll Rohr unter Feuer genommen, so daß die ARD zu einer Stellungnahme gezwungen war.

"...ebenso wie der verblendete Literaturkritiker Denis Scheck, der sich nicht entblödete, im Fernsehen mit schwarz geschminktem Gesicht (also mit Blackfacing) das N-Wort in Kinderbüchern für schützenswert zu erklären."

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7772:black-intervention-eine-denkwuerdige-zusammenkunft-zur-kinderbuchdebatte-am-berliner-ballhaus-naunynstrasse&catid=101:debatte&Itemid=84

Das sollten Sie also lieber nicht tun.

Richard III.,Berlin: eine Gleichgesinnte
@15 Sabine

Eine hat's verstanden. Danke.
Richard III., Berlin: Diskriminierungs-Diskussionen ernst nehmen
@ Tatjana:
Mit Verlaub, Ihre Argumentation geht komplett an der Sache vorbei - weil es unsinnig ist, Diskriminierung (von Menschen schwarzer Hautfarbe) damit zu rechtfertigen, dass andere Menschen (mit Behinderung) schließlich auch diskriminiert werden. Das eine macht das andere ja nicht besser.

Die ganze Blackfacing-Debatte verweist einerseits darauf, dass schwarz angemalte Gesichter einer abscheulichen Minstrel-Show-Tradition wegen derartig rassistisch konnotiert sind, dass man diese Praxis heute nicht mehr unbelastet sehen kann. Weswegen Inszenierungen, in denen dieses Mittel vermeintlich ohne die notwendige Sensibilität bzw. kritische Einordnung benutzt wird, sich Anfeindungen ausgesetzt sehen.

Nun gefällt mir die Art und Weise dieser Proteste auch nicht immer, ich halte wenig von Verboten, entscheidend ist: An dieser Diskussion hängt sich eine umfassendere Debatte auf, in der es in engeren Kreisen darum geht, wie unterrepräsentiert PoC auf deutschen Bühnen sind und in weiteren Kreisen, welche rassistischen Praktiken heute noch unreflektiert in unserer Gesellschaft gebräuchlich sind.

Diese Diskussion finde sehr positiv - auch wenn sie sicherlich nicht dazu führen kann, dass Italiener auf der Bühne nur noch von Italienern gespielt werden.

Würde es Ihnen aufrichtig darum gehen, nun eine Diskussion um traditionelle Formen der Zurschaustellung körperbehinderter Menschen (die es ja in entsprechenden Jahrmarktsshows durchaus gab) im heutigen Kulturbetrieb anzufangen, über die Tatsache, dass sich kaum Körperbehinderte in Ensembles finden und welchen tagtäglichen Diskriminierungen körperbehinderte in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind, das fände ich ebenfalls sehr positiv.

Aber darum geht es Ihnen ja nicht, Tatjana.

Ihnen geht es nur darum, eine wichtige und schwierige Diskussion über Diskriminierung lächerlich zu machen, durch überspitze Forderungen. Sie sagen: Was regen sich die einen auf, dass sie diskriminiert werden - die anderen werden doch auch diskriminiert. Damit beleidigen Sie nicht zuletzt PoC und Körperbehinderte gleichermaßen - indem Sie Ihre zumindest diskussionswürdigen Anliegen nicht ernst nehmen, nicht ernsthaft darauf eingehen, sondern polemisch durch den Dreck ziehen.

(...)
Richard III., Berlin: Othello- = Richard-Problematik
@Christoph

Mit Verlaub, Ihre Argumentation geht komplett an der Sache vorbei. Ich rechtfertige keineswegs die Diskriminierung schwarzer Menschen durch Blackfacing, indem ich erkläre, daß andere ja auch diskriminiert werden - das muß ich entschieden zurückweisen. Ich sage auch keineswegs, wie Sie mir unterstellen: » Was regen sich die einen auf, dass sie diskriminiert werden - die anderen werden doch auch diskriminiert.« Das ist eine völlig falsch Schlußfolgerung, die Sie mir da unterschieben wollen.

Ich stelle ganz im Gegenteil die Frage, wieso hier mit doppeltem moralischen Maßstab gearbeitet wird: Schwarze Menschen müssen, koste es, was es wolle, unbedingt vor theatralischer blackfacing-Diskriminierung geschützt werden, heißt es - Behinderte darf man aber offenbar widerspruchslos in einer Form von - wie soll man's nennen... theatralischem "Krüppeling" diskriminieren, und das unter dem Schutz der Kunst-Behauptung, die viel Applaus erhält. Sie selber z.B. sind also entschieden GEGEN theatralische blackfacing-Diskriminierung, haben aber nichts gegen die theatralische Klumpfuß-und-Buckel-Diskriminierung Behinderter.

Dieser eklatante Widerspruch in der Rezeption ist zumindest fragwürdig - wie ja auch dem WELT-Kritiker auffiel. Die politisch korrekten Sensibilitäten erscheinen etwas ungleichmäßig einseitig verteilt. Sie müßten, wenn Sie konsequent wären, eigentlich gegen BEIDES sein.

Es gibt keinen Unterschied zwischen der Othello-Problematik und der Richard-Problematik, was die theatralische Darstellung unter PC-Kriterien angeht. Letztere wird überraschenderweise einfach ausgeblendet - wie die Forenkommentare zeigen.
Richard III., Berlin: bitte detaillierter
Welch eine seltsame Diskussion, die hier ins Unkonkrete driftet, das ist schon erstaunlich: Thomas Ostermeier lehrt doch hier via Eidinger Grammatik vom Feinsten: der Unterschied zwischen ge-hindert und be-hindert ist ja nicht unerheblich. Eidinger aufgeschnallter Buckel macht das doch sehr schön deutlich. Ebenso wie sein später ausgesteiftes Kreuz, das ihn in eine gerade Haltung zwingt, zu sich als Schurken zu stehen. Was also bleibt ist die Frage: Wer hat dem RIII das angetan, übergeholfen, als erster umgeschnallt? Also: authentisch: wer dem damaligen Richard?, Wer und warum dem für heute im Moment ausgewählten Schaubühnen-Richard? Und wer dem Eidinger als dem heutigen Schaubühnen-Richard? Das ist doch relativ einfach zu erforschen. Es ist also nicht EINE Authentizität, sondern drei Zeit-Ebenen von Authentizität. Und wenn die nicht erforscht werden, ist es eben keine. Als Bild könnte man sagen, dass ein beschäftigter Schauspieler Koch in jeder Rolle, die er übernimmt, authentisch das Gleiche zeigen kann: ich bin zwar im Gehen und in der Bewegung be-hindert und brauche Hilfsmittel um meine Gedanken und Gefühle ausdrücken zu können. Aber, wenn ich die bekomme, kann ich das dann schon mehr oder weniger gut. Und im Unterschied dazu kann hier Eidinger unter der Regie von Ostermeier (eventuell, das wird nur der Produktionsstab wissen, auch Produktionsdramaturg Borchmeyer) zeigen, welche Gefühle und Gedanken mit welchen Hilfsmitteln einer ausdrücken kann, der an seiner Natürlichkeit, seinem ursprünglichen Ich, ge-hindert wird durch äußere Einflüsse, die eben nicht unbedingt selbstgewählt schicksalhaft sich eingestellt haben. Das ist eben nicht einfach authentisch gezeigt, sondern dar-gestellt. In der Differenz ist verborgen die KUNST.
Wäre schön, wenn detaillierter über die Inszenierung kommentiert würde.
Und diese blackfacing-Debatte hat hier ebenfalls einen schlusspünktlichen Kommentar durch Ostermeier gefunden: Quark auf einem Weißen, der dann im Laufe der Zeit abbröckelt, zeigt genauso einen natürlich von Geburt an Weißen darunter, wie ein äußerst stark pigmentierter Mitbürger mit Schwarzmatsch im Gesicht, der eben auch nur abbröckelt je länger der Abend dauert, einen von Geburt an natürlich äußerst stark pigmentierten Mitbürger anzeigt, den wir eben kurz als Schwarzen bezeichnen dürfen, auch weiß hat sehr sehr viele Ton-Nuancen, und die zu unterscheiden überlassen wir ja auch normalerweise den Bildenden Künstlern oder den Inneneinrichtern. Es geht doch hier aber nicht um Inneneinrichtung, nich?
Richard III., Berlin: warum man sich fürchtet
Man lernt ja mit den Jahrzehnten das Theater zu fürchten. Man hat Angst vor den Eitelkeiten und dem Narzissmus von Hauptdarstellern. Man wird geradezu scheu und schüchtern. Altersschüchternheit würde ich es nennen. Man versorgt sich bei Bekannten von Darstellern mit Informationen über die Proben. Man tauscht in solchen Gesprächen Sorgen aus. Man schaut Vorberichte auf „drei sat“ und besorgt sich erstmal keine Karten. Die Betrachtung von Großveranstaltungen wird angenehmer, wenn der Hype vorbei ist. So präpariert, weiß man schon ungefähr, wann ein Darsteller sich entblößt und man hat ein grobes Zerrbild der Veranstaltung vor Augen, dass man Wochen oder sogar Monate später mit dem Original abgleicht.

Das ist legitim und bei dieser Veranstaltung ganz besonders. Da sieht man auf einem Photo, dass ein Richarddarsteller mit lauter Accessoires versorgt wurde. Ein Buckel, ein Tape, eine Halskrause, etwas aus Leder am Kopf, eine Krone und man hört, eine Zahnspange soll auch noch im Spiel sein.

Man fürchtet sich also zu Recht. - Nun also auch noch der schlimme Vorwurf, dass dort missbräuchlich eine „Behinderung“, eine dargestellte zur Diskriminierung genutzt wurde.

Eventuell bleibt man ganz fern.

Zuviel weißt darauf hin, dass hier ein Abend um einen Darsteller herum gebaut wurde, der sich für das Thema „Behinderung“ oder „anders talentiert“ nicht wirklich interessierte, obwohl er sich mit seinem Kostüm mächtig für dies Thema rüstete.

Man würde gerne einmal wieder auf das viel geliebte Buch „Außenseiter“ von Hans Mayer hinweisen, auf den Unterschied zwischen intentionellen und existentiellen Außenseitern, aber man lässt es sein.

Natürlich ist Richard kein Samuel Koch und muss auch nicht notwendigerweise von ihm dargestellt werden. Eher handelt es sich wohl um einen Schäuble, einen „Behinderten“ im Zentrum der Macht. Aber auch Schäuble wäre keine passende Besetzung, denn er war nicht von Geburt an den Rollstuhl gebunden. Auch würde er sich wohl kaum für eine solche Rolle hergeben.

Was heißt das jetzt eigentlich alles? Das Nathan nur noch von Juden gespielt werden darf? Und wenn ja, auch von atheistischen Juden? Ferdinand nur noch von Adligen? Gibt es die überhaupt noch?

Man ist entnervt. Warum? Weil man gar nicht mehr Theater schauen kann, sondern sich nur noch selber dabei beobachten darf, wie man Theater schaut und ob man dies auch korrekt macht. Und zugleich betrachtet und beobachtet man Akteure dabei, wie sie eine Großveranstaltung meistern, sich selber als Star absolvieren.

Das muss nicht sein.

Man fragt sich, wieso dringt ein so gutes Theater nicht mehr zu den Kernthemen vor? Warum, wenn es denn um PoC oder Anders-begabte ginge, wird der Richard nicht endlich von einem Postmigranten besetzt oder jemandem aus dem Theater „Ramba Zamba“. Und man ahnt es schon: Es ging um etwas anderes. Darum, dass man einen Welterfolg erneut bestätigt.

Das geht meißtens schief, auch wenn Herr Peymann heftig dazu applaudiert.

Macht nichts. Man kann ja die Sache auch am Ende der Spielzeit besichtigen, denn drängen tut der Stoff nicht gerade.
Richard III., Berlin: und die Puppen?
und wie fandet ihr die Darstellung der Prinzen durch Puppen?
Richard III., Berlin: es ist zum Verzweifeln, ja!
Richtig Herr Baucks,
für uns Schauspieler wird es immer enger. Ich trau mich jetzt nicht mehr den Nathan oder Shylock zu spielen, weil ich leider kein Jude bin, und was mich besonders schmerzt, auch nicht den Winnetou denn ich bin auch kein Indianer. Dabei habe ich das schon als Kind so gerne und ohne schlechtes Gewissen getan.Es war doch der Spieltrieb der uns dazu brachte Schauspieler zu werden, um etwas darzustellen, was wir nicht sind.Es ist zum verzweifeln.
Richard III., Berlin: Mikrophon und Versmaß?
Nur mal kurz zurück zum Stück ( noch nicht gesehen / trotzdem im Blog /tut mir leid /lese das so gern , weil man hier schnell so hübsch allgemein werden kann ) ::
Warum gibt es da ein Mikrophon ? Wäre der Darsteller sonst nicht zu verstehen ?
Oder ist das ein Kunstgriff ? In einer Kritik stand ja schon ,die Übersetzung hätte den Text " vom Versmaß bereinigt " . Das ist ja furchtbar !
Richard III., Berlin: nicht ... sondern ...
M.B.
Es ist nicht zum verzweifeln, es ist zum KOTZEN!!!!
Richard III:, Berlin: Kostüm steht im Weg
Das eigentliche Problem des Richards dargestellt von Lars Eidinger ist, dass dieser Richard kein Problem hat. Sein Kostüm soll mir ein Problem vermitteln, dagegen habe ich grundsätzlich erstmal nichts. Dafür ist es zu überzeichnet. Ich kann darin keine Beleidigung erkennen. Es soll mir den Aussätzigen zeigen, den Benachteiligten. Leider hängt dieses Kostüm an einem umwerfend definierten Männerkörper, an einer sympathischen Egomaschine, der es rappend genießt im Mittelpunkt zu stehen und mir gern seine Blöße zeigt. Möglicherweise soll das ein Zwiespalt der Figur sein, keine Ahnung. Aber Menschen die sich abstoßend finden, denen vermittelt wird abstoßend zu sein, die ziehen für mich jetzt nicht unbedingt bei jeder Gelegenheit blank, aber seid drum. Und ist das euer Ernst, dass ihr ständig Samuel Koch als den Quotenbehinderten ins Spiel bringt? (Er hat sich vor einigen Jahren erst so sehr verletzt, dass er gegenwärtig an einen Rollstuhl gebunden ist, aber von einer angeboren Behinderung oder Benachteiligung kann man nicht sprechen. Nur weil er behindert ist, qualifiziert ihn das für die Rolle eines Behinderten? WTF!) Es geht einfach darum bei der Rolle nach einem tiefgreifenden Problem zu suchen. Das muss nicht zwingend ein körperliches sein, so klug sind wir doch mittlerweile, oder? Und bei Herrn Eidinger vermisse ich einfach das Gefühl für ein Problem. Aber solange die Performance, die Show im Vordergrund steht, dringt er vermutlich in diesen Kern nicht vor. Ihm fehlt eine Fallhöhe, die ihm das Kostüm allein nicht geben kann. Ich würde es ihm aber wünschen. Beziehungsweise würde ich ihn gern ohne die Kostümierung spielen sehen, denn die ist mir einfach keine große Hilfe. Und sie scheint ihm auch keine große Hilfe zu sein. Sie steht ihm im Weg. Sie macht eine Behauptung auf, die er nicht einlösen kann. Ich hätte interessant gefunden zum Beispiel Robert Beyer, der eine hervorragende Margret gibt in der besprochenen Inszenierung, in der Rolle des Richard zu sehen.
Richard III., Berlin: Nur um oben mitspielen zu können?
@Pinke Pinke Es gab jede Menge Unterhaltungsgenres in denen sich körperlich gesunde Menschen mit gefangen gehaltenen 'Freaks' sowie mit Hilfe allerlei Protesen und Requisiten zur Unterhaltung eines körperlich gesunden Publikums über Behinderte Menschen lustig gemacht, ja sie als Monster und Missgeburt diffamierend vorgeführt haben. @alle Tatjanas Anmerkungen sind polemisch, führen nur sonst nirgends hin. Was nicht verwunderlich ist. Denn solange 'Kunst' immer nur von denen oben für jene oben diktiert wird, stellen jene von oben immer die von oben UND die von unten dar. Unter dieser Voraussetzung ist Tatjanas Polemik berechtigt. Ich vermute sie entspringt dem nachvollziehbaren Gefühl, dass die ganze PC Diskussion kontraproduktiv, konterrevolutionär und kunstfeindlich ist. Ob ein Othello von einem Weißen oder Schwarzen gespielt wird, ist mir unter den herrschenden Produktions- und Rezeptionsbedingungen daher vollkommen schnuppe. Teilbereichsmpörung dient nur zur Lobbybildung mit dem Ziel, auch oben mitspielen zu dürfen. Da stört mich der unterschwellige Hinweis, dass körperliche Versehrtheit und Benachteiligung böse machen viel mehr. Und ich lese den RICHARD auch anders.
Richard III, Berlin: oben steht eine Frau
Da wo die Schaubühne heute steht, ist aber leider nicht oben, liebe Marie. Oben ist gerade ein Theater, welches von einer Frau geleitet wird, wenn man den Kritikern glauben darf. Das sollten sie eventuell einmal wahrnehmen. Und dem Gorki möchte ich nicht unterstellen, dass es nur Teilbereichsempörung produziert, sondern vielmehr kann man Frau Langhoff und ihrem Haus nachsagen, dass es gesamtgesellschafftlich motiviert ist und das sogenannte Unten und Oben kräftig durcheinander wirbelt.
Richard III., Berlin: immer schön viel Musik
@ martin baucks Ach ja? Hochglanzmissbrauch politischer Statements zum Zwecke der PR... und immer schön viel Musik für den hippen Mittelstand. Ich als Migrantin finde dort einen pro-migrantischen Mainstream. Der interessiert mich nicht. Da ist jeder Castorf gesellschaftskritischer, ehrlicher und vor allem künstlerisch besser.
Übrigens meinte 'oben' und 'unten' nicht irgendein Theater Ranking.
PS Frau Merkel ist auch eine Frau. Na und?
Richard III., Berlin: kein exaltiertes Ranschmeißen
Ich muss #33 in allem zustimmen was ihre Beobachtungen betrifft und empfehle zur Bestätigung den Besuch von "Es sagt mir nichts das sogenannte Draußen". Das ist Selbstbespiegelungspopanz mit gutem Gewissen auf der richtigen Seite zu stehen. Und dann fleißig jubeln.
(Gleichwohl fällt "Common Ground" löglicherweise in der Tat aus dieser gestreamlineten Selbstvergewisserung.)
Und ja, ich teile insbesondere die Wahrnehmung des "Hochglanzmissbrauch politischer Statements zum Zwecke der PR". Würde das szenisch dekonstruiert, hätte es womöglich etwas zu erzählen. So aber ist es selbstgefällig.
Ich würde, um zum Richard zurückzukommen, auch Eidingers Hamlet in dieses Register einordnen können (ebenso das bis auf die Erde ziemlich sinnfreie Hamlet-Bühnenbild) und insofern ist sein Richard "ehrlicher". Das exaltierte Ranschmeißen fehlt hier, auch wenn es in den Richard-Momenten des "Wie ich sie alle auf den Leim gehen lasse"-Zwinkern Richtung Publikum Verluste der inneren Fallhöhe zu verzeichnen gibt. Es ist da eine Konzentration, die hoffentlich wachsen kann. Ich bin gespannt, wo uns der Richard im Laufe der Zeit hinführt.
Und ja, #30, die Margret ist exzellent gegeben. Und auch die beiden Auftragsmörder sind wohl dosiert erheiternd.
Richard III., Berlin: der Griff nach der Macht
Lars Eidinger hinkt in die Mitte des im Stil der Shakespeare-Zeit neu geschaffenen Globe in der Apsis der Berliner Schaubühne. Er schnappt sich das von der Decke baumelnde Mikro und sinnt auf Rache: “Von der Natur um Bildung falsch betrogen, entstellt, verwahrlost, (…) bin ich gewillt ein Bösewicht zu werden”. In den restlichen zweieinhalb Stunden ist Lars Eidinger das unumstrittene Zentrum des Abends.

Schon in Shakespeares Dramen-Text ist es angelegt, dass alle anderen von Richard nur als Schachfiguren benutzt werden. Potentielle Rivalen lässt er eiskalt beseitigen, Frauen sind nur Trophäen und mit seinen Mitstreitern schließt er Zweckbündnisse, bis auch ihre Köpfe rollen. Hervorragende Mitglieder des Schaubühnen-Ensembles wie Moritz Gottwald (als Birmingham) oder Eva Meckbach (als Elizabeth) bleiben in ihren Nebenrollen geradezu zwangsläufig blasser als wir es von ihnen gewohnt sind.

Der Star des Abends ist also Lars Eidinger, das Aushängeschild der Bühne am Kudamm. In einigen Kritiken wurde ihm vorgerworfen, dass seiner Interpretation des Richard die Tiefe fehlt und er nur eine Show abzieht. Irene Bazinger warf ihm in der FAZ vor, dass sich seine Performance in “zirzensischem Brimborium, fataler Gedankenleere und effekthascherischer Aufgeblasenheit” erschöpft. Zugegeben: er zieht sich ebenso wie Christoph Gawenda – man möchte fast schreiben – selbstverständlich wieder aus, als er am Sarg ihres ermordeten Mannes um Lady Anne (Jenny König) wirbt. Ja, er spielt wieder sehr körperbetont, vor allem bei seinem Fecht-Solo am Ende, bevor er – wie in einer Einar Schleef-Inszenierung – kopfüber von dem Haken baumelt, an dem bisher das Mikro befestigt war. Und ja, er liefert eine Rap-Einlage, die eher in die Kategorie Kabinettstücken als dramaturgisch stimmig fällt. Es mag auch sein, dass Eidinger den Richard anders anlegt als Gert Voss mit “aasigem Charme” in Peymanns Inszenierung am Wiener Burgtheater oder Kevin Spacey als “Bluthund, als Reiß- und Leitwolf” am Old Vic in London, wie Peter von Becker im Tagesspiegel anmerkte.

Dennoch finde ich diesen Auftritt von Lars Eidinger als Richard III. gelungen: Wie er seine willigen Helfer kalt lächelnd abserviert, sobald sie ihm nicht mehr nützlich sind; wie er sich als frommer, demütiger Gottesmann gibt, der sich sehr lange bitten lässt, bis er den Thron und die Krone übernimmt; wie er das Publikum in seinen Monologen an seinen Plänen und Gedanken teilhaben lässt: das ist schauspielerisch überzeugend und dicht inszeniert, so dass auch pausenlose 150 Minuten nicht langatmig wirken.

Vor allem wird aber an Ostermeiers und Eidingers Richard III. deutlich, was Jan Philipp Reemtsma in seiner sozialwissenschaftlichen Studie Vertrauen und Gewalt (2008) an diesem Stoff faszinierte: Die Hauptfigur versteht es perfekt, mit geschickten Intrigen, klugen ad-hoc-Bündnissen und kaltschnäuziger Brutalität nach der Macht zu greifen. Aber er scheitert daran, stabile Bündnisse zu schliessen, um seine Macht dauerhaft zu legitimieren und abzusichern.

Shakespeares Richard III. ist neben Macchiavellis Der Fürst eine der wichtigen Studien über das Verhältnis von Macht und Gewalt aus der Ära, als die Fundamente der modernen Staatlichkeit gelegt und ihre Prinzipien ausgehandelt wurden. Nach Marius von Mayenburgs Übersetzung gelang Ostermeier eine überzeugende Inszenierung, die aus meiner Sicht zu den stärkeren Abenden dieser Spielzeit zählt.

Vollständiger Text: http://e-politik.de/kulturblog/archives/24389-lars-eidinger.html
Richard III., Berlin: keine Monstershow, sondern toll
Ich dachte im Vorfeld, ich würde eine virtuose Monstershow aufgetischt kriegen, und bekam stattdessen diesen auf so vielen Ebenen tollen und auch toll gemachten Abend zu sehen. In diesem Stück noch selten so intensiv die einfache Frage mir gestellt: Warum glauben die ihm alle? Was ist mit denen los (vielleicht hat die erste, grandios rhythmisierte Szene schon die halbe Antwort gegeben: es gibt da so ein kleines Narzissmusproblem an diesem Hof, natürlich nur da...). Wie gelingt RIII also diese Wirkung? Verwunderung, wie die das alle spielerisch so dicht herstellen konnten, und dabei doch die Distanz zum reinen Effekttheater gewahrt haben. Und was für ein klarer, ich finde: kluger Zug am Ende, Richard erst in der Maske scheitern zu lassen. Die Maske erzählt die Wahrheit in diesem Fall. Das erfindet nicht das Rad neu, wird aber doch schön hin- und herausgearbeitet. Man kann dem Hof richtig zugucken, wie er selbst staunt, wie mit oder ohne Schauder genießt, wie man ihm etwas vorspielt. Ich finde, die Schauspieler machen das sehr gut und fallen dabei keineswegs ab von Dingens, na, wie heißt er nochmal... (wir werden uns glücklich schätzen in der Zukunft, einen so guten und wie man hier sieht: uneitlen Tragödienschauspieler seiner Zeit gehabt zu haben wie Lars Eidinger). Ach, war doch ein super Abend, gibt es nur alle paar Jahre in meiner Sehbiografie.
Richard III., Berlin: Sandkastenkönig
Lars Eidingers Richard ist ein Sandkastenkönig, der mit schmeichelnder, etwas schleppender und stets ein wenig gelangweilter Stimme Intrigen spinnt, um die Zeit zu füllen, der sich in den Monologen per herabhängendem Mikro in Szene zu setzen weiß, ein Aufmerksamkeitsaufsauger und Im-Mittelpunkt-Steher par excellence. So gut sich dieser Richard zu verstellen vermag – die Szene, in der er sich die Krone antragen lässt, ist brillante Schmierenkomödie – zu wenig berechnend wirkt das, so sehr ist es Lust am Spiel. Da fallen Rolle und Darsteller beinahe zusammen, zumal Eidinger die Requisiten seines missgestalteten Königs – den aufgeschnallten Buckel, den Klumpfuß-Schuh – genüsslich ausstellt.

Da bleiben alle anderen Staffage. Sie sind Richards sterbenslangweilige Sandkastenfreunde, weshalb es nur verständlich ist, dass er sie so schnell es geht wieder loszuwerden sucht. Nur wo führt das hin, welches Bild des skrupellos mordenden, welche Interpretation menschlicher Gewalttätigkeit ergibt das? Keine und so führt der Sandkasten-Richard letztlich zu einer Implosion eines Stücks, das für diese Hauptfigur viel zu groß ist – woran auch hämmernd aggressive Musik (Nils Ostendorf und Schlagzeuger Thomas Witte) und plumpe Videoeinspielern von der Freiheit der Vögel (Sébastien Dupouey) nicht ändern können. Natürlich ist der Schluss eindrucksvoll: Ostermeier und Eidinger verlegen Richards Niederlage in sein Inneres, in einen Alptraum mit anschließenden Schattenfechten, ein Getriebener, der letztlich Opfer der Dämonen wird, die er selbst schuf. Nur hat er nichts mit dem zu tun, was die vorigen gut zwei Stunden zu sehen war, gehört er zu einer ganz anderen Inszenierung. So bleibt am Ende eine One-Man-Show, die sich sicherlich wieder gut verkaufen lassen wird.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/04/04/der-sandkastenkonig/
Richard III., Berlin: international massenkompatibel
Also, für mich war die ganze Vorstellung ein einziger inszenatorischer Offenbarungseid. Zu sagen, alle Figuren außer Richard blieben blass ist ja noch sehr freundlich ausgedruckt -- mit Ausnahme einer weniger Momente spielen die eigentlich gar nicht, sondern tauchen nur auf, liefern ihre Zeilen ab, und gehen wieder. Und wenn alle außer Richard derart beliebig und leer bleiben, ist es auch schwer (für mich zumindest) irgendetwas für oder gegen Richard zu fühlen oder zu denken: da muss schließlich jemand da sein, den er manipulieren kann, damit mit sich über sein Manipulationstalent erschrecken oder freuen kann. Eidinger schien mir die erste Stunde mit angezogener Handbremse zu spielen, sich auch völlig routiniert auszuziehen, und das ganze übliche Spielen, die Publikumsansprache, das irgendwo ja schon auch Radikale wirkte schon ziemlich gewollt und recht gezwungen. Das lockerte sich dann ENDLICH in der Szene als Buckingham rhetorisch versagt -- von da an war mehr Energie drin, die dann auch punktuell zu manchen der anderen Schauspieler übersprang.

Alles in allem aber doch ein extrem konventioneller Abend in einem sogenannten "Globe Theater" das aber eher an das Shakespeare Theater in Neuss als an den (falsch) nachgebauten Globe in London erinnert. Was dieser Bühnenraum überhaupt will, ist auch ein wenig ein Rätsel: die Verbindung zum Publikum zu finden ist ja für Eidinger in anderen Räumen auch kein Problem. Der offensichtlichste Effekt des neuen Raumes ist, dass er keinerlei Tiefe hat und daher visuell wesentlich weniger interessant und flexibel ist, als übliche deutsche Bühnenräume.

Wenn man von den (auch völlig beliebigen) Projektionen absieht, hätte diese Veranstaltung auch mühelos und ohne grosses Aufsehen in Stratford-upon-Avon stattfinden können. Insgesamt schrie der Abend geradezu "international massenkompatibel." Eine Riesenenttäuschung.
Richard III., Berlin / arte: nach einer Stunde ausgeschaltet
auch ich war sehr enttäuscht von diesem Richard III und habe nach einer Stunde bei arte ausgeschaltet- es war einfach zu normal und langweilig, was die Schaubühne/ Thomas Ostermeier und vorneweg Lars Eidinger in Avignon beim Theaterfestival geboten haben. Herr Eidinger erschien sprachlich absolut spannungslos und in seinem unterkühlten Spiel eitel. Nichts konnte diese Inszenierung retten- auch nicht die Musik und der "schöne" Bühnenraum...
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