Während Gott schläft

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 13. Februar 2015. Robert Borgmann inszeniert Clemens Mädge. Das heißt: Der Regisseur, der gerade mit der Inszenierung von "die unverheiratete" von Ewald Palmetshofer am Akademietheater zum Theatertreffen eingeladen wurde, inszeniert die Uraufführung eines Stückes von dem Autor, der 2012 für eben diesen Text mit dem Hans-Gratzer-Stipendium am Schauspielhaus Wien ausgezeichnet worden war. Das heißt noch lange nichts. Das heißt aber folgendes.

"Geronnene Interessenslage", das ist ein Text, der über mehrere Nächte, weitere Nächte und ganz andere Nächte ein Mietverhältnis thematisiert. Gratsche – die trunkene Musikerin –, Ewgenij Goldwasser – der Alte der dann stirbt –, Matuschka – die sich nach Liebe sehnt – und Paul – der sich nach der Liebe von Matuschka sehnt – machen manchmal Lärm. Daran stößt sich Frau Anna. Frau Anna ist die Frau von Herrn Otto, und Herr Otto ist Gott und daher Generaleigentümer. Aber Gott schläft. Und die Menschen werden nicht recht zufrieden mit sich selbst.

Nirgendwer nirgendwo
Der Aufenthalt im Mietshaus macht wenig Sinn und wenig Freude; außerhalb der zeitlosen Zeit der Nächte gibt es nicht viel und hauptsächlich auch keine bessere Welt. Nur Alkohol und Sex und Tod. Innerhalb der zeitlosen Zeit der Nächte, da gibt es ein großes Warten und Aushalten und doch auch recht viel Grausamkeit zwischen den sonst so lose miteinander verkehrenden Figuren. "Warten auf Godot" von Samuel Beckett und "Geschlossene Gesellschaft" von Jean-Paul Sartre, das sind also sehr leuchtende Referenzen. "Geronnene Interessenslage", das ist vor allem ein Text, der nirgendwo hinführt, weil er nirgendwo hin will. Tja, naja, sinnloses Leben eben. Und nirgendwer kann zur Verantwortung gezogen werden. Gott schläft ja.

GeronneneInteressenslage2 560 AlexiPelekanos uNicola Kirsch, Steffen Höld, Gideon Maoz, Myriam Schröder © Alexi Pelekanos

An diesem Gott hängt dann aber doch so ziemlich alles. Anwesend abwesend als Angesprochener, in den Sätzen und Gesten der Figuren und vor allem auf der Bühne. Da gibt es elementare Geometrie aus Neonröhren. Ein Dreieck, vielleicht auch lesbar als "A" für Anna oder Alpha, ein Rechteck, vielleicht auch "O" für Otto oder Omega und ein unmissverständliches, riesengroßes Kreuz. Davor liegt irgendwann Matuschka (Nicola Kirsch) und bittet um Verzeihung. Das Verhältnis des Menschen zur großen Abwesenheit von Bedeutung, Verantwortung und Erlösung: Mit dieser Regieanweisung kehrt in die resignierte Sinnlosigkeit des Textes so etwas wie eine Spur von Interesse, von Zusammenhang ein.

Brecht und Schatten
Gäbe es den schlafenden Gott, diese stabile und unmissverständliche Metapher nicht, der Abend müsste unter den porösen Figuren zusammenbrechen. Narration, die nicht so recht vorhanden ist; Dialoge, die so recht aneinander vorbeigehen – aber ein Gott, der schläft, das ist schon ein interessanter Gedanke. Rund um diesen interessanten Gedanken lässt Borgmann viele andere weniger eindeutige Symbole gerinnen und macht aus achselzuckender Sinnlosigkeit doch noch so etwas wie einen absurden Schrei nach Liebe. Morphsuits machen aus den Figuren Figuren ohne Eigenschaften, die Bewegungen passen im besten Fall nicht recht an die Sätze, Bertolt Brecht wird zitiert, und Nebel und Schatten sind immer schön.

GeronneneInteressenslage1 560 AlexiPelekanos uGideon Maoz, Steffen Höld, Nicola Kirsch © Alexi Pelekanos

"Ich sitze am Straßenhang. Der Fahrer wechselt das Rad. Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?" Das kommt als Audioeinspielung ungefähr fünf mal. Und dann nochmal als Schlusswort. Genau diese Ungeduld, die es wahrscheinlich einfach braucht, um eine Sinnlosigkeit existenziell zu machen, manifestiert sich in der crazy Ästhetik der Inszenierung. Sie produziert jede Menge solide und – zwar nicht unmissverständliche, aber – verständliche Bilder, die sich aneinander drängen. Und Gretsche (Myriam Schröder) auf den viel zu hohen Schuhen, die sich immer in die Arme von den Nächstbesten oder auch von niemandem fallen lässt. Goldwasser (Steffen Höld), der seine Strenge wie einen Buckel hinter sich her trägt und Paul (Gideon Maoz), der als Cowboy in Tränen ausbricht. Frau Anna (Margarethe Tiesel), die Alphafrau, die ganz am Anfang als Sensenmann erscheint.

Robert Borgmann hat also Clemens Mädges Text inszeniert. Und das heißt am Ende: "Running up that hill" sollte am besten von einer trunkenen Musikantin gesungen werden. Und: Die Ungeduld beim Radwechsel, die ist interessant.

Geronnene Interessenslage
von Clemens Mädge
Regie/Ausstattung: Robert Borgmann, Dramaturgie: Katrin Michaels, Licht: Oliver Mathias Kratochwill, Ton: Dominik Mayr.
Mit: Steffen Höld, Nicola Kirsch, Gideon Maoz, Myriam Schröder, Margarethe Tiesel.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Kritikenrundschau

"Clemens Mädges selbsttragendes Dialoggewebe in absurden und symbolistischen Traditionen erscheint im Schauspielhaus nicht im originalen Möbelchaosbild", schreibt Hans Haider auf der Internetseite der Wiener Zeitung (15.2.2015). Darum wirkt es auf ihn "arg gezaust und schwer verständlich". Der Theatergott ist dieser Uraufführung aus Sicht des Kritikers jedenfalls nicht gnädig gewesen.

"90 Minuten dauert die heftig beklatschte Aufführung. Sie zieht sich teilweise hin, als würde sie Stunden dauern, hat jedoch auch manchmal amüsante Passagen", hält Barbara Petsch auf der Internetseite der Wiener Zeitung Die Presse (14.2.2015) fest. Die Schauspieler sprechen dem Eindruck der Kritikerin zufolge "mit einem Ernst, als würde es sich mindestens um Schiller handeln. Vielleicht ein Nachteil. Anscheinend ist Regisseur Borgmann nicht der Comedy-Typ". Wer vor Jahrzehnten Ionescos 'Stühlen', seinen 'Nashörnern' oder Becketts 'Endspiel' atemlos gelauscht habe, wird sich – so die Einschätzung von Petsch – "mit dieser Westentaschenvariante von absurdem Welttheater schwer anfreunden können". Dem Ensemble jedoch sieht sie "wie immer gern zu".

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