Krimi um den Rechner eines Toten

von Andreas Schnell

Hamburg, 20. Februar 2015. Nachdem Wajdi Mouawads "Verbrennungen" landauf, landab auf deutschen Bühnen reüssiert, präsentiert das Junge Schauspielhaus in Hamburg nun als deutschsprachige Erstaufführung "Himmel", den letzten Teil aus Mouawads Zyklus "Das Blut der Versprechen", zu dem auch "Verbrennungen" gehört. Wie schon dort arbeitet der im Libanon geborene kanadische Autor in "Himmel" mit einem komplexen Krimi-Plot, um etwas über unsere Welt, unsere Zeit zu erzählen.

Dabei erscheint "Himmel" heute beinahe aktueller denn je. Als hätte Mouawad die Enthüllungen eines Edward Snowden vorausgeahnt, skizzierte er schon 2009 eine Geheimdienstarbeit, die die Datenströme dieser Welt umstandslos und scheinbar maßlos durchkämmt. Und der die Handlung grundierende Generalverdacht, Terror müsse heute eigentlich notwendig islamistisch sein, hat sich bekanntlich auch nicht erledigt. 

Terror oder Resistance?

"Himmel" spielt im Inneren einer Geheimdienstzelle, deren global vernetzte Mitglieder – von Heim und Familie getrennt – nach einer rätselhaften Gruppierung fahnden, die offenbar einen Terroranschlag ungeahnten Ausmaßes plant. Unklar bleibt dabei freilich, ob es nicht eigentlich der Verfolgungswahn einer imperialistischen Welt ist, die alles, was sich ihr nicht umstandslos unterwirft, als potenziellen Terror wertet. Und mit Terror darauf antwortet.

himmel1 560 sinje hasheider hMediale Spurensuche in "Himmel" © Sinje Hasheider

Als "Vor- und Rückseite eines Spiegels" hat Mouawad dieses Verhältnis bezeichnet – salopp gesagt: Was dem einen seine Resistance, ist dem anderen sein Terror. Aus dieser Ambivalenz leitet Mouawad spannende Fragen ab: Denn was wäre die Antwort auf die Gewalt, die das 20. Jahrhundert und den Beginn des 21. prägte? Nicht nur die arabische Welt hätte schließlich Gründe (man muss sie ja die Wahl der Mittel nicht teilen), sich zur Wehr zu setzen.

Komplizierte Spurensuche

Die Handlung setzt nach dem Selbstmord des Verschlüsselungsexperten Alexander Meißen ein. Die Mission scheint daraufhin am Ende. Seinen Rechner zu knacken, will nicht gelingen. Aber es gibt einen Nachfolger. Und der sorgt für Ärger. Weil er an einer von der (natürlich sehr amerikanisch wirkenden) Zentrale verworfenen These festhält. Der Neue, Clemens Szymanowski, bringt damit vor allem Vincent Chef-Chef, der laut Gruppen-Chefin Barbara Mittweg für jede Schweinerei zu haben ist, gegen sich auf.

Der Konflikt der beiden, die Versuche Szymanowskis, den Rechner des Toten zu knacken, seine Spurensuche, die ihn über ukrainische Gedichte bis zu einem Gemälde von Tintoretto führt und darüber schließlich zu den Zielen der Terroristen - all das ist reichlich kompliziert, die Pointe einigermaßen verblüffend, weshalb sie hier nicht verraten sei.

Konradin Kunze zeigt das wie in einem jener stets etwas düsteren Cyber-Thriller mit Verschwörungsraunen. Ähnlich wie Mouawad in seiner eigenen Inszenierung reißt er das allerdings dreidimensional auf, lässt auch mal im Publikum spielen, das in der Mitte des Raumes auf Drehhockern sitzt und immer wieder rotieren muss, um das Geschehen zu verfolgen, das überwiegend entlang der vier Raumseiten in einem tristen Fabriketagen-Ambiente spielt.

Zwischen Monitoren

Verschiedene Büroarbeitsplätze, Videoleinwände und Monitore geben Kunze Gelegenheit, mit raschen Schnitten zu arbeiten, was der Inszenierung Tempo gibt, das gelegentlich durch klug gesetzte, intime Momente verlangsamt wird. Bis die Handlung auf ihrem Höhepunkt förmlich explodiert und von Wand zu Wand fliegt, von Monitor zu Monitor – und das Stück zu seinem hoffnungslosen Ende kommt. Eine durchaus packende Arbeit, die auch schauspielerisch befriedigt.

Christine Ochsenhofer gibt die Chefin der Truppe tough, aber mit Skrupeln, Florens Schmidt ist als sensibler Nerd Szymanowski gut besetzt, wirkt allerdings manchmal etwas blass, Hermann Book spielt den väterlichen Karl Elias John mit Inbrunst, Jonathan Müller verleiht dem fiesen Chef-Chef eine Extraportion Widerwärtigkeit, Angelina Häntsch rührt als Sprachgenie Dolorosa Haché, während nicht zuletzt Markus John als Alexander Meißen allein per Video enorme Präsenz entwickelt.

Nächste Generation

Irritieren mag bei all der Wucht der Erzählung, dass das Stück ab 15 Jahren freigegeben ist. Denn Jugendtheater ist das nur bedingt. Auch wenn sich Mouawads Hoffnungen, die sich in "Himmel" ausdrücken, ganz gewiss auf die junge Generation richten. Insofern hat das wohl seine Richtigkeit.

Himmel
von Wajdi Mouawad
Regie: Konradin Kunze, Ausstattung: Léa Dietrich, Musik: Octavia Crummenerl, Video: Jürgen Salzmann, Dramaturgie: Stanislava Jevič.
Mit: Hermann Book, Angelina Häntsch, Jonathan Müller, Christine Ochsenhofer, Florens Schmidt.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

Im Hamburger Abendblatt (23.2.2015) schreibt ein*e Kritiker*in unter dem Küzel oeh, dass Mouawad und Kunze nicht so platt vorgingen, die Bedrohung irgendwelchen Dschihadisten in die Schuhe zu schieben. "Islamistischer Terror ist nur eine von mehreren Bedrohungen, eine andere kommt aus den eigenen Reihen." "Was ist Widerstand und was ist Terrorismus?" Kunze und seine fünf Schauspieler schafften es in dem "spannend inszenierten und komplexen Spiel", die Bedrohung von außen deutlich werden zu lassen.

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