Der Kühlschrank

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 12. März 2015. Im Hinterhof über die Außentreppe nach oben, durch die weiße Türe in die großzügige Wohnung. Garderobe, Bar und im Nebenzimmer Stühle und Sofas um eine Carrera Rennbahn arrangiert. Alle Sitzmöglichkeiten unter weißen Decken verpackt, oben an der Decke allerlei Luster und Mobile, die später schöne Schatten an die Wände werfen. Im Eck noch ein megamegagroßer Flachbildschirm, da laufen manchmal Pornos; willkommen bei Familie Bernhard.

1997 von Grischka Voss und Ernst Kurt Weigel gegründet, hat das Bernhard-Ensemble seit  2006 ein eigenes Zuhause, das "Off-Theater". Dort gibt es Eigenproduktionen, Figurentheater von der Märchenbühne "Der Apfelbaum" und Gastspiele von freien Theatergruppen. Dort will das Bernhard-Ensemble laut eigenem Profil "wichtige und aktuelle Aspekte unserer Zeit auf der Bühne (…) thematisieren". 2001 gab es dafür den Nestroy Preis für die beste Off-Produktion.

Superman als Weltbedrohung
Heute aber: "The.Big.Lumpazi". Ein Mash Up aus "Der böse Geist Lumpacivagabundus" und "The Big Lebowski". Im Untertitel des Abendzettels steht zu lesen: "Coen brothers vs Nestroy". Dieses "vs" suggeriert einen Zusammenhang der beiden Vorlagen, eine Linie, anhand derer diese gegeneinander ausgespielt und aufeinander bezogen werden könnten. Film versus Theater. Los Angeles versus Wien. Drei Kerle, die in ein Abenteuer geraten, das nicht ihres ist – versus drei Kerle, die in ein Abenteuer geraten, das nicht ihres ist. Mhm.  Worin nun die versprochene Reibung zwischen den beiden Vorlagen besteht, das zu versuchen bleibt der Abend schuldig.

the.big.lumpazi.1 560 barbarapalffy uDer Dude und seine Brüderln © Barbara Pálffy

Denn es wird hier hauptsächlich ein Film auf einer Bühne nachgespielt. Mehr oder weniger werktreu. Kein "vs Nestroy". Sondern ein "und dann auch noch ein wenig Nestroy". Der Dude und seine Kumpanen leben in Wien und nennen sich "Brüderln". Deswegen singen sie auch manchmal und gehen nicht bowlen, sondern spielen mit ihrer Carrera Rennbahn. Dann plötzlich geraten sie in ihr Abenteuer, weil im Feenreich Uneinigkeit herrscht, ob Superman (ja, warum auch immer) auf die Welt losgelassen werden soll. Fortuna, die für Geld und geilen Sex einsteht, ist ganz dafür; Amorosa, die die Menschen eher im Eigenheim unter Kinderschar verortet sehen will, nicht. So gilt die Wette, und der Film geht los. Fortuna und Amorosa sind plötzlich Bunny und Maude. Die Ähnlichkeitsbeziehung liegt nicht auf der Hand und wird auf Biegen und Brechen hergestellt. Das ergibt grobe Selbstwidersprüchlichkeiten innerhalb der beiden Figuren; Maude träumt ja so gar nicht von einem Eigenheim, und Bunny markiert den Rand des Geschehens.

Twitter, Syrien, Kopftuch
Von der kruden Storyline absehend, bewegt sich der Abend zwischen überdrehtem Wienerlied und sich schleppenden, nie den Anschluss findenden Dialogen. Gesten, die sich selber ausstellen, und Stimmbänder, gegen die gearbeitet wird. Es ist ein mit Einfällen überfrachtetes Stück: Kraut und Rüben, und ungefähr jedes Thema, das seit der Erfindung von Superman Thema gewesen ist, findet Eingang. Und während alle möglichen "aktuellen Anlässe" angesprochen werden (Paris, Hashtag, Bagdad, Twitter, Migration, Feminismus, Syrien, Antisemitismus, Kopftuch), geht der Film einfach weiter. Und weiter.

Besonders unangenehm sind solche Pointen, die sich darauf verlassen, dass das Publikum beim Wort "schwul" einfach mal kichert. Oder auch der generelle schenkelklopfende Umgang mit den Urklischees patriarchaler Gewalt (jemanden in den Arsch ficken, um ihn zu demütigen, jemanden auf hohe Schuhe stellen, um ihn zum Objekt zu erklären). Völlig aus dem Ruder geht die Referenz, wenn Walter aka Knieriem, der im Film immer wieder auf seine Zeit im Vietnam Krieg Bezug nimmt, erzählt von seinen Einsatz im Jugoslawien Krieg. Und sagt: Naja, ich weiß, wie das geht, das mit den Geiselübergaben, Geld gegen Geisel, nicht anders, das kenn ich noch aus Srebrenica.

Hä? Offensichtlich hat sich hier niemand für Srebrenica interessiert. Weder historisch noch hermeneutisch. Noch ästhetisch oder von mir aus moralisch. Sondern man hat sich bedient aus der Weltgeschichte wie aus einem Kühlschrank. Und so wie in einem Kühlschrank das Kraut neben den Rüben liegt und das eine nicht Bezug nimmt auf das andere, so stehen in dieser Inszenierung die Referenzen nebeneinander. Keine Oppositionen, keine Ähnlichkeiten, also keine eigentlichen Zusammenhänge. Einfach mal Kraut, und dann Rübe.

The.Big.Lumpazi
bernhard ensemble
Regie und Konzeption: Ernst Kurt Weigel/Grischka Voss, Musik: b.fleischmann, Bühne/Kostüme: Julia Jasmin Rommel, Choreographie: Peter Beil, Videoschnitt: Julia Suess.
Mit: Albane Troehler, Grischka Voss, Clemens Berndorff, Kajetan Dick, Victor Yuri Correa Vivar, Michael Welz, Ernst Kurt Weigel.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.bernhard-ensemble.at

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