Presseschau vom 15. März 2015 – Autorin Sibylle Berg zum Urheberrechtsstreit um Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung

Picasso übermalt man auch nicht

Picasso übermalt man auch nicht

15. März 2015. In ihrer Kolumne auf Spiegel Online setzt die Schriftstellerin Sibylle Berg ihr PS. zur Urheberschaftsdebatte um Frank Castorfs Inszenierung des "Baal" von Bertolt Brecht.
"Wenn einem Regisseur ein Text nicht gefällt, warum inszeniert er ihn dann?", fragt die Autorin. "Wenn er oder sie einen Text nicht zeitgemäß findet, warum nimmt er/sie dann keinen zeitgenössischen Text?". Auch könne man ja selber Texte schreiben.

Es folgen einige Analogien, die das Unverständliche der Herangehensweise des Regietheatermachers illustrieren sollen: "Mir gefällt Beethovens Fünfte nicht, also schreibe ich sie um. Picassos Bilder sind so unaufgeräumt, also übermale ich sie".

Fazit: "Wenn ein Autor, eine Autorin oder dessen Erben, die mit der Pflege des Nachlasses betraut sind, keine Änderung an der Kunst des Verstorbenen wünschen, dann ist es eben so. (...) Nur weil fast alle lesen können, heißt es nicht, dass sie Stücke oder Bücher schreiben können."

(chr)


Mehr über den Urheberschaftsstreit um Baal: der Nachtkritik-Bericht von der Gerichtsverhandlung gegen das Residenztheater, das Castorfs Brecht-Inszenierung herausgebracht hat. Und die Presseschau, in der Regisseur Leander Haußmann seinen alten Kämpen Frank Castorf verteidigt.

 

Kommentare  
Presseschau Sibylle Berg über Baal: überflüssig
Mir gefällt es eigentlich gut, dass zu der "Kolumne" von Frau Berg noch kein Kommentar hier erschienen ist. Vielleicht ist das schon der beste Kommentar!? Und reaktionärer und ahnungsloser als Kehlmann seinerzeit (wörtlich zu verstehen) in Salzburg ging es ja eigentlich auch nicht mehr. Berg wie Kehlmann sind nur aus ihrer Position als Autor/in zu deuten, und das macht im aktuellen Frau Bergs Kommentar noch überflüssiger, als er qua seines Inhalts sowieso schon ist. Im Allgemeinen gilt hier die simple Losung: Einfach mal die Fresse halten. Das gilt auch für mich. Also: Tschüss!
Presseschau Sibylle Berg über Baal: machen oder nur schimpfen
Hallo Schlaumi, Sybille Berg hat gute vernünftige Argumenten. Wenn sie so dumm und reaktionär sind, wo sind deine kluge Antworten? Bist du selbst Regisseur oder kannst du nur schimpfen?
Presseschau Sibylle Berg über Baal: großartig
die berg sollte sich den baal vielleicht mal angeschaut haben, bevor sie losplappert. die baal texte sind im castorf stück drin, und zwar großartig! einen besseren baal als aurel manthey habe ich lange nicnt gesehen. und einen theater text jetzt mit picasso bildern oder beethoven zu vergleichen hinkt sowas von. ja, einfach mal alle die fresse halten, inkls mir. tschüssikowski
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Baals grüne Haare
So vernünftig scheinen mir die Argumente von Frau Berg denn doch nicht zu sein. Ein Theaterstück ist nun mal kein Bild. Ein Bild wird übermalt, und dann ist es weg. Ein Theaterstück ist aber zuerst einmal ein Schriftzeugnis, das bleibt auch nach einer Inszenierung unangetastet zwischen seinen Buchdeckeln. Und jede Aufführung muss das Stück ja verändern oder erweitern, denn es ist ja keine haargenaue Vorschrift. Ob der Baal grüne oder blaue Haare hat, das steht ja im Text nicht drin. Nun kann man darüber streiten, wie weit die szenische Erweiterung gehen darf, aber es gilt festzuhalten: Es gibt einen wesensmäßigen Unterschied zwischen einem Bild und einer Aufführung. Und auch zwischen einem Text und einer Aufführung. Und man kommt nicht um die Frage herum: Man muss entscheiden, ob der Text aus welchen Gründen auch immer in der Aufführung vorrangiger ist als alles andere, ob eine Aufführung in die Fesseln eines Textes gehört oder ob sie ihn frei behandeln darf wie alles andere auch. Und wenn letzteres der Fall sein sollte: Welchen Schaden nimmt der Text eigentlich daran?
Presseschau Sibylle Berg über Baal: geistiges Copyright I
Es ist sehr schade, dass es Sibylle Berg hier anscheinend, für eine intelligente Frau und Schriftstellerin schon verwunderlich, an der nötigen Vorstellungskraft mangelt. Und dazu anscheinend auch noch an Wissen. Ihre Ausführungen muten nicht nur wie der berühmte Vergleich von Äpfeln mit Birnen (geistiges und materielles Eigentum) an, sie übersieht auch komplett, dass Eigentumsverhältnisse ja auch einem bestimmten, dynamischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozess unterliegen und beileibe nicht in alle Ewigkeit zementiert sind. Selbst wenn sie in Gesetze gegossen sind. Wer sagt denn, dass materielles Eigentum/Erbe (im von Frau Berg angeführten Beispiel, dass der Familie Krupp, oder des heutigen Konzerns ThyssenKrupp, so genau drückt sie sich ja nicht aus) auf ewig in der Hand einzelner Personen oder Gesellschafter/Aktionäre bleiben muss. Was es übrigens ja auch im Kapitalismus nicht per se tut. Als politisch denkender Mensch offenbart Frau Berg hier eine sehr kleinbürgerliche/-geistige Sicht auf den Begriff Eigentum. Und damit steht sie natürlich unter den geistig Schaffenden nicht alleine da. So könnte man die Problematik des geistigen Copyrights durchaus auch mal aus einer anderen Perspektive heraus diskutieren. Wird übrigens auch in Hinsicht auf das digitale Zeitalter bereits getan. Man lese bitte einmal hier nach, was Ilja Braun dazu schreibt: http://www.merkur-blog.de/2015/03/grundeinkommen-statt-urheberrecht-freiheit-und-soziale-absicherung-im-digitalen-zeitalter/#more-2200

Was ist denn das für ein Mist? Jetzt sind die Kommentarkästchen wieder zu klein.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: geistiges Copyright II
Teil 2:
Soweit zur gesellschaftlichen Dimension. Das ließe sich sicher noch weiter vertiefen. Zum künstlerischen Aspekt schreibt Frau Berg gar nichts, außer so komische Sachen wie etwa einen Picasso würde man ja auch nicht übermalen. Arnulf Rainer oder Sir Joshua Reynolds (siehe aktuelle Ausstellung zur Rembrandtübermalung in der Berliner Gemäldegalerie) kennt sie anscheinend nicht. Intertextualität ist ein Fremdwort für Frau Berg. Und warum ist ein Regisseur eigentlich in ihren Augen kein Urheber. Wo beginnt geistige Urheberschaft, wo endet sie? Ist alles, worunter ich das kleine © hacke, Meins? Was verstehe ich unter dem Begriff künstlerische Freiheit? Alles so Fragen, die in der Kürze von Sibylle Bergs erneuter Frust-Kolumne keinen Platz finden. Ich kann mich noch gut an ihre „Frustrandale“ zum deutschen Sprechtheater erinnern. (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-die-krise-des-deutschsprachigen-sprechtheaters-a-894069.html) Ich zitiere: „Sagte ich, dass ich ratlos bin? Dass ich nicht verstehe, wie selbstreferentiell viele Theaterschaffende um sich kreisen und alle anderen Kunstformen ausblenden?“ Was blendet Frau Berg eigentlich in ihren Ausführungen zum Brechtbacken aus?
Presseschau Sibylle Berg über Baal: weitere Übermalungen
Hier noch ein paar Gags zum Thema Picasso-Übermalung. Soll ja keiner sagen können, ich hätte keinen Sinn für Humor.
1. Wolfgang Joop:
https://www.youtube.com/watch?v=Mhs-ym0GPYY
2. Dora Maar:
http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Ftravellermag.de%2Fwp-content%2Fuploads%2F2011%2F11%2FPicasso_620_006.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Ftravellermag.de%2F2011%2F11%2Fpicasso-im-fotoportrat-ichundichundich%2F&h=835&w=620&tbnid=azlLIIHpgTshyM%3A&zoom=1&docid=uM-GhIU6xi18XM&ei=e0MIVaLsOsLyPPLngMgG&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=2918&page=1&start=0&ndsp=18&ved=0CCsQrQMwAw
3. Arnulf Rainer:
http://www.lutzfriedel.de/LUTZ-FRIEDEL-Endseiten/Figurative/Uebermalungen/Uermalungen08/Einzeluebermalungen/128_Picasso_am_letzte.html
Presseschau Sibylle Berg über Baal: neoliberales Argument
@#6: "dass Eigentumsverhältnisse ja auch einem bestimmten, dynamischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozess unterliegen und beileibe nicht in alle Ewigkeit zementiert sind" ist übrigens ein supertolles, neoliberales argument und vermischt sich heute schnell mit einer pseudolinken haltung, die heute andauernd die kleinbürgerlichkeit-keule schwingt (spießig haben sie in ihrer tirade noch vergessen), kapitalismuskritisch sein will (ja, der eklige, aus den 50ern) und sich für super-aufgeklärt hält (und dazu ständig aufs digitale verweist). vielleicht ist das problem anders gelagert und man sollte nicht alles immer gleich in einen topf werfen, sondern vorher das eigene geistige eigentum samt der vorstellungskraft mal anschmeißen und kurz benutzen. dann sprechen.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Dank
Danke Frau Berg,

das ventiliert hier noch ein wenig, was soll's!
Presseschau Sibylle Berg über Baal: die digitale Bohème verkommt
Lieber Andi, ihr Vorwurf des Neoliberalismus zeigt, dass Sie den Artikel aus dem Merkur-Blog eben nicht gelesen haben. Tun Sie es, dann können wir weiterdiskutieren. Es ist das genaue Gegenteil. Es geht um eine gerechtere Verteilung. Und digital ist eben nicht immer nur böse, böse Kapitalismus, sondern es geht eher darum, dass die sogenannte „digitale Bohème“ zunehmend zum digitalen Lumpenproletariat verkommt. Sie können Ihr geistiges Eigentum natürlich auch weiter auf der Schreibmaschine produzieren. Sehr viel ändern wird sich dadurch aber an dieser Tatsache nichts.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: die Hyperventilierer
lieber Herr Baucks, die einzige, die hier (hyper)ventiliert, ist Frau Berg selbst.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Goethe
Werter Herr Bauckx,
"das ventiliert hier noch ein wenig" stammt im Original von J.W.Goethe und lautet "Zum Ventilieren ist´s zu wenig". Sie haben hier also urheberrechtlich bedenklich in eine klassische Vorgabe eingegriffen und hören sicher in Kürze von Frau Bergs oder Herrn Brechts oder Herrn Goethes Anwälten und/oder Erben.
Gott zum Gruße, mein Hübscher!
G.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Zugaufsprung
ach sibylle,
um auf einen fahrenden zug aufzuspringen erfordert dann doch etwas mehr anstrengung, bzw. eine andere liga an geschwindigkeit (...)
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Zeitkratzer
Ich verstehe die Argumentationslinie von Frau Berg hier irgendwie gar nicht. Denn bei Texten geht es bekanntlich um Sprache, um Begriffe. Und damit geht es IMMER um die Kunst der AUSLEGUNG. Ich habe da immer das Bild der "kommunizierenden Röhren" von Blaise Pascal vor Augen. Das heisst, bei Texten vermischen sich für mich immer zwei geistige Horizonte und damit verändert sich das angeblich feststehende "Werk" permanent. Bei Malerei, Musik und Bildhauerei verhält sich das nochmal anders, denn alle drei sind eben keine Sprache, jedenfalls nicht im Sinne eines Begriffs mit einem sich permanent wandelnden Vorstellungsbild. Gäbe es bestimmte Begriffe nicht, hätten wir also auch kein Problem. "Urheber", das klingt in Richtung "alleiniger Schöpfer", aber darum geht's hier jetzt gerade nicht, oder? Um Gott. Wir sind alle Nach-Schöpfer und zugleich gestaltende Veränderer dessen, was wir bereits als etwas wahr-genommen haben. Niemand schöpft aus dem Nichts. Und wenn man einen Picasso übermalt, dann kann man die oberste Schicht auch wieder abkratzen, und darunter erscheint das Vorstellungsbild einer anderen Zeit - Zeitkratzer, Spuren der Vergangenheit, geistiges Archiv.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Darf man mit einer Inszenierung alles machen?
Ist ja nun nicht so, dass gnadenlose Autoren (oder der Erben) immer und überall freie Entfaltung der Regie verhindern würden, sind wir mal ehrlich, ist doch eher das Gegenteil der Fall. Regie hat heute sowohl, was das Zeitgenössische betrifft, als auch, was den Umgang mit Klassikern betrifft, sehr viel (Narren)Freiheit und ein Konflikt wie Baal ist die absolute Ausnahme. Wie dilettantisch hier von Seiten des Theaters kommuniziert wurde, ist ja anderweitig schon ausgiebig dargelegt worden. Die Frage ist doch - müssen Autoren (oder deren Erben) sich denn nun wirklich alles gefallen lassen oder dürfen sie auch irgendwann eine Grenze ziehen, und sei sie subjektiv, was mit ihrem Werk geschehen darf? Wenn Autoren dies nicht dürfen, darf es dann auch niemand sonst? Also, z.B. wenn das Werk immer der Allgemeinheit gehört und jeder alles damit machen darf, darf dann auch ein Theater eine Inszenierung verändern, kürzen, schleifen und als verstümmelte Wiederaufnahme zur Aufführung bringen - nach Gutdünken von Intendanz und Dramaturgie? Was her Castorf davon halten würde, kann ich mir vorstellen?
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Warum inszeniert ihr schwache Texte?
Ich bin auf der Seite von Frau Berg und finde absolut richtig, dass und wie sie ihre Stimme erhebt. Am Verhältnis des Deutschen Theaterbetriebs zu seinen Autoren stimmt manches nicht. Ein Beispiel, das jetzt nicht direkt zu Baal, Brecht und Castorf passt, aber vom Prinzip her schon: Wie oft habe ich inzwischen schon gehört, dass Regisseure ihre Probenarbeit mit den Worten beginnen: "Ja, der Text ist leider schwach, aber wir machen was draus...", mitunter auch bei Uraufführungen? Was soll das? Warum macht man es dann? Und wenn schon, warum ist es in so einer Situation nicht vollkommen selbstverständlich, den Autor in die Arbeit an seinem Stück mit einzubeziehen? - Stattdessen mehrt sich manch ein Kreativteam in Wirkungen und reinen Formalismen aus, immer bestrebt, in seiner Handschrift möglichst deutlich sichtbar zu bleiben und fischt darüber hinaus im Trüben, wenn es inhaltlich nicht sogar ganz zappenduster wird.
Jetzt mal offen hier in die Runde der Macher gefragt: Wann ging es auf euren Proben denn zum letzten Mal um Inhalte? Schon länger her? Warum überrascht mich das nicht? - Und trotzdem verteidigt ihr hier die Freiheit und Unabhängigkeit der Interpretation und des Probeprozesses! Das ist doch scheinheilig!
(In dieser Hinsicht mag Castorf ja sogar die falsche Zielscheibe sein, bei ihm gibt es eine inhaltliche Auseinandersetzung doch noch, oder?)
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": adäquates ja
@Christoph, um Ihre Frage "Müssen Autoren (oder deren Erben) sich denn nun wirklich alles gefallen lassen?" adäquat zu beantworten: ja.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": manche Erben nicht
@Dirk Brandt, ich habe mir Ihren Beitrag #2 zu Herzen genommen und nach den "guten Argumenten" von Frau Berg gesucht. Ich habe sie aber nicht gefunden. Welche sind es doch gleich? Gestatten Sie mir, der ich der Inszenierung von zwei Berg-Predigten (Kalauer-Gefahr!) beiwohnte, auch noch eine letzte, gewiss rigoros persönliche Einschätzung: Bei der Qualität der Texte von Frau Berg, die sich im wesentlichen aus Selbstliebe speisen, glaube ich nicht, dass sich ihre Erben in ferner Zukunft einmal um so etwas wie Urheberrechte am Theater scheren müssen. Aber das, wie gesagt, nur aus dem tiefen Tal der Subjektivität heraus.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Fragen an Frau Sibylle
5 FRAGEN AN SIBYLLE BERG

1) Etwas vom ersten, was man auf der Schauspielschule lernt, ist: "Der Text ist die Spitze des Eisbergs". Theater besteht aus noch ganz vielen anderen Dingen als aus Text und drei Regieanweisungen. Warum muss man denn immer behaupten, ein Regisseur würde TEXTE inszenieren? Wäre es nicht passender zu sagen: "Ein Regisseur versucht die vielen Löcher zwischen Zeilen zu füllen"?
2) "Nur weil fast alle lesen können, heißt es nicht, dass sie Stücke oder Bücher schreiben können."
Jawohl. Richtig. Warum denken manche Autoren, mit der Fähigkeit, einen Text mit verschiedenen Rollen zu schreiben, hätten sie bereits ein Theaterereignis geschaffen?
3) Warum muss man in dieser Sache denn ausgerechnet die Erben eines Mannes in Schutz nehmen, von dem es mindestens zwei Hände voller Zitate gibt, die zeigen, dass er von Urheberrecht und musealer Konservierung nichts (in Worten: NÜSCHT) gehalten hat?
4) Vor ca. zwei Jahren schrieben Sie noch "Und habe gerade vier Stunden Theaterelend hinter mir, träume von Geschwindigkeit, Bildern, Tempo, Mut, so wie Generationen vor mir, die alles ändern wollten." Was ist in der Zwischenzeit mit Ihnen passiert?
5) Ist Ihnen bewusst, wie sehr Ihnen jetzt genau die Menschen beipflichten, die sie noch 2013 so angeekelt beschrieben haben ("Es wird gebuht, und ich kann Ihnen sagen, es gibt wenig auf der Welt, was widerwärtiger wäre.") Und dass ganz viele von diesen bunddersteuerzahlersympathisierenden, traditionelleopernliebenden Regietheaterhasser sich zwar vermutlich Ihre neuste Kolumne übers Bett hängen, sich aber niemals ein Stück von Ihnen anschauen würden?
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Fesseln unsrer Einbildungskraft
Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäßigen Theater zu entsagen. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäßig ängstlich, die Einheiten der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unsrer Einbildungskraft. Ich sprang in die freie Luft und fühlte erst, daß ich Hände und Füße hatte. Und jetzo, da ich sahe, wieviel Unrecht mir die Herrn der Regeln in ihrem Loch angetan haben, wieviel freie Seelen noch drinne sich krümmen, so wäre mir mein Herz geborsten, wenn ich ihnen nicht Fehde angekündigt hätte und nicht täglich suchte, ihre Türme zusammenzuschlagen.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": täglich Inhalt
Oje, Felix:
Wann ging es auf unseren Proben zum letzten mal um Inhalte? - Heute morgen auf der Probe, Du Schlaumeier.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": versteckte Setzungen
Liebe Diskutanten,
ohne viel Zeit zum Schreiben: Ich finde die Erben-Einlassung unsäglich ebenso wie Bergs schiefe Vergleiche. Aber: Pollesch erlaubt erst gar kein Nachspielen seiner Stücke. Ist das dann legitim?? Also mich interessieren die versteckten normativen Setzungen in Ihren Argumentationen, denn irgendwie ist "Pollesch-General-Verbot ist recht und billig" und "Brecht-Erben-Selektiv-Verbot ist kunstwidrig" doch nicht wirklich konsistent rechtfertigbar, oder? (Ich würde am liebsten beide Positionen unterschreiben, aber spüre mein Schisma.)
Euer Hans
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Ozean der Belanglosigkeit
@ EinEselanBerg: Und so stricken wir weiter an unseren Mythen, beten die immer gleichen Phrasen runter und navigieren das Theaterschiff immer weiter hinaus auf den Ozean der Belanglosigkeit. Wen kümmert's, was manche Regie-Könige so zwischen die Zeilen füllen, wenn sie verlernt haben zu lesen? Ein Miteinander auf Augenhöhe von Autoren und Regisseuren könnte vielleicht eine Maßnahme gegen das vielerorts grassierende Theater-Elend sein. Ein Weiter-so in Autismus und cooler Genialitäts-Pose ganz bestimmt nicht.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Freude
@ Regisseur: Das freut mich aufrichtig!
Presseschau Sibylle Berg über Baal: totalitärer Kunstbegriff
Ich möchte die Frage noch einmal stellen, wenn ein Autor sich im Bezug auf seinen Text alles gefallen lassen muss, politische Vereinnahmung und Umdeutung eingeschlossen - darf dann auch die Theaterleitung die Inszenierung eines Regisseurs nachträglich und nach Gutdünken verhunzen, um z.B. seine Abonnenten weniger zu verärgern? Darf jedes kulturell bedeutsame Bauwerk durch nachträgliche Umbauten verhunzt werden, um heutigen Komfortbedürfnissen zu entsprechen? Dieser grässlich totalitäre, vermeintlich freiheitlich Kunstbegriff, wonach Kunst immer allen gehört und somit zur grenzenlosen Trivialisierung freigegeben wird, geht doch auf Kosten der Künstler, deren individueller Ausdruck Kunst entstehen lässt.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Schattenwirtschaft
@ Hans Uwe Zisch: Und warum geht's hier bei Ihnen jetzt plötzlich um Pollesch? Dickes Fragezeichen! Es ging hier doch ursprünglich um Castorfs "Baal" bzw. um die Frage des geistigen Eigentums im Sinne der Deutungshoheit über die Auslegung von Stücktexten. Apropos, ich würde ja auch immer noch gern wissen, was Pollesch eigentlich mit dem Satz "Es gibt auch einen Sozialismus jenseits seiner sentimentalen Sorte" aus "Tal der fliegenden Messer" meinte. Es ging da inhaltlich um die Schattenwirtschaft bzw. das Rotlichtmilieu mit Parallelisierung auf die Inszenierung von Frauen (und Männern, Hauptsache, schöne Körper?!) im Theaterbetrieb. Ach, und ich habe mich übrigens auch schonmal mit der Frage beschäftigt, inwiefern man einen Brecht-Text heute noch ungebrochen vom Blatt weg inszenieren kann, zum Beispiel das Lehrstück "Die Maßnahme". Das passt in seiner mechanistisch-kommunistischen Rationalität nicht mehr in unsere heutige Zeit. Die (überbordende, exzessive) Sinnlichkeit findet sich dagegen in Brechts frühem "Baal".
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Dankt dem Deutschunterricht
Theaterleute wollen schon länger keinen Brecht mehr spielen. Sie müssen es aber, weil dann Zuschauer kommen. Bedankt euch beim Deutschunterricht, dem Ursprung der Verwertungskette. Ebenso würde sich kein Zuschauer für Brechts Texte interessieren, wenn nicht Brecht draufstehen würde. Solange es die Stadttheater nicht bringen, ihre Zuschauer zu erziehen, müssen sie eben für die Label bezahlen. Oder damit rechnen, dass ihnen ihre Artaud-Abende verboten werden.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: keine Kritik an Pollesch
@26: Na, so schwer ist das nun doch auch wieder nicht.

Bei dieser Baal-Diskussion geht es um Urheberrechtsaspekte. Es geht auch darum, wie wir diese aktuelle Rechtsetzung generieren/rechtfertigen. Mir scheint, dass es viele Diskutanten gibt, die die 70 Jahre und das Zugriffsrecht der Autoren/Erben in die Inszenierungen der Text für überzogen halten. Meine Frage ist, warum das von einigen (nicht wenigen) bei Brecht-Schall kritisiert wird, bei Pollesch aber nicht, jedenfalls nicht in der laufenden Diskussion. Dabei liefern doch aber beide strukturell das gleiche: sie entziehen die Texte dem Inszenierungszugriff (und zwar Brecht-Schall in schwächerer Form als Pollesch!). Mich wundert einfach diese (vermeintliche?, helfen Sie mir) Inkonsistenz in der allgemeinen Gemengelage. Bin gespannt auf Ihre Hinweise. Auf geht's.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Fragen
5 FRAGEN AN FELIX

1) Mit welchen Häusern haben Sie denn Ihre Erfahrungen gemacht, dass es Ihnen so eine außerordentliche Freude bereitet, wenn "Regisseur" auf der Probe mit Inhalten zu tun hatte?
2) Mit welchen Regisseuren haben Sie gearbeitet, die nicht lesen können?
3) Woran machen Sie den indirekten Vorwurf fest, ich würde mit meinen Fragen das Theaterschiff auf den Ozean der Belanglosigkeit navigieren oder Belanglosigkeit verteidigen?
4) Ist ein Prinzip,z.B. künstlerische Freiheit, was in vielen Einzelfällen zu dürftigen Ergebnissen führt, deswegen grundsätzlich in Frage zu stellen?
5) Sind Sie mit mir einig, dass der Vorschlag der "Augenhöhe" - von dem ich viel halte - schwierig zu realisieren ist, wenn sich ein lebender Regisseur mit der Enkelin eines toten Autors streiten darf, die seine Inszenierung nicht gesehen hat? Wie geht denn da Augenhöhe?
Presseschau Sibylle Berg über Baal: werden Polleschs Enkel ....?
@ Hans Uwe Zisch (warum lese ich das immer als Marc-Uwe Kling?): Ich habe Sie schon verstanden. Ja, Pollesch hat einen Regisseur mal einen seiner Stücktexte inszenieren lassen, es war - glaube ich - Stefan Pucher. Und der hat den Text dann aber so anders gelesen als von Pollesch intendiert, dass Pollesch die Inszenierung unterbunden hat. Es gibt da jetzt aber doch einen entscheidenden Unterschied: Wenn ein Autor noch lebt, geht das für mich alles okay. Aber wenn ein Autor bereits tot ist? Anders gefragt, werden Polleschs Enkel (schöne Vorstellung, irgendwie, Pollesch in alt und seine Enkel) die "falsche" Inszenierung seiner Texte immer noch verbieten?
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Korrektur Pollesch
Praktikanten- bzw. Recherchefehler. Die Inszenierung, welche Pollesch nicht gefallen hat, war die Prater-Saga 2, Regie: Jan Ritsema. Und Pollesch begründet die Absetzung damit, dass es ihm bei der Inszenierung seiner Texte eben gerade nicht darum gehe, dass sie einzig und allein den Text repräsentieren. Es gehe nicht um "das gesicherte Wissen eines einzigen autonomen Produzenten", sondern um die Aufführung. Und offenbar war die Pollesch bei Ritsema zu "texttreu".

Solange man also ein Stück inhaltlich noch erkennen kann, wird die Frage des Urheberrechts im Sinne einer vereindeutigenden bzw. allein gültigen Lesart hinfällig.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: aus Autorensicht grotesk
DREI ANTWORTEN AN ESELANBERG
(Auf die Fragen 1) und 2) antworte ich (natürlich) nicht.)
Zu 3): Frau Berg hat in ihrer Kolumne leidenschaftlich Position für die Autoren bezogen, was selten genug geschieht. Sie halten dagegen, und zwar mit immer wieder gern vorgebrachten Argumenten des Theaterbetriebs. Man könnte daraus schließen, dass Autoren irgendwie (mit-)verantwortlich wären, wenn Theater misslingt, was ja oft genug geschieht. Da Autoren aber im Theaterbetrieb so gut wie nie eine Stimme haben, kann das nicht sein. Sollten manche Theater tatsächlich an Bedeutung und Belang verlieren, so wird das eher an den Machern liegen, die oft genug im eigenen Saft schmoren und ihre Positionen selten hinterfragen.
zu 4) Ich verstehe nicht, an welchem Punkt die künstlerische Freiheit beschnitten würde, wenn ein/e Autor/in seine Position zu einer Arbeit äussert, die immerhin unter seinem Namen präsentiert wird. Dass Sie in diesem Zusammenhang mit dem Begriff "Künstlerische Freiheit" wuchern, ist aus Autorensicht grotesk!
zu 5) In diesem Punkt sind wir uns einig. Da sich Castorf aber anscheinend derart darüber freut, dass ihm seit DDR-Zeiten endlich mal wieder eine Aufführung verboten wurde und er unter diesem Eindruck in Hamburg grade zu neuen künstlerischen Höhen findet, kann man auch hier sagen: Es hatte vielleicht für alle Seiten sein Gutes, dass die Erben mal auf den Tisch geklopft haben.
Presseschau Sibylle Berg über Baal: Stimme der Vernunft
Glückwunsch Felix. Endlich eine Stimme der Vernunft gegen respektlose Regisseur/Innen, die sich nicht im Entfernsteten vorstellen können oder wollen, dass Autoren monatelang (manchmal jahrelang) an Ihre Texte gearbeitet haben und vielleicht mehr darüber wissen als alle diktatorische (Regie)Führer zusammen.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Tote nicht
@30:

Schön, dass wir uns verstehen. Das hilft doch schonmal weiter. Dann versuche ich das mal mit eigenen Worten wiederzugeben: Lebende Autoren dürfen beliebig über die Bühnenzulassung ihrer Texte verfügen, tote nicht. Mit dem Tod eines Autors erlischt sein Recht, über das was mit dem Text auf der Bühne geschieht zu verfügen. So, richtig, Inga?
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Regisseur kein autonomer Produzent
@ Hans Uwe Zisch: Richtig. Würde man Pollesch allerdings wirklich konsequent nehmen, müsste es auch darum gehen, dass ein Regisseur nicht autonomer Produzent ist. Inwieweit die Schauspieler bei Pollesch oder Castorf tatsächlich ein Mitspracherecht haben, entzieht sich aber meiner Kenntnis.
Presseschau Sibylle Berg über "Baal": Souveränität der Spielenden
@35: Stimme Ihnen zu. Das Mitspracherecht ist de jure freilich jederzeit gegeben, aber hängt de facto von der Souveränität der/des Spielenden ab, die wiederum von Faktoren wie Etabliertheit, Starfaktor, Spielintensität, Fruchtbarkeit des Regie-Spieler-Austauschs und solcherlei abhängt. Es ist ja durchaus schon vorgekommen, dass Ensembles bewirken einen Regisseur von einer Inszenierung zu entbinden. Aber das ist eher der Ausnahmefall. Entweder läuft das im Vorfeld bei der Besetzungsaufstellung (inklusive Regiestab) oder es geht eben mit Zähneknirschen über die Bühne.
Im Fall von Regie und Schauspielensemble ist jedenfalls im Regelfall davon auszugehen, dass diese noch leben und nicht durch Erben vertreten werden. Freilich gibt es auch hiervon Ausnahmen (bspw. "Arturo Ui" von Brecht/Müller/Wuttke, wo sich auch einiges im Laufe der Zeit verschoben hat, wogegen die Müller-Erben keinen Einspruch erhoben haben oder erheben konnten; soweit ich weiß).
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