Presseschau vom 9./13. April 2015 – Claus Peymann im Interview mit der Zeit über seine Vorwürfe gegen Tim Renner sowie Reaktionen auf dieses Interview

"Der Renner muss weg"

"Der Renner muss weg"

9. April 2015. "Warum dieser Wutausbruch?", richtet Peter Kümmel in der Zeit seine Fragen an Claus Peymann und greift damit dessen Brief an den Berliner Regierenden Bürgermeister Michael Müller auf, in dem er Tim Renner als "völlig überfordert" und als "größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts" bezeichnete. Jetzt legt Peymann im Interview nach, und wie.

Vor drei Wochen hatte Frank Castorf an gleicher Stelle in der "Zeit" gesagt, dass es der Berliner Kultur- und Theaterpolitik vollständig an Visionen fehle. "Diese identische Wortwahl klingt ja beinahe wie ein Schulterschluss", so Kümmel. Woraufhin Peymann erst einmal ausholt, dass sie beide, er und Castorf, in Berlin die Platzhirsche sind, "die sich bekämpfen. Aber auf einer tieferen Ebene besteht zwischen uns eine große Einigkeit."

Man sei sich näher, als man manchmal zugebe, gehöre zur aussterbenden Gattung derer, die provozieren. Abgewirtschaftet werde man von den "Deppen, die die Literatur zerstört haben" und jetzt das Theater zerstören. "Die Literatur ist im Theater in den letzten Jahren systematisch vernichtet worden, sie spielt ja keine Rolle mehr." Und nach der Abschaffung der Dichtung, dem Boden des abendländischen Theaters, "macht man sich jetzt an die Zerschlagung der Strukturen. Vollständiger Dilettantismus bestimmt, was in den nächsten 20 Jahren an den Theatern geschieht". Was qualifiziere den netten Leiter der Tate Modern für die Leitung eines Theaters? "Gar nichts." Niemand käme in England auf die Idee, dem Direktor der New Tate ein Theater anzutragen. "Wir erleben gerade das Waterloo des europäischen Theaters, und das Hauptschlachtfeld des Kampfes ist leider Deutschland."

Renner sei eine Fehlbesetzung, legt Peymann jetzt nochmal nach: "Jung, frisch, ein bisserl dumm, immer nett lächelnd und auf Rhythmus aus". Er habe sich ein paarmal mit ihm getroffen, "der weiß vom Theater nix". Da gebe es keinerlei Geschichtsbewusstsein, keinen Hintergrund. "Da können Sie genauso gut mit dem Pförtner sprechen." Nach Klaus Wowereits Rücktritt stehe Renner nun allein auf weiter Flur. "Wenn man Gespräche mit ihm führt, ist man nach einer halben Stunde am Ende (…) man sitzt einem leeren, netten weißen Hemd gegenüber."

Und: "Die Umwelt werde nicht nur durch Atomkraftwerke zerstört, sondern auch durch Leute wie Renner, die kulturellen Mist produzieren." Auch Bürgermeister Michael Müller bekommt von Peymann sein Fett weg. Weder Müller noch Renner seien in der Lage, eine verantwortungsvolle Kulturpolitik in Berlin zu machen. Peymanns Fazit: "Der Renner muss weg. Und der Bürgermeister muss die Kulturagenda abgeben, er kann es nicht!" Auch sein eigener Nachfolger, Oliver Reese, "unterscheide sich äußerlich nur unwesentlich von Renner", beide verkörpern denselben Phänotyp.

In der Berliner Zeitung wiederum reagiert Filmemacher Volker Heise genervt auf Peymanns Attacken: "Für Peymann muss die Tatsache, dass ein 'ehemaliger Musikmanager' seine Nachfolge regelt und nicht er selbst (nun: dann würde auf Peymann natürlich Peymann folgen, und zwar ad infinitum), ein Sakrileg sein." Das Getöse sei allein durch den zum Vorschein kommenden Hochmut schwer zu ertragen. "Dabei ist Tim Renners Problem vielleicht nicht einmal, zu wenig Hochkultur zu sein, sondern zu viel Angst davor zu haben. Mit seiner Ernennung war die Hoffnung verbunden, jemanden im Amt zu sehen, der die Veranstaltung Hochkultur hier und da aufsprengen kann und sie vielleicht sogar in die Stadt hinein öffnet. Von den 400 Millionen Euro Kulturetat landet schließlich der Großteil bei Opern und Theatern, wo sich die kulturellen Eliten tummeln, und nur 20 Millionen bei der Zentral- und Landesbibliothek, wo auch die Leute hingehen."

Deshalb formuliert Heise Vorschläge für die verbleibenden zwei Jahre der Renner-Amtszeit: "1. Die Museen öffnen einmal die Woche ihre Pforten für lau, damit auch Steuerzahler mit geringem Einkommen Kunstwerke genießen können, für die sie schon bezahlt haben. 2. Die Theater verpflichten sich, einmal im Monat eine Vorstellung in Problembezirken zu geben zu niedrigschwelligen Preisen. 3. Die Orchester der Stadt schenken den Bürgern ein langes Wochenende der Musik – im Sommer, draußen im Park." Damit würde Renner "zwar kein Stachel im Arsch der Mächtigen sein, aber auch nicht das revolutionäre Subjekt im Premierenpublikum des Berliner Ensembles suchen."

(sik)

 

In dieser Presseschau sind die Stimmen der Kommentatoren versammelt.

Kommentare  
Peymann In der Zeit: Provokation als Handwerk
Was lässt sich sachlich gegen Peymanns Ausführungen vorbringen? Dass er gegen die übliche Abmachung der sorgfältigen Wortwahl und des Buckelns vor Politikern verstößt? Allmählich müssen sich die Peymann-Verächter fragen, ob sie nicht angepasste Greise geworden sind, alte Tanten mit guten Manieren und wenig Verstand. Nicht das Klappern - die Provokation gehört zum Handwerk des Theaters. Wer das nicht akzeptieren kann, sollte sich der Restaurantkritik widmen und nicht den Künsten. Peymanns Charakter ist uninteressant. Seine Rolle in der Öffentlichkeit nicht. Dafür ist ihm zu danken. So. Und jetzt sind wieder die Schleimer dran.
Peymann in der Zeit: Phänotyp
Danke, nk, für's Wiedergeben. Liebe Diskutanten, ich bin gespannt, wie ihr Peymanns Äußerungen widersprecht. Denn insbesondere die Äußerung des Renner-Reese-Phänotyps scheint mir naheliegend.
Peymann in der Zeit: Theater muss sich nicht gemein machen
Wann waren Sie das letzte Mal in einem Theater Herr Heise? In einem Theater gibt es beispielsweise eine Bühne, Technik, Bühnenbild und vor allem Raum für Kunst genau so wie ein Museum oder ein Konzert Haus wo man einen anderen Zugriff auf Realität hat und der Wirklichkeit in einem Kunstraum begegnen kann. Wie und vor allem warum soll ein Theater in einen 'Problembezirk' kommen? Theater ist ein Problembezirk und es steht doch allen offen. So ein Quatsch mit kultureller Elite... jedes Theater bietet Vorstellungen und Karten für die finanziell schwächsten an. Aber ein Theater muss sich auch nicht gemein machen. Filme bieten doch schon Kultur und Schauspiel für jeden Raum.
Peymann in der Zeit: bornierte Tollwut
Der Intendant beleidigt einfach alle, den Pförtner, seinen Nachfolger, den Staatssekretär, den OB und eigentlich sogar denjenigen, un den es gehen sollte. Castorf als Vertreter des Literaturtheaters hinzustellen, und wenn auch nur indirekt, dass das Abendland rettet, ist so dümmlich, dass man sich das Grinsen kaum verkneifen kann. Ich bin so angewidert von soviel bornierter Tollwut und wünschte mir, die Verantwortlichen schickten Peymann nun endlich seine fristlose Kündigung, die er sIch so sehr verdient hat.
Peymann in der Zeit: Rundumgemecker
Ob eine halbe Seite im Feuilleton der ZEIT wirklich der angemessene Platz ist, für ein Aufkochen -egal welche Meinung man dazu hat- nun wirklich angekommener und verstandener Kritik an der (Berliner) Kulturpolitik? Warum nicht eine ganze Seite oder sogar ein Dossier? Peymanns mäanderndes Rundumgemecker folgt ja keiner wirklichen Not und ließe sich endlos fortführen - oder eben begrenzen. Denn zum "Lebenszwerg" ist er doch selbst schon lange geschrumpft (wie er es dem Renner im Interview vorwirft).
Peymann in der Zeit: wer verantwortet die Krise des Theaters?
Ein Dossier und ein Essay, das ist eine gute Idee, denn falls es eine Krise des Theaters gäbe, wer sollte dafür verantwortlich sein, wenn nicht die langjährigen Intendanten, wie Castorf, Peymann und Khuon. Doch nicht Renner. Der spielt doch erst seit zwei Jahren am Rande mit. Der Filz muss weg.
Peymann in der Zeit: Verwaltung der Nicht-Vision
Ich finde Respekt vor der jahrzehntelangen Erfahrung und intellektuellen Schärfe der "alten Männer" Castorf und Peymann wäre angemessen. Denn in der Sache haben sie natürlich recht: mit Tim Renner hat Wowi der Berliner Kultur zum Abgang einen veritablen Storch gebraten. Castorf formulierte es so: "die fortwährende Verwaltung der Nicht-Vision ist auf die Dauer zu wenig." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Peymann in der Zeit: Recht und Humor
Peymann hat nicht nur Recht, er hat auch Humor. (...)
Peymann in der Zeit: pro Peymann-Denkmal
Wie sehr ein Theater und eine Stadt in Sachen Theaterpräsenz, Öffnung und gesellschaftlicher Interaktion unter Peymann aufgebaut hat, habe ich in Wien erlebt. Allerdings gab es da auch Kulturpolitiker, die selbst gegen die eigene Fraktion, Theater, Meinungsfreiheit und kritische Sichtweisen verteidigt haben. Ich habe dann auch erlebt wie unter anderen Direktionen – und da meine ich Bachler mehr als Hartmann ein eher fades, feuillettonkonformes Abendprogramm abgespult wurde mit wenig Nachhaltigkeit. Wenn Sie in Berlin ähnliches erleben, stellen Sie neben das Brecht-Denkmal ein Peymann-Denkmal. Und schämen sich für eine Diskussionsbasis à la „Der Champagnerrevolutionär“, ein Ausdruck, den eine Zeitung verwendet hat, die sich nicht gerade als Gratis-U-Bahnzeitung sieht. Gruß aus Wien!
Peymann in der Zeit: Filz ist begehrt
@6: Wie kommen Sie denn zu dieser Auswahl an Namen? Wenn ich da nach Dienstalter gehe, fallen mir auch andere Namen ein.

Und: Der Filz ist wohl international und national begehrt und attraktiv. Ziehen Sie doch in eine Stadt "abseits der großen Zentren" (wie es die Deutsche Bühne nennt), dort sind oft genug junge, aufstrebende Köpfe zu finden. Ob man deren Inszenierungen mag, kann jeder selbst beurteilen. Ich bin jedenfalls mit Castorf glücklicher als dem Mainstream und der Anbiederei andernorts.
Peymann in der Zeit: Berlin immer schon Provinz
Im Kern wird doch eins deutlich: Berlin war, ist und bleibt Provinz...Und nicht nur im Theater...
Peymann in der Zeit: Endlich!
Es geht doch nicht um alt oder jung, es geht um einen emotionalen Zugewinn und um Erkenntnisgewinn. Beides erwarte ich mir nicht mehr weder bei Peymann noch bei Castorf. Deswegen möchte ich keine Abende mehr von ihnen sehen. Das hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun. Dienstjahre und Kunst gehören einfach nicht zusammen. Auch wenn einigen hier die Phantasie dazu fehlt, ich bin dankbar, dass die Ära Peymann und Castorf nun zu Ende geht. Und ich freue mich auf die Zukunft des Theaters in Berlin. Reese, tja, das ist irgendnwie Schade und mutlos. Was soll`s. An der Volksbühne kann es spannend werden. Die Umgangsformen von Herr Peymann sind mir fremd. Ich richte mein Urteil nicht nach Pöbeleien aus. Das Castorf seine Konsensunfähigkeit schon für einen produktiven Dissens hält, da kann ich nur lächeln. Ich denke, der Renner macht es wahrscheinlich genau richtig. Er setzt den Platzhirschen einen Fremden vor die Nase und lässt sie röhren. Peymann hat doch mittlerweile soviel credit points als Narr und Staatsclown Nummer Eins gesammelt, der darf einfach noch ein wenig weiter kaspern und wüten. Gut ist, man muss gar nichts mehr machen, denn die ein Äre geht nun tatsächlich zu ende. Und eine neue beginnt.

Endlich. Das macht mich glücklich.
Claus Peymann Interview mit der Zeit: muss man ja
"Wenn man es nett sagt, merkt es ja keiner":


http://www.deutschlandradiokultur.de/claus-peymann-wenn-man-es-nett-sagt-merkt-es-ja-keiner.970.de.html?dram:article_id=322266
Claus Peymann Interview mit der Zeit: Danke für Hinweis
Journalistin: "Herzlich Willkommen!"
Peymann: "Wollen mal sehen!"

Danke @13 für:
http://www.deutschlandradiokultur.de/claus-peymann-wenn-man-es-nett-sagt-merkt-es-ja-keiner.970.de.html?dram:article_id=322266

Und nochmal: Renner muss weg!
Claus Peymann Interview mit der Zeit: gegen Herunterwirtschaften ...
Eines haben Peymann und Castorf jedenfalls gemeinsam: Daß sie sich gegen die Herunterwirtschaftung des Literarischen im Theater stemmen. In diesem Zusammenhang ist es nebensächlich, ob das durch die theatrale Aneignung von Romanen oder von Dramen geschieht. Dieser Widerstand sollte nicht durch den leider gängig gewordenen Begriff "Literaturtheater" diffamiert werden, der fälschlicherweis semantisch unterstellt, es handele sich um ein Theater, das sich dem Diktat der Literatur unterordnet.
Presseschau Peymann / Renner: nicht lustig
Claus Peymann steuert also strikt auf Hartz IV zu? Der Mann hat leicht reden. Nicht lustig. Und leider macht er ja inzwischen auch nur noch hochnotpeinliches Altherrentheater, sorry. Dagegen muss man gar nicht mehr anrennen. Der Zahn im "Arsch der Mächtigen"(?!) ist doch längst gezogen. Trotzdem ein interessanter Beitrag, vor allem in Bezug auf die Neoliberalisierung des Theaters, in welchem sich niemand mehr etwas vorstellen mag.

Und noch eine Zusatzfrage: Es könnte Naive geben, die Peymanns "wenn man es nett sagt, merkt es ja keiner" leider vollkommen falsch verstehen und einfach mal behaupten, sie mögen keine "Juden","Schwaben", "Südländer", "Asozialen", "Türken", "Polen", "Asylsuchende" usw. Oder hieße das dann, dem ebenso vehement zu widersprechen, ja, widersprechen zu müssen? Die Macht und zugleich Ohnmacht des Sprachgebrauchs (im Theater), das war ja auch die Spezialität des frühen Handke in seiner "Publikumsbeschimpfung".
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